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Werner Dreier (1985): Doppelte Wahrheit. Ein Beitrag zur Geschichte der Tausendmarksperre

Geschichte entsteht im Kopf, und historische Mythen sind zäh: so etwa jener, die zwischen 1933 und 1936 vom Deutschen Reich gegen Österreich verhängte "Tausendmarksperre" habe damals den Vorarlberger Fremdenverkehr ruiniert und das Land anschlussreif geschossen. Die "Tausendmarksperre" hatte durchaus ihre Wirkungen, doch neben wirtschaftlichen vornehmlich eine in den Köpfen - zumal nach dem Ende der NS-Zeit.

Werner Dreier

Doppelte Wahrheit

Ein Beitrag zur Geschichte der Tausendmarksperre

 

Erschienen in: Montfort - Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs, Jg. 37, 1985, Heft 1, S. 63-71

 

Die gängige Geschichte


Den Einzelreisenden vergangener Jahrhunderte zogen, wie auch die Touristenströme unserer Tage, vor allem die Berge und das Wasser an. So nimmt es nicht wunder, daß auch die Landschaft Vorarlbergs in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre zunehmend von Erholungssuchenden gewürdigt wurde. Die junge Branche Fremdenverkehr war dynamisch und wahrte den Anschluß an die technische Entwicklung; mit der Seilbahn auf den Pfänder, ersten Schiliften, der Intensivierung des Ausflugsverkehrs auf dem Bodensee und dem Bau neuer Schwimmbäder wurden für Winter und Sommer Attraktionen geschaffen, die gekonnt - auch mittels Werbefilmen - einem zwar internationalen, jedoch vorwiegend deutschen Publikum verkauft wurden. Diese positive Entwicklung stoppte die von Hitler-Deutschland am 1. Juni 1933 gegen Österreich verhängte Tausendmarksperre. Die Tausendmarksperre gehört heute zum historischen Inventar des geschichtskundigen Vorarlbergers ebenso wie Appenzellerkriege und Anschluß. Am 1. Juni 1933 mußten deutsche Urlauber an der Grenze eine Ausreisegebühr von 1000 Reichsmark erlegen; es herrschte damals - wie es noch heute der Fall ist - Übereinstimmung in zweifacher Hinsicht, nämlich daß die Tausendmarksperre Teil des von Deutschland geführten Wirtschaftskrieges war, mit dem Österreich anschlußreif geschlagen werden sollte, und dahingehend, daß dies gelang und der Fremdenverkehr zusammenbrach.1

 

Die Fakten

Die Geschichte der Tausendmarksperre könnte erzählt werden als die Geschichte einer großen Seuche, wie sie über das Land hereinbrach, sich rasend ausbreitete, gefräßig noch ins letzte Bergdorf eindrang und Existenzen vernichtete.

Eine andere Möglichkeit der Annäherung bietet die Statistik. Als man 1946 daran ging, von neuem die Reiselust und Erholungsbedürftigkeit der Wohlhabenden als Einnahmequelle zu eröffnen, suchte man an den Besucherstrom der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre anzuschließen. Besondere Aufmerksamkeit wandte man damals den Krisenjahren der Tausendmarksperre zu, da man glaubte, aus den Dreißigerjahren Lehren für die Gegenwart ziehen zu können. An den Jahren der Tausendmarksperre studierte man, welche Erwartungen der Fremdenverkehr erfüllen könnte, wenn man davon ausging, daß deutsche Gäste noch mehrere Jahre ausblieben, da Deutschland die Kriegsfolgen wohl nicht so schnell beseitigt haben würde.

In einem der ersten Kommentare zum in der Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik aufbereiteten Zahlenmaterial findet sich ein irritierender Satz: "Diese z. T. katastrophalen Schläge (ausgeteilt durch Tausendmarksperre und Weltwirtschaftskrise, Anm. d. Verf.), die der österreichische Fremdenverkehr hinnehmen mußte, treten aber in der offiziellen Statistik nicht sehr auffallend in Erscheinung. In ihr verläuft die Entwicklung mit überraschender Konstanz .. ."2. Und wirklich, zwischen 1925 und 1937 stieg die Zahl der Gasthöfe um 112 Prozent, die der Fremdenbetten gar um 195 Prozent.3 Und auch die Nächtigungskurve zeigt keinen besonders gravierenden Einbruch zwischen dem 1. Juni 1933 und dem 11. Juli 1936, dem Tag der Aufhebung der Tausendmarksperre.4




