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2004 / Werner Bundschuh: Anmerkungen zur Gründungsgeschichte der Johann-August-Malingesellschaft


Erschienen in: Rheticus - Vierteljahresschrift der Rheticus-Gesellschaft, Jg. 26, 2004, H. 4, S. 67-72

 

Am 26. Juli 1982 erließ die Sicherheitsdirektion in Bregenz den Bescheid VR-68/2. In ihm hieß es, dass die Gründung der "Johann-August-Malin-Gesellschaft, historischer Verein" "nicht untersagt" werde. Laut Vereinsgesetz musste damit die konstituierende Versammlung innerhalb eines Jahres erfolgen. In den eingereichten Vereinsstatuten hieß es:

"§ 2. Zweck: Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt die Verbreiterung der Diskussion über bisher zuwenig berücksichtigte Themenstellungen der neueren Lokal- und Regionalgeschichte, die Erforschung der historischen und aktuellen Lebensbedingungen in Vorarlberg. Den Schwerpunkt des Vereinsinteresses bildet die Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Dem Vereinsnamen entsprechend soll die Erforschung des Widerstandes gegen den Faschismus eine besondere Berücksichtigung finden."

Die Proponenten - in erster Linie Kurt Greussing, Meinrad Pichler, Gernot Egger und Harald Walser - luden am Sonntag, dem 29. August 1982 zur Gründungsversammlung ins Gasthaus "Fohrenburg" in Bregenz ein. In dieser Versammlung wurde Gernot Egger zum ersten Vereinsobmann gewählt.

Dass junge Historiker - die meisten waren als AHS-Lehrer im Schuldienst tätig - nicht nur den regionalen "Faschismus aufarbeiten" wollten sondern sogar ihren Verein nach dem hingerichteten Satteinser Widerstandskämpfer Johann August Malin benannten, rief zu Beginn der Achtzigerjahre in Vorarlberg heftige Reaktionen hervor. Damals im Land dominierende Publizisten wie Theodor Veiter und der Chefredakteur der VN, Franz Ortner, schossen sich mit ihren medialen (beinahe) Monopolmöglichkeiten verbal auf diese "Störenfriede" ein. Erst die Forschungen der Malin-Gesellschaft haben dann in den folgenden Jahren Ursachen und Motive dafür ans Licht gebracht, warum bestimmte, ja bestimmende Teile der Vorarlberger Öffentlichkeit eine Erforschung der NS-Zeit so unnachgiebig und gereizt zu verhindern suchten.

Im Gründungsjahr der Malin-Gesellschaft gab Meinrad Pichler den Band "Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte" heraus. Dieser Sammelband veränderte die Vorarlberger Zeitgeschichtsschreibung nachhaltig. Die traditionelle Landesgeschichtsschreibung klammerte "heikle" Themen wie den Antisemitismus vor Ort, den Anteil der heimischen Eliten am Austrofaschismus oder Nationalsozialismus aus, die Geschichte der Arbeiterbewegung fehlte ebenso wie eine fundierte Geschichte der Zu- und Auswanderung.

Was zwischen 1933 und 1945 von zwei Diktaturen - der austrofaschistischen und der nationalsozialistischen - verbrochen wurde, blieb bis in die 1980er Jahre tabuisiert. Nicht einmal für Opfer aus dem christlichsozialen Lager fanden sich Worte des Erinnerns oder gar Mahnmale des Gedenkens. Ein Grund dafür war, dass man beim näheren Hinschauen sehen hätte müssen, dass etwa die Denunziantinnen von Karoline Redler durchaus angesehene Damen aus Vorarlberg waren und dass etwa Hugo Lunardon vom einheimischen Nazimob bereits in der Nacht der Machtübernahme ins KZ eingeliefert wurde. Das alles wurde unter den Teppich gekehrt, auf dem man in den 1950er Jahren gemütlich und einigermaßen harmonisch zu stehen gekommen war. Und auch das fehlende Mitleid gegenüber dem, was den jüdischen Mitbürgern und behinderten Menschen während der NS-Herrschaft widerfahren war, festigte das Kartell des Schweigens. Heute ist die Auseinandersetzung der 1980er Jahre selbst schon Geschichte und wissenschaftlich aufgearbeitet. Harald Dunajtschik hat dazu einen Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel "Historiker gegen Märchenerzähler" veröffentlicht.

