15.09.99 / Gesellschaft für politische
Aufklärung, Innsbruck
Werner Bundschuh
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"Historikerstreit: Vorwürfe der Zensur und des Revisionismus" lautet
eine Balkenüberschrift am 10. Mai 1999 im Standard. Die
Standard-Redakteurin Jutta Berger nimmt in diesem Artikel ausführlich
zum derzeitigen Diskurs über die Vorarlberger Zeitgeschichtsforschung
Stellung. Auf der einen Seite stehen die Historiker der
Johann-August-Malin-Gesellschaft, die sich seit Anfang der achtziger
Jahre bemühen, verdrängte und "vergessene" Kapitel der
Landesgeschichtsschreibung aufzuarbeiten, auf der anderen ein eindeutig
rechtsorientierter Schreiber, der in geschichtsfälschender Weise
"revisionistische Tendenzen" salonfähig machen möchte, und seine
Gönner: Bisheriger Höhepunkt dieser heftigen Kontroverse war der
Versuch des Historikers Manfred Stoppel in der Zeitschrift Montfort den
Vorarlberger NS-Landeshauptmann Anton Plankensteiner in seiner
Mitverantwortung für das NS-Terrorregime zu entlasten. Diejenigen, die
sich gegen solche Versuche zur Wehr setzen, müssen sich in der
Öffentlichkeit dem "Zensur-Vorwurf" durch den Chef des Landesarchives
Univ. Prof. DDr. Karl Heinz Burmeister aussetzen.
Manfred Stoppel ist kein unbeschriebenes Blatt: Im "Handbuch des
Rechtsextremismus" (Auflage 1993) scheint er auf den Seiten 160 und 225
in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Jugendsprecher der (heute
verbotenen) Nationaldemokratischen Partei (NDP) in Vorarlberg auf. Und
auch jener Mann, in dessen Dunstkreis sich Stoppel Anfang der achtziger
Jahre aufgehalten hat, nimmt in dieser Dokumentation breiten Raum ein:
der 1991 wegen NS-Wiederbetätigung (nach § 3 g) verurteilte
"Sieg"-Herausgeber und Rechtsextremist mit internationalen Beziehungen
Walter Ochensberger.
Walter Ochensberger ist der wohl prominenteste Vorarlberger
Rechtsextremist. Aber er ist nicht der einzige. Im Bericht des
Innenministeriums hieß es über die Vorarlberger Szene im Jahre 1993:
"Innerhalb der Gesamtthematik Rechtsextremismus stellen Jugendliche in
Österreich grundsätzlich kein besonderes Problem dar. Eine Ausnahme
zeigt allerdings die Situation in Vorarlberg, wo mehr dem rechten Lager
zuzuordnende Jugendgruppen als im gesamten übrigen Bundesgebiet
existieren ... Ein Grund hierfür ist der Einfluß der deutschen Szene,
aber auch der besonders hohe Ausländeranteil." Spätestens seit diesem
Bericht konnte die kleine, aber sehr gewaltbereite Vorarlberger
Skinheadszene mit medialem Interesse rechnen.
Es ist das große Verdienst des jungen Politologen Franz Valandro in
seiner Publikation "Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945" jenes
Umfeld transparent gemacht zu haben, in dem rechtsradikale und
rechtsextremistische Deutungsmuster wachsen und gedeihen.
Die Arbeit von Valandro schließt eine wichtige Forschungslücke: Es
gibt zwar mehrere Publikationen zum Rechtsextremismus in Österreich,
aber die Erforschung des regionalen Rechtsextremismus, des
Rechtsextremismus in den Bundesländern, läßt nach wie vor noch
weitgehend auf sich warten. Für Vorarlberg liegt nun diese wichtige
Studie vor. Der Autor untersucht nicht nur den aktuellen Vorarlberger
Rechtsextremismus, sondern stellt ihn in seiner historischen
Kontinuität dar. Er zeigt auf, wie ÖVP und SPÖ nach 1945 um die Stimmen
des "dritten Lagers" buhlten, wie sich viele ehemalige
Nationalsozialisten 1949 im VdU, der Vorläuferorganisation der FPÖ,
organisierten und welche ideologischen Fortsetzungsmuster sich damit
auch auf regionaler Ebene ergaben.
