Sie sind hier: Startseite / Texte / Nationalsozialismus / Meinrad Pichler (2008): NS-Herrschaft in Vorarlberg 1938-1945

Meinrad Pichler (2008): NS-Herrschaft in Vorarlberg 1938-1945

Gerafft und konzentriert: das Wesentliche zum Wirken und zu den Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft in Vorarlberg.

 

Text als PDF herunterladen

  

Meinrad Pichler

NS-Herrschaft in Vorarlberg 1938-1945

 

Zuerst erschienen in: Hanno Loewy, Peter Niedermair (Hg.): Hier. Gedächtnisorte in Vorarlberg 38-45, Hohenems-Wien: Bucher Verlag 2008, S. 112-125

 

Dem Einmarsch der hitlerdeutschen Truppen in Österreich am 12. März 1938 war eine betrübliche Politik des christlichsozialen Schuschnigg-Regimes vorangegangen. Es war als Diktatur in keiner Hinsicht durch die Bevölkerung legitimiert gewesen und stand gleichzeitig einer aggressiven Haltung Hitlers gegenüber. Der Tag der Okkupation war für Österreich das Ende einer politischen Sackgasse, für Nazideutschland ein leichtes Spiel, für die österreichischen Nationalsozialisten die Erfüllung ihres politischen Traums und für alle Nazigegner und jüdischen Mitbürger eine Katastrophe.

 

Beginn mit Pomp

 

Auch in ideologischer Hinsicht war Österreich für die feindliche Übernahme schon weitgehend vorbereitet: Nahezu alles, was der Nationalsozialismus an weltanschaulichen Grundüberzeugungen predigte, war auch in Österreich in weiten bürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerungsschichten politisch-kulturelle Normalität. Zu diesem Grundkonsens gehörten Antisemitismus und Antibolschewismus ebenso wie die Abwertung des Parlamentarismus, die kulturelle Antimoderne mit ihrer Wertschätzung vorindustrieller Gesellschaftsmodelle und militärischer Tugenden. Diese bereits vorhandene ideologische Gemengelage hat der Nationalsozialismus zu einer chauvinistischen und menschenverachtenden Staatsdoktrin radikalisiert.

Bereits die ersten Tage und Wochen nach dem so genannten Anschluss vermittelten einen lebhaften Eindruck von der angeblich neuen Politik: großsprecherische Ankündigungen, Radau, Terror und Einschüchterung, dazu die Verpreußung von Verwaltung und Sicherheitsapparat. Diese Neuordnung des Verwaltungsapparats bedeutete, dass die Mehrheit der einheimischen Nazis nicht nur hinsichtlich ihres persönlichen Aufstiegs enttäuscht wurde, weil die erhofften Positionen im Land vielfach von „Reichsdeutschen“ besetzt wurden, sondern dass Vorarlberg insgesamt als politische Einheit aufgelöst und dem Gau Tirol zugeschlagen wurde.

Den kritischeren unter den Zeitgenossen musste sehr bald klar werden, dass die laute Propaganda Deutschlands und die verheißungsvollen Ankündigungen der österreichischen Nazis in krassem Widerspruch zur politischen und wirtschaftlichen Realität standen. Die „Brot und Arbeit“ zu bringen versprochen hatten, verteilten schließlich Brotmarken und Einberufungsbefehle. Nach einem kurzen Sommer mit touristischem Aufwind durch „Kraft durch Freude“-(KdF-)Gruppen begann bereits im Jahre 1939 die Umstellung von Gesellschaft und Wirtschaft auf die Notwendigkeiten des Krieges. Der politischen Gleichschaltung aller Lebensbereiche durch NSDAP-kontrollierte Einheitsorganisationen (wie Hitlerjugend, Deutsche Arbeitsfront, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) folgten von Kriegsjahr zu Kriegsjahr umfassendere Eingriffe des nationalsozialistischen Staates in den Alltag der Menschen: so die Ablieferungspflicht für die Bauern, Arbeitsdienst und -pflicht für die Jugendlichen, Zwangsverschickungen junger Frauen in deutsche Rüstungsbetriebe, Arbeitsverpflichtung für Frauen, Verlängerungen der Arbeitszeit und Eingriffe ins Eigentum.

 

Der staatliche Terror: Seine HelferInnen und seine Opfer


Für die Durchsetzung und Einhaltung dieser staatlichen Zwangsmaßnahmen war die „Geheime Staatspolizei“ (Gestapo) zuständig, die im so genannten Grenzpolizeikommissariat in der Bregenzer Römerstraße ihre Vorarlberger Zentralstelle hatte. „Grenzpolizeikommissariat“ deshalb, weil die Kontrolle der Reichsaußengrenze zur Schweiz und die „Behandlung“ der Flüchtlinge eine der Hauptaufgaben des hiesigen staatlichen Unterdrückungsapparates darstellte. Doch davon später.