Der Zorn des VN-Chefredakteurs Dr. Franz Ortner richtete sich nach der Vereinsgründung auch gegen die Namensgebung "Malin-Gesellschaft". Wer war dieser Johann August Malin (1902 bis 1942), der so umstritten war - und zum Teil auch noch ist?

Johann August Malin wurde 1942 wegen "Wehrkraftzersetzung, Vorbereitung zum Hochverrat und Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender" in München-Stadelheim hingerichtet.

Er wurde am 22. September 1902 als Sohn eines Lohnstickers in Satteins bei Feldkirch (Vorarlberg) geboren und wuchs in ländlich-ärmlichen und bildungsfernen Verhältnissen auf. Die zweiklassige Volksschule in Satteins schloss er mit außerordentlich gutem Schulerfolg ab. Eine weiterführende schulische Ausbildung war unter den gegebenen sozialen Umständen nicht möglich.

Die Nachkriegsjahre verbrachte Malin als Gelegenheitsarbeiter, wovon besonders die Jahre als Bauarbeiter beim Spullerseekraftwerk seine spätere politische Position mitprägten. Die Abgeschiedenheit dieser hochgelegenen Großbaustelle war ein besonders fruchtbarer Boden für die Herausbildung politischen Bewusstseins. Die Erfahrung härtester Arbeitsbedingungen, sozialen Außenseitertums (für die bäuerliche Umgebung waren die meist von auswärts kommenden Arbeiter "Gesindel") und ein notwendigerweise entstehendes Solidaritäts- und Gruppenempfinden trugen nicht nur zur Entstehung einer organisierten Arbeiterbewegung auf dieser Baustelle bei, sondern ehemalige Spullerseearbeiter stellten schließlich einen bedeutenden Teil der engagierten Arbeiterfunktionäre im Lande überhaupt.

Auch Malin wurde hier bereits 1920 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und übernahm bald darauf in seinem Heimatort politische Funktionen (u. a. Obmann der Ortsgruppe Satteins von 1922 bis 1925). Zudem war er zeitweise Vertrauensmann der Freien Gewerkschaften. Daneben entwickelte Malin ein starkes proletarisches Bildungsbedürfnis, indem er sich "unter ganz besonders schwierigen Umständen mit Hilfe in- und ausländischer philosophischer Fakultäten ... zum Wissenschaftler durchkämpfte" (Erklärung zur Anklageschrift, 5. September 1942). Seine wissenschaftlichen Ambitionen galten besonders der Geologie. Bleibendes Dokument dieser Tätigkeit ist eine Publikation zur geologischen Beschaffenheit der Umgebung des Schwarzen Sees. Zugleich engagierte er sich in Vorträgen und Artikeln für die Weiterbildung der sozial von den üblichen Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen. In seiner Selbsteinschätzung war er vornehmlich "Volksschriftsteller", eine Tätigkeit, die neben der bloßen Bildungsabsicht durchwegs die politische Agitation mitbeinhaltete.

Die Doppelbedeutung seiner Intentionen lässt sich bis zu seinen letzten schriftlichen Äußerungen im Jahre 1942 verfolgen, in denen die situationsbedingten, sprachlichen Verstellungen die politischen Grundpositionen und Wirkungsabsichten nur unzulänglich verdeckten. Seine wichtigste Tätigkeit, für die er wohl in großen Teilen des Landes bekannt geworden war, war jedoch die eines "Volksanwaltes". Nach eigenen Aussagen erstellte er in den Dreißigerjahren und auch noch zu Beginn der Vierzigerjahre an die 4000 Eingaben und Anträge an die verschiedensten Behörden; das immer für Leute, die sich einen akademischen Rechtsbeistand nicht leisten konnten. Noch im Juni 1941 verfasste er ein Gnadengesuch an den Führer für den ehemaligen Spanienkämpfer Ernst Reiner aus Götzis, der sich zu dieser Zeit in Gestapohaft in Innsbruck befand und an Kieferkrebs erkrankt war.

