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01.11.2002 / Werner Bundschuh: Nach 20 Jahren - Johann August Malin erhält eine Gedenktafel


Kultur, Nov. 2002, S. 4-7

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Nach 20 Jahren erhält Johann August Malin eine Gedenktafel

 

Mit Denkmälern und Gedenktafeln werden die Erinnerung an einzelne, herausragende Persönlichkeiten oder an bestimmte Gruppen unserer Gesellschaft wach gehalten. Doch es besteht nicht immer Einigkeit, wer des „Gedenkens" würdig ist. Kriegerdenkmäler sind wie selbstverständlich in die dörfliche und kleinstädtische Gedächtnis- und Erinnerungslandschaft integriert, wahrend Gedenkstatten und Gedenktafeln für die Widerstandskämpfer gegen den NS-Unrechtsstaat und die Opfer dieser Gewaltherrschaft außerhalb der urbanen Zentren bis in die Achtzigerjahre hinein in Österreich weitgehend fehlten.

Vor zwanzig Jahren wurde die Johann-August-Malin-Gesellschaft gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde in Vorarlberg lediglich an die katholischen Opfer der N5-Diktatur erinnert: An Provikar Dr. Carl Lampert, Kaplan Dr. Alois Grimm und an Karoline Redler. Für Karoline Redler war eine Gedenktafel in der Bregenzer Rathausstraße angebracht, die als Musterbeispiel fur die Schwierigkeiten im Umgang mit der NS-Zeit gelten kann. Die Inschrift lautet: "Karoline Redler geb. Schwärzler, am 8. 11.1944 in Wien gestorben als Opfer der Gewalt". In geradezu infamer Weise werden hier die Nazimörder verschwiegen und an deren Stelle eine anonyme, aus Wien kornmende Gewalt gesetzt, eine Tendenz, die auch in der Geschichtsschreibung vorherrschte.

Die Publikation "Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg" (Hrsg. Johann-August-Malin-Gesellschaft) brachte eine einschneidende Änderung im Forschungs- und Wissenstand, und in der Folge begannen auch Bemühungen, Gedenksteine / Opfertafeln, die an NS-Widerstandskämpferlnnen erinnern, in verschiedenen Gemeinden anbringen zu lassen. Im sogenannten "Bedenkjahr" 1988 erfolgten verstärkt diesbezügliche Initiativen – mit unterschiedlichen Ergebnissen, je nach der politischen Situation auf lokaler Ebene. In Dornbirn brauchte es zum Beispiel Jahre, bis die Errichtung eines Gedenksteines realisiert werden konnte. Auch einzelne Straßennamen setzten nun neue Markierungsversuche. Die Urnbenennungsversuche der "Kernstock-Straßen" in Hohenems und Dornbirn blieben allerdings bis heute erfolglos. Natürlich bemühte sich die Johann-August-Malin-Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahre 1982 auch, eine Gedenktafel in Satteins für den Namensgeber anbringen zu lassen. Jahrelang blieben die Versuche, die Gemeinde dafür zu gewinnen, jedoch erfolglos. Immer wieder wurden diesbezügliche Vorstöße von der Rathausmehrheit abgeschmettert. FPÖ-Burgermeister Burtscher brachte die Ablehnung auf folgende Formel: „Malin war damals in der Gemeinde nicht beliebt, und er ist es heute noch nicht!"

Am 9. November 2002 ist es nun so weit: Am Geburtshaus von Johann August Malin wird eine Gedenktafel enthüllt. Landesrat Hans-Peter Bischof und Bürgermeister Siegfried Lang werden anwesend sein und damit dokumentieren, dass sich die Kontroverse um die Person Malin und den nach ihm benannten historischen Verein entschärft hat. Aus der Anwesenheit dieser ÖVP-Politiker zu schließen, dass der Konflikt um die Person von Johann August Malin endgültig begraben ist, wäre allerdings sehr naiv. Natürlich ist dem nicht so, doch mit dem zeitlichen Abstand haben sich die Frontlinien etwas abgeschliffen. Als Gegenbeispiel ließen sich allerdings die gescheiterten Bemühungen der Johann-August-Malin-Gesellschaft, die sogenannte „Wehrmachtsausstellung" nach Vorarlberg zu bringen, anführen. Vom öffentlichen Ansehen von „Deserteuren" ganz zu schweigen. Personen wie Malin, die „nicht mitgemacht haben", sind vielen heute noch suspekt.


