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Werner Bundschuh (1993): "Gau Schweiz – Anschluss erwünscht" – Der Fall Josef Franz Barwirsch

Der aus Österreich stammende Dr. Franz Josef Barwirsch wurde 1946 in der Schweiz als Landesverräter zu 20 Jahren Haft verurteilt. Während des 2. Weltkrieges hatte er den "Anschluss der Schweiz" an das "Großdeutsche Reich" betrieben. Wären die Barwirsch-Aktivitäten schon damals entdeckt worden, hätte er mit der Todesstrafe rechnen müssen. Barwirsch gelang 1954 die Flucht nach Österreich. In den Siebzigerjahren prozessierte er wegen einer Haftentschädigung vergeblich gegen die Schweiz.


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Werner Bundschuh

 

»Gau Schweiz – Anschluss erwünscht«

Der Fall Josef Franz Barwirsch

 

Erschienen in: Allmende, Nr. 38/39. 13. Jg., 1993, S. 189-202.

 

Kaum ein anderes Kapitel in der jüngeren Schweizer Geschichte vermag so viele Emotionen zu wecken wie die Hinrichtung von Landesverrätern und Spionen während des Zweiten Weltkrieges: Für Geheimnisverrat, der nach dem 28. Mai 1940 begangen wurde, konnte nach dem Militärstrafgesetz die Todesstrafe ausgesprochen werden. Wegen Landesverrats gab es zwischen 1939 und 1945 insgesamt 1389 Verhaftungen, 110 Militärgerichtsurteile, und siebzehnmal wurde die Todesstrafe vollstreckt.1 16 weitere Verräter wurden in Abwesenheit zur Höchststrafe verurteilt, nur einer begnadigt. Die Verordnung über die Todesstrafe wurde in der Schweiz erst nach Aufhebung des Aktivdienstzustandes mit 21. August 1945 außer Kraft gesetzt.

Über hundert Nationalsozialisten sowie Mitglieder der verschiedenen frontistischen Bewegungen und Parteien hatten sich nach 1945 in einer Serie von aufsehenerregenden Landesverratsprozessen vor Gericht zu verantworten.2 Zu den spektakulärsten Fällen zählte der Hochverratsprozess gegen den am 16. Februar 1900 in Kirchberg am Wechsel (Niederösterreich) geborenen Rechtsanwalt Dr. Josef Franz Barwirsch. Obwohl der für die Schweizer Spionageabwehr arbeitende Wirtschaftskorrespondent der »Neuen Zürcher Zeitung«, Dr. Johann Conrad Mayer, unter seinem Decknamen »Sx.« bereits im Jahre 1941 auf das Treiben Barwirschs aufmerksam gemacht hatte, blieb dieser von den schweizerischen Behörden während des Zweiten Weltkrieges unbehelligt, und die Aufdeckung seiner weit gespannten Aktivitäten erfolgte erst nach Kriegsende. Barwirsch zeigte auch keine Ambitionen, die »Führerschaft« unter den Schweizer Nationalsozialisten anzustreben, und hielt sich deswegen aus den zahlreichen Rivalitätskämpfen der NS-Granden heraus. Sein Strafmaß - 20 Jahre Haft - zeigt allerdings, für wie gefährlich er im Nachhinein eingestuft wurde. Nur der Publizist Franz Burri, der Initiator des »Nationalsozialistischen Schweizerbundes«, wurde als Landesverräter zur gleichen Strafe verurteilt, alle anderen Angeklagten - selbst NS-Obersturmbannführer Riedweg, der ranghöchste Schweizer in der »Germanischen Leitstelle des SS-Hauptamtes« -, erhielten geringere Haftstrafen.3

Anfänglich kam der Österreicher Barwirsch wegen einer schweren Lungentuberkulose nach Davos. 1924 ließ sich der »Dr. rer. pol. et phil.«, der mütterlicherseits Schweizer Abstammung war, dort nieder und arbeitete seit 1929 im Anwaltsbüro Dr. Baechtold als Rechtsanwaltsgehilfe.4

In den Dreißigerjahren war Davos ein Zentrum nationalsozialistischer Umtriebe: Die nach Kriegsende in Bern beschlagnahmte Kartei der Deutschen Kolonie wies 389 NSDAP-Mitglieder mit Wohnsitz in Davos aus. Dort lebte auch Wilhelm Gustloff (1895-1936), der Schweizer Landesgruppenleiter der NSDAP, der am 4. Februar 1936 vom jugoslawischen Medizinstudenten David Frankfurter erschossen wurde. Mit Gustloff stand Barwirsch, der am 11. November 1931 von der graubündnerischen Gemeinde Schmitten (Albula) als Bürger aufgenommen wurde, »als Mann der ersten Stunde«5 in Kontakt. Allerdings trat er nicht öffentlich in Erscheinung, sondern der wohlhabende Rechtsanwalt unterstützte die SA mit Spendengeldern. Seine Kontakte zu Österreich blieben aufrecht: Anfang der Dreißigerjahre knüpfte er auch dort die ersten Kontakte mit zukünftigen NS-Größen. Sein persönlicher NS-Bekanntenkreis war schließlich illuster: Unter anderen zählten die nach dem Nürnberger Prozess 1946 hingerichteten Hauptkriegsverbrecher Dr. Arthur Seyss-Inquart, der Vollstrecker des »Anschlusses« Österreichs an Hitlerdeutschland, und Dr. Ernst Kaltenbrunner, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, dazu. Eine weitere wichtige Kontaktperson war der für die Schweiz zuständige Stuttgarter Spionagechef Dr. Klaus Hügel.