Kaum daß die ärgste Nahrungsmittelknappheit nach dem Ersten Weltkrieg überwunden war und die Vorarlberger Landesregierung die Grenzen wieder für Reisende geöffnet hatte, strömten sie von Jahr zu Jahr vermehrt ins Land; 1928 wurde mit 814.000 Nächtigungen ein erster Rekord erzielt, der aber bereits 1936 mit 833.000 Nächtigungen überboten wurde.5 (Die Tausendmarksperre war bis Juli 1936 gültig!) Im ersten Jahr nach dem Anschluß Österreichs wurde die Ostmark von erholungs- und teilweise auch nahrungsmittelsuchenden Deutschen überlaufen, allein in Vorarlberg zählte man 1,2 Millionen Nächtigungen. Die obige Nächtigungs-Kurve zeigt eine unruhige Phase nach 1928, die wohl durch die rapide schlechter werdenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verursacht worden war. Der Höhepunkt des letzten wirtschaftlichen Aufschwungs war überschritten, die Weltwirtschaftskrise setzte sogar den Wohlhabenden immer härter zu und auch die Ungewisse politische Zukunft Deutschlands vergrößerte nicht gerade die Reiselust des Bürgertums. Zudem führte Deutschland bereits 1931 wegen des starken Devisenabflusses ins Ausland eine Ausreiseabgabe von 100 Reichsmark ein, die kaum bekannte Hundertmarksperre.6 Zusammen mit der Tausendmarksperre führte das zu einem beträchtlichen Rückgang der Nächtigungen; 1934 wurden nur mehr 545.000 gezählt. Die Nächtigungsverluste betrugen gegenüber 1930 in Vorarlberg 26 Prozent, in Tirol jedoch 58 und in Salzburg 38 Prozent. Das bessere Abschneiden von Vorarlberg lag wohl vor allem darin begründet, daß hier die Wintersaison viel stärker ausgebaut war, entfielen doch 1934 in Vorarlberg 48 Prozent aller Nächtigungen auf den Winter, in Tirol waren es nur 24 Prozent. Wintersport war modern, und im Winter kamen jene finanzkräftigen Urlauber wieder, die es im Sommer bereits nach Italien zog.

Zur Erklärung des relativ geringfügigen bzw. nicht ganz so katastrophalen Einbruchs wird oft das Kleine Walsertal herangezogen, das seit 1890 Zollausschlußgebiet und als solches an den deutschen Wirtschaftsraum angeschlossen war. Das Kleine Walsertal entwickelte sich zwar damals zu einem sehr bedeutenden Fremdenverkehrszentrum, aber es wurde, wenn auch mit fast einjähriger Verspätung, gleichfalls von der Tausendmarksperre betroffen, deren Gültigkeit am 28. April 1934 auf das Zollausschlußgebiet ausgeweitet wurde.7 Trotzdem konnte die Gemeinde Mittelberg 1934 fast 215.000 Nächtigungen verzeichnen und von diesen entfielen 211.000 auf deutsche Gäste. Die Tausendmarksperre lastete auf Mittelberg nicht deshalb weniger schwer, weil Mittelberg Zollausschlußgebiet war, sondern vor allem, weil es Wintersportort war, mit weniger als einem Drittel der Nächtigungen im Sommer.8 Lech, dessen Gäste 1934 zu 89 Prozent im Winter anreisten, baute in diesen Jahren gerade den Fremdenverkehr aus. Die Tausendmarksperre brachte für Lech nur eine kurzfristige Unterbrechung des Aufstiegs zum Wintersportzentrum mit sich, zählte man doch 1934 noch 48.000 Übernachtungen, das waren fast soviele wie in der Landeshauptstadt Bregenz und immer noch über 12.000 mehr als im Jahre 1928. 1928 waren in Bregenz noch 120.000 Nächtigungen gezählt worden. Bregenz, zu 75 Prozent ein Sommerort, verlor zwischen 1928 und 1934 über die Hälfte aller Gästenächtigungen, Lech verlor zwar gegenüber 1931 auch 18.000, die Wintersaison war jedoch bei weitem weniger krisenanfällig.9 Im Montafon, wo man diesem Trend zum Wintersport nicht Rechnung getragen hatte, waren die Verluste katastrophal. Schruns-Tschagguns hatte 1928 mit 114.000 Nächtigungen noch nahezu gleichviele wie Mittelberg ausweisen können, 1934 übernachteten Gäste nur 22.000mal in Schruns-Tschagguns, zu 88 Prozent im Sommer. Daß die Tausendmarksperre daran nur verhältnismäßig geringen Anteil hatte, zeigt einerseits der Nächtigungsverlust von 50.000 zwischen 1928 und 1931 und andrerseits die nur geringfügige Verbesserung der Lage nach Aufhebung der Ausreisebeschränkung mit 33.000 Übernachtungen 1937. Mittelberg konnte im selben Jahr 443.000 Nächtigungen verzeichnen.10

Die Tausendmarksperre war in Vorarlberg zwar deutlich zu spüren, sie war jedoch weder der einzige Grund für die Krise des Fremdenverkehrs in den Dreißigerjahren noch waren ihre Auswirkungen katastrophal. Setzt man nämlich die Übernachtungen des Jahres 1925 zu 100, dann beträgt die Indexzahl für 1933 150 und für 1934 immer noch 142, 1935 dann gar 180.11 Die Auswirkungen dieser deutschen Maßnahme gegen Österreich wurden in Vorarlberg nicht nur durch die stabile Wintersaison gemildert, sondern auch durch längeren Aufenthalt der deutschen Gäste - wer 1000 Mark bezahlt oder die Ausreiserestriktion unterlaufen hatte, der nutzte das aus.12 Ein dritter und ebenfalls wesentlicher Punkt ist die sprunghaft zunehmende Nächtigungszahl von Gästen anderer Nationalität. 1928 entfielen von 814.000 Übernachtungen 289.000 auf Österreicher, 483.000 auf Deutsche und nur 42.000 auf Gäste aus anderen Ländern. 1935 waren von den insgesamt 693.000 Nächtigungen bereits 168.000 von Gästen aus anderen Ländern, 292.000 von deutschen Gästen und 233.000 von Österreichern. Mit 181.000 Nächtigungen im Jahre 1936 war dann der Höhepunkt dieser Entwicklung überschritten, die zu einem Teil auch auf Solidarität mit dem bedrängten Österreich zurückzuführen sein dürfte, zu einem anderen sicher auf die forcierten Werbeanstrengungen. Als dann ab 1936 die Deutschen wieder mehr denn je ins Land strömten, zogen sich die vorwiegend Schweizer, Franzosen und Engländer wieder zurück.13 Deutsche Gäste waren während der Tausendmarksperre nach Vorarlberg gekommen, und sie kamen in so großer Zahl wie nie zuvor nach ihrer Aufhebung, obwohl Devisenausfuhrrestriktionen nur die legale Mitnahme von 10 Reichsmark pro Kopf ermöglichten.14