Wer war dieser Mann ...

Vor genau 60 Jahren wurde Johann August Malin im Alter von 40 Jahren in München-Stadelheim hingerichtet. Er gehörte zu jenen, an die man sich nach 1945 nicht gerne erinnerte. Wer war dieser Mann, der heute in seiner Heimatgemeinde mit einer Gedenktafel geehrt wird?

Johann August Malin wurde am 22. September 1902 als Sohn eines Lohnstickers in Satteins geboren. Er wuchs – wie die meisten in dieser Gemeinde – in ländlich-ärmlichen und bildungsfernen Verhältnissen auf. Die Jahre auf der Baustelle des Spullerseekraftwerks waren fur die Herausbildung seines politischen Bewusstseins prägend. Er wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und übernahm in den Zwanzigerjahren in Satteins die Ortsgruppe. Zudem war er zeitweise Vertrauensmann der Freien Gewerkschaften. Er entwickelte ein starkes Bildungsbedürfnis. Als Autodidakt eignete er sich ein beeindruckendes geologisches Wissen an. Bleibendes Dokument dieser Tätigkeit ist eine Publikation zur geologischen Beschaffenheit der Umgebung des Schwarzen Sees.

 

Malin-Familie

Johann August Malin (ganz links) mit Eltern und Brüdern in den 30er Jahren

 

Aber er war nicht nur Geologe: Zugleich engagierte er sich in Vorträgen und Artikeln für die Weiterbildung der sozial von den üblichen Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen. In seiner Selbsteinschätzung war er vornehmlich "Volksschriftsteller", eine Tätigkeit, die neben der bloßen Bildungsabsicht durchwegs die politische Agitation mitbeinhaltete. Malin war Obmann der Vorarlberger Urania-Gesellschaft. In der Zeit des Austrofaschismus versuchte er bei seinen Führungen und Exkursionen im Sinne einer wirklich demokratischen Entwicklung Volksbildung zu betreiben.

In der Rolle eines "Armenvolksanwaltes" wurde er bekannt. In den Dreißigerjahren machte er ca. 4000 Eingaben an die verschiedensten Behörden für Leute, die sich einen akademischen Rechtsbeistand nicht leisten konnten.

In dieser Hilfstätigkeit ist auch der Grund für Malins Verhaftung am 6. Maj 1942 zu suchen. Malin war unvorsichtig: Er hatte in Feldkirch ein quasi halböffentliches antifaschistisches Auskunftsbüro eingerichtet. In seiner Gruppe arbeiteten Kommunisten, Sozialdemokraten und Katholiken zusammen. Auch ein katholischer Priester nahm an den Sitzungen und Beratungen dieser Gruppe teil. An Malin, dem aktivsten und bekanntesten wurde ein Exempel statuiert. Er hatte ratsuchenden Ostfronturlaubern zur Desertion in die benachbarte Schweiz geraten, hatte auf Grund genauer Informationen von Auslandssendern in verschiedenen Gasthäusern Nachrichten vom Ende des deutschen Vormarsches im Osten verbrettet, und er hatte Soldaten mit Flugzetteln versehen, auf denen „Hallo hier Österreicher, bitte nicht schießen, ich laufe über!" stand. Damit erfüllte Malm für die Nazijustiz die Tatbestände der "Wehrkraftzersetzung, der Vorbereitung zum Hochverrat sowie der Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender".

Malin konnte nicht auf Gnade hoffen. Vor 60 Jahren schrieb er in seinem Abschiedsbrief:

"München, am 9. November 1942 Meine lieben Eltern!

Nehmt meine aufrichtigen Grüße entgegen. Habe um 11.30 vormittags die Verständigung erhalten, daß meine Begnadigung abgelehnt wurde und ich daher heute abend um 6 Uhr hingerichtet werde. (…) Bewahrt mir ein stilles Gedenken, ich wollte ja nur allen Menschen helfen und meiner Heimat wirklich dienen. Und jetzt kam es so furchtbar grausam. Indem ich Euch nochmals Dank sage für alles Gute scheide ich mit den innigsten Grüßen

Euer unglücklicher Sohn August"

 

Gedenkfeier für Malin im Nov. I945

In seinen Abschiedsbriefen hatte er eine Würdigung seiner Aktivitäten in der Nachnazizeit erhofft. Nach der Befreiung vom Naziterror hat es in Satteins tatsächlich eine Erinnerungsfeier gegeben. Sie sollte für lange Zeit die einzige bleiben.