In dieser Hilfstätigkeit ist auch der Grund für Malins schließliche Verhaftung am 6. Mai 1942 zu suchen. Mit ihm wurde an diesem Muttertagsmorgen nach gezieltem Einsatz eines weiblichen Gestapospitzels eine ganze Gruppe von Personen (Kommunisten, Sozialdemokraten, Katholiken) festgenommen. An Malin, dem aktivsten und bekanntesten, allerdings auch unvorsichtigsten, wurde das Exempel statuiert. Für folgende Aktivitäten Malins konnte der Volksgerichtshof in Berlin Belege und zweifelhafte Zeugen vorweisen:

Er hatte ratsuchende "Ostfronturlauber" zum Desertieren in die benachbarte Schweiz geraten, hatte aufgrund genauer Informationen von Auslandssendern in verschiedenen Gasthäusern Nachrichten vom Ende des deutschen Vormarsches im Osten verbreitet und hatte einen Soldaten, der zur Ostfront einberufen war, mit Flugzetteln versehen, die diesem im Moment der Feindberührung beim Überlaufen behilflich sein sollten.

Damit erfüllte Malin für die Nazijustiz die Tatbestände der "Wehrkraftzersetzung, der Vorbereitung zum Hochverrat sowie der Verbreitung von Lügennachrichten ausländischer Sender".

In seinen Abschiedsbriefen hatte sich Malin eine Würdigung seiner Aktivitäten in der Nachnazizeit erhofft. Eine halbherzige Totenfeier im November 1945 in Satteins war das Einzige, was die neue politische Öffentlichkeit für Malin übrig hatte. Erst im Jahre 2002, am 60. Hinrichtungstag, konnte eine Gedenktafel an seinem Elternhaus angebracht werden. Allerdings wurde die Ehrentafel kürzlich beschädigt und muss erneuert werden.

Nach der ersten Jahreshauptversammlung (1983) erhielten die Mitglieder ein Info-Blatt, in dem auf die heftige Polemik gegen den Verein eingegangen wurde:

"All jene, die sich 40 Jahre lang um Johann August Malin überhaupt nicht gekümmert haben, scheinen nun, nach Gründung unserer Gesellschaft ihr Interesse an diesem Manne entdeckt zu haben. Nachdem zuerst die Kommunisten mit großem Pathos Malin für sich zu reklamieren versucht hatten, hagelte es von VN-Leserbriefen, in denen Malin zum Teil heute noch der Wehrkraftzersetzung' bezichtigt wurde. Gerade diese Unverbesserlichen mußten die Gründung unserer Gesellschaft und die damit verbundene Erinnerung an den verdrängten Widerstand als Herausforderung empfinden.

Deshalb hat nun der Chefredakteur der VN persönlich zum vermeintlich großen Schlag ausgeholt. Obwohl die Vorarlberger Landesregierung die Herausgabe von Akten zum Thema Widerstand im Allgemeinen und zu Malin im Besonderen der wissenschaftlichen Forschung und unserer Gesellschaft bisher verweigert, wurde der bezügliche Malinakt des Landesarchivs den VN zugespielt. In diesem Akt befindet sich offensichtlich ein Bewerbungsschreiben Malins um Aufnahme in die NSDAP. Das Ansuchen wurde allerdings abgelehnt."

Dieses Schreiben wurde von Ortner benutzt, um Johann August Malin in schlimmster Form zu desavouieren. Allerdings stellte sich bei den folgenden Recherchen heraus, dass auch der VN-Chefredakteur eine "Nazi-Vergangenheit" hatte. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden in einer eigenen Broschüre, den "Sperrungen 1" veröffentlicht.

Jahrelang hatten die "Malin-Historiker" mit der "Archivsperre" zu kämpfen, jahrelang wehte ihnen ein sehr rauer publizistischer Wind entgegen. Ein Höhepunkt in dieser Auseinandersetzung war nach dem Erscheinen des Schlüsselwerkes "Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945" ein Artikel von Theodor Veiter in den "Vorarlberger Nachrichten" am 14. Juli 1984 ("Neue Thesen und Tendenzen zur Vorarlberger Zeitgeschichte"). Er sprach den "Malin-Historikern" jede wissenschaftliche Qualifikation ab und warnte ausdrücklich vor den "Umschreibern" der Landesgeschichte.

