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Leo Haffner (2011): "Ich war ein überzeugter Nationalsozialist" – Bekenntnisse eines freiheitlichen Spitzenpolitikers

Leo Haffner stellt die Frage nach der ideologischen Prägung von Vorarlberger Nazis. Auszüge aus den Lebenserinnerungen eines einflussreichen FPÖ-Landespolitikers (der Name wurde anonymisiert) zeigen, wie diese ideologische Prägung auch nach 1945 wirksam blieb und das Gerüst einer politisch einflussreichen Gesinnungsgemeinschaft bildete.


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Leo Haffner

«Ich war ein überzeugter Nationalsozialist» – Bekenntnisse eines freiheitlichen Spitzenpolitikers

 

Erschienen in: KULTUR – Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Nr. 1/2011, Jänner 2011, S. 46-47

 

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Faksimile aus den politischen Bekenntnissen eines ehemaligen Parteigängers Hitlers und einflussreichen Vorarlberger FPÖ-Politikers, der bis in die 70er Jahre hohe Parteiposten bekleidete

 

„Schad ums Geld“, meinte ein Leser der PRESSE, als österreichische Medien Anfang Jänner dieses Jahres über den Plan berichteten, den Anstaltsfriedhof des Krankenhauses Hall in Tirol wissenschaftlich korrekt zu bergen, ein Gelände, auf dem aller Voraussicht nach Überreste von Opfern des NS-Euthanasieprogramms begraben sein würden. Ein anderer Leser derselben Zeitung meinte: „Siebzig Jahre alte Geschichten … Und wir Bürger sollen jetzt zwei Jahre lang irgendwelche Wissenschaftler bezahlen? Kommt doch gar nicht in Frage!“ Ein Dritter schrieb: „Vielleicht sollten wir auch noch versuchen, den Mörder vom Ötzi herauszufinden. Ich bin 50 Jahre nach Kriegsende auf die Welt gekommen. Wie lange sollen wir und unsere Kinder uns noch für Taten, für die ICH nichts kann, entschuldigen? Und mitzahlen? Betroffenheit ist ja gut und schön. Aber irgendwann muss man dann doch auch weitergehen können.“

Es muss wohl bestimmte – vor allem nichtwissenschaftliche – Gründe gegeben haben, dass die Berichterstattung der österreichischen Medien über diesen Gräberfund so heftige Emotionen auslöste. Dass sich unter Euthanasieopfern des Krankenhauses Hall auch zahlreiche Personen aus Vorarlberg befanden, war Vorarlberger Historikern schon seit langem bekannt, von politischer Seite jedoch kaum thematisiert worden. Erst die Landtagspräsidentin Bernadette Mennel verwies darauf, „dass die dunkle Zeit des Nationalsozialismus auch in Vorarlberg lange Zeit verschwiegen und verdrängt“ wurde. Die ganze Unmenschlichkeit eines Regimes, so Mennel, habe sich darin gezeigt, dass allein im Bregenzerwald 118 Euthanasie-Opfer zu beklagen gewesen seien.

Politik des Verschweigens


Das Verschweigen und Verdrängen hatte vornehmlich politische Gründe. Ehemaligen Nationalsozialisten war hierzulande nach 1945 enorm viel Einfluss eingeräumt worden. Sie konnten Schlüsselstellungen in Medien, Verwaltung, Wirtschaft und Politik erobern und hatten kein Interesse an der Förderung der Zeitgeschichtsforschung. Die von der französischen Besatzung betriebene „Entnazifizierung“ – die von den Franzosen als geistige „Entgiftung“ verstanden wurde – war im Grunde ein Schlag ins Wasser. Um dies zu veranschaulichen, genügt ein Blick in die Geschichte der Freiheitlichen Partei. Es handelt sich dabei keineswegs um „70 Jahre alte Geschichten“, sondern um nationalsozialistische Denkmuster, die selbst in den 1970-er Jahren und darüber hinaus bei der FPÖ noch nicht verschwunden waren.

