01.11.2002 / Werner Bundschuh: Nach 20 Jahren - Johann August Malin erhält eine Gedenktafel
Kultur, Nov. 2002, S. 4-7
Nach 20 Jahren erhält Johann August Malin eine Gedenktafel
Mit Denkmälern und Gedenktafeln werden die Erinnerung an einzelne, herausragende Persönlichkeiten oder an bestimmte Gruppen unserer Gesellschaft wach gehalten. Doch es besteht nicht immer Einigkeit, wer des „Gedenkens" würdig ist. Kriegerdenkmäler sind wie selbstverständlich in die dörfliche und kleinstädtische Gedächtnis- und Erinnerungslandschaft integriert, wahrend Gedenkstatten und Gedenktafeln für die Widerstandskämpfer gegen den NS-Unrechtsstaat und die Opfer dieser Gewaltherrschaft außerhalb der urbanen Zentren bis in die Achtzigerjahre hinein in Österreich weitgehend fehlten. Vor zwanzig Jahren wurde die Johann-August-Malin-Gesellschaft gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde in Vorarlberg lediglich an die katholischen Opfer der N5-Diktatur erinnert: An Provikar Dr. Carl Lampert, Kaplan Dr. Alois Grimm und an Karoline Redler. Für Karoline Redler war eine Gedenktafel in der Bregenzer Rathausstraße angebracht, die als Musterbeispiel fur die Schwierigkeiten im Umgang mit der NS-Zeit gelten kann. Die Inschrift lautet: "Karoline Redler geb. Schwärzler, am 8. 11.1944 in Wien gestorben als Opfer der Gewalt". In geradezu infamer Weise werden hier die Nazimörder verschwiegen und an deren Stelle eine anonyme, aus Wien kornmende Gewalt gesetzt, eine Tendenz, die auch in der Geschichtsschreibung vorherrschte. Die Publikation "Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg" (Hrsg. Johann-August-Malin-Gesellschaft) brachte eine einschneidende Änderung im Forschungs- und Wissenstand, und in der Folge begannen auch Bemühungen, Gedenksteine / Opfertafeln, die an NS-Widerstandskämpferlnnen erinnern, in verschiedenen Gemeinden anbringen zu lassen. Im sogenannten "Bedenkjahr" 1988 erfolgten verstärkt diesbezügliche Initiativen – mit unterschiedlichen Ergebnissen, je nach der politischen Situation auf lokaler Ebene. In Dornbirn brauchte es zum Beispiel Jahre, bis die Errichtung eines Gedenksteines realisiert werden konnte. Auch einzelne Straßennamen setzten nun neue Markierungsversuche. Die Urnbenennungsversuche der "Kernstock-Straßen" in Hohenems und Dornbirn blieben allerdings bis heute erfolglos. Natürlich bemühte sich die Johann-August-Malin-Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahre 1982 auch, eine Gedenktafel in Satteins für den Namensgeber anbringen zu lassen. Jahrelang blieben die Versuche, die Gemeinde dafür zu gewinnen, jedoch erfolglos. Immer wieder wurden diesbezügliche Vorstöße von der Rathausmehrheit abgeschmettert. FPÖ-Burgermeister Burtscher brachte die Ablehnung auf folgende Formel: „Malin war damals in der Gemeinde nicht beliebt, und er ist es heute noch nicht!" Am 9. November 2002 ist es nun so weit: Am Geburtshaus von Johann August Malin wird eine Gedenktafel enthüllt. Landesrat Hans-Peter Bischof und Bürgermeister Siegfried Lang werden anwesend sein und damit dokumentieren, dass sich die Kontroverse um die Person Malin und den nach ihm benannten historischen Verein entschärft hat. Aus der Anwesenheit dieser ÖVP-Politiker zu schließen, dass der Konflikt um die Person von Johann August Malin endgültig begraben ist, wäre allerdings sehr naiv. Natürlich ist dem nicht so, doch mit dem zeitlichen Abstand haben sich die Frontlinien etwas abgeschliffen. Als Gegenbeispiel ließen sich allerdings die gescheiterten Bemühungen der Johann-August-Malin-Gesellschaft, die sogenannte „Wehrmachtsausstellung" nach Vorarlberg zu bringen, anführen. Vom öffentlichen Ansehen von „Deserteuren" ganz zu schweigen. Personen wie Malin, die „nicht mitgemacht haben", sind vielen heute noch suspekt. Wer war dieser Mann ...Vor genau 60 Jahren wurde Johann August Malin im Alter von 40 Jahren in München-Stadelheim hingerichtet. Er gehörte zu jenen, an die man sich nach 1945 nicht gerne erinnerte. Wer war dieser Mann, der heute in seiner Heimatgemeinde mit einer Gedenktafel geehrt wird? Johann August Malin wurde am 22. September 1902 als Sohn eines Lohnstickers in Satteins geboren. Er wuchs – wie die meisten in dieser Gemeinde – in ländlich-ärmlichen und bildungsfernen Verhältnissen auf. Die Jahre auf der Baustelle des Spullerseekraftwerks waren fur die Herausbildung seines politischen Bewusstseins prägend. Er wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und übernahm in den Zwanzigerjahren in Satteins die Ortsgruppe. Zudem war er zeitweise Vertrauensmann der Freien Gewerkschaften. Er entwickelte ein starkes Bildungsbedürfnis. Als Autodidakt eignete er sich ein beeindruckendes geologisches Wissen an. Bleibendes Dokument dieser Tätigkeit ist eine Publikation zur geologischen Beschaffenheit der Umgebung des Schwarzen Sees.