Das Einschreiten der Gestapo bei Widersetzlichkeiten und Abweichungen funktionierte in der Regel nach dem Muster fast aller Diktaturen: Die Behörde ging kaum selber auf Menschenjagd, ihre meist freiwilligen Zuträger und Zuträgerinnen waren gedungene Spitzel, willfährige Fanatiker, obrigkeitshörige oder missgünstige Nachbarn und „Pflichterfüller“ mit unterschiedlichen Motivlagen. Nahezu allen Zugriffen der Gestapo gingen Informationen und Anzeigen durch diese Personengruppen voraus. Sowohl Johann August Malin (1902-1942) als auch Karoline Redler (1883-1944) – neben den Geistlichen Dr. Carl Lampert, Pater Franz Reinisch und Pater Alois Grimm die bekanntesten Vorarlberger Opfer des NS-Regimes – wurden nach Anzeigen aus der Bevölkerung wegen politischen Widerstandes angeklagt und schließlich hingerichtet.

Alle Tatbestände, die als Widersetzlichkeit gegen die totale Unterordnung sämtlicher Lebensbereiche unter die Vorgaben der Kriegswirtschaft galten, wurden nach den neu geschaffenen Unrechtsinstrumentarien der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) sanktioniert. So erhielten zuerst die Militärgerichte, dann auch die so genannten Sondergerichte mit dem „Heimtückegesetz“ und der „Verordnung gegen die Zersetzung der Wehrkraft“ Breitbandparagraphen zur Hand, die alle Handlungen von kleinsten Resistenzen, wie etwa dem Hören ausländischer Radiosender oder „Arbeitsbummelei“, bis zu wirklichem politischem Widerstand abdeckten und bis hin zur Todesstrafe sämtliche Sanktionsmöglichkeiten zuließen.

Fußten die Gerichte wenigstens in formaler Hinsicht noch auf Restbeständen einer Rechtsstaatlichkeit, so war die nahezu unumschränkte Gewalt der Gestapo nun spürbarster Ausdruck eines Regimes totaler Willkür. Denn die politische Polizei entschied nach jeder Verhaftung, ob der/die Inhaftierte einem Gericht zugeführt wurde oder „zur Verfügung der Gestapo“ blieb, was in der Regel die Deportation in ein Konzentrationslager bedeutete. Auf diese Weise sind hunderte Vorarlbergerinnen und Vorarlberger verfolgt und mit oder ohne Gerichtsurteil eingesperrt worden; an die 80 Personen sind zum Tode verurteilt und hingerichtet oder in Konzentrationslagern zu Tode gebracht worden.

Trotz dieses bis dahin nie gekannten staatlichen Terrors waren die Menschen nicht gänzlich zum Schweigen zu bringen, war politischer Widerstand nicht auf Dauer auszurotten und waren Widersetzlichkeiten nicht flächendeckend zu unterbinden. Insgesamt aber war das Einschüchterungssystem doch recht wirksam, weil es neben Polizeimaßnahmen auch soziale und wirtschaftliche Sanktionen kannte, so etwa die Einziehung in die Wehrmacht, „Sippenhaft“, den Verlust des Arbeitsplatzes, den Einzug von Vermögenswerten oder die Aufforderung zu hohen Spenden für das „Winterhilfswerk“, „Gauverbot“ oder öffentliche Schuldeingeständnisse vor Parteifunktionären. Dem Erfindungsreichtum der Niedertracht waren jedenfalls kaum Grenzen gesetzt.

 

Rassistische Verfolgung

 

Auch in Vorarlberg machten die Nazis mit ihren rassenwahnsinnigen Ankündigungen ernst und fanden auch hier willige Helfer und Helferinnen für ihre Ausrottungspolitik. Unter dem Titel „Blut und Rasse“ forderte ein Bregenzer Arzt bereits am Tag des Einmarsches in der einheimischen Nazi-Zeitung, dem „Vorarlberger Tagblatt“, dass es nun an der Zeit sei, die „Vernichter des deutschen Volkes auszumerzen“. Vom „rassischen Reinheits-, Gesundheits- und Bedrohungswahn“ betroffen waren neben der jüdischen Bevölkerung die Roma und Sinti und Menschen mit gesundheitlichen und sozialen Handicaps. Gegen all diese Gruppen wurde nach dem Prinzip „ausgrenzen – erfassen – vernichten“ vorgegangen.