Die Kontakte mit Dr. Arthur Seyss-Inquart wurden von Rechtsanwalt Dr. Ernst Hoffmann, der eine Rechtsanwaltskanzleigemeinschaft mit Seyss-Inquart betrieb, hergestellt. Barwirsch hatte Hoffmann im Sommer 1938 bei einem Aufenthalt in Wien kennen gelernt. Dieser ermöglichte in seiner Kanzlei im Frühjahr 1939 ein Treffen Barwirsch - Seyss-Inquart, der zu dieser Zeit Reichsstatthalter in Wien war. Barwirsch kannte den »Reichsstatthalter« bereits vorher flüchtig. Auch nachdem Seyss-Inquart zum Stellvertreter Franks im Generalgouvernement in Polen und 1940 zum Reichskommissar für die besetzten Ostgebiete und zum Statthalter für die besetzten Niederlande ernannt worden war, blieben diese persönlichen Kontakte aufrecht.

Im Frühjahr oder Sommer 1939 begann Barwirsch, Denkschriften und Berichte über die Lage in der Schweiz zu schreiben. Ihr erklärtes Ziel war es, den Anschluss des »Gaues Schweiz« an das Großdeutsche Reich voranzutreiben. Adressat für diese Elaborate war überwiegend Seyss-Inquart, erste Anlaufstelle die Kanzlei von Hoffmann, dessen Sekretärin Stephanie König einen Teil der Schriften diktiert bekam. Barwirsch ließ ab 1940 auch Kaltenbrunner Denkschriften zukommen und besuchte ihn im Herbst 1942 in Wien, ab März 1943 wiederholt in Berlin, nachdem Kaltenbrunner Leiter des Reichsicherheitshauptamtes geworden war. All diese Kontakte, die nach schweizerischem Recht den Tatbestand des Landesverrates erfüllten, blieben den eidgenössischen Behörden verborgen.

Am 25. Oktober 1945 erhielt Barwirsch von Mr. Cable vom Britischen Konsulat in Zürich und kurz darauf direkt vom Auswärtigen Amt in London eine Anfrage, ob er bereit sei, im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess die Verteidigung von Kaltenbrunner - auch von Schacht und Funk war die Rede - zu übernehmen. Er fragte beim Bundespräsidenten von Steiger nach, ob von Seiten der Schweiz bei der Übernahme dieses Mandats Bedenken bestünden. Dies wurde verneint. Bis Mitte November 1945 lebte der Ex-Österreicher also völlig unbehelligt in seinem neuen Heimatland.

 

Aktenfund im Privatarchiv von Seyss-Inquart

 

Mitglieder der amerikanischen Kriegsverbrechersektion übergaben am frühen Morgen des 14. November 1945 den Schweizer Behörden beim Grenzposten Thayngen ein Dossier, das im Schloss Hof bei Salzburg im Privatarchiv von Seyss-Inquart aufgefunden wurde. Darin waren die Barwirsch-Berichte enthalten, die zusammen mit Briefen aufbewahrt wurden, die Hoffmann, Seyss-Inquart, Reichsführer-SS Heinrich Himmler und SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, über Barwirsch gewechselt hatten.

Der amerikanische Feldpolizist, der das Belastungsmaterial gegen Barwirsch übergab, war bei der Aushebung des Privatarchivs anwesend gewesen und hatte sich sofort angeboten, in die Schweiz zu fahren. Die Aussicht auf ein paar Urlaubstage in der wohlversorgten Schweiz und der Aufenthalt bei Verwandten in Zürich waren dabei entscheidender als die Entlarvung eines Schweizer Landesverräters.6 Nach der Übergabe dieses belastenden Materials wurde Barwirsch am 20. November 1945 als »Landesverräter« verhaftet und in Zürich in Untersuchungshaft genommen.

Barwirsch stritt ab, der Verfasser der ihm vorgelegten - zum Teil unterschriftslosen - Elaborate zu sein.7 Er leugnete außerdem, irgendwelche Beziehungen zu Dr. Arthur Seyss-Inquart oder Dr. Ernst Kaltenbrunner bzw. zu den anderen NS-Größen unterhalten zu haben.

Am 28. November 1945 wurde Barwirsch wieder Untersuchungsrichter Otto Gloor vorgeführt. Er konfrontierte ihn mit dem Briefwechsel, der zusammen mit den Denkschriften im Privatarchiv von Seyss-Inquart aufgefunden worden war und der ihn aufs schwerste belastete. Da diese Briefe für die Anklage die wesentlichsten Indizien darstellten, seien im Folgenden einige ausführlich zitiert. Am 9. Juli 1940 schrieb »Reichsführer-SS Heinrich Himmler« an Seyss-Inquart:


»Lieber Parteigenosse Seyss-Inquart!

Ihren Brief vom 13.6.1940 mit der Bitte um Erteilung der Einreisegenehmigung für den Schweizer Rechtsanwalt Dr. Barwisch [sic! ] habe ich erhalten.

