1997 / "Nicht wir, sondern Baufirmen..."

 


Die Illwerke AG sind für Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Landes von überragender Bedeutung. Deshalb ist auch die gründliche Erforschung der Firmengeschichte während der NS-Zeit von höchstem landesgeschichtlichen Interesse.

Als die 3. Klasse der BHAK und BHASCH Bregenz im Zuge des sogenannten "Bedenkjahres" 1988 ein Projekt zu den Zwangs- und Fremdarbeitern während des "Dritten Reiches" startete, wandte sie sich auch die Vorarlberger Illwerke AG mit der Bitte, Archiveinsicht nehmen zu dürfen. Die Schüler/innen erhielten folgende Antwort: "Offenbar hat erst das Jahr 1988 im Bereich der Schulen zur Besinnung auf die Zeitgeschichte geführt; als Beisitzer bei verschiedenen Prüfungen konnten wir bis dahin leider nur einen eklatanten Mangel an geschichtlichem Wissen, was die jüngere Zeitgeschichte betrifft, feststellen. Ihr Schreiben ist. u.a. einer von mehreren Versuchen einer uns namentlich bekannten Gruppe, Zugang zu unseren Firmenarchiven zu erhalten, wobei wir es als sehr freundlich empfinden, daß Sie uns mitteilen, Sie würden keine Anklage (gegen wen? gegen Ihre Großväter?) erheben und die Öffnung für Jugendliche liege im wohlverstandenen Interesse der Vorarlberger Illwerke AG."

Beinahe zehn Jahre später stößt die Forderung der Johann-August-Malin-Gesellschaft, das Firmenarchiv uneingeschränkt der Zeitgeschichtsforschung zu öffnen, immer noch auf Widerspruch. Zwar hat sich die Illwerke AG bereit erklärt, einem ausgewählten Institut für Zeitgeschichte Akteneinsicht zu gewähren, aber diese selektive Öffnung genügt nicht. Überhaupt wirft die generelle Haltung der Verantwortlichen zu den Jahren 1938 bis 1945 einige grundsätzliche Fragen auf.

Illwerke-Aufsichtsratschef und Altlandeshauptmann Dr. Martin Purtscher stiehlt sich recht einfach aus der historischen Verantwortung, wenn er erklärt, dass die Tausenden Zwangs- und Fremdarbeiter, die unter teils unmenschlichen Bedingungen auch auf den Illwerke-Baustellen arbeiten mussten, gar nicht von den Ill-Werken, sondern von "Baufirmen" beschäftigt worden seien. Und im übrigen seien - so Purtscher - die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter tot und "selbst jene, die noch leben, hätten kaum eine Chance, konkrete Nachweise zu liefern."

Die Hohenemser Historikerin Margarethe Ruff hat kürzlich ein Buch über die ukrainischen Zwangsarbeiter/innen in Vorarlberg veröffentlicht. Im Anhang befinden sich rund 2000 Adressen von Überlebenden, die auf österreichischem Boden arbeiten Einige Illwerke-Arbeiter hat Ruff in ihrem Heimatland aufgesucht und dort interviewt. Ihre Lebensgeschichten gleichen sich: Als junge Männer unter Zwang nach Vorarlberg gebracht, mussten sie auf den Baustellen praktisch unentgeltlich schuften, sie haben dort ihre Gesundheit mehr oder weniger ruiniert und wollen in der Regel heute nur eines: Eine Anerkennung dieser "Arbeitszeiten" für ihre Pensionsansprüche. Dazu benötigen sie Firmenbestätigungen, die sie jedoch nicht erhalten. Dies trifft etwa für Nikolai Pietrov und Anatolij Samarski zu, die noch im Herbst dieses Jahres Vorarlberg besuchen werden.

Heute zu behaupten, dass ab 1938 "die Deutschen" für die menschenverachtenden Zustände auf den Silvretta-Baustellen allein verantwortlich gewesen wären, ist wohl hanebüchen und historisch unzutreffend. Selbstverständlich gibt es eine vielfältige Mitverantwortung der heimischen Eliten am menschlichen Leid, das von den NS-Machthabern verursacht worden ist. Davon wollte jedoch nach 1945 niemand etwas wissen. Jahrzehntelang wurde auch auf jene vergessen, die den Ausbau der Wasserkraft während der NS-Ära geleistet hatten: Tausende Zwangsarbeiter, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene. Mit fortschreitendem Kriegsgeschehen kamen sie aus allen Herren Länder - nach dem Krieg verließen sie das Land, ohne für ihre Zwangsarbeit entschädigt zu werden.

Als Ende 1939 die ersten polnischen Kriegsgefangenen in Partenen ankamen, begrüßte sie ein Plakat mit den zynischen Worten: "Daß wir bauen, verdanken wir dem Führer!" Die von der Nazi-Propaganda als "Untermenschen" verhöhnten Arbeitskräfte aus Polen, Russland oder der Ukraine wurden aufs ärgste geschunden, der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung verboten. Wer sich nicht daran hielt, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Viele machten mit dem "Reichserziehungslager Reichenau" Bekanntschaft: Wer die Gestapo-Torturen und das KZ überlebte, kam wieder an den gleichen Arbeitsplatz zurück - als Abschreckung für die anderen. Auch die einheimischen Arbeitskräfte sollten uneingeschränkt die politischen Anschauungen der Nationalsozialisten teilen. Oppositionelle wie der Hohenemser Schlosser Johann Seewald oder der Bregenzer Werner Schad wurden vom Arbeitsplatz weg verhaftet. Seewald wurde 1944 in München-Stadelheim hingerichtet, Schad kam im KZ Mauthausen um.

Daran musste auch die heutige 80-jährige Frau F. E. denken, als sie mir ein Schreiben der NSDAP-Ortsgruppe Schruns aus Zorn darüber, dass noch "heute vertuscht werde", aushändigte. Es datiert vom 21. April 1941 und ist an H. E., einen langjährigen Mitarbeiter der Illwerke, gerichtet. Darin heißt es:

"Anlässlich der gestrigen Übertragung der Geburtstagfeier des Führers erlaubten Sie sich, im Cafe Weckerle eine etwas unpassende Bewerkung zu machen.

Wenn Sie schon glauben, durch Ihr äußeres Benehmen, durch Ihre Art und Weise andere Volksgenossen zu grüßen, Ihre ostentative Abneigung gegen die nationalsozialistische Volksgemeinschaft zur Schau tragen zu müssen, erübrigen sich Ihre sonstigen blöden Bemerkungen, um Ihre Einstellung noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Dieses Schreiben soll Ihnen eine letzte Mahnung sein, denn Sie werden sich wohl bewusst sein, dass der Nationalsozialismus andere Mittel zur Verfügung hat, etwas verschrobene Ansichten wieder in die rechte Bahn zu lenken."

"Er war halt christlichsozial eingestellt und deshalb seinem Vorgesetzten ein Dorn im Auge", meint heute seine Witwe. Die Drohung wirkte, H. E. hielt sich fürderhin zurück. Kein Wunder, denn die unmissverständliche Drohung kam vom Ortgruppenpropagandaleiter.

Nach 1945 hat das Land Vorarlberg kräftig am "Weißen Gold" profitiert. 52 Jahre nach Kriegsende wäre es an der Zeit, diese Ereignisse zu enttabuisieren und den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern zu ihrem Recht zu verhelfen. Dazu müssten allerdings die Firmenunterlagen freigegeben werden.

Werner Bundschuh (1997)