Das Geschichtsbild von der Tausendmarksperre, wie es sich heute nicht nur in der historischen Literatur präsentiert, sondern bereits Eingang ins Geschichtsbewußtsein der Vorarlberger gefunden hat, entspricht dem statistischen Material nur zum Teil. Wenn die Geschichte von der großen Katastrophe der Fremdenverkehrswirtschaft auf keiner großen Katastrophe der Fremdenverkehrswirtschaft beruht, worauf beruht sie dann?

 

Die Verschwörung

Da das statistische Material zur Begründung der Geschichte vom großen Zusammenbruch des Fremdenverkehrs ab dem 1. Juni 1933 nicht ausreicht, muß die Untersuchung ausgeweitet werden. Dabei verweist bereits der Text der Verlautbarung, mit der die Deutsche Reichsregierung die Tausendmarksperre bekanntgab, auf Verbindungen zur österreichischen Innenpolitik. Im Vorarlberger Volksblatt vom 29. Mai 1933 wurde die Verlautbarung auf der ersten Seite publiziert:

"Die gegen die nationalsozialistische Bewegung in Österreich auf dem Notverordnungswege erlassenen Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung, die in dem absoluten Verbote aller Uniformen, Fahnen und sonstiger Embleme der nationalsozialistischen Bewegung gipfeln, haben die Gefahr heraufbeschworen, daß die als Gäste in Österreich weilenden reichsdeutschen Nationalsozialisten in Unkenntnis dieser Bestimmung in Konflikte mit den österreichischen Behörden geraten, was zwangsläufig zu einer Störung der freundschaftlichen Beziehungen Österreichs und dem Reiche führen müßte.

In dem Bestreben, die deutschen Reisenden vor unliebsamen Zwischenfällen zu bewahren und alles zu vermeiden, was zu einer Störung des Verhältnisses der Reichsregierung zur österreichischen Bundesregierung führen könnte, wird der Reichsinnenminister eine den Reiseverkehr nach Österreich betreffende Verordnung erlassen, wonach ab 1. Juni 1933 Ausreisen von Reichsdeutschen nach Österreich von der Erteilung eines Ausreisesichtsvermerkes abhängig gemacht werden, der gegen Zahlung einer Gebühr von 1000 Reichsmark erteilt wird. Ausnahmen hiervon werden nur gewährt für den ordnungsmäßigen Geschäftsverkehr zwischen den beiden Ländern und für den sogenannten kleinen Grenzverkehr im Sinne der Zollgesetzgebung, nicht dagegen für den Ausflugsverkehr."

In Österreich hatte der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933 das Parlament ausgeschaltet und regierte seither durch Notverordnungen. Die christlichsozial-großdeutsche Koalition war einer erbitterten Feindschaft zwischen den Christlichsozialen bzw. der Vaterländischen Front und den Nationalsozialisten gewichen, nachdem diese Koalition die sozialistische Arbeiterbewegung erfolgreich zurückgedrängt hatte.15 Die Großdeutschen schlossen sich der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) an, so übertrug die Landesleitung der Großdeutschen Partei Vorarlbergs bereits im April 1933 der NSDAP das "Vorarlberger Tagblatt", und am 3. Mai 1933 beschloß die Landesparteileitung die Auflösung der Partei und empfahl den Mitgliedern den Eintritt in die NSDAP.16 Die NSDAP war damit die einzige bedeutende Repräsentantin des deutschnationalen Lagers geworden, dem wohl 20 bis 25 Prozent der Wahlberechtigten zuzuordnen waren; bei den letzten Landtagswahlen vom November 1932 hatte die NSDAP noch 10,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt und konnte daher zwei Landtagsabgeordnete stellen.17 Im Frühjahr 1933 geriet auch der mächtige Vorarlberger Heimatdienst in eine schwere Krise, als er von den Deutschnationalen verlassen wurde. Der Heimatdienst war der bewaffnete Arm des Bürgertums gewesen, von der Industrie finanziert und vor allem dazu da, die organisierte Arbeiterschaft niederzuhalten.18 Die regierenden Christlichsozialen fühlten sich von der NSDAP zunehmend bedroht, zumal sich deren große Dynamik nicht auf Wahlkundgebungen und Reden beschränkte, sondern vielmehr ihren Ausdruck in großangelegten öffentlichen Versammlungen, Aufmärschen und aufsehenerregenden Propagandaaktionen fand. So war das vor allem gegen die nationalsozialistischen Braunhemden und die attraktive Symbolik der Partei gerichtete Uniformverbot vom 6. Mai 1933 durchaus der Situationslogik angepaßt;19 die mit diktatorischen Mitteln regierenden Christlichsozialen fürchteten die Attraktivität der NSDAP. Und das mit gutem Grund, war doch im benachbarten Deutschen Reich Adolf Hitler am 30. Jänner 1933 zum Reichskanzler berufen und damit die während der ganzen Ersten Republik in Österreich virulente Anschlußbewegung ans Deutsche Reich unter neuen Vorzeichen aktiviert worden.