Johann August Malin (ganz links) mit Eltern und Brüdern in den 30er Jahren
Aber er war nicht nur Geologe: Zugleich engagierte er sich in Vorträgen und Artikeln für die Weiterbildung der sozial von den üblichen Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen. In seiner Selbsteinschätzung war er vornehmlich "Volksschriftsteller", eine Tätigkeit, die neben der bloßen Bildungsabsicht durchwegs die politische Agitation mitbeinhaltete. Malin war Obmann der Vorarlberger Urania-Gesellschaft. In der Zeit des Austrofaschismus versuchte er bei seinen Führungen und Exkursionen im Sinne einer wirklich demokratischen Entwicklung Volksbildung zu betreiben. In der Rolle eines "Armenvolksanwaltes" wurde er bekannt. In den Dreißigerjahren machte er ca. 4000 Eingaben an die verschiedensten Behörden für Leute, die sich einen akademischen Rechtsbeistand nicht leisten konnten. In dieser Hilfstätigkeit ist auch der Grund für Malins Verhaftung am 6. Maj 1942 zu suchen. Malin war unvorsichtig: Er hatte in Feldkirch ein quasi halböffentliches antifaschistisches Auskunftsbüro eingerichtet. In seiner Gruppe arbeiteten Kommunisten, Sozialdemokraten und Katholiken zusammen. Auch ein katholischer Priester nahm an den Sitzungen und Beratungen dieser Gruppe teil. An Malin, dem aktivsten und bekanntesten wurde ein Exempel statuiert. Er hatte ratsuchenden Ostfronturlaubern zur Desertion in die benachbarte Schweiz geraten, hatte auf Grund genauer Informationen von Auslandssendern in verschiedenen Gasthäusern Nachrichten vom Ende des deutschen Vormarsches im Osten verbrettet, und er hatte Soldaten mit Flugzetteln versehen, auf denen „Hallo hier Österreicher, bitte nicht schießen, ich laufe über!" stand. Damit erfüllte Malm für die Nazijustiz die Tatbestände der "Wehrkraftzersetzung, der Vorbereitung zum Hochverrat sowie der Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender". Malin konnte nicht auf Gnade hoffen. Vor 60 Jahren schrieb er in seinem Abschiedsbrief:
Gedenkfeier für Malin im Nov. I945In seinen Abschiedsbriefen hatte er eine Würdigung seiner Aktivitäten in der Nachnazizeit erhofft. Nach der Befreiung vom Naziterror hat es in Satteins tatsächlich eine Erinnerungsfeier gegeben. Sie sollte für lange Zeit die einzige bleiben. In den Vorarlberger Nachrichten wurde damals berichtet:
Das Geburtshaus von Johann August Malin in den 50er Jahren
Malin war allerdings "kein Heiliger" und selbst zwiespältig: So reklamierte ihn nach 1945 auch die KPÖ für sich, und sein verzweifelter Versuch, in die NSDAP aufgenommen zu werden, um der Verfolgung zu entgehen, wurde gegen ihn ins Treffen geführt. Gerade diese Vielschichtigkeit machte ihn zur interessanten Figur und deswegen wurde er als Namensgeber für unseren Verein ausgewählt.
... verdrängen, vergessen, ausblendenNach 1945 setzte jener Prozess ein, den man mit den Worten verdrängen, vergessen, ausblenden umschreiben könnte: Die unbeschreibliche NS-Vergangenheit. Jahrelang musste Melanie Malin, die Witwe des Hingerichteten in der Nachkriegsgesellschaft um ihren Opferfürsorgeanspruch mit der Landesbürokratie streiten. Dieser Umgang mit NS-Opfern ist ein wahrlich dunkles Kapitel in der „Wiederaufbaugesellschaft"! Im Mai 1995 referierte ich anlässlich des 50. Jahrestages der 2. Republik in Linz beim österreichischen Historikerkongress über die Schwierigkeiten, in Vorarlberg Gedenktafeln für NS-Widerstandskämpfer(innen) anzubringen. Damals gab ich der Hoffnung Ausdruck, dass eine neue Generation von Politikern unbefangener und offener sich der entsprechenden "Denkmalkultur" stellen werde. Ich hoffte damals, dass es in Satteins zum 60. Todestag von Johann August Malin so weit sein werde. Heute ist es tatsächlich so weit. Allerdings waren im Vorfeld der Tafelanbringung für die Initiatoren immer noch viele Ressentiments spürbar: „Warum sich an einen wie Malin erinnern? Warum wollen Sie den Dorffrieden stören? Es ist doch schon so lange her!" und anderes mehr. Aber auch große Genugtuung über die späte Tafelanbringung wurde artikuliert:
Diese Worte stammen von einer Tochter von Richard Tiefenthaler. Ihr Vater hatte Glück. Er wurde 1942 einberufen und konnte so als Mitglied der Gruppe um Johann August Malin der drohenden Verhaftung und dem Todesurteil entgehen. Diese Tafel ist ausdrücklich auch ihm gewidmet und all den anderen, die unter Einsatz ihres Lebens gegen ein menschenverachtendes Regime aufgetreten sind – in der Hoffnung auf eine demokratische und menschenwürdige Gesellschaft.