Bei den jüdischen MitbürgerInnen hatte das Schuschnigg-Regime bereits die Vorarbeit bis zum Erfassen geleistet und den Nazibehörden die Resultate einer Erhebungen „der in Vorarlberg lebenden Juden“ hinterlassen. Die Nazis in Dornbirn konnten nach der Vertreibung der Familie Turteltaub bereits im Frühjahr 1939 die zweifelhafte Ehre der ersten „judenfreien Stadt“ Vorarlbergs für sich reklamieren. Dem noch verbliebenen Vorsteher der Kultusgemeinde Hohenems, Theodor Elkan, wurde im Mai 1940 von der Gestapo mitgeteilt, dass alle „Glaubensjuden“ der beiden ehemaligen Bundesländer Tirol und Vorarlberg nach Wien zu übersiedeln hatten. Darunter waren sieben Personen aus Hohenems, von denen sechs in Konzentrationslagern zu Tode gebracht wurden; eine Frau starb in Wien – wahrscheinlich an Entkräftung. Schließlich wurde auf Betreiben des Bürgermeisters Josef Wolfgang noch eine alleinstehende Frau deportiert, die schon lange nicht mehr Mitglied der Jüdischen Gemeinde gewesen war. Den erheblichen Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde Hohenems brachte die Marktgemeinde Hohenems „sehr günstig“ an sich.

Im Frühjahr 1942 begann eine weitere Verfolgungswelle gegen MitbürgerInnen, denen nach den NS-Rassegesetzen ihr Lebensrecht abgesprochen wurde. Es überrascht nicht, wer von diesen Maßnahmen profitierte: Die Wohnung einer deportierten jüdischen Familie aus Bregenz übernahm ein Gestapo-Beamter, der vor dem Einzug alle Zimmer desinfizieren und alle Türklinken und Armaturen auswechseln ließ.

Nur einigen wenigen Personen jüdischer Herkunft gelang es in Vorarlberg, die NS-Diktatur zu überleben, weil sie in so genannten „geschützten Ehen“ mit einem nichtjüdischen Partner lebten, sich versteckt halten oder aus gesundheitlichen Gründen nicht deportiert werden konnten.

Der rassistische Vernichtungswille der nationalsozialistischen Machthaber manifestierte sich nicht nur in der Durchsetzung vermeintlicher „rassischer Reinheit“. Denn die Rassenideologie war mit einer mörderisch aggressiven Vorstellung von „Gesundheit“ verbunden, die sich auf das „Volksganze“ und auf Individuen ebenso bezog wie auf Kunst und Kultur.. Zur „Ausmerzung“ des „Kranken“, das zuerst als solches durch die staatliche Propaganda diffamiert werden musste, wurde unter anderem das so genannte Euthanasie-Programm realisiert. Ihm fielen in Vorarlberg – auch wieder unter reger einheimischer Mittäterschaft – über 300 behinderte Menschen zum Opfer. In Form des „gesundes Volksempfindens“ irrlichtern heute noch Restbestände dieses Denkens durch den alltagsfaschistischen Diskurs.

 

Die Grenze

 

Im Gefolge der deutschen Truppen, die am 12. März 1938 in Bregenz einmarschierten, befand sich bereits ein Sonderkommando des Münchner Sicherheitsapparats, das sofort an den Grenzübergängen zur Schweiz eingesetzt wurde. Vom ersten bis zum letzten Tag der NS-Herrschaft in Vorarlberg galt das Hauptaugenmerk der Machthaber dem Ziel, die Grenze möglichst undurchlässig zu machen. Für die Bedrängten und Verfolgten aus dem gesamten Reichsgebiet und dem eroberten Osten bedeutete sie aber ein kurzes Stück Hoffnung: Sie war neben dem südwestdeutschen Grenzabschnitt die einzige Landbrücke in die Freiheit, nämlich in die Schweiz.

Die wichtigste Quelle, die vom Ausmaß der Fluchtversuche zeugt, ist das Journalbuch des Gefangenenhauses in der Bregenzer Oberstadt. Dorthin ließ die Gestapo fast alle auf der Flucht Ergriffenen zur ersten Einvernahme verbringen. Von hier aus führte dann der Weg für mehrere tausend verzweifelte Menschen in Gefängnisse, in Konzentrationslager oder in Strafkompanien der Wehrmacht.