Die NSDAP in Österreich stellte in ihrer Propaganda dann auch unmißverständlich klar, was der Grund für die Tausendmarksperre war. So heißt es in einer Flugschrift zur Frage "Warum meidet der Reichsdeutsche Oesterreich?" "Die Verfolgungen der Nationalsozialisten sind die Ursache, das Fernbleiben der Reichsdeutschen ist die Wirkung ..."; und weiter: "Niemals werden die geschmähten und gehaßten Reichsdeutschen in ein so regiertes deutschfeindliches Oesterreich ihr Geld tragen. Das oesterreichische Volk aber muß die Folgen dieser Systempolitik auf sich nehmen." Mit "System" meinte man die Regierung Dollfuß und in einer anderen Flugschrift wird der österreichischen Bundesregierung der Weg gewiesen: "Es liegt nunmehr einzig und allein in der Hand der oesterreichischen Bundesregierung, die Voraussetzungen für eine sofort mögliche Wiederaufhebung der Grenzsperre und darüber hinaus für eine weitgehende Förderung des deutschen Reiseverkehrs nach Oesterreich zu schaffen. Wir fordern Neuwahlen, denn nur eine Regierung der nationalen Konzentration vermag Oesterreich wirtschaftlich, politisch und kulturell zu retten!"20

In Vorarlberger Wirtschaftskreisen wurde schon vor der Verlautbarung der Tausendmarksperre vom 29. Mai 1933 das Verhältnis zu Deutschland und zur NSDAP anhand des Fremdenverkehrs diskutiert. So tat der Vorstand des Vorarlberger Handels- und Gewerbebundes mit einer Entschließung vom 11. Mai seine Besorgnis wegen der "von der verschiedensten Stellen" gegenüber Deutschland eingenommenen "feindseligen Haltung" kund; ebenso könne sich die Unterdrückung der "nationalen Bewegung" in Österreich auf das Verhältnis zu Deutschland nicht günstig auswirken. Unter diesen Umständen könne mit einer Aufhebung der Hundertmarksperre nicht gerechnet werden. Obwohl in der Entschließung die Schwierigkeiten mit den deutschen Nachbarn ausschließlich der Politik der österreichischen Bundesregierung angelastet wurden, versicherte der Vorstand des Handelsund Gewerbebundes im letzten Absatz, keineswegs aus politischen, sondern aus rein wirtschaftlichen Erwägungen zu dieser Stellungnahme veranlaßt worden zu sein.21

Wenige Tage später, am 15. Mai, beschloß der erweiterte Vorstand der Handelsgenossenschaft Dornbirn eine Resolution, in der er eingehend vor den wirtschaftlichen Folgen der "Ereignisse der letzten Zeit" warnte und die "maßgebenden öffentlichen Stellen" aufforderte, "im Verkehr mit dem deutschen Reich niemals auf die bestehende, naturnotwendige Wirtschaftsverbundenheit der beiden Länder, welche gerade im Fremdenverkehr ihren überzeugendsten Ausdruck findet, zu vergessen."22

Auch die Handelskammer drückte in einem Schreiben an die Vorarlberger Landesregierung vom 20. Mai 1933 ihre Besorgnis aus, wobei sie nicht verabsäumte klarzustellen, daß es ihr ferne lag, "irgendwie in den Widerstreit parteipolitischer Meinungen einzugreifen". Sie hielt es für ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, daß jedwede Bemühungen um eine Verbesserung des Verhältnisses zu Deutschland erfolglos bleiben müßten, "wenn ein Teil der österreichischen Presse ungehindert gegen das Deutsche Reich und seine Regierung hetzt"23.

Die Vorarlberger Landesregierung sah den Fremdenverkehr von einer anderen Seite bedroht, so ließ sie die Handelskammer wissen, daß es für sie durchaus dahingestellt sei, "ob jene Presse, die den Fremdenverkehr zum Vorspann für politische Zwecke benützt und den Reichsdeutschen wenn auch indirekt nahelegt, Österreich zu meiden, dem Lande und seinem Fremdenverkehr einen Dienst erweist"24.

In einem weiteren Schreiben, mit dem die Landesregierung auf eine Entschließung des Landesverbandes für Fremdenverkehr antwortete, in der wiedereinmal "mit Besorgnis die Mißstimmungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich" gesehen wurden, ist der Hinweis deutlicher. Dort heißt es, die Landesregierung "bedauert es sehr, daß von einzelnen in Österreich zuerst auf die Möglichkeit, den Fremdenverkehr als politisches Druckmittel anzuwenden, hingewiesen wurde"25. Was veranlaßte die Landesregierung zu so vorsichtiger Sprache, zumal doch jeder wußte, daß mit "jener Presse" nationalsozialistische Zeitungen und mit "einzelnen" Nationalsozialisten gemeint waren?