In den Vorarlberger Nachrichten wurde damals berichtet:

"Satteins. Heute am I I. November 1945 fand hier die Gedenkfeier mit Kreuzsteckung für den vor drei Jahren durch braune Henkershand gefallenen Freiheitskämpfer Joh. August Malin statt. Vor der Kirche war ein einfacher Feldaltar errichtet, davor ragte der Katafalk mit einem schlichten Birkenkreuz. Zur Feier, die von der Österreichischen Widerstandsbewegung des Bezirkes Feldkirch veranstaltet worden war, waren auch Vertreter der französischen Militärregierung erschienen. Nach der Totenmesse hielt der Bezirksobmann Reisecker denn toten Kameraden einen tiefempfundenen Nachruf. Er führte aus, daß Malin als geistiger Führer einer Widerstandsgruppe von der Gestapo verhaftet und nach siebenmonatiger Haft, ohne daß eine Schuld bewiesen werden konnte, am 9. November 1942 zusammen mit noch weiteren 300 Freiheitskämpfern durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Der Landesobmann der Widerstandsbewegung, Dr. Riccabona, erinnerte die Versammlung daran, daß Malin durch seine Propaganda versucht hatte, den Kameraden an der Ostfront das Unsinnige eines Krieges gegen einen Staat klarzumachen, der ein Sechstel der Erde umfaßte. Als Brauchtumsforscher und Vorarlberger hatte Malin die Entartung und die Widernatürlichkeit der Denkungsart des Dritten Reiches erkannt und sein Inneres empörte sich in ehrlicher Ablehnung der Wahnsinnsidee vom Tausendjährigen Reich. Bürgermeister Weber gab den Beschluß des Gemeinderates bekannt, die am Geburtshause des Toten vorbeiführende Herrengasse nach dem Hausnamen der Familie Malin in Christlgasse umzubenennen. Zum Schluß der Totenfeier legten Abordnungen aller Ortsgruppen der Widerstandsbewegung des Bezirkes Kranze nieder, während sich die Trauerfahnen zum Zeichen der letzten Ehrung dreimal vor dem Grabkreuz senkten."

 

Malin-Wohnhaus

Das Geburtshaus von Johann August Malin in den 50er Jahren

 

Malin war allerdings "kein Heiliger" und selbst zwiespältig: So reklamierte ihn nach 1945 auch die KPÖ für sich, und sein verzweifelter Versuch, in die NSDAP aufgenommen zu werden, um der Verfolgung zu entgehen, wurde gegen ihn ins Treffen geführt. Gerade diese Vielschichtigkeit machte ihn zur interessanten Figur und deswegen wurde er als Namensgeber für unseren Verein ausgewählt.

 

... verdrängen, vergessen, ausblenden

Nach 1945 setzte jener Prozess ein, den man mit den Worten verdrängen, vergessen, ausblenden umschreiben könnte: Die unbeschreibliche NS-Vergangenheit. Jahrelang musste Melanie Malin, die Witwe des Hingerichteten in der Nachkriegsgesellschaft um ihren Opferfürsorgeanspruch mit der Landesbürokratie streiten.

Dieser Umgang mit NS-Opfern ist ein wahrlich dunkles Kapitel in der „Wiederaufbaugesellschaft"!

Im Mai 1995 referierte ich anlässlich des 50. Jahrestages der 2. Republik in Linz beim österreichischen Historikerkongress über die Schwierigkeiten, in Vorarlberg Gedenktafeln für NS-Widerstandskämpfer(innen) anzubringen. Damals gab ich der Hoffnung Ausdruck, dass eine neue Generation von Politikern unbefangener und offener sich der entsprechenden "Denkmalkultur" stellen werde. Ich hoffte damals, dass es in Satteins zum 60. Todestag von Johann August Malin so weit sein werde. Heute ist es tatsächlich so weit. Allerdings waren im Vorfeld der Tafelanbringung für die Initiatoren immer noch viele Ressentiments spürbar: „Warum sich an einen wie Malin erinnern? Warum wollen Sie den Dorffrieden stören? Es ist doch schon so lange her!" und anderes mehr. Aber auch große Genugtuung über die späte Tafelanbringung wurde artikuliert:

„Ich freue mich, dass es euch gelungen ist, dass diese Gedenktafel an seinem Geburtshaus angebracht werden kann. Es ist unglaublich, damit habe ich nicht mehr gerechnet. Ich brauche euch nicht zu sagen, wie Richard das erst gefreut hätte. Papa wäre zutiefst gerührt, dass seinem Freund und Weggefährten diese späte Anerkennung zuteil wird."

Diese Worte stammen von einer Tochter von Richard Tiefenthaler. Ihr Vater hatte Glück. Er wurde 1942 einberufen und konnte so als Mitglied der Gruppe um Johann August Malin der drohenden Verhaftung und dem Todesurteil entgehen. Diese Tafel ist ausdrücklich auch ihm gewidmet und all den anderen, die unter Einsatz ihres Lebens gegen ein menschenverachtendes Regime aufgetreten sind – in der Hoffnung auf eine demokratische und menschenwürdige Gesellschaft.

 

Gedenktafel als Anstoß und Impuls

Die Anbringung einer Gedenktafel birgt zweifelsohne auch Gefahren in sich: Dieser Akt könnte als bequeme Form der Geschichtsentsorgung missverstanden werden. Diese Gedenktafel bezweckt das Gegenteil: Sie soll Anstoß und Impuls sein, sich dem Erinnerungsprozess zu stellen, und sie soll dazu beitragen, die NS-Vergangenheit in diesem Lande verstärkt zu thematisieren. Dass dies nötig ist, zeigen zum Beispiel die jüngsten Äußerungen von Volksanwalt Dr. Ewald Stadler. Noch kann man sichtlich Beifall von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung einheimsen, wenn die Zeit des NS-Massenmordes unreflektiert mit jener nach der Befreiung durch die Alliierten gleichsetzt wird.

20 Jahre lang hat sich die Malin-Gesellschaft bemüht, „verdrängte" Themen „aufzuarbeiten": Die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Zeit des Austrofaschismus, die NS-Vergangenheit der „Wirtschaftskapitäne", Verfolgung und Widerstand, die Geschichte der Zwangsarbeiterfinnen), den hausgemachten Antisemitismus oder die ideologische Funktion des „Alemannenmythos". um nur einige zu nennen. Jüngere Forscher(innen) können auf diesem Fundament aufbauen und in Detailstudien den Blick weiter schärfen. Die großen Linien sind gelegt, sie sind aus der Landesgeschichtsschreibung nicht mehr wegzudenken. Die einst angefeindeten „Maliner" haben sich etabliert, ihre Forschungen werden weit über die Landesgrenze hinaus wahrgenommen, wie jüngst die Evaluierung der European Science Foundation durch das Wissenschaftsministerium gezeigt hat. Doch in Hinblick auf die Breitenwirkung ist noch viel zu tun: Die „Gedenkkultur“ in diesem Land bedarf noch großer Anstrengungen. Die Anbringung einer Gedenktafel für Johann August Malin ist nur ein kleiner Schritt dazu.

Werner Bundschuh
Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft

 

 


„Blinde Flecken der Landesgeschichtsschreibung wurden ausgeleuchtet“

Interview mit Malin-Obmann Werner Bundschuh

 

KULTUR: Vor 20 Jahren, als noch Elmar Grabherr, Benedikt Bilgeri, Hans Nägele oder Theodor Veiter das offizielle Geschichtsbild in Vorarlberg zu bestimmen versuchten, hat die kritische Aufarbeitung der Zeitgeschichte durch die Johann-August-Malin-Gesellschaft hierzulande noch einigen Staub aufgewirbelt. Mittlerweile kann man wohl davon ausgehen, dass die Malin-Historiker längst den Sprung zur öffentlichen Anerkennung geschafft haben.


