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21.04.2001 / Antifa-Demonstration: Redebeitrag von Dr. Werner Bundschuh

 

Liebe Mitdemonstranten/innen!

 

Ich stehe heute hier, weil ich mir Sorgen um dieses Land mache! Was ist das für ein Land, in dem wieder mit rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Untertönen Politik gemacht werden kann! Was ist das für ein Land, in dem es eine schwarz-blaue Koalition gibt, die sich nur unzureichend von braunen Rülpsern eines Landeshauptmannes distanziert, der gerichtskundig als "Ziehvater des Rechtsextremismus" und tendenzieller "Verharmloser des Nationalsozialismus" tituliert werden darf?

Am Beginn der zweiten Republik steht ein Dokument, das die Richtlinien der politischen Entwicklung festschreiben sollte: Das Staatsgesetzblatt Nr. 1 vom 27. April 1945, die Unabhängigkeitserklärung Österreichs, fußt auf dem Grundkonsens der "antifaschistischen Parteien". Gemeint waren damals die SPÖ, ÖVP und KPÖ. Die FPÖ, Sammelbecken der "Ehemaligen", existierte damals noch nicht.

Wer sich heute als "Antifaschist" deklariert, muss sich dafür beinahe entschuldigen, obwohl er sich auf dieser Grundnorm der österreichischen Nachkriegsordnung befindet. Auf diesem Staatsgesetzblatt Nr. 1 beruhen nicht nur der Staatsvertrag von 1955 und das Neutralitätsgesetz, sondern auch das NS-Verbotsgesetz, mit dem jede nationalsozialistische Betätigung unter Strafe gestellt wird. Als Element der demokratisch-antifaschistisch gestalteten Bundesverfassung ist die Unabhängigkeitserklärung von 1945 Hauptgrundlage des gesamten österreichischen Rechts - wohlgemerkt in antifaschistischem Sinne!

Wie schaut es jedoch heute in der Praxis aus? Der Bundespräsident musste eine schwarz-blaue Koalitionsregierung zur Unterzeichnung einer Präambel der zivilisierten Selbstverständlichkeiten nötigen, rechtes und rechtsextremes Gedankengut ist in dieser Gesellschaft nicht nur hoffähig, sondern Mainstream geworden!

Heute stehe ich als Obmann eines historischen Vereines hier, der sich seit 20 Jahren bemüht, verschwiegene und vergessene Kapitel der Zeitgeschichte ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu holen. Dies ist unser Beitrag zu einer demokratischen Bewusstseinsbildung in diesem Lande! Wie schwer der Umgang mit der unseligen NS-Vergangenheit manchen immer noch fällt, zeigt die alltägliche Arbeit: Unser Verein trägt den Namen eines 1942 hingerichteten Widerstandkämpfers aus Satteins. Sechzig Jahre später ist die Gemeinde immer noch nicht fähig und willens, eine Gedenktafel für den Widerstandskämpfer Johann-August-Malin anbringen zu lassen. "Er war damals in der Gemeinde unbeliebt, und ist es heute noch", hieß es auf eine diesbezügliche Forderung von uns. Das ist der Nährboden auf dem der Alltagsfaschismus nach wie vor gedeiht!

Ich persönlich habe keine besondere Angst vor rechtsgerichteten Skins als Bedrohungspotenzial der Gesellschaft. Sie sind nur ein Symptom! Aber große Sorge bereitet mir das salonfähig Werden von rechtsorientiertem Gedankengut in der sogenannten politischen Mitte. Leider muss ich feststellen, dass dieses Gedankengut im Kern der Gesellschaft keineswegs überwunden ist! Heute kann eine Regierungspartei wieder mit antisemitistischen Untergriffen operieren, ohne dass der Koalitionspartner letztlich mit politischen Konsequenzen antwortet!

Wo liegen die Ursachen dieser Geisteshaltung?

Nach 1945 wurde nicht nur von den