Daß die Nationalsozialisten aus taktischem Kalkül Fremdenverkehr und Innenpolitik verbanden, mußte für die Landesregierung spätestens seit Ende April klar erkennbar sein, als sie von dem Antrag erfahren hatte, den mehrere Ortsgruppen der NSDAP bei Gemeindevorstehungen Vorarlberger Gemeinden eingebracht hatten: "Der Gemeindeausschuß wolle beschließen: Mit Rücksicht darauf, daß reichsdeutsche Nationalsozialisten ihren Sommeraufenthalt in dieser Gemeinde nehmen, verpflichtet sich die Gemeinde, dafür zu sorgen, daß Nationalsozialisten wegen ihrer politischen Gesinnung keinerlei Belästigungen oder Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Sie bittet die Landesleitung Österreich der NSDAP, darauf hinzuwirken, daß dieser Beschluß im Deutschen Reiche bekannt wird. Der Gemeindevorstand wird beauftragt, bei der Landesregierung gegen eine Behinderung der politischen Betätigung von Nationalsozialisten durch Verbote irgend welcher Art Einspruch zu erheben."26

Ob der Landesregierung jedoch damals bereits klar war, wie stark die Vorarlberger Wirtschaft die Politik der Nationalsozialisten unterstützen würde, muß dahingestellt bleiben. Die Bestürzung, die jedenfalls jenem Brief zu entnehmen ist, mit dem die Landesregierung der Bundesregierung am 9. Juni 1933 ihr Bedauern wegen einer eindeutigen Stellungnahme der Vorarlberger Verkehrsvereine ausdrückte, läßt eine darauf eher nicht vorbereitete Landesregierung erkennen. Die Verkehrsvereine verabschiedeten am 7. Juni in Bregenz eine Resolution, in der sie - wie auch die nationalsozialistische Propaganda - Neuwahlen forderten und sich ganz entschieden dagegen verwahrten, "daß aus rein parteipolitischen Gründen die Existenz tausender von Volksgenossen kaltblütig der Vernichtung anheimgegeben wird." Dazu muß man wissen, daß die christlichsoziale Diktatur zu diesem Zeitpunkt außer einem Einmarsch deutscher Nationalsozialisten wohl nichts so sehr fürchtete wie Neuwahlen, die sie sicher die Mehrheit gekostet hätten. Die Wirtschaft des Vorarlberger Oberlandes faßte noch zusätzlich eine gemeinsame Entschließung, in der "der rasche Abschluß eines Parteifriedens" gefordert wurde, parteipolitische Erwägungen sollten "mit dem Blick aufs Ganze" in den Hintergrund gestellt werden. Es unterzeichneten die Verkehrsvereine Bludenz, Schruns, Brand, Lech, Zürs, die Gewerbegenossenschaften Bludenz, die Handelsgenossenschaften Bludenz und Montafon, die Gastwirtegenossenschaft Bezirk Bludenz sowie die Firmen Bierbrauerei Fohrenburg, Suchard, Getzner Mutter & Cie. und die Vorarlberger Zementwerke Lorüns A.G.27

Der Verlauf der Tagung der Vorarlberger Verkehrsvereine und der Tagung von Handel, Gewerbe und Industrie des Landes in Dornbirn vom 13. Juni 1933 sowie die dort gefaßten Entschließungen lassen an der politischen Position der Mehrzahl der Vertreter der Vorarlberger Wirtschaft kaum Zweifel offen.28 Im Bericht des die Sitzung der Verkehrsvereine verfolgenden Gendarmeriebeamten ist - bei 180 Delegierten - nur eine Stellungnahme gegen die vorgelegte Entschließung vermerkt und zwar von einem "Vertreter aus Parthenen namens Jutz, welcher mit der Entschließung nicht einverstanden war und das ganze als Machination einer bestimmten Partei bezeichnete. Dies habe man schon feststellen können beim Eintritt, wo man das Vorarlberger Tagblatt gratis verteilte. Jutz stellte fest, daß er gegen die Entschließung stimmen oder den Saal verlassen werde. Seine Rede ging in Pfuirufen unter."29

Das nationalsozialistische Lindauer Tagblatt faßte am 9. Juni das Ergebnis der Tagung zusammen: "Eine an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassende Entschließung wurde gegen eine Stimme des Vertreters der Bauernkammer einhellig von der sehr stark besuchten Versammlung angenommen. Ein vorheriger Gegenredner gegen die Entschließung aus dem hintersten Montafon wurde durch Pfui-Rufe aus dem Saal gebracht. Auch einem sozialdemokratischen Bregenzer Stadtvertreter wurde wenig Gehör geschenkt und alle haben die ihnen gebührenden Antworten erhalten. Die Wiener Regierung wird an der Entschließung keine große Freude haben und sie sich kaum hinter den Regierungsspiegel stecken."

Die in Dornbirn am 13. Juni versammelten Vertreter von Handel, Gewerbe und Industrie beschlossen eine Erklärung, die zwar weniger radikal formuliert war, in ihrer Forderung nach Neuwahlen und der Betonung der Bedeutung der "gegenseitigen Verständigung wirtschaftlich und völkisch zusammengehöriger Staatsgebiete" jedoch nicht minder deutlich war.30

Der Dornbirner Fabrikant Victor Hämmerle verschickte gar einen Sonderdruck aus dem Vorarlberger Tagblatt vom 7. Juni 1933 an alle Gemeindevertretungen, in dem von der "Wahnsinnspolitik der Christlichsozialen" die Rede ist, von einem "zum Himmel schreienden System des Irrtums", das bitterste Not und Arbeitslosigkeit mit sich bringe: "Die Schuld liegt einzig und allein auf Seite jener, die die christlichsoziale Partei... vor dem Zerfall und unausweichlichen Ende zu retten versuchen wollen ..." und natürlich bei der jüdischen Presse. Der Artikel schließt mit dem Aufruf: "Österreich erwache! Erkenne endlich, wo der innere Feind des Volkes zu suchen ist!"31

Wenn wir jetzt einmal zusammenfassen, bevor wir versuchen, Konsequenzen für unsere Fragestellung zu ziehen, so können wir wohl mit Berechtigung festhalten, daß die Vorarlberger Nationalsozialisten die Tausendmarksperre für ihren Kampf gegen die christlichsozialen Machthaber auf Landes- und vor allem Bundesebene benutzten und daß ihnen dieses Instrument von der nationalsozialistischen deutschen Reichsregierung zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt worden war. Ebenso läßt sich festhalten, daß große Teile der Vorarlberger Wirtschaft diese Politik der Nationalsozialisten durch ihre eigene Politik unterstützten, wenn nicht gar selbst nationalsozialistische Politik betrieben.