Historiker contra Märchenerzähler

 

Bundschuh: In den Achtzigerjahren lösten die damals „jungen Zeithistoriker" noch den „Vorarlberger Historikerstreit" aus. Er ist mittlerweile selbst Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Harald Dunajtschik hat diesem Konflikt den Titel „Historiker gegen Märchenerzähler" gegeben. Im Laufe dieser zwanzig Jahre haben sich die wissenschaftlichen Arbeiten der „Maliner" gegen die „alemannozentrischen Märchenerzähler" durchgesetzt. Unsere Arbeiten haben zweifelsohne die österreichische Zeitgeschichtsforschung bereichert und weit über die Landesgrenzen hinaus Beachtung gefunden. Vorarlberg hat keine Universität, also auch kein entsprechendes Zeitgeschichteinstitut. Wir haben eine Art Stellvertreterfunktion übernommen. Der Obmann der Malin-Gesellschaft wurde zum Beispiel als „Institutsvorstand" Anfang September vom Wissenschaftsministerium zur Berichterstattung für die European Science Foundation eingeladen. Dies zeigt, dass wir heute als nicht in Institutionen verankerte Historiker auf der Wissenschaftsebene durchaus wahrgenommen werden, Einst wurden wir als „linke Umschreiber und Pseudohistoriker" abqualifiziert. Dies hat sich in der Tat geändert.

KULTUR: Der damalige VN-Chefredakteur Franz Ortner zählte nicht gerade zu den Malin-Fans. Was bedeutete es damals für einen Historiker, die mächtige "VN" gegen sich zu haben?

... und Franz Ortner

 

Bundschuh: Er „zählte nicht zu den Malin-Fans" ist eine Untertreibung. Ortner war ein erbitterter Gegner der "Junghistoriker", und er tat auch alles, um Johann August Malin zu verunglimpfen. Es bedurfte sicher einer Portion Zivilcourage, um sich im „schwarzen Ländle" gegen das Monopolblatt zu stellen. In den „Sperrungen" machten wir darauf aufmerksam, dass der VN-Chefredakteur noch im August 1944 im „Vorarlberger Tagblatt" nationalsozialistische Jubelartikel verfasst hatte. Auch für diese Auseinandersetzung galt: Unsere Aussagen mussten sehr gut belegt sein – und sie waren es auch. Der Chefredakteur der VN hat damals den Landeshauptmann öffentlich dazu aufgefordert, er möge den Landesarchivar DDr. Burmeister „des Landes verweisen". Dieser hatte es "gewagt", die Forschungsergebnisse der Malin-Gesellschaft nicht „von der Hand zu weisen". Zum Glück waren wir zum Großteil pragmatisierte Lehrer. So konnten wir dem Druck leichter standhalten. Die Widerstände gegen unsere Arbeit waren allerdings enorm.

KULTUR: Mittlerweile hat sich die Mediensituation hierzulande ja stark verändert Es gibt zwar eine bedenkliche Medienkonzentration, im Medienhaus scheint man – zumindest im Vergleich zu damals – aber weit mehr Augenmerk auf Verkaufszahlen denn auf eine ideologische Ausrichtung zu legen. Wie sieht das Verhältnis der Malin-Gesellschaft zu den Vorarlberger Medien heute aus?

Bundschuh: Da hat sich in der Tat vieles geändert, Eine wichtige Rolle hat für uns immer der ORF – in den Anfangsjahren besonders Leo Haffner – gespielt Der ORF stellte in der Berichterstattung ein Gegengewicht zur Ruß-Presse dar. Heute können wir nicht klagen: Harald Walser, Ex-Obmann der Malin-Gesellschaft, ist Kolumnenschreiber in den VN. Christa Dietrich hat sich im VN-Kulturteil in den letzten Jahren sehr um unsere Anliegen gekümmert. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit können wir derzeit nicht klagen.

KULTUR: Ein großes Problem für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus war für Euch die 50-jährige Archivsperre. Hat sich dieses Thema im Jahr 2002 rein rechnerisch von selbst erledigt oder gibt es mittlerweile andere Stolpersteine für einen kritischen Historiker?

