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09.11.2002 / Werner Bundschuh: Rede zur Einweihung der Gedenktafel in Satteins


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In Anwesenheit von Landesrat Dr. Hans-Peter Bischof und Bürgermeister Siegfried Lang wurde am 9. November 2002 diese Gedenktafel enthüllt.

Johann August Malin wurde vor 60 Jahren in München-Stadelheim als NS-Widerstandskämpfer hingerichtet. Vor 20 Jahren wurde nach ihm ein historischer Verein benannt, der sich zum Ziel gesetzt hat, verdrängte und vergessene  Kapitel der Vorarlberger Landesgeschichte zu erforschen.

Anlässlich des sogenannten "Bedenkjahres" 1988 - 50 Jahre waren seit der Okkupation Österreichs durch die Hitler-Truppen vergangen - erschien in den "Neuen Vorarlberger Tageszeitung" ein Artikel unter dem Titel "Lebendige Erinnerung. Melanie Malin - Von der Vergangenheit verfolgt." Ich zitiere daraus:

"Wenn Melanie Malin von ihrem Gustl spricht, scheint die Zeit stillzustehen, scheint auch die Vergangenheit gegenwärtig. Die heute 85jährige Frau erzählt von der schrecklichsten Zeit ihres Lebens so fließend, als ob alles erst gestern geschehen wäre. Dabei ist Melanie Malin seit 46 Jahren Witwe, seit dem 9. November 1942, als ihr Mann mit nur 40 Jahren in München-Stadelheim hingerichtet wurde. Die Ehe dauerte nur ganze 4 Jahre.

Geheiratet haben die gebürtige Lustenauerin und der Satteinser im April 1938. Melanie Malin brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Wegen der Kinder hat Johann August Malin seine Frau aus seinen politischen Aktivitäten herausgehalten. Um so größer sei für sie der Schock gewesen, als am 6. Mai 1942 die Gestapo vor der Wohnung in Feldkirch gestanden sei und ihren Mann abgeführt habe."

Sie sollte ihren Mann nicht wiedersehen. Er wurde wegen "Wehrkraftzersetzung, Vorbereitung zum Hochverrat und Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender" vor genau 60 Jahren in München-Stadelheim hingerichtet.

Meine Damen und Herren!

Es hat Jahrzehnte gedauert bis mit einer systematischen Erforschung des Widerstandes gegen das NS-Unrechtsregime in Vorarlberg begonnen wurde. Daher konnte es geschehen, dass die meisten Opfer des Vorarlberger Widerstandes gegen den NS-Unrechtstaat in Vergessenheit gerieten. Auch Johann August Malin gehörte zu jenen, an die man sich nach 1945 nicht gerne erinnerte. Wer war dieser Mann, der heute in seiner Heimatgemeinde mit einer Gedenktafel geehrt wird?

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Geburtshaus von Johann August Malin (1902-1942) in Satteins

Johann August Malin wurde am 22. September 1902 als Sohn eines Lohnstickers hier in Satteins geboren . Er wuchs - wie meisten in dieser Gemeinde - in ländlich-ärmlichen und bildungsfernen Verhältnissen auf. Die zweiklassige Volksschule schloss er mit außerordentlich gutem Schulerfolg ab. Eine weiterführende schulische Ausbildung war unter den gegebenen Umständen nicht möglich.

Die Nachkriegsjahre nach dem 1. Weltkrieg waren von Not und Armut gekennzeichnet. Johann August Malin fand Arbeit bei der Errichtung des Spullerseekraftwerks. Diese Jahre als Bauarbeiter wurden für ihn prägend. Die Abgeschiedenheit dieser hochgelegenen Großbaustelle war ein besonders fruchtbarer Boden für die Herausbildung politischen Bewusstseins. Die Erfahrung härtester Arbeitsbedingungen, sozialen Außenseitertums und ein notwendigerweise entstehendes Solidaritäts- und. Gruppenempfinden trugen zur Entstehung einer organisierten Arbeiterbewegung auf dieser Baustelle bei.