Welche Konsequenzen hat das nun für uns, die wir dem Ursprung einer Geschichte auf der Spur sind, der Geschichte der Tausendmarksperre, deren Inhalt, wie wir bereits feststellten, nicht mit dem statistischen Befund übereinstimmt?

Eine, zugegeben recht abenteuerliche Möglichkeit, unsere bisherigen Ergebnisse zu interpretieren, wäre die der Verschwörung. Fast alle Entschließungen zur Hundert- sowie zur Tausendmarksperre malen in bedrohlichen Farben die voraussichtlichen Folgen der deutschen Maßnahmen aus: Die Fremden werden ausbleiben, die Gastwirte keine Aufträge mehr erteilen, ihre Schulden nicht mehr bezahlen, der Handel wird geschädigt, ja die gesamte Wirtschaft. Die Tausendmarksperre bedeute den wirtschaftlichen Zusammenbruch des gesamten Bezirkes, behaupteten die Vertreter der Oberländer Wirtschaft in ihrer Entschließung vom 1. Juni 1933, dem Tag des Inkrafttretens der Tausendmarksperre. Die Auswirkungen auf das Land werden furchtbar sein, Arbeitslosigkeit die Folge; die Vertreter der Verkehrsvereine befürchteten am 7. Juni "furchtbare Not im Fremdenverkehrsgewerbe" und "Erbitterung und Verzweiflung in den Reihen der erwerbenden Stände".

Wir könnten uns eine fein abgestimmte nationalsozialistische Politik denken, wo eines logisch aus dem anderen folgt.

Die Bedeutung Deutschlands für den Vorarlberger Fremdenverkehr wird herausgestrichen, ebenso der Einfluß der nationalsozialistischen deutschen Regierung auf den Zustrom der Fremden. Schon vor dem Uniformverbot vom 6. Mai sollten die Gemeindevertretungen, um sich die deutschen Urlauber zu sichern, bei der Landesregierung gegen etwaige Beschränkungen der nationalsozialistischen Agitation Einspruch erheben; nach dem Uniformverbot hatte die Vorarlberger Wirtschaft die Aufgabe, auf die Folgen der christlichsozialen Politik hinzuweisen und die Zurücknahme der Maßnahmen zu fordern; nach der Verlautbarung der Tausendmarksperre dann sollte die Wirtschaft in großem Maße mobilisieren und die Christlichsozialen in Land und Bund für die Wirtschaftskrise verantwortlich machen. Als diese Politik nicht innert kurzer Zeit zum Sturze der Christlichsozialen führte, setzte im Lande der große nationalsozialistische Bombenterror ein, der dem Fremdenverkehr nicht gerade förderlich war.32 In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß diese nationalsozialistische Politik von einer Geschichte hätte begleitet werden können, die, ins Volk getragen, den Unmut über eine Regierung zu schüren hatte, die aus kleinlichen parteipolitischen Überlegungen die Existenz jedes einzelnen gefährdete. Hat die Geschichte von der Tausendmarksperre ihren Ursprung in einer großangelegten nationalsozialistischen Verschwörung? Hat sie sich dann verselbständigt und bildet sie so ein vermeintliches Bild, dessen Abbild historische Erinnerungen sind?

Die gesammelten Hinweise lassen Verbindungen von nationalsozialistischer Politik und Tausendmarksperre erkennen und zeigen auch, daß die Geschichte von den katastrophalen Auswirkungen der Tausendmarksperre in nationalsozialistisch beeinflußten Entschließungen der Vorarlberger Wirtschaft ihren Ursprung haben kann. Ganz sicher jedoch wünschten die Vorarlberger Gastwirte die Tausendmarksperre nicht herbei, nur um diese Geschichte in die Welt setzen zu können. Eine Verschwörung war es nicht und es ist so noch keineswegs klar, warum sich diese Geschichte in ihren Grundzügen bis heute gehalten hat, ja sogar fähig war, den Statistiker so zu verunsichern, daß er eine wirtschaftshistorische Wahrheit annahm, die zu seinen Zahlen im Gegensatz stehen konnte.