Problemfall Geschichte der Zwangsarbeiterinnen

 

Bundschuh: Offiziell hat es eine "Archivsperre" in den staatlichen Archiven in Österreich nie gegeben. Eigentlich müsste man korrekter Weise von vorgesehenen „Sperr- und Schutzfristen" sprechen. Bei der historischen Basisarbeit in den Achtziger- und Neunzigerjahren war der Zugang zu den Archivalien tatsächlich manchmal ein großes Problem. Dass den Malin-Historikern damals nicht alle Quellenmaterialien bereitwillig ausgehändigt wurden, liegt auf der Hand. Problemfelder gibt es zum Beispiel bei privaten Firmenarchiven. Es sei das oft zitierte Illwerke-Archiv angeführt. Hier hat man den „kritischen Historikern" wirklich Stolpersteine in den Weg gelegt: Anstatt die Geschichte der Zwangsarbeiterinnen im Land seriös aufzuarbeiten» haben die Illwerke damit einen Historiker beauftragt, der den Anforderungen sichtlich nicht gewachsen ist. Die „Österreichische Historikerkommission" jedenfalls ist mit seiner Arbeit bisher sehr unzufrieden. Solche Personalentscheidungen mögen auf den ersten Blick bequem sein, sie sind jedoch kontraproduktiv. Wenn das Thema Zwangsarbeiterinnen nicht umfassend und wissenschaftlich korrekt bearbeitet wird, bleibt das Thema für das Land erhalten. Gerade bei diesem Themenkomplex hat sich jedoch gezeigt, wie unbequem die Zeithistoriker für das Land immer noch sind. Auf großes Entgegenkommen – etwa beim Zwangsarbeiterfonds, der von der Malin-Gesellschaft, den Grünen, dem Theater Kosmos und von Margarethe Ruff initiiert wurde – konnten wir wahrlich nicht zählen. Das Land zeigte auch kein Interesse daran, die Geschichte der Zwangsarbeiterlnnen von uns weiter erforschen zu lassen. Und selbstverständlich ist es auch heute noch so, dass wir in den Landesinstitutionen kaum verankert sind. Geliebt und gehätschelt werden die Malin-Historiker von Landesseite sicherlich nicht. Man kann nicht sagen, dass die Arbeit in der Malin-Gesellschaft ein Karrieresprungbrett ist.

KULTUR: Das Verhältnis zum Landhaus, speziell zur für die Förderungen der Malin-Publikationen zuständigen Wissenschaftsabteilung, war auch nicht immer ungetrübt. Gibt es heute noch so etwas wie "Tabubereiche"?

Bundschuh: Diese Frage wird sich erst wieder stellen, wenn eine Publikation den Nerv der politischen Mehrheit trifft. Leo Haffner arbeitet seit Jahren an der Frage, warum ÖVP-Landeshauptmann Ulrich Ilg so bereitwillig Ex-Nationalsozialisten wie Elmar Grabherr in führende Landesverwaltungspositionen gehievt hat. Im Zuge dieser Recherchen wird auch deutlich, wie stark die Kontinuitäten von der austrofaschistischen Zeit bis in die „Wirtschaftswunderjahre" waren. Muss man heute wieder „Ständestaat auf christlicher Grundlage", Austrofaschismus mit Anführungszeichen oder die „andere Demokratie" sagen und schreiben? Die Terminologie für die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur von 1933-38 ist bis heute umstritten. An einem solchen konkreten Fall wird sich zeigen, ob das Problem der Publikationsförderung endgültig Vergangenheit ist.

KULTUR: Die Geschichte des Nationalsozialismus in Vorarlberg ist mittlerweile ziemlich umfassend aufbereitet. Haben sich aus der Landesgeschichte der letzten 50 Jahre neue Arbeitsschwerpunkte oder zentrale Themen für die Malin-Historiker herauskristallisiert?

Zentrale Themen aufbereitet und erforscht

 