Trotz der z.Zt. durch den Krieg bedingten Zurückhaltung bei der Erteilung von Einreisesichtvermerken habe ich meine Dienststellen angewiesen, sofort dafür Sorge zu tragen, dass Dr. Barwisch einreisen kann; denn Ihre Befürwortung rechtfertigt eine Ausnahme. Heil Hitler! [eigenhändige Unterschrift H. Himmler] «8

Der vorliegende Schriftverkehr bezeugt außerdem, dass der Davoser Anwalt in Kreisen, die der »schweizerischen Erneuerungsbewegung« nahe standen, nicht unumstritten war. Im Gegenteil: Es wurde beim Deutschen Auswärtigen Amt heftig gegen ihn intrigiert.9

Am 22. Mai 1941 erhielt der Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Seyss-Inquart, folgende hausinterne vertrauliche Mitteilung vom Vertreter des Auswärtigen Amtes:

»Das Auswärtige Amt hat mir mitgeteilt, dass über den Rechtsanwalt Dr. Barwirsch in Davos aus Kreisen, die der schweizerischen Erneuerungsbewegung nahe stehen, folgendes bekannt geworden ist: Barwisch [sic!] nennt sich Rechtsanwalt, ist jedoch Dr. öcon. und hat die Staatsexamen nicht abgelegt. Eine Rechtsanwaltspraxis ist daher nur im Kanton Graubünden möglich, wo zur Ausübung dieses Berufes keine Staatsprüfung erforderlich ist. Von Gewährsleuten aus Davos wird er als Winkeladvokat bezeichnet. Er soll vor 4 oder 5 Jahren aus Wien zugezogen sein und hat inzwischen die schweizerische Staatsangehörigkeit erworben. Verschiedenen Mitteilungen zufolge soll er Jude oder zumindest Halbjude sein, doch dürfte diese Meinung vor allem wegen seines typisch jüdischen Gebarens entstanden sein. Anderslautende Auskünfte liegen nicht vor.

Bei der Privatbank Dovery ist außerdem ein Dr. Barwisch bekannt, der englischer Agent sein könnte. Die Möglichkeit, dass Dr. Barwisch für den englischen Nachrichtendienst arbeitet, wurde auch von dem Vertreter des Leiters des Geheimen Staatspolizeiamtes, SS-Brigadeführer Müller, angedeutet, als dieser aufgrund des Drahtberichtes der Gesandtschaft Bern vom 28. Februar ds. Js. über die Dr. Barwisch angeblich von SS-Brigadeführer Müller erteilten Aufträge befragt wurde. Die Deutsche Gesandtschaft Bern, die von Vorstehendem in Kenntnis gesetzt worden ist, berichtete darauf, dass ihre Beobachtungen sich weitgehend mit den obigen Ausführungen zur Person des Dr. Barwisch decken. Der deutsche Gesandte in Bern hat daraufhin davon abgesehen, Dr. Barwisch zu empfangen. In der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes sind Vorgänge über Dr. Barwisch nicht ermittelt worden.«10

Umgehend wandte sich hierauf Seyss-Inquart an Dr. Ernst Hoffmann und bat ihn, zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Allenfalls möge er bei Dr. Barwirsch selbst anfragen, »ohne dass aber eine Misstrauenskomponente zum Vorschein kommen soll«. Er solle Barwirsch auch mitteilen, »dass die in Aussicht genommene Reise unternommen werden möge.«11

Am gleichen Tag - am 30. Mai 1941 - verfasste Seyss-Inquart für den Vertreter des Auswärtigen Amtes einen Aktenvermerk zur Weitergabe nach Berlin bezüglich dieses Schreibens über »Dr. Barwirsch in Davos«, in dem er seine Haltung unmissverständlich zum Ausdruck brachte:

»Derselbe wurde mir in der illegalen Kampfzeit durch illegale Parteigenossen und SS-Kameraden empfohlen und hat uns durch einen sehr klugen Nachrichtendienst gute Hilfe geleistet. Die Information des Auswärtigen Amtes macht auf mich keinen Eindruck, denn ich weiß eben durch meine Parteigenossen und dank der praktischen Betätigung, dass Dr. Barwirsch kein Winkeladvokat sondern ein sehr gediegener Jurist ist mit beachtlichen Beziehungen. Auch sonst enthält diese Information Unrichtigkeiten, so ist Barwirsch nicht erst seit vier-fünf Jahren sondern seit etwa 1920 in der Schweiz. Mein als Österreicher für Juden geschärftes Auge läßt mich klar erkennen, dass Dr. Barwirsch weder Jude noch Halbjude ist. Sein Gebaren ist auch nichts weniger als jüdisch. Ich empfehle dem Auswärtigen Amt, sich auf die Mitteilungen von Gewährsleuten, die so daneben raten, nicht zu verlassen.«12

Er versicherte des Weiteren, dass er dennoch die Angelegenheit »nochmals selbst überprüfen« werde, allerdings lege er Wert darauf, »dass diese meine Stellungnahme sofort wörtlich dem Auswärtigen Amt mitgeteilt wird«.13 Seyss-Inquart verfasste auch umgehend ein ausführliches Schreiben an »SS-Gruppenführer Heydrich« in Berlin, in dem er um Überprüfung seiner Angaben zu Barwirsch bat:

»In Davos gibt es einen Rechtsanwalt Dr. Barwirsch... Barwirsch ist ein zurückhaltender, offenkundig sehr kluger Mann, der uns sowohl durch Nachrichten als auch sonst in der Schweiz gut gedient hat.14 Er wurde auch von Wirtschaftskreisen und der Partei nach der Wiedervereinigung zum Verwaltungsrat der Leobersdorfer Maschinenfabrik gemacht15 und sollte nach Wien in seine frühere Heimat zurücksiedeln. Bei dieser Gelegenheit war die Rede davon, dass sein Hausbesitz in Davos gegen jüdischen Hausbesitz in Wien vertauscht wird - eine Aktion des Gaues Wien und nicht eine Initiative Dr. Barwirschs. Dr. Barwirsch hat, wie mir scheint, auch weiterhin sehr nützliche Nachrichten gebracht, die ich an das Sicherheitshauptamt weiterleitete. Wenn Barwirsch in das Reich kommt, meldet er sich auch immer bei SS-Brigadeführer Müller. Nun wird gegen Dr. Barwirsch - ich glaube seitens der Auslandsorganisation - geschossen. So wie ich den Fall sehe, deckt er sich vollkommen mit Erfahrungen, die wir in der Ostmark nur allzu reichlich gemacht haben.«