Gedenktafel als Anstoß und ImpulsDie Anbringung einer Gedenktafel birgt zweifelsohne auch Gefahren in sich: Dieser Akt könnte als bequeme Form der Geschichtsentsorgung missverstanden werden. Diese Gedenktafel bezweckt das Gegenteil: Sie soll Anstoß und Impuls sein, sich dem Erinnerungsprozess zu stellen, und sie soll dazu beitragen, die NS-Vergangenheit in diesem Lande verstärkt zu thematisieren. Dass dies nötig ist, zeigen zum Beispiel die jüngsten Äußerungen von Volksanwalt Dr. Ewald Stadler. Noch kann man sichtlich Beifall von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung einheimsen, wenn die Zeit des NS-Massenmordes unreflektiert mit jener nach der Befreiung durch die Alliierten gleichsetzt wird. 20 Jahre lang hat sich die Malin-Gesellschaft bemüht, „verdrängte" Themen „aufzuarbeiten": Die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Zeit des Austrofaschismus, die NS-Vergangenheit der „Wirtschaftskapitäne", Verfolgung und Widerstand, die Geschichte der Zwangsarbeiterfinnen), den hausgemachten Antisemitismus oder die ideologische Funktion des „Alemannenmythos". um nur einige zu nennen. Jüngere Forscher(innen) können auf diesem Fundament aufbauen und in Detailstudien den Blick weiter schärfen. Die großen Linien sind gelegt, sie sind aus der Landesgeschichtsschreibung nicht mehr wegzudenken. Die einst angefeindeten „Maliner" haben sich etabliert, ihre Forschungen werden weit über die Landesgrenze hinaus wahrgenommen, wie jüngst die Evaluierung der European Science Foundation durch das Wissenschaftsministerium gezeigt hat. Doch in Hinblick auf die Breitenwirkung ist noch viel zu tun: Die „Gedenkkultur“ in diesem Land bedarf noch großer Anstrengungen. Die Anbringung einer Gedenktafel für Johann August Malin ist nur ein kleiner Schritt dazu. Werner Bundschuh
„Blinde Flecken der Landesgeschichtsschreibung wurden ausgeleuchtet“Interview mit Malin-Obmann Werner Bundschuh
KULTUR: Vor 20 Jahren, als noch Elmar Grabherr, Benedikt Bilgeri, Hans Nägele oder Theodor Veiter das offizielle Geschichtsbild in Vorarlberg zu bestimmen versuchten, hat die kritische Aufarbeitung der Zeitgeschichte durch die Johann-August-Malin-Gesellschaft hierzulande noch einigen Staub aufgewirbelt. Mittlerweile kann man wohl davon ausgehen, dass die Malin-Historiker längst den Sprung zur öffentlichen Anerkennung geschafft haben.
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Der enge Kreis der Malin-Gesellschaft bei einem
Arbeitsgespräch: Harald Walser, Werner Dreier, Meinrad Pichler, Markus
Barnay, Werner Bundschuh (v.l.n.r.)
Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts schreiben
Bundschuh: Ich wünsche mir vor allem, dass die Forschungsergebnisse der Malin-Gesellschaft in der breiten Öffentlichkeit stärker verankert werden. Was die Breitenwirkung betrifft, bin ich sehr pessimistisch. Die Diskussionen um die „Wehrmachtsausstellung" zeigen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen. Die Bücher der „Vorarlberger Autoren Gesellschaft" sind zum Teil leider bereits vergriffen. Einen Landesprojektgroßauftrag, die Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben, würden wir annehmen. Und einen ganz besonderen Wunsch habe ich: Die Dornbirner Realschule wird im nächsten Jahr 125 Jahre alt. Ich habe als Geschichtelehrer den Vorschlag gemacht, den Namen der Schule mit dem Zusatz „Hans-Elkan-Gymnasium" zu versehen. Hans Elkan, der Sohn des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde in Hohenems, unterrichtete als Geschichtelehrer am BGD, ehe er später ein Opfer des Holocausts wurde. Eine Namensnennung nach ihm würde zeigen, dass sich das historische Bewusstsein in diesem Land tatsächlich geändert hat.
Peter Füßl
Siehe auch den Beitrag zu "20 Jahre Malin-Gesellschaft"