Auch Malin wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und übernahm in den Zwanzigerjahren hier in Satteins die Ortsgruppe. Zudem war er zeitweise Vertrauensmann der Freien Gewerkschaften. Er entwickelte ein starkes Bildungsbedürfnis. Als Autodidakt eignete er sich ein beeindruckendes geologisches Wissen an. Bleibendes Dokument dieser Tätigkeit ist eine Publikation zur geologischen Beschaffenheit der Umgebung des Schwarzen Sees.

Aber er war nicht nur Geologe: Zugleich engagierte er sich in Vorträgen und Artikeln für die Weiterbildung der von den üblichen Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen. In seiner Selbsteinschätzung war er vornehmlich "Volksschriftsteller", eine Tätigkeit, die neben der bloßen Bildungsabsicht durchwegs die politische Agitation mitbeinhaltete. Malin war Obmann der Vorarlberger Urania-Gesellschaft. In der Zeit des Austrofaschismus versuchte er bei seinen Führungen und Exkursionen im Sinne einer wirklich demokratischen Entwicklung Volksbildung zu betreiben.

Seine wichtigste Tätigkeit, für die er wohl in großen Teilen des Landes bekannt geworden war, war jedoch die eines "Volksanwaltes". Nach eigenen Aussagen erstellte er in den Dreißigerjahren und auch noch zu Beginn der Vierzigerjahre an die 4000 Eingaben und Anträge an die verschiedensten Behörden. Das immer für Leute, die sich einen akademischen Rechtsbeistand nicht leisten konnten. Es war ein gängiges Wort, dass in den Kreisen der ärmeren Bevölkerung Ratsuchende die Antwort erhielten: "Geh doch damit zum Malin!"

Noch im Juni 1941 verfasste er ein Gnadengesuch an den Führer für den ehemaligen Spanienkämpfer Ernst Reiner aus Götzis, der sich zu dieser Zeit in Gestapohaft in Innsbruck befand und an Kieferkrebs erkrankt war.

In dieser Hilfstätigkeit ist auch der Grund für Malins Verhaftung am 6. Mai 1942 zu suchen. Mit ihm wurde an diesem Muttertagsmorgen nach gezieltem Einsatz eines weiblichen Gestapospitzels - es war eine Sennerin aus dem Großen Walsertal, die Malin von seinen Exkursionen her kannte - eine ganze Gruppe von Personen festgenommen.

Malin war unvorsichtig: Er hatte in Feldkirch ein quasi halböffentliches antifaschistisches Auskunftsbüro eingerichtet. In seiner Gruppe arbeiteten Kommunisten, Sozialdemokraten, und Katholiken zusammen. Auch ein katholischer Priester nahm an den Sitzungen und Beratungen dieser Gruppe teil.

An Malin, dem aktivsten und bekanntesten wurde ein Exempel statuiert. Für folgende Aktivitäten Malins konnte der Volksgerichtshof in Berlin Belege und zweifelhafte Zeugen vorweisen:

Er hatte ratsuchende Ostfronturlauber zur Desertion in die benachbarte Schweiz geraten, hatte aufgrund genauer Informationen von Auslandsendern in verschiedenen Gasthäusern Nachrichten vom Ende des deutschen Vormarsches im Osten verbreitet und hatte seinem Schwager, der zur Ostfront einberufen war, mit Flugzetteln versehen, die diesem im Moment der Feindberührung beim Überlaufen behilflich sein sollten. "Hallo hier Österreicher, bitte nicht schießen, ich laufe über!" stand in deutscher und russischer Sprache zu lesen.

Damit erfüllte Malin für die Nazijustiz die Tatbestände der "Wehrkraftzersetzung, der Vorbereitung zum Hochverrat sowie der Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender".

Über sein Schicksal machte er sich keine Illusionen. Er konnte nicht auf Gnade hoffen. Heute vor 60 Jahren schrieb er in seinem Abschiedsbrief:

"München, am 9. November 1942

Meine lieben Eltern!

Nehmt meine aufrichtigen Grüße entgegen. Habe um 11.30 vormittags die Verständigung erhalten, daß meine Begnadigung abgelehnt wurde und ich daher heute abend um 6 Uhr hingerichtet werde. (...) Ihr wißt ja selbst, wie ich die ganzen Jahre nur für andere gelitten und gearbeitet habe und so etwas, wie man mir zur Last legt, gar nicht zu machen fähig war. Verzeiht mir, wenn ich Euch in alten Tagen so ein Leid antun mußte. Es ist weder meine Schuld noch meine Absicht gewesen. (...) Bewahrt mir ein stilles Gedenken, ich wollte ja nur allen Menschen helfen und meiner Heimat wirklich dienen. Und jetzt kam es so furchtbar grausam.