Valandro untersucht desweiteren ausführlich die Entwicklung der NDP
in Vorarlberg, die zweifellos 1980 bei den Bundespräsidentenwahlen
ihren Höhepunkt erreichte. Norbert Burger, der Kandidat der extremen
Rechten, erhielt damals in Vorarlberg 6.059 Stimmen und erzielte damit
4,02% der Wählerstimmen, was deutlich über dem österreichischen
Durchschnitt lag. Galionsfigur der Vorarlberger NDP war Walter
Ochensberger, sein "Jugensprecher" der eingangs zitierte Manfred
Stoppel. Die Abhaltung des gesamtösterreichischen NDP-Parteitages in
Vorarlberg mußte 1981 im Geheimen erfolgen: Die Behörden untersagten
die offizielle Veranstaltung, doch wurde sie illegal in Lustenau
abgehalten.
Nach dem Zerfall der heimischen NDP im Jahre 1983 konstituierte sich
um Gertraud Orlich aus Nüziders die "Österreichische Bürgerpartei"
(ÖBP). Der Erfolg dieser rechtsextremen Splittergruppe war bescheiden,
besonders nach dem Innsbrucker Parteitag der FPÖ, der 1986 Dr. Jörg
Haider an die Spitze dieser Partei brachte.
Valandro belegt in seiner Analyse eindrücklich, welche
Scharnierfunktion die rechtsextreme Vorarlberger Szene in diesen Jahren
im österreichischen und internationalen Spektrum spielte und welche
personellen Verbindungen es gab und noch gibt: Orlichs Sohn war zum
Beispiel Mitglied in der (mittlerweile verbotenen) "Volkstreuen
Außerparlamentarischen Opposition" (VAPO), einer militant
rechtsextremen und gewaltbereiten Gruppe, deren Anführer Gottfried
Küssel 1993 zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde.
Der Abschnitt über Walter Ochensberger und seine Zeitschriften
"Sieg" und "Aktuell" zeigt, wie verflochten das internationale Netzwerk
der Rechtsextremen ist. Ochensberger sprengt den engen regionalen
Rahmen. Dies zeigt bereits die Unterüberschrift: "Reiseziel: Bagdad -
Ochensberger im globalen Netzwerk des Rechtsextremismus". Neben
Verbindungen in die Schweiz und nach Deutschland bestanden Kontakte zu
rechtsextremen und neonazistischen Gruppen in ganz Europa, so nach
"Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, den
Niederlanden, Norwegen, Portugal und Spanien." Aber auch Verbindungen
in die Republik Südafrika, nach Argentinien, Brasilien, Chile,
Australien und in die USA lassen sich nachweisen (S. 70). Viele wollten
in Ochensberger "nur einen harmlosen Spinner" sehen, eine Einschätzung,
die auch Geschworene teilten. Dreimal wurde der Neonazi angeklagt, aber
ebenso oft in Feldkirch freigesprochen, ehe Ochensberger verurteilt
wurde.
Besonders informativ sind Valandros Ausführungen im zweiten Teil
seiner Untersuchung. So detailliert und akribisch hat bisher noch
niemand die Vorarlberger Skinheadszene untersucht. Wer bisher nur die
"weißen Schuhbänder" als äußeres Zeichen für Ausländerfeindlichkeit und
Rassismus zu deuten wußte, wird nach der Lektüre ein sehr viel
differenzierteres Bild über die Skinheadkultur erhalten. Die
Entstehung, Entwicklung, die aktuelle Situation und Perspektiven in der
Jugendarbeit werden ausführlich dargestellt.
In einem eigenen Anhang werden die Oral-history-Ergebnisse
präsentiert. Als Interviewpartner standen u.a. der Sicherheitsdirektor
Dr. Elmar Marent, der Leiter der Jugendberatungsstelle "Mühletor" in
Feldkirch, Arno Dalpra, und die Leiterin des Jugendtreffs "Westend",
Rita Mittelberger, sowie drei Aussteiger aus der Skinheadszene und zwei
aktive, rechtsextreme Skinheads zur Verfügung.