Allerdings sei der Vorwurf, dass Barwirsch ein englischer Agent sein könnte, so schwerwiegend, dass eine umgehende Überprüfung notwendig sei. Wenn jedoch einzelne Schweizer Nationalsozialisten »mit Barwirsch nichts anfangen können, so beruht das auf Gegenseitigkeit, und Erfahrungen mit Herrn von Bibra16 in Prag bestätigen meine Meinung, dass dieser als Sturmführer geeignet sein mag, aber nichts für eine Politik im Vorfeld zur Verfügung hat«.17

Obwohl der Beschuldigte mit dieser Originalkorrespondenz konfrontiert wurde, verlegte er sich auf eine konsequente Leugnungsstrategie. Er stellte sich als »Objekt einer weit ausgesponnenen Intrige« dar. Auf die Vorhaltung des Untersuchungsrichters, ob er in Anbetracht der erdrückenden Beweislast nicht doch die Wahrheit sagen wolle, antwortete er: »Entweder bin ich wahnsinnig geworden, oder ich bin das Opfer einer Mistifikation [sic!].«

Diese Taktik hielt er auch beim folgenden Prozess durch. Im Prozessbericht der »Neuen Zürcher« hieß es dazu:

»Bezirksanwalt Dr. Gloor schilderte das Verhalten Barwirschs in der Untersuchung, das er als das Widerlichste bezeichnete, das ihm in seiner dreißigjährigen Tätigkeit als Untersuchungsrichter begegnet sei. Sofort nach der Verhaftung habe Barwirsch Beschwerden eingereicht, dann habe er die Versetzung in ein Gebirgssanatorium verlangt, obwohl sein Gesundheitszustand dies nicht erfordert habe. Bald habe er begonnen, den >Geisteskranken zu spielen<, und zwar derart, dass im Januar 1946 die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung erforderlich gewesen sei.18 Zeitweise habe er ununterbrochen gehustet, aber nur so lange, bis ihm ein Aktenstück verlesen worden sei, das ihn besonders interessiert habe. Schließlich habe Barwirsch das >Schreiben verlernt<: Er habe nach Stil und Orthographie >wie ein Erstklässler<, aber zur gleichen Zeit - unbewacht - ganz normal geschrieben.«19

 

Der Prozess gegen Barwirsch

 

Am 22. März 1946 erteilte der Bundesrat die Ermächtigung, Barwirsch gerichtlich zu verfolgen.20 Im Zuge der weiteren Ermittlungen begaben sich die Inspektoren O. Maurer und W. Benz im Mai 1946 nach Österreich. Sie vernahmen den im Camp Orr bei Salzburg internierten Dr. Hoffmann ein, der seine Beziehungen zu Barwirsch offen legte.21 Anschließend an die Einvernahme erhielten die schweizerischen Beamten von den zuständigen amerikanischen Militärbehörden die Erlaubnis, im Document Center Headquarters in Wien die sichergestellten Akten der Reichsstatthalterei Wien nach Dokumenten, die für die in der Schweiz schwebenden Untersuchungen betreffs nationalsozialistischer Umtriebe relevant waren, einzusehen. Das ihnen zur Verfügung gestellte Dokumentenmaterial umfasste 67 Pakete. Als besonders relevant für die Untersuchungen gegen den Beschuldigten erwiesen sich einige Fernschreiben:

»1. Fernschreiben von Reichsstatthalterei Wien, Nr. 1078, vom 17.8.1939, 16.10 Uhr, an die Dienststelle des Reichsminister Dr. Seyss-Inquart, z.H. von Krim. Ob. Ass. Ebnet, Berlin. Mit diesem Schreiben wurde Fräulein Santo-Passo nach Westerland auf Sylt beordert, um sich Dr. Barwirsch für eine Arbeit zur Verfügung zu stellen.

2. Fernschreiben von Frhr. von Haller, Berlin, Nr. 2017, vom 27.1.1942, 8.23 Uhr, an Dr. Maschke, Wien, z.H. von Reichsminister Seyss-Inquart. In diesem Fernschreiben wurde mitgeteilt, dass Gruppenführer Müller bereits vor 10 - 14 Tagen die Einreisemöglichkeiten für Dr. Barwirsch veranlasst hat.«22

Die Voruntersuchungen gegen Barwirsch wurden am 29. August 1946 abgeschlossen, und der Bundesanwalt erhob wegen Angriffs auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266 StGB), verräterischer Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 86 MSt(i), politischen und militärischen Nachrichtendienstes (Art. 272, 274 StGB) und Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten (Art. 301 StGB) Anklage. Die Anklagekammer ließ am 7. Oktober 1946 die Anklage in dieser Form zu. Der öffentliche Prozess gegen Barwirsch fand am 16. bis 20. Dezember 1946 vor dem Bundesstrafgericht im Sitzungssaal des Großen Rates des Kantons Graubünden statt.