Geschichte entsteht im Kopf

 Wir müssen nochmals kleine Umwege versuchen, da keine gerade Straße ans Ziel führt. In den Jahren der Tausendmarksperre waren es, abgesehen von der Unterdrückung der Arbeiterbewegung, wohl vor allem drei große Themenbereiche, die öffentlich diskutiert wurden. Das abstrakteste Thema war zugleich das grundsätzlichste; da das Verhältnis von Österreich zu Deutschland verstärkt problematisiert wurde, geriet die Frage der österreichischen Eigenstaatlichkeit wieder in Diskussion. Diese Frage war bereits nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Herbst 1918 von größter Bedeutung gewesen, nicht umsonst bestimmte die erste Verfassung der Republik Österreich diese zu einem Teil der Deutschen Republik. Durch den Vertrag von Saint Germain wurde Österreich der Anschluß an Deutschland untersagt, die öffentliche Diskussion war damit jedoch nicht beendet; 1931 mußte der bereits mit Deutschland abgeschlossene Zollunionsvertrag wegen des Verstoßes gegen die Genfer Protokolle aus dem Jahre 1922 zurückgenommen werden.33 Der zweite Themenbereich betraf das Verhältnis der neuen, von manchen Forschern auch als fortschrittlich bezeichneten Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zu den etablierten Parteien und Herrschaftsstrukturen, vor allem zur herrschenden christlichsozialen Partei und der hinter ihr stehenden katholischen Kirche, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Vorarlberg nahezu unangefochten bestimmt hatten.34 Der dritte Themenbereich betraf einen Großteil der Vorarlberger direkt und schmerzhaft: Die Weltwirtschaftskrise hatte auf das Land übergegriffen, im Winter 1932/33 war mit zirka 17.000 Arbeitslosen und Kurzarbeitern der Höhepunkt erreicht. Die Krise hatte, ausgehend von der dominierenden Textilindustrie und den wenigen übrigen größeren Betrieben wohl jeden Bereich der Vorarlberger Wirtschaft erfaßt und zu einer tiefgreifenden Verunsicherung der Bevölkerung geführt.35

Die Wirtschaftskrise wirkte sich selbstverständlich auch auf den Fremdenverkehr aus und als dann die Tausendmarksperre verkündet wurde, bot diese einen Kristallisationspunkt, an dem das abstrakte, für den Durchschnittsbürger konkret nicht begreifbare Problem einer grundlegenden Wirtschaftskrise diskutiert werden konnte. Anhand der Tausendmarksperre ließen sich auch die beiden anderen dominierenden Fragestellungen konkretisieren, sie stand sowohl mit dem Problem der wirtschaftlichen und staatlichen Eigenständigkeit Österreichs als auch mit der aufstrebenden und von vielen als neuem Hoffnungsträger begrüßten NSDAP in enger Beziehung.

Damit sind wir an einem Punkt angelangt, wo sich die konkrete Wirklichkeit einer politischen und wirtschaftlichen Maßnahme mit einer bestimmten Mentalitätslage, mit in breiten Bevölkerungskreisen dominierenden kollektiven Affekten trifft. Diese Affekte - Verunsicherung, Ängste, Hoffnungen - gaben der Tausendmarksperre eine weit über ihren faktischen Stellenwert hinausreichende Bedeutung. Die Tausendmarksperre wurde zur Chiffre, sie steht für ein ganzes Bündel von Ereignissen und damit verbundenen kollektiven Affekten, die durch diese Chiffre wachgerufen werden.36

Die Geschichte von der Tausendmarksperre ist so in einem viel tieferen Sinne als dem bloß faktischen wahr. Sie erinnert an eine allgemeine Gefühlslage in den Jahren vor dem Anschluß an Deutschland, die als psychische Tatsache auch folgende faktische Tatsachen zu erklären hilft.

 

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1  Vgl. Burmeister, Karl Heinz: Geschichte Vorarlbergs, Wien 1983, S. 185 f.; Bilgeri, Benedikt: Bregenz, Geschichte der Stadt, Wien-München 1980, S. 579 ff. Wanner, Gerhard: Vorarlberg. In: Weinzierl, E., Skalnik, K. (Hg.): Österreich 1918-1938, Geschichte der Ersten Republik, Bd. 2, Graz-Wien-Köln 1983, S. 1011-1090, hier S. 1017; Walser, Harald: Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933-1938, Wien 1983, S. 15 ff. Wanner, Gerhard: Vorarlberger Zeitgeschichte, Lochau 1984, S. 26 (Wanner schreibt hier, wie wir noch sehen werden, ganz zurecht von der "berüchtigten" Tausendmarksperre.); Abel, Josef u. a.: Land Vorarlberg, ein heimatkundliches Handbuch, Bregenz 1969, S. 200 ff. Feurstein, Gottfried: Wirtschaft - Arbeit und Brot in: Vorarlberger Landesregierung (Hg.): Vorarlberg - unser Land. Jungbürgerbuch, Bregenz 1978, S 186-211, hier S 204.

2  Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik, 2. Jg., 1. Vierteljahr 1946, S. 47 (VLa). In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß dem zitierten Satz Überlegungen zur Kontinuität der Fremdenverkehrsstatistik vorangestellt sind und darauf verwiesen wird, daß die Zahl der erfaßten Vorarlberger Gemeinden von 1933 auf 1934 von 33 auf 88 erhöht wurde. Diese Erhöhung hat jedoch keine besondere Bedeutung, da keine Fremdenverkehrsgemeinden dazukamen und bei der Bettenzahl, wie S. 49 bemerkt wird, ". . . keine wesentlich größeren Verschiebungen eingetreten sind als in einigen anderen Zeitpunkten." Durch diese Ausweitung der Statistik ergibt sich m. E. 10 %, die für unsere Untersuchung außer Betracht bleiben kann.

3  ebda., S. 50, 51. Zwischen 1931 und 1934 nahm die Zahl der Betten in Gasthöfen um 15 und in Privathäusern um 6 % zu, zwischen 1934 und 1937 in Gasthöfen um 6 und in Privathäusern um 22 %.

4  100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg, hg. v. d. Kammer der gewerblichen Wirtschaft, Feldkirch 1952, S. 365.

5  Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik (Anm. 2), S. 60.