Rechtsextreme Werthaltungen und Einstellungen weisen die
verschiedensten Aspekte auf, und sie sind kein ausschließliches
Phänomen jugendlicher Randgruppen, etwa der Skindheads, sondern sie
kommen auch aus der "Mitte der Gesellschaft". Die problematische
Argumentationslinie der "Pro-Vorarlberg-Bewegung" (1980) unterstreicht
diese Feststellung: Ausländerfeindlichkeit, ein alemannenzentriertes
Weltbild gepaart mit einem Schuß Rassismus und übersteigertem
Landesbewußtsein bildeten einen Ideologiemix, an den die
verschiedensten Rechtsgruppierungen mühelos anknüpfen konnten.
Valandro untersuchte auch die Verbindungen der Skinheadszene zu Jörg
Haider, der für viele aus dieser Randgruppe ideologische
Berührungspunkte bietet. Ein Interviewpartner sagte im Bezug auf die
Frage nach seiner ideologischen Ausrichtung: "Ich stehe sicher rechts
und bin auch mit der Politik hier nicht zufrieden. Eigentlich gibt es
in Österreich nur die FPÖ, die mich manchmal anspricht, aber sonst...
so deutsche Parteien wie die 'Republikaner' sind besser, aber die sind
ja in Österreich dank unserer Demokratie verboten... Ideologie haben
fast alle (Skinheads) die gleiche, auch was den Nationalsozialismus und
Hitler betrifft, aber auch gegenüber Ausländern, Schwulen, Linken und
Asozialen." (S. 104). Die Frage, wie sehr Funktionäre und
Anhängerschaft der FPÖ durch rechtsextremes Gedankengut geprägt sind,
wird von Valandro - trotz der Ausführungen auf S.108 ff. zum
Volksbegehren "Österreich zuerst" - sehr vorsichtig behandelt. In der
Einleitung hält er dazu fest: "Einige Aussagen in den Interviews,
welche die Kontakte der Skinheads zur FPÖ betreffen, habe ich auf
Wunsch meiner Interviewpartner gestrichen, da sie sonst die
Veröffentlichung der Interviewprotokolle nicht autorisiert hätten." (S.
11).
Der kritische Rezensent könnte bei dieser Passage einhaken. Wenn es
an der vorliegenden verdienstvollen Arbeit etwas zu monieren gäbe, dann
die sehr behutsame Einschätzung der Vorarlberger Regierungspartei FPÖ,
der eine liberale Grundtendenz attestiert wird. Es kommt allerdings auf
den Bezugspunkt an.
Franz Valandros Buch, das als 15. Band der Reihe "Studien zur
Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs" erschienen ist, hat nach dem
Erscheinen eine rege Diskussion ausgelöst. Wie fruchtbar der
rechtsextreme Nährboden in Vorarlberg ist, belegt die wissenschaftliche
Untersuchung Valandros, die auf einer Diplomarbeit am Politologischen
Institut der Universität Innsbruck beruht. Im Vorwort gehen Anton
Pelinka und Reinhold Gärtner auf die Gefährlichkeit dieses Gedankenguts
ein: "Die Frage der Gefährlichkeit rechtsextremer Gruppen und
Organisationen kann nicht mit einem klaren Ja oder einem ebenso klaren
Nein, sondern immer nur graduell mit 'mehr' oder 'weniger' beantwortet
werden. Gerade dies macht die Beschäftigung mit Rechtsextremismus
schwierig, und den Forschungsgegenstand nicht immer eindeutig ein- bzw.
abgrenzbar."
Alltagsrassismus, ungeklärte Brandanschläge, gewaltbereite Skinheads
passen nicht in das Bild vom "sauberen Ländle." Das Verdienst, den
Blick für das Problem des Rechtsextremismus vor der Haustüre geschärft
zu haben, gebührt Franz Valandro. Randalierende Skins als
"rechtsradikal" zu outen, ist relativ einfach. Schwieriger wird die
Einschätzung, wenn der Leiter des Landesarchivs einen offensichtlichen
"Revisionisten" und Ex-NDPler im Namen der Meinungsfreiheit in Schutz
nimmt und jene, die diesen Tendenzen öffentlich entgegentreten, als
"Menschenjäger und Zensoren" diffamiert.
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