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17.12.2001 / VN - Kommentar: Warum die "Wehrmachtsausstellung"?

Vorarlberger Nachrichten


Die Emotionen gehen hoch. Leider. Denn eine sinnvolle Auseinandersetzung über die in Berlin eröffnete Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" wird dadurch fast verunmöglicht. Die Schau ist der zweite Versuch, die Dimension des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges von 1941 bis 1944 zu thematisieren. Ausgehend vom damals geltenden Kriegs- und Völkerrecht wird die Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen auf Kriegsschauplätzen im Osten und in Südosteuropa dargestellt.

Eine sachliche Diskussion darüber wäre zu wünschen. Die Grundthese der Ausstellung war und ist unter Historikern unbestritten: Die deutsche Wehrmacht war aktiv am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg beteiligt. Beweise gibt es massenhaft. Ein unverdächtiger Zeuge ist der Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Halder.

Er notierte am 30. März 1940 über eine Besprechung mit Adolf Hitler: "Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist war vorher kein Kamerad und ist nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf." Das war vier Monate vor dem Angriff auf die Sowjetunion! Im völkerrechtswidrigen "Kommissarbefehl" wurde dann die Ermordung von Juden und von gefangen genommenen kommunistischen Funktionären angeordnet.

Für die Umsetzung dieser Befehle sorgten Wehrmachtsgeneräle wie Wilhelm Keitel oder Alfred Jodl. Es verwundert daher nicht, dass diese und eine ganze Zahl weiterer Militärs bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden. Die heutige deutsche Bundeswehr stellt sich daher bewusst nicht in den Traditionszusammenhang mit der Wehrmacht.

Zu den Soldaten: Viele verbrecherische Befehle wurden willig ausgeführt. So schreibt beispielweise am 6. Juli 1941 - zwei Wochen nach dem Angriff auf die Sowjetunion - der Landser F. aus Tarnopol nach Hause: "Gestern waren wir mit der SS gnädig, denn jeder Jude, den wir erwischten, wurde sofort erschossen." Leider gab es viele solcher Soldaten.

Doch die Mehrheit war es nicht. Und die Ausstellung will genau diese Differenzierung erreichen. Jene, die gegen besseres Wissen immer noch das Gegenteil behaupten, tun genau das, was sie anderen vorwerfen: Sie urteilen pauschal. Die Mehrheit der Soldaten, die an keinen Verbrechen beteiligt war, hat ein Recht auf Genauigkeit. Ein Recht darauf, dass Verbrechen und Verbrecher genau benannt werden. Für alle anderen gilt wie in jedem demokratischen Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Erst recht für Männer, die meist ohne große Begeisterung in einen Krieg ziehen mussten.

Die Stärke der jetzigen Ausstellung ist genau dieser Aspekt. Sie zeigt in einer eigenen Abteilung "Handlungsspielräume": Wo und wie konnte sich der einzelne Soldat verbrecherischen Befehlen entziehen? Wo konnte er das nicht? Es waren meist Freiwillige, die zu Mordaktionen herangezogen wurden. Natürlich gibt es problematische Einzelfälle. Tatsache aber ist, dass es nach 1945 nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Fall namhaft zu machen, wo jemand, der sich weigerte, an der verbrecherischen Erschießung Unschuldiger teilzunehmen, selbst erschossen worden wäre.

Die Ausstellung bietet die Chance, darüber zu reden. Vielleicht gelingt es in Vorarlberg doch noch, eine sachliche statt eine rein emotionale Diskussion zu führen und den Scharfmachern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Harald Walser

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Unter dem Titel "Kommentar" geben die "VN" Gastkommentatoren Raum, ihre persönliche Meinung zu äußern. Sie muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.