Dieser spektakuläre Hochverratsprozess wurde auch im benachbarten Ausland mit Interesse verfolgt. Die »Vorarlberger Tageszeitung« berichtete unter der Schlagzeile »Bedeutsamer Hochverratsprozess in der Schweiz - Ehemaliger Österreicher wollte Gauleiter werden«. Die Rolle des in Österreich geborenen Angeklagten - so der Berichterstatter - gleiche »der Rolle unseres Verräters Seyß-Inquart, mit dem er auch in Verbindung stand, auf ein Haar«.23

Das Gericht sah es als erwiesen an,24 dass sich Barwirsch zum Ziel gesetzt hatte, die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft zu gefährden,

»als er Reichsminister Seyss-Inquart und andere einflussreiche Amtspersonen des Deutschen Reiches durch Eingaben, Berichte und Denkschriften sowie mündlich zu überreden versuchte, dass das Reich sich die Schweiz oder Teile derselben einverleiben oder sie vorläufig dem Reiche zum mindesten in irgendeiner Form eingliedern solle, unter Beseitigung oder Änderung der Bundes- und Kantonsverfassungen, Aufhebung verfassungsmäßiger Einrichtungen und Rechte, Einsetzung nationalsozialistischer und vom Reiche ab hängiger Behörden, Einführung von Rassengesetzen, Verfolgung der Juden, Versetzung von Teilen der Bevölkerung in andere Gebiete des Reiches und dergleichen. Barwirsch wollte die Bestrebungen des nationalsozialistischen Deutschland, in Europa vorzuherrschen und sich alle anderen europäischen Staaten unterzuordnen, gegenüber der Schweiz angewendet wissen.«25

In der im Frühjahr oder Sommer entstandenen Schrift »Der deutsche Schweizer auf dem Weg in die Geschichte«26 warf Barwirsch dem Reiche vor, es huldige noch immer dem »erledigten Gedanken«, dass ein »deutscher Stamm von den deutschen Stämmen durch Grenzpfähle getrennt werden könne«. Für ein »freies deutschschweizerisches Gemeinwesen« forderte er unter anderem die »Reinigung und Säuberung des deutschschweizerischen Volkskörpers von allen die Rasse gefährdenden Elementen, Wiederherstellung eines blutmäßig deutschschweizerischen Volkes unter wohlerwogener Einbeziehung der assimilierten westschweizerischen Volksteile auf deren ausdrückliches Verlangen...« In der zur gleichen Zeit abgefassten Schrift »Das Problem der deutschen Schweiz« legte er seine Absicht dar, »dass ein deutscher Volksstamm das Recht habe, durch die Reichsführung wieder in den Weg der Geschichte eingeordnet zu werden«. Er schlug einen Mehrstufenplan vor. Spätestens 1942 sollte es jedoch »für einen Deutsch-Schweizer klar werden, dass sein politisches und rechtliches Schicksal sich nur im Rahmen des Reiches vollziehen könne«. Die Geburtsstunde eines »deutschschweizerischen Nationalgefühls« sollte schlagen, worauf es dann Aufgabe wäre, »auf dem Wege eines Putsches zu einer Zwangswahl zu kommen«. Ähnliche Gedanken finden sich in der 59 Seiten umfassenden Denkschrift »Grundriss des Anbaues der Schweiz an das Reich«, die am 22. August 1939 in Westerland auf Sylt in Form eines Briefes an Seyss-Inquart abgefasst wurde. Barwirsch verhöhnte darin die demokratische Staatsform, die Neutralität und die geistige und militärische Landesverteidigung der Schweiz. Sein Umbaukonzept sah die Übernahme der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung vor, und er forderte, dass die »jüdisch und jüdischversippten oder liberalistisch und freimaurerisch verseuchten« Rechtsanwälte, Ärzte usw. »auszumerzen« seien und dass das gesamte jüdische Vermögen zuhanden eines Reichstreuhänders beschlagnahmt werden müsse.27

Die Gestaltung des »Gaues Schweiz« oder der »Reichsmark Schweiz« stellte er sich in etwa so vor: Säuberung der Parlamente, Ersetzung der demokratischen Grundordnung durch das >Führerprinzip<, Abschaffung von Referenden und Volksinitiativen. Anstelle der Bundeshauptstadt Bern und des Bundesgerichtes in Lausanne sollte ein neues Verwaltungs- und Justizzentrum in Luzern treten. Er wollte das Reichsrecht einführen, das Reichsgericht in Leipzig sah er als Abschluss des »Rechtszuges« vor. An die Spitze der Kantone sollten nationalsozialistische »Kantonsführer« treten.

Als teilweise gesetzwidrig sah die Anklagevertretung außerdem den »Antrag an den Minister hinsichtlich Ausweisung gewisser schweizerischer Korrespondenten aus dem Reich«,28 das »Schema für die Behandlung typischer Fragenkomplexe aus dem Gebiet der deutschen Presse«, die »Erinnerung an Wilhelm Gustloff«, die Schriften »Reichsdeutsche im Ausland, der Auslandsdeutsche und der deutschstämmige Ausländer«, »Die geistige Landesverteidigung in der Schweiz« und »Die Neutralität der Schweiz als Problem und Aufgabe«, den Artikel »Ist die Unabhängigkeit der Schweiz bedroht?«, seine »Eingabe vom Mai 1941« sowie die »Zusammenfassung« an.

Die Memoranden Barwirschs gingen nicht nur an Seyss-Inquart und an Kaltenbrunner. Zu einem Teil der Besprechungen, die Barwirsch mit Kaltenbrunner in Berlin hatte, wurde auch General Walter Schellenberg zugezogen, welcher Leiter des sich mit Auslandsspionage und Sabotage befassenden Amtes VI des Reichssicherheitshauptamtes war.29 Im April 1948 - also nach dem Prozess gegen Barwirsch - ging der Bundesanwaltschaft in Bern ein Brief des RSHA (Amt VI) vom 19. September 1942 zu, der von Schellenberg unterzeichnet und an den persönlichen Stab des Reichsführers-SS gerichtet war und in dem es hieß:

»Die Ausführungen gehören bestimmt zum Lebendigsten, was Dr. Barwirsch bis jetzt geschrieben hat. Da sie immerhin schon älteren Datums sind (Januar 1941), habe ich den Anlass wahrgenommen, vom Schweizer Referat einen Bericht in ähnlicher Form zuhanden des Reichsführers-SS erstellen zu lassen.«30

Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Barwirsch war der Vorwurf, militärische Geheimnisse verraten zu haben.