Indem ich Euch nochmals Dank sage für alles Gute scheide ich mit den innigsten Grüßen

Euer unglücklicher Sohn August"

In seinen Abschiedsbriefen hatte sich Johann August Malin eine Würdigung seiner Aktivitäten in der Nachnazizeit erhofft.

Nach der Befreiung vom Naziterror - Sie wissen, selbst ein Volksanwalt aus Vorarlberg tut sich mit diesem Wort heute noch schwer - hat es hier im Dorf im November 1945 eine Erinnerungsfeier gegeben. Sie sollte für lange Zeit die einzige bleiben.

Ich zitierte aus den damaligen VN:

"Satteins. Heute am 11. November 1945 fand hier die Gedenkfeier mit Kreuzsteckung für den vor drei Jahren durch braune Henkershand gefallenen Freiheitskämpfer Joh. August Malin statt. Vor der Kirche war ein einfacher Feldaltar errichtet, davor ragte der Katafalk mit einem schlichten Birkenkreuz. Zur Feier, die von der Österreichischen Widerstandsbewegung des Bezirkes Feldkirch veranstaltet worden war, waren auch Vertreter der französischen Militärregierung erschienen. Nach der Totenmesse hielt der Bezirksobmann Reisecker dem toten Kameraden einen tiefempfundenen Nachruf. Er führte aus, daß Malin als geistiger Führer einer Widerstandsgruppe von der Gestapo verhaftet und nach siebenmonatiger Haft, ohne daß eine Schuld bewiesen werden konnte, am 9. November 1942 zusammen mit noch weiteren 300 Freiheitskämpfern durch das Fallbeil hingerichtet wurde.

Der Landesobmann der Widerstandsbewegung, Dr. Riccabona, erinnerte die Versammlung daran, daß Malin durch seine Propaganda versucht hatte, den Kameraden an der Ostfront das Unsinnige eines Krieges gegen einen Staat klarzumachen, der ein Sechstel der Erde umfaßte. Als Brauchtumsforscher und Vorarlberger hatte Malin die Entartung und die Widernatürlichkeit der Denkungsart des Dritten Reiches erkannt und sein Inneres empörte sich in ehrlicher Ablehnung der Wahnsinnsidee vom Tausendjährigen Reich. Bürgermeister Weber gab den Beschluß des Gemeinderates bekannt, die am Geburtshause des Toten vorbeiführende Herrengasse nach dem Hausnamen der Familie Malin in Christlgasse umzubenennen. Zum Schluß der Totenfeier legten Abordnungen aller Ortsgruppen der Widerstandsbewegung des Bezirkes Kränze nieder, während sich die Trauerfahnen zum Zeichen der letzten Ehrung dreimal vor dem Grabkreuz senkten."

Meine Damen und Herren!

Dann setzte jener Prozess ein, den man mit den Worten verdrängen, vergessen, ausblenden umschreiben könnte: Die unbeschreibliche Vergangenheit. Jahrelang musste Melanie Malin, die Witwe des Hingerichteten in der Nachkriegsgesellschaft um ihre Opferfürsorgeanspruche mit der Landesbürokratie streiten. Dieser Umgang mit NS-Opfern ist ein wahrlich dunkles Kapitel in der "Wideraufbausgesellschaft"!

Im Jahre 1982 fanden sich damals junge Historiker zusammen und gründeten einen Geschichtsverein, der sich nach Johann-August-Malin benannte. Er war - so wie der Namensgeber - nicht bei allen beliebt. Die Widerstände waren groß, die Themen, die es galt in die Erinnerung zurückzuholen waren unbequem: Verfolgung und Widerstand, Antisemitismus und Zwangsarbeit, die Rolle führender Politiker im Entdemokratisierungsprozess der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Diktatur um nur einige zu nennen. Der durch die Malin-Gesellschaft ausgelöste "Historikerstreit" ist selbst schon Vergangenheit und Gegenstand akademischer Untersuchungen. Und dank dieser Gesellschaft ist der Name Johann August Malin weit über die Landesgrenzen hinaus ein Begriff.