6  Vgl. dazu und allgemein zur Tausendmarksperre den hervorragenden Aufsatz Otruba, Gustav: Hitlers "Tausend-Mark-Sperre" und Österreichs Fremdenverkehr 1933, In: Neck. R. u. Wandruszka, A.: Beiträge zur Zeitgeschichte, Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 113-162. Auch nach der Aufhebung der Tausendmarksperre 1936 wurde die Ausreise deutscher Urlauber noch stark behindert: Devisenausfuhrrestriktionen erlaubten nur die Ausfuhr von 10 Reichsmark pro Person; vgl. 100 Jahre Handelskammer (Anm. 4) S. 360.

7  Vgl. Walser (Anm. 1), S. 17.

8  Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik (Anmerkung 1), S. 88 f.

9  ebda.

10 ebda. Wie rasant die Entwicklung des Kleinwalsertales zu einem großen Fremdenverkehrszentrum verlief, zeigt die Steigerungsrate bei den zur Verfügung gestellten Fremdenbetten: 1928 waren es 1019, 1931 1814, 1934 2282, 1937 3582.

11 Vorarlberger Wirtschafts- und Sozialstatistik (Anmerkung 2) S. 66.

12 ebda., S. 74.

13 ebda., S. 60.

14 100 Jahre Handelskammer (Anm. 4), S. 360.

15 Vgl. Dreier, Werner: Konjunktur der Hoffnung - Vorarlberger Arbeiterbewegung 1918 - 1934. In: Greussing Kurt (Hg.): Im Prinzip: Hoffnung. Arbeiterbewegung in Vorarlberg 1870-1946 (= Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 4), Bregenz 1984, S. 158-224, hier S. 176.

16 Vgl. Walser (Anm. 1), S. 37.

17 Die Deutsche Volkspartei hatte am 6. 11. 1932 6,8 %, der Landbund 7 % erzielt. Vgl. Dreier, Werner: Vorarlberger Arbeiterbewegung 1918-1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in Vorarlberg, Diss. Innsbruck 1984, S. 316.

18 Vgl. Dreier, Werner: Gegen Sozialisten und Nazis. Der Vorarlberger Heimatdienst als Vertreter bürgerlich-konservativer Interessen. In: Pichler, Meinrad (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte (= Beiträge zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 1), Bregenz 1982, S. 51-73.

19 Vgl. Walser (Anm. 1), S. 40 ff., v. a. S. 45.

20 VLReg. Prs. 504/1933, VLa.

21 VLReg. Prs. 472/1933, VLa.

22 ebda.

23 ebda.

24 ebda.; die Landesregierung wies in einem Brief an den Landesverband für Fremdenverkehr auch auf bayerische Interessen hin; bayerische Fremdenverkehrsorte begrüßten Restriktionen gegenüber Österreich, da sie sich mehr Zulauf erwarteten, ebda.

25 ebda.

26 ebda.; die Landesregierung empfahl den Gemeinden eine freundliche Ablehnung.

27 ebda.

28 Vgl. zur politischen Position der Vorarlberger Wirtschaft Walser, Harald: Die Hintermänner. Vorarlberger Industrielle und die NSDAP 1933-34. In: Pichler, Meinrad: Nachträge (Anm. 18), S. 96-106; bezeichnend sind auch personelle Querverbindungen, so war Dr. Harald Eberl sowohl Funktionär der NSDAP als auch des Gewerbebundes und Rudolf Gunz aus Hard war als nationalsozialistischer Landtagsabgeordneter zugleich Delegierter des Harder Verkehrsvereines; vgl. VLReg. Prs. 472/1933, VLa.

29 VLReg. Prs. 472/1933, VLa.

30 VLReg. Prs. 202/1933, VLa.

31 VLReg. Prs. 528/1933, VLa.

32 Vgl. Walser (Anm. 1), S. 89 ff. Nicht nur durch Bombenattentate auf öffentliche Einrichtungen, sondern auch durch spektakuläre Propagandaaktionen (Hakenkreuzfeuer usw.) lösten die Nationalsozialisten ab Juni 1933 beträchtliche Unruhe aus.

33 Zu den Fakten der österreichischen Zeitgeschichte vgl. die von Elisabeth Winkler zusammengestellte Zeittafel zur Geschichte der Republik Österreich 1918-1983, In: Weissensteiner F. und Weinzierl E. (Hg.): Die österreichischen Bundeskanzler, Wien 1983, S. 430-475.

34 Vgl. zur Frage der Fortschrittlichkeit der NSDAP die Bemerkungen zur sog. Modernisierungstheorie von Carsten, Francis L.: Interpretations of Fascism. In: Laqueur, Walter (Hg.): Fascism: A Readers Guide, Penguin 1976, S. 457-487, v. a. S. 480 ff. und die Einleitung von Martin Broszat sowie den Aufsatz von Albrecht Tyrell in Broszat, Martin und Frei, Norbert (Hg.): Das Dritte Reich (Ploetz), Freiburg-Würzburg 1983. Zur Vorherrschaft der Kirche vgl. Haffner, Leo: Die Aufklärung und die Konservativen. In: Pichler (Anm. 18), S. 10-31.

35 Vgl. Dreier (Anm. 15, 17), Walser (Anm. 1), Wanner (Anm. 1), zur Zahl der Arbeitslosen v. a. Dreier (Anm. 18), S. 123.

36 Der von den Nazis ermordete große französische Historiker Marc Bloch führte die Mentalität, kollektive Affekte, als der Handlungsgeschichte zugrundeliegende Schicht ein. Vgl. dazu die Abhandlung von Ginzburg, Carlo: Mentalität und Ereignis. Über die Methode bei Marc Bloch. In: Ders.: Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, Berlin 1983.