Im Mai 1941 unterrichtete Barwirsch Seyss-Inquart, der als »Anschlussspezialist« galt, über die schweizerische Truppenstärke und die Hauptverteidigungsstellung der schweizerischen Armee. Wäre Barwirsch während des Krieges entdeckt worden, dann hätte er sicher mit der Todesstrafe rechnen müssen. Denn im Gegensatz zu seinen 17 erschossenen NS-Gesinnungsfreunden hatte er sich nicht damit zufrieden gegeben, Talsperren oder Bunkerstellungen an die Deutschen zu verraten, sondern er hatte detaillierte Anschlusspläne ausgearbeitet.

Theoretisch hätte der Bundesanwalt für die dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen eine lebenslange Zuchthausstrafe fordern können. Allerdings kam auch das Gericht zur Ansicht, dass mit »Rücksicht auf die Natur der verletzten Geheimnisse« eine solche Strafe nicht zu rechtfertigen sei.31 An der Täterschaft Barwirschs im Sinne der Anklage bestanden aufgrund der aus dem Ausland herbeigeschaffen Akten - es gibt auch heute für den Historiker keinen stichhaltigen Grund, ihre Echtheit in Frage zu stellen - keine Zweifel. Bundesanwalt Dr. Franz Stämpfli führte bei seinem Plädoyer unter anderem aus: »Als die Schweiz alle Kräfte anspannte, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren und zu verteidigen, wühlte diese verräterische Kreatur niederträchtig und aus dem Hinterhalt gegen unsere Landessicherheit.«32 Er verglich ihn mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Vidkun Quisling, der nach der Besetzung seines Landes mit den Deutschen kollaborierte. Das Gericht verurteilte den Ex-Österreicher Barwirsch wegen seiner »besonderen Gefährlichkeit« für sein selbstgewähltes neues Heimatland »zu zwanzig Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von acht Monaten Untersuchungs- und Sicherheitshaft«, »zur Einstellung der bürgerlichen Ehrenfähigkeit auf die Dauer von zehn Jahren« und zur Zahlung der Prozesskosten.33

Der Fall Barwirsch schlug in der Schweiz hohe Wellen. Nach dem Prozess wollte niemand an der Einbürgerung und der als äußerst zweifelhaft angesehenen Aufnahme Barwirschs in die Anwaltskammer schuld gewesen sein. Im »Freien Räter« war der Alleinverantwortliche jedoch bald gefunden: der Sozialdemokrat Moses Silberroth aus Davos. Antisemitische Ausfälle schlimmster Art begleiteten diese Pressekampagne.34 Barwirsch saß nicht die ganze Strafe ab: Im April 1954 >verschwand< er nach einem Zahnarztbesuch. Der Häftling war während seiner Strafverbüßung in der kantonalen Strafanstalt St. Gallen wegen einer akut gewordenen Tuberkulose in ein Sanatorium auf dem Walenstadterberg überführt worden. Dort ließ man ihn am 9. April unbeaufsichtigt zum Zahnarzt nach Walenstadt gehen. Er benutzte diese Gelegenheit zur Flucht über die österreichische Grenze.35

 

Klage gegen die Eidgenossenschaft

 

Doch mit der Rückkehr nach Österreich war der »Fall Barwirsch« nicht erledigt. Im März 1974 begründete der nunmehr in Baden bei Wien wohnende »Regierungsrat« in einem ausführlichen Schreiben an einen »hohen« eidgenössischen Bundesrat seinen Verzicht auf das Schweizer Bürgerrecht: Er behauptete darin, dass er mit Wissen von hochrangigen Schweizer Beamten - er gab an, Bundesanwalt Dr. Lüthi sei die Wiederaufnahme des Prozesses peinlich gewesen - unbehelligt nach Österreich zurückgekehrt sei. Seine dortige Wiedereinbürgerung sei allerdings jahrelang durch Machinationen ranghoher Politiker - unter anderem von Bundesrat Dr. Kurt Furgler - hintertrieben worden.36 Barwirsch war in seiner Wortwahl und in seinen Anschuldigungen nicht zimperlich: Durch »verbrecherische Machenschaften« hätten ihn der damalige Untersuchungsrichter Otto Gloor, Bundesanwalt Franz Stämpfli und Bundesrichter Hablützel in ein »fiktives Verfahren« hineingezogen und ihn aufgrund von »kopierten Papierlumpen« absichtlich zum »Landesverräter« gestempelt und verurteilen lassen. Rechtswidrige Handlungen schweizerischer Behörden, die völkerrechtswidrige Beschaffung von Zeugenaussagen und erfundenes Beweismaterial hätten schließlich zu seiner ungerechtfertigten Verurteilung geführt. Deswegen ziehe er nun die Konsequenzen und den Schlussstrich unter seine Schweizer Staatsbürgerschaft, wenn auch »schwer«, wie er betonte:

»Ich habe mich vor fünfundvierzig Jahren nicht in das schweizerische Bürgerrecht eingeschlichen. Ich bin aufrecht hineingegangen und krieche heute nicht, sondern trete aufrecht aus demselben heraus... Dem Schweizer Volk im ganzen kann ich die Schuld meines zerstückelten Lebens nicht anlasten, ausgenommen, dass es Figuren mit Machtbefugnissen ausstattete und ausstattet, denen die primitive Moral, sie rechtmäßig zu gebrauchen, abging und abgeht.«