Bundschuh: Die Malin-Historiker haben zentrale Themen aufbereitet und erforscht: den hausgemachten Antisemitismus und den heimischen Anteil am Holocaust, den Austrofaschismus oder NS-Verfolgung und Widerstand. Es wurden die „Bombengeschäfte" der „NS-Wirtschaftsführer" beleuchtet und der Alemannenmythos zertrümmert. Die Geschichte Vorarlbergs als Einwanderungsland wurde thematisiert und weitere blinde Flecken der Landesgeschichtsschreibung wurden ausgeleuchtet. Anstöße zur Industriegeschichtsschreibung und zur Geschichte der Arbeiterbewegung gingen von der Malin-Gesellschaft aus. Ich glaube, die Bilanz dieser 20 Jahre kann sich sehen lassen. Die Basisarbeit für eine neue Landesgeschichtsschreibung für das 19. und 20. Jahrhundert wurde geleistet. Eine neue Forschergeneration wird weitere Differenzierungen vorzunehmen haben. Die Grundlinien sind jedoch gelegt, das Fundament steht. Viele Fragestellungen ergeben sich erst aus dem Kontext unserer Forschungen. Mitglieder der Kerngruppe sind heute in vielen Bereichen tätig: Kurt Greussing, der mit Fug und Recht als „geistiger Vater" der Malin-Gesellschaft bezeichnet werden kann, arbeitet seit Jahren im südlichen Afrika als Regionaldirektor der britischen Entwicklungshilfe- und Kampagne-Organisation Oxfam. Dennoch verfolgt er aufmerksam die Regionalgeschichte. Oder Werner Dreier, der im Rahmen des Projekts „Holocaust erinnern" eine zentrale Fragestellung thematisiert: Wie können die Erkenntnisse an die nächste Generation weiter gegeben werden?

KULTUR: Wie stark und in welcher Form nimmt die Malin-Gesellschaft zu aktuellen politischen Problemen Stellung, wenn man beispielsweise an diverse Äußerungen Ewald Stadlers oder anderer hoher FPÖ-Funktionäre denkt?

Deutliche Wortmeldungen zu aktuellen Problemen

 

Bundschuh: Ich habe schon auf die Kolumnen-Tätigkeit von Harald Walser hingewiesen. Als „Malin-Historiker" spricht er selbstverständlich immer wieder Themen an, die unsere Gesellschaft bewegen. Zum Beispiel die „Wehrmachtsausstellung" – und selbstverständlich kommentiert er die unsäglichen Äußerungen des Volksanwaltes Stadler. Zahlreiche Leserbriefe von mir beschäftigen sich mit LH Haider. Und ich war einer der ersten, der ihn wegen seiner Krumpendorf-Äußerungen angezeigt hat, leider erfolglos. Wichtig ist, auf solche Vorkommnisse wie den „Ariel-Scherz“ im FPÖ-Club öffentlich zu reagieren. Die „Demokratische Initiative" – federführend war Andreas Postner – hat mit dazu beigetragen, dass Landtagspräsident Dörler bei der Reise des Vorarlberger Landtages nach Polen sehr klare Worte gegen den Antisemitismus gefunden hat. Auch bei der Regierungsbildung im Jahre 2000 haben wir uns deutlich zu Wort gemeldet. Bei etlichen Demonstrationen gegen die schwarz-blaue Koalitionsbildung haben wir unsere Meinung deutlich artikuliert.

KULTUR: Was wünscht sich der Malin-Obmann zum Jubiläumsjahr? Die Wehrmachtsausstellung in Vorarlberg? Die Umbenennung der Kernstock-Straßen oder...?

Malingesellschaft-Team

Der enge Kreis der Malin-Gesellschaft bei einem Arbeitsgespräch: Harald Walser, Werner Dreier, Meinrad Pichler, Markus Barnay, Werner Bundschuh (v.l.n.r.)

Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts schreiben

 

Bundschuh: Ich wünsche mir vor allem, dass die Forschungsergebnisse der Malin-Gesellschaft in der breiten Öffentlichkeit stärker verankert werden. Was die Breitenwirkung betrifft, bin ich sehr pessimistisch. Die Diskussionen um die „Wehrmachtsausstellung" zeigen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen. Die Bücher der „Vorarlberger Autoren Gesellschaft" sind zum Teil leider bereits vergriffen. Einen Landesprojektgroßauftrag, die Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben, würden wir annehmen. Und einen ganz besonderen Wunsch habe ich: Die Dornbirner Realschule wird im nächsten Jahr 125 Jahre alt. Ich habe als Geschichtelehrer den Vorschlag gemacht, den Namen der Schule mit dem Zusatz „Hans-Elkan-Gymnasium" zu versehen. Hans Elkan, der Sohn des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde in Hohenems, unterrichtete als Geschichtelehrer am BGD, ehe er später ein Opfer des Holocausts wurde. Eine Namensnennung nach ihm würde zeigen, dass sich das historische Bewusstsein in diesem Land tatsächlich geändert hat.

Peter Füßl

 

 Siehe auch den Beitrag zu "20 Jahre Malin-Gesellschaft"

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