Der Plan, eine Gedenktafel am Geburtshaus anzubringen, ist alt. Viele Schwierigkeiten galt es zu überwinden, bis er realisiert werden konnte. Darauf soll im Einzelnen nicht eingegangen werden. Viele Gründe müssten angeführt werden, warum sich dieses Land mit seiner NS-Vergangenheit so schwer getan hat - und zum Teil noch tut.

Im Mai 1995 referierte ich anlässlich des 50. Jahrestages der 2. Republik in Linz beim österreichische Historikerkongress über die Schwierigkeiten, Gedenktafeln an NS-Widerstandkämpfer in Vorarlberg anzubringen. Damals gab ich der Hoffnung Ausdruck, dass eine neue Generation von Politikern unbefangener und offener sich der entsprechenden "Denkmalkultur" stellen werde. Ich hoffte, dass es in Satteins zum 60. Todestag von Johann August Malin so weit sein werde. Heute ist es tatsächlich so weit.

Viele haben in den letzten Tagen ihre Genugtuung über die Tafelanbringung ausgedrückt. Ein Mail hat mich besonders berührt. Sonja Tiefenthaler hat mir geschrieben:

"Ich freue mich, dass es euch gelungen ist, dass diese Gedenktafel an seinem Geburtshaus angebracht werden kann. Es ist unglaublich, damit habe ich nicht mehr gerechnet. Ich brauche euch nicht zu sagen, wie Richard das erst gefreut hätte. Papa wäre zutiefst gerührt, dass seinem Freund und Weggefährten diese späte Anerkennung zuteil wird."

Richard Tiefenthaler hatte Glück. Er wurde 1942 einberufen und konnte so als Mitglied der Gruppe um Johann August Malin der drohenden Verhaftung entgehen. Diese Tafel ist ausdrücklich auch ihm gewidmet und all den anderen, die unter Einsatz ihres Lebens gegen ein menschenverachtendes Regime aufgetreten sind - in der Hoffnung auf eine demokratische und menschenwürdige Gesellschaft. Ihr Vermächtnis gilt es in die Tat umzusetzen. Es gibt keinen Freibrief dafür, dass sich der Schrecken der Vergangenheit nicht wiederholt. Wir alle sind dazu aufgerufen, in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft all jenen Tendenzen entgegenzuwirken, die den Rechtsstaat unterhöhlen, die Ausgrenzung und Verächtlichmachung von Fremden zum Programm erheben, die die Nazi-Herrschaft unter dem Gesichtspunkt der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" betrachten, die Befreiung und Besatzung verwechseln, die Männer wie Johann August Malin immer noch mit dem Odium des Verrats umgeben.

Die heutige Tafelenthüllung ist ein Beitrag dazu, diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Denn es ist nicht gleich, an wen sich eine Gesellschaft erinnert. Johann August Malin verdient unsere Erinnerung, unsere Hochachtung.

Am heutigen Tag gilt es vielen zu danken:

  • Norbert Malin, der die Anbringung dieser Tafel am Geburtshaus seines Onkels ermöglicht hat.

  • BM Siegfried Lang, der die Widerstände in der Gemeinde überwunden hat. Ihm danke ich sehr herzlich für seine persönlichen Bemühungen!

  • Landesrat Dr. Hans-Peter Bischof. Seine Anwesenheit und seine Rede freuen uns ganz besonders. Herr Landesrat! Danke auch für die Zusage, dass das Land sich an den Kosten beteiligen wird!

  • Der Bürgermusik Satteins, die diese Gedenkfeier musikalisch würdig umrahmt hat.

  • Und mein ganz besonderer Dank gilt natürlich Prof. Herbert Albrecht. Er hat in Zusammenarbeit mit der Firma Prenn die Gedenktafel gestaltet.



Für den Künstler kam von allem Anbeginn an nur eine ästhetisch adäquate Lösung in Frage. Dem Geologen Malin gebührt ein heimischer Stein, ein Glaukonit mit Bergkristalleinsatz.

Sehr geehrter Herr Landesrat! Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Ich darf Sie nun bitten, mit mir gemeinsam die Tafelenthüllung vorzunehmen.