Zu den beinahe unbearbeiteten Kapiteln der Landesgeschichte zählte damals auch die "Arbeitergeschichte". Die erste große Ausstellung der jungen Malin-Gesellschaft war demzufolge "Im Prinzip: Hoffnung. Arbeiterbewegung in Vorarlberg 1870-1946" in der Remise in Bregenz, die vom 7. Juli bis 30. September 1984 zu sehen war. Die Rezeption dieser Ausstellung und der dazu erschienene Begleitband war für die Historikergruppe nach innen und außen äußerst wichtig. Für das Wiener Institut für Zeitgeschichte beschrieb der Obmann der Malin-Gesellschaft, Gernot Egger, damals die Ziele und die Arbeit der Malin-Gesellschaft. In seinem Schreiben ging er auf die heftigen Angriffe von Ortner & Co. ein und hielt dann abschließend fest:

"Diese Kontroverse führte zu einem relativ hohen Bekanntheitsgrad des Vereins im Land, der 150 Mitglieder zählt. Die bisherigen Publikationen hatten eine relativ große Auflage (500-1000). Die offiziellen Stellen des Landes reagieren allerdings nach wie vor mit Ablehnung, die ihnen unterstellten Archive sind und bleiben für uns gesperrt ... Das größte Defizit ist zum Zeitpunkt, dass es nicht gelingt, den Kreis der aktiv Forschenden wesentlich zu erweitern; immerhin aber ist die Szene - auch die konservative - ziemlich in Bewegung geraten."

Dass vieles in der landesgeschichtlichen Forschung durch die damaligen "Junghistoriker" tatsächlich in Bewegung geraten war, zeigte sich dann besonders deutlich im sogenannten "Bedenkjahr" 1988. Tatsächlich musste in diesem Land manches neu geschrieben und umgeschrieben werden.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind im Umfeld der Malin-Gesellschaft zahlreiche Publikationen zur Vorarlberger Zeitgeschichtsforschung erschienen. Manche Lücke konnte geschlossen werden, manches Forschungstabu wurde gebrochen. 1982 gab Meinrad Pichler die programmatischen "Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte" heraus. 20 Jahre später definierte er die Ziele jener Gesellschaft, die er mitbegründet hatte wie folgt:

"Es ist und bleibt Aufgabe und Zweck der Johann-August-Malin Gesellschaft, den unumgänglichen Prozess der historischen Aufarbeitung zu fördern, die NS-Opfer posthum ins kollektive Gedächtnis zu holen, die Zivilcourage und politische Standfestigkeit der Frauen und Männer des Widerstandes als demokratisch beispielhaftes Verhalten im aktuellen Bewusstsein zu verankern und damit zugleich die gegenwärtigen Gefahren für die Demokratie zu benennen.

In ihrem gesamten Forschungs- und Veranstaltungsprogramm hat die Malin-Gesellschaft in den letzten 20 Jahren dieses Ziel verfolgt: kollektiv Verdrängtes ins Bewusstsein zu rufen, den von den Nazis kriminalisierten Oppositionellen ihren politischen Leumund wieder herzustellen und ihr mutiges Auftreten als Vorleistung für die kommende Freiheit zu begreifen. Unser historisches Verständnis war, ist und bleibt ein politisches, und zwar in dem Sinne, dass die Suche nach historischen Einsichten nicht Selbstzweck sein kann, sondern dass solche Einsichten, wenn schon nicht Lehren, so doch Entscheidungshilfen bei der gesellschaftlichen und politischen Gestaltung von Gegenwart und Zukunft sein sollten. Deshalb ist es unsere ständige Aufgabe, die Irrwege der Vergangenheit als solche zu brandmarken, den Abgründen unserer Zivilisation nachzuspüren und aktuelle Rückfälle in verheerende geschichtliche Muster aufzuzeigen."