Neben Wehrdienstverweigerern stellten jüdische Bürgerinnen und Bürger auf Grund ihrer allgemeinen Verfolgung das größte Kontingent an Flüchtlingen. Professionelle Fluchthelfer konnten bis Mitte 1939 noch an die 3000 Juden in die Schweiz bringen, nachdem der NS-Staat diesen Menschen durch Zwangsverkäufe und „Reichsfluchtsteuer“ ihr Vermögen abgepresst hatte. Nachdem aber auf Intervention der Schweiz die Juden in ihren Pässen durch ein „J“ gekennzeichnet worden waren, begann die Zeit der Rückstellungen und Abweisungen durch die Schweizer Polizeibehörden. Bei den Inhaftierten im Bregenzer Gefängnis ist nicht festgehalten, ob sie von deutschen Grenzwächtern festgenommen oder von der Schweiz zurückgestellt worden waren. Fest steht aber, dass die meisten an der Grenze gefassten Personen nach ihrer Inhaftierung in Bregenz zur Gestapo-Leitstelle Innsbruck transferiert wurden, wo ihr weiteres Schicksal entschieden wurde.

Neben diesen deprimierenden Dokumenten zahlreicher gescheiterter finden sich auch Zeugnisse geglückter Fluchten – und dies noch in den 1940er Jahren: etwa jene des Grafikers Cioma Schönhaus, der per Fahrrad von Berlin nach Feldkirch gefahren war und von hier ans rettende Schweizer Ufer gelangen konnte. Wie viele andere hingegen scheiterte der österreichische Dichter Jura Soyfer bei seinem Versuch, sich über die Berge in die Schweiz zu retten; zusammen mit seinem Fluchtgefährten wurde er von einem pflichtbesessenen Zöllner kurz vor der Schweizer Grenze oberhalb von Gargellen verhaftet. Den Transport nach Innsbruck verbrachte er in einem Zugsabteil mit dem vormaligen Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender, der mit seinem Entwurf der ständestaatlichen Verfassung nach der Errichtung der austrofaschistischen Diktatur im Jahre 1934 tatkräftig mitgeholfen hatte, dass Soyfers Theaterstücke nicht mehr aufgeführt werden konnten. Nun saßen die beiden, der linke Autor und der rechte Ex-Minister, als Gestapo-Häftlinge nebeneinander. Der Politiker Ender wurde mit Gauverbot belegt, der Dichter Soyfer ins KZ Dachau, dann nach Buchenwald deportiert, wo er an Unterernährung und Krankheit starb.

Auch am Kriegsende spielte die Grenze eine wesentliche Rolle: Zum einen versuchte eine Reihe von mehr und weniger prominenten Nazis über Höchst in die Schweiz zu kommen, zum andern wurden mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes und unter Vermittlung des Schweizer Konsuls in Bregenz Tausende von ZwangsarbeiterInnen aus Vorarlberg in die Schweiz evakuiert: offiziell, um deren Repatriierung zu beschleunigen, in Wirklichkeit aber, weil man in Vorarlberg Racheakte und Plünderungen durch die bis dahin als Sklaven gehaltenen ArbeiterInnen aus dem Osten befürchtete.

 

Umrüstung der Wirtschaft

 

Große Teile der Vorarlberger Wirtschaftselite, besonders die großen Textilunternehmer, waren bereits vor der Okkupation verdeckte oder offene Anhänger der NSDAP gewesen. Von den neuen Machthabern erwarteten sie sich nicht nur einen weiteren Abbau von Arbeitnehmerrechten, sondern vor allem lukrative Aufträge für den großen deutschen Absatzmarkt. Textilien benötigte die Rüstungswirtschaft aber weit weniger als Kriegsgerät, und so mussten die Unternehmen, wenn sie am Boom beteiligt sein wollten, von Textil auf Metall „umrüsten“. Alle großen Dornbirner Textilunternehmen haben neben geringen Mengen an Stoffen spätestens ab 1942 hauptsächlich Rüstungsgüter produziert. Diese Neuorientierung wurde nach dem Kriege teilweise beibehalten und war der Beginn einer massiven Umstrukturierung der Vorarlberger Industrie, die bis in die 1970er und 80er Jahre dauerte.

Neben der Umstellung der einheimischen Industrie kam es ab 1943 zu Produktionsverlagerungen reichsdeutscher Betriebe in das bis dahin vom Bombenkrieg verschonte Vorarlberg. Die Begehrlichkeiten von Hitlers Wirtschaftsexperten waren bereits vor dem Einmarsch auf die Goldreserven der österreichischen Nationalbank und auf das so genannte „weiße Gold“, sprich die Möglichkeit der Energieerzeugung im alpinen Raum, gerichtet gewesen. Unmittelbar nach dem Einmarsch wurde deshalb mit dem weiteren Ausbau der Illwerke begonnen, die die reichsdeutschen Rüstungsbetriebe mit Strom versorgen sollten und deshalb im Rahmen der Kriegswirtschaft höchste Priorität erhielten.