Zu diesem Zeitpunkt war ein Verfahren anhängig, das Barwirsch von Österreich aus gegen die Schweiz angestrengt hatte: Am 28. Oktober 1968 brachte er beim Bundesgericht in Lausanne eine Klage gegen die Eidgenossenschaft ein, in der er vom Schweizer Staat die erkleckliche Summe von 1.680.000 Franken plus Zinsen als Schadenersatz für die ihm widerfahrene Unbill einforderte.37

Nicht nur die »Basler Nachrichten« kamen zum Schluss, dass diese mit »verbissener Vehemenz und in epischer Breite geführte Klage« »possenhaft Züge« aufweise.38 Das Lausanner Bundesgericht wies das Ansinnen von Barwirsch aus formalen Gründen im Juni 1975 endgültig ab und verurteilte den Kläger zur Zahlung der anfallenden Gerichtskosten.39 Im Zuge dieses Verfahrens warf er den Schweizer Behörden vor allem auch vor, sie hätten seine Wiedereinbürgerung in Österreich rechtswidrig »hintertrieben«. Bereits im Jahre 1960 hatte der österreichische Botschafter in Bern vorsichtig anfragen lassen, wie die Wiedereinbürgerung des verurteilten Landesverräters durch Österreich von der Schweiz aufgenommen würde. Das Eidgenössische politische Departement wies im Antwortschreiben darauf hin, dass Barwirsch für seine Verbrechen, wären sie während der Zeit des Aktivdienstes bekannt geworden, wahrscheinlich hingerichtet worden wäre, und dass die Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft in der Schweizer Presse vermutlich zu sehr ungehaltenen Reaktionen führen würde. Eine Wiedereinbürgerung würde zweifellos die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten trüben. Auf eine zweite Anfrage fünf Jahre später hieß es, die eidgenössischen Behörden würden in der Rückbürgerung zwar keinen unfreundlichen Akt sehen, aber in der Öffentlichkeit würde ein solcher Schritt nicht goutiert werden. Barwirsch hätte überdies beim Betreten Schweizer Bodens sofort mit seiner Verhaftung zu rechnen.

Barwirsch beteuerte immer wieder, er sei das Opfer einer »Verschwörung« geworden. Das dem Historiker zugängliche Material widerspricht dieser Auffassung.

 

 

1   Vgl. Bütler, Heinz: »Wach auf Schweizervolk!«. Die Schweiz zwischen Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung 1914-1940. Bern 1980, hier S. 207.

2   Die Problematik dieser Prozesse liegt rückblickend auf der Hand. Karl Lüönd stellt in seiner umfassenden Darstellung von »Spionage und Landesverrat in der Schweiz« dazu fest: »Die Kleinen hängt man auf, die Großen läßt man laufen. Dieses bittere Wort ist immer wieder zu hören, wenn die Rede auf die Erschossenen kommt... Allein in den großen Landesverräterprozessen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden über hundert Männer verurteilt, deren Verbrechen zum Teil weit schwerer wiegen als die der 17 Unglücklichen... Und die Anpasser an höchsten Stellen, im Bundesrat und in der Armee?... Die Grenze zwischen juristisch faßbarem Verrat und politisch-geistiger Anpassung ist nur für einfache Denker eine klare und scharfe Linie. In Wirklichkeit ist dieses Grenzgebiet politisch-juristisches Niemandsland im Zwielicht.« Lüönd, Karl: Spionage und Landesverrat in der Schweiz. 2 Bände, Zürich 1977. Hier 2. Band, S. 8, das folgende Zitat S. 9. Der Fall Barwirsch wird zusammenfassend auf S. 59 bis 62 dargestellt.

3   Die Bundesanwaltschaft erteilte mir die Einsichtbewilligung in den Band 1 des Dossiers E 3420 (B) C. 2.1187, lautend auf Barwirsch, Josef, geb. 1900, Bundesarchiv Bern. Dieser Band enthält Untersuchungsakten, die Anklageschrift und das Urteil. Im Folgenden wird dieser Akt als »Akt Barwirsch« zitiert. Dr. Josef Franz Barwirsch verstarb am 27. Juni 1985 in Baden bei Wien. Schriftliche Auskunft des Meldeamtes Baden bei Wien, Nr. 1950/92. Im Jahre 1948 legte der Schweizer Bundesrat der Bundesversammlung einen über tausend Seiten umfassenden Bericht über die antidemokratische Tätigkeit von Schweizern und Ausländern während der Jahre 1939 bis 1945 vor. Darin wurde Barwirsch als wichtigster Kontaktmann zum SS-Reichshauptamt in Berlin bezeichnet. Siehe: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Verfahren gegen nationalsozialistische Schweizer wegen Angriff auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft. Bern, 30. November 1948, S. 1015 ff.

4   Die Berufsberechtigung als Rechtsanwalt wurde im Zuge des Verfahrens nach 1945 angezweifelt.

5   Vgl. Lüünd (Anm. 2), S. 59.

6   Ebenda, S. 62.

7   Insbesondere handelte es sich um die im Frühjahr oder Sommer 1939 entstandene Schrift »Der deutsche Schweizer auf dem Weg in die Geschichte«, »Das Problem der deutschen Schweiz« (zur gleichen Zeit abgefasst), »(Grundriß des Anbaus der Schweiz an das Reich«, ein 26-seitiges »Programm, Bericht erstattet auf Sylt, am 21.24.8.1939«, um die »Erinnerung an Wilhelm Gustloff«, »Die Neutralität der Schweiz als Problem und Aufgabe«, um die »Zusammenfassung« (Dezember 1940/Jänner 1941) und weitere Eingaben, die im Akt Barwirsch vorhanden sind.

8   Akt Barwirsch, Schreiben von Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern Heinrich Himmler an Seyss-Inquart, Berlin 9. Juli 1940, B.Nr. I/1803/40 Ads. Dö/Fe.