Heute, im Jahre 2011, nach persönlicher Schuld eines Einzelnen zu fahnden, ist nicht die Absicht des Verfassers. Aufschlussreicher ist die Frage nach der Erziehung und der ideologischen Prägung von Vorarlberger Nazis als Gesinnungsgemeinschaft. Die allermeisten ehemaligen NS-Parteigänger sind heute verstorben und können nicht mehr befragt werden. Umso aufschlussreicher sind – soweit vorhanden – schriftliche Bekenntnisse ehemaliger Parteigänger Hitlers, wie das folgende Beispiel zeigt:

„Ich war überzeugter Nationalsozialist. Die Nachkriegsgeschichtsschreibung und alle Medien verfälschen heute die Geschichte in einem Maße, dass oft jedem, der die Entwicklung selbst miterlebt hat, der Brechreiz oder die innere Wut aufkommt. Hitler wird meist gleichgesetzt mit einem Scharlatan auf der politischen Bühne und doch hat er in seinem fundamentalen Buch ‚Mein Kampf‘ soviel Wahres und Richtiges geschrieben. Die SS als eine Gliederung der NSDAP wird immer gleich gesetzt mit Judenvernichtung und Konzentrationslager. Und doch war Vieles so ganz anders! In der ganzen Welt werden über die Nazi nur Gruselgeschichten verbreitet und der Film macht heute noch mit den ‚bösen Nazi‘ das beste Geschäft. Wenn sich irgendein Politiker oder Schriftsteller bemühen möchte, die Wahrheit zu sagen, wird er sofort als ‚Faschist‘ verschrieen und das ist leider viel ärger als ein Kommunist, mit dem man sich vielleicht doch arrangieren könnte. Aus meiner persönlichen Sicht muss ich bekennen, dass mich Hitler und seine Leistungen einfach fasziniert haben […] Es wäre alles gut gegangen, wenn Hitler nicht größenwahnsinnig geworden und gegen die halbe Welt Krieg geführt hätte.“

 

Persönliche Freiheit?


Diese Aufzeichnungen, niedergeschrieben im Jahre 1980, stammen nicht von einem kleinen Parteisoldat der Freiheitlichen. Der Verfasser, nennen wir ihn K. K. (sein Name wird hier mit Rücksicht auf seine Familie anonymisiert) war ein Spitzenpolitiker der Vorarlberger FPÖ und Mitglied des Bundesparteivorstandes. Er verfügte über einen beachtlichen Einfluss und pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu Friedrich Peter, DDr. Alexander Götz, Dr. Tassilo Broesigke, Klaus Mahnert, Dr. Emil van Tongel und anderen Parteigrößen. Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten war die Schulung von politischen Mandataren der Freiheitlichen Partei im Ferienheim Fraxern. Über das „Dritte Reich“ schrieb K. K., ebenfalls im Jahre 1980 (zu einem Zeitpunkt, als es aus Sicht der Historiker keine Zweifel mehr über den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes geben konnte):

„Das Dritte Reich war ein straff geführter Ordnungsstaat. Wer sich mit den Gegebenheiten abfand, hatte zu leben und genoss trotz der Diktatur die persönliche Freiheit. Gewohnheitsverbrecher kamen in besondere Abteilungen der Konzentrationslager und mancher wurde ‚auf der Flucht erschossen‘. So brutal dies klingt, es schreckte aber viele Verbrecher derart ab, dass die Anzahl der Verbrechen rapid abnahm.“

Die entscheidende politische erfuhr K. K. nach eigener Aussage während seiner Studienzeit an der Handelsakademie in Innsbruck. Zitat:

„Viele Mittelschüler waren in Pennalburschenschaften korporiert, so auch an der Handelsakademie. Es gab die christlich-soziale ‚Vindelizia’ und die beiden nationalen Verbindungen ‚Vandalia‘ und ‚Alemannia‘. Die ‚Vandalen‘ stellten ihren Betrieb 1928 ein und die meisten Mitglieder traten zur ‚Alemannia‘ über, so auch ich, der ich zweimal bei den Vandalen Gast gewesen war. Dieser Eintritt in eine deutschvölkische Pennalburschenschaft festigte ganz entscheidend meine von Haus aus national-liberale Einstellung, denn ich wurde mit Problemen konfrontiert, die im kleinen Vorarlberg nicht existierten, im übrigen Österreich aber akut waren. Angesichts des übermächtigen Einflusses des Judentums in der österreichischen Wirtschaft, der Kultur und in den Medien wurde ich überzeugter Antisemit. Während es in Vorarlberg nur eine kleine Judenkolonie in Hohenems gab und die Juden in unserer Wirtschaft praktisch ohne Einfluss waren, bot schon Innsbruck ein ganz anderes Bild. […]

So wie die Haltung des Deutschen Turnerbundes 1919 mit seinem Wahlspruch ’Rassenreinheit – Volkeseinheit – Geistesfreiheit’ war auch die Einstellung aller Burschenschaften scharf antisemitisch. Sie basierte auf den Grundsätzen des völkischen Vorkämpfers Georg Ritter von Schönerer, der als Abgeordneter zum österreichischen Reichsrat mit seinen Angriffen gegen die Judenpresse […] immer wieder Schlagzeilen lieferte. Es war daher ein betont nationaler Kurs, den ich bei der ‚Alemannia’ lernte. Wohl auch beeinflusst von angesehenen ‚Alten Herren’ unserer Verbindung.“


„… froh über diese Lösung“


In seinen Erinnerungen geht K. K. im Jahre 1980 auch auf die sogenannte Euthanasie in der NS-Zeit ein. Die NS-Propaganda wirkte dabei immer noch nach:

„Unheilbar Geisteskranke wurden einem Ärztekonsilium vorgeführt und bei einstimmiger Annahme der Unheilbarkeit eingeschläfert. Auch in meinem Heimatort waren manche Familien, die das Unglück hatten, ein Geisteskrankes zu haben, froh über diese Lösung, weil sie damit auch der finanziellen Belastungen entledigt wurden. Man kann heute über die Euthanasie anderer Meinung sein, damals war die Bevölkerung einverstanden.“

Einer der bester Kenner der Materie, der Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck, Univ.-Prof. Dr. Hartmann Hinterhuber, schrieb über das „Euthanasie“- Programm des NS-Regimes:

„Zuallererst wurde die Ernährung in den Heil- und Pflegeanstalten systematisch verschlechtert, nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ: In vielen Institutionen wurden spezielle ‚Hungerstationen’ errichtet, mit dem Zweck, Menschen den Hungertod sterben zu lassen. Das NS-Euthanasieprogramm wurde durch eine perfide Propagandatätigkeit vorbereitet mit dem ‚Argument’, dass der Staat für die Erbkranken und ‚Volksschädlinge’ viel Geld ausgeben müsse.“

Die Asozialen wurden laut Hinterhuber nicht als ausgesprochen erbkrank angesehen, wohl aber als „volksschädigende Elemente“.  Um als schwachsinnig und damit lebensunwert eingestuft zu werden (was meist den sicheren Tod bedeutete), brauchte es nicht viel. Es genügten beispielsweise ungünstige Aussagen von Nachbarn und Polizisten, bestimmte familiäre Hintergründe, ein auffallend schlechter Schulabschluss oder dubiose Fragebögen. Als Asoziale galten auch Bettler, Landstreicher, sogenannte „Jenische“ (nach Zigeunerart umherziehende Landfahrer), Homosexuelle, Alkoholiker und Unterschichtsfamilien sowie die Zugehörigen zur Volksgruppe der Sinti und Roma.

Die Tatsache, dass diese Verbrechen auch nach der nationalsozialistischen Herrschaft weitestgehend verschwiegen wurden, hängt mit ihrer rechtfertigenden Bagatellisierung zusammen – gerade auch durch meinungsbildende Politiker in unserem Land. Dass das Thema „Euthanasie“ erst jetzt langsam ins öffentliche Bewusstsein tritt und Erschütterungen nicht ausbleiben, hat also auch mit der Geschichte einer mitleidlosen Rechtfertigung dieses Verbrechens und eines gewollten Vergessens zu tun.

 

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