Die notwendigen Arbeitskräfte für die forcierte Rüstungs- und Bauindustrie wurden in den eroberten Ostgebieten – besonders in Polen und der Ukraine – zwangsrekrutiert. Diese so genannten OstarbeiterInnen waren rechtlos und ausgegrenzt: So wurden sie gekennzeichnet, gehalten und geschunden. Auch sie unterstanden ganz der Willkür der Gestapo, die Hunderte von ihnen in das so genannte Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau oder unmittelbar in ein KZ deportieren ließ, um die Arbeitsdisziplin aufrecht zu erhalten. Wer besonders gute Beziehungen zur SS hatte, wie die Besitzer der Bayerischen Leichtmetallwerke in Lochau, konnte Arbeitssklaven direkt aus einem KZ akquirieren: Ab 1944 wurde hier ein Außenlager des KZ Dachau installiert. Dieses mit Stacheldraht umzäunte Barackenlager innerhalb des Betriebsgeländes wurde ab Mai 1945 von der französischen Besatzungsmacht (neben dem Lager Brederis) als Internierungslager für besonders belastete NSDAP-Parteigänger verwendet.

 

Ende mit Schrecken

 

Das Ende glich dem Anfang: Die NS-Parteigenossen blieben sich durchaus treu – großsprecherische Durchhalteparolen, mit denen an die kriegsmüde Bevölkerung appelliert wurde. Doch gleichzeitig ergriffen sie Vorbereitungen zur eigenen Absetzbewegung, verbunden mit Panikmache bezüglich der anrückenden Befreiungstruppen, mit Geiselaushebungen, Missbrauch von Jugendlichen als letzte „Abwehrkräfte“ und schließlich sinnlosen Terrorakten gegen Menschen, die das nahende Ende der NS-Herrschaft unblutig zu beschleunigen versuchten.

Verschiedene Verbände von Wehrmacht und SS versuchten aus Süddeutschland über Vorarlberg nach Tirol zu gelangen, weil sie nicht in französische, sondern in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten wollten. Hier glaubten sie keine Rachegelüste sowie bessere Verpflegung vorzufinden. Für die Erreichung dieses Zieles gingen sie ohne jegliche Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Um möglichst vielen Wehrmachts- und SS-Soldaten den Rückzug über den Arlberg zu sichern, wurden – beginnend an der Lochauer Klause – durchs ganze Land Sperren errichtet, wodurch sich die Befreiungstruppen den Weg bis Bludenz erst freikämpfen mussten. Nach mehreren verstrichenen Ultimaten, die Stadt zu öffnen, wurde Bregenz am 1. Mai 1945 von der französischen Luftwaffe bombardiert. Noch am 3. Mai 1945 wurde in Bludenz Alois Jeller, der mit anderen beherzten Bürgern die NS-Kreisleitung zu stürmen und die durchhaltewilligen Nazi-Funktionäre matt zu setzten versucht hatte, auf bestialische Weise ermordet.

Trotz der Rücksichtslosigkeit der letzten nationalsozialistischen Fanatiker und der marodierenden Soldateska konnten sich nur wenige nach Tirol durchschlagen. Die „Widerstandsbewegung“ von St. Anton hatte nämlich den Tunneleingang auf der Tiroler Seite gesprengt, weil sie ebenfalls die anrückenden Franzosen fernhalten wollte. So kam es in diesen letzten Kriegstagen zu einem Stau von deutschen Kriegsfahrzeugen aller Art, der von Stuben bis Braz reichte. Das war nun bloß noch die Karikatur der erhofften „Alpenfestung“, die Hitler bis zu seinem eigenen Abtauchen versprochen hatte.

Mit großer Disziplin, erforderlicher Strenge, aber auch verbindlicher Freundlichkeit versuchten dagegen die französischen Militärbehörden in den schwierigen ersten Besatzungswochen, das Land zu befrieden und zivile Strukturen aufzubauen. Als einheimische Helfer griffen sie dabei mehrheitlich auf Politiker der Vorkriegszeit zurück. Bereits im November 1945 fanden die ersten Nationalrats- und Landtagswahlen statt, bei denen in Vorarlberg die aus der ehemaligen christlichsozialen Partei hervorgegangene Österreichische Volkpartei 70 % der Stimmen gewinnen konnte. Die Dominanz der Katholisch-Konservativen sollte hierzulande die Politik – und dabei auch den verschleiernden Umgang mit der Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft – über alle folgenden Jahrzehnte bestimmen.