9   Vgl. dazu Zimmermann, Horst: Die Schweiz und Großdeutschland. Das Verhältnis zwischen der Eidgenossenschaft, Osterreich und Deutschland. München 1980, S. 538 ff. Deutscher Gesandter in Bern war zu dieser Zeit Otto Carl Köcher (1937-1945), der vor Barwirsch warnte.

10  Akt Barwirsch, Schreiben an den Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete Seyss-Inquart, Den Haag, 22. Mai 1941, Pers Si 5 Nr. 1024.

11  Akt Barwirsch, Schreiben von Seyss-Inquart an Dr. Ernst Hoffmann, 30. Mai 1941.

12  Einen fast wortidentischen Brief sandte Seyss-Inquart am 21. Mai 1941 an die Auslandsorganisation der NSDAP. Vgl. Zimmermann (Anm. 12), S. 541.

13  Am 4.Juni 1941 leitete Otto Bene (1884-1973) diese Stellungnahme weiter. Vgl. Zimmermann (Anm. 9), S. 540.

14  Zur Organisation des deutschen Nachrichtendienstes in der Schweiz siehe Fuhrer, Hans-Rudolf: Die geheimen deutschen Nachrichtendienste gegen die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Frauenfeld 1982. Hier insbesondere S. 63 ff.

15  Direktor war Franz Barwirsch, Prokurist Josef Barwirsch.

16  Legationsrat Sigismund Freiherr von Bibra war der faktische Nachfolger des im Februar 1936 erschossenen Wilhelm Gustloff. Er galt als »Anschlußkommissar.«

17  Akt Barwisch, Schreiben von Seyss-Inquart an Heydrich, 30. Mai 1941.

18  Das wenig schmeichelhafte Gutachten (»notorischer Lügner«) liegt dem Akt Barwisch bei.

19  Zitiert nach Lüönd (Anm. 2), S. 61.

20  Akt Barwirsch, Gerichtsurteil, S. 25.

21  Vernehmungsprotokoll vom 9.5.1946 ff. liegt dem Akt Barwirsch bei.

22  Akt Barwirsch, Bericht der Inspektoren O. Maurer und W. Benz an die Schweizerische Bundesanwaltschaft, Bern, 24. Mai 1946.

23  Vorarlberger Tageszeitung, Nr. 292, 18.12.1946.

24  Akt Barwirsch, Urteil, S. 27 f.

25  Ebenda, S. 28.

2Die dem Akt beiliegende Abschrift umfasst 18 Seiten. Die im folgenden zitierten Schriften befinden sich ebenfalls im Akt Barwirsch.

27  Akt Barwirsch, Urteil, S. 11.

28  Ebenda. Die weiteren Schriften auf den folgenden Seiten.

29  Zur Rolle und Funktion Schellenbergs siehe u.a. Fink, Jürg: Die Schweiz aus der Sicht des Dritten Reiches 1933-194,5, S. 86 ff. und Fuhrer (Anm. 20), S. 75 ff.

30  Bericht des Bundesrates (Anm. 3) S. 1016.

31  Akt Barwirsch, Urteil, S. 38.

32  Zitiert nach: National-Zeitung Basel, Nr. 197, 27.Juni 1975, S. 5.

33  Akt Barwirsch, Urteil, S. 40 f.

34  Siehe Angriffe auf den Sozialdemokraten Silberroth in »Der Freie Räter« (5. und 12.1.1946): »Wie Barwirsch zum bündnerischen Rechtsanwalt promovierte«; »Der Fall Barwirsch und was G. S. zu erwähnen vergessen hat«. Antwort von Silberroth in der »Neuen Bündner-Zeitung« am 21.1.1946: »...dieses Material ist erdrückend, weist es doch unwiderlegbar nach, wie sehr die landesverräterische Gesinnung des Gauleiters J.F. Barwirsch als Giftpflanze auf dem spezifisch nazistischen Davoser Mistbeet des Gustloff-Böhme-Straßer-Konzerns und der eingeborenen Profaschisten wuchern, blühen und gedeihen konnte.« Silberroth klagte Dr. Engi, Redakteur des »Freien Räters«, und verfasste eine Verteidigungsschrift (»Dokumente statt Legenden von M. Silberroth, Davos), Liegt dem Akt Barwirsch bei.

35  Vgl. Basler Nachrichten, Nr.147, 27.6.1975. National-Zeitung Basel, Nr. 197, 27.6.1975.

36  Schreiben Barwirschs im Jahre 1974 »an einen hohen schweizerischen Bundesrat, CH-3003 Bern, Bundeshaus«. Zitiert bei Zimmermann (Anm. 9), S. 543 ff. In seinem Ende der siebziger Jahre geschriebenen »Standardwerk« zitiert Horst Zimmermann ausführlich den Standpunkt Barwirschs, mit dem er in Briefkontakt stand. Unkritisch übernimmt er in seiner Darstellung Aussagen und Wertungen von Barwirsch. Deshalb bedürfen seine Ausführungen einer grundlegenden Korrektur.

37  Barwirsch argumentierte, er habe 1954-68 durch die in der Haft nicht behandelte Tuberkulose einen .jährlichen Erwerbsausfall von 45000 Franken erlitten.

38  Basler Nachrichten, Nr. 147, 27.Juni 1975, S. 6.

39  »Auszugehen war von dem seit dem 1. Januar 1959 in Kraft stehenden Verantwortlichkeitsgesetz (VG). Danach erlischt die Haftung des Bundes auf alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tage der schädigenden Handlung des Beamten.« Siehe »Ex-Landesverräter abgeblitzt«, National-Zeitung Basel, Nr. 198, 28. Juni 1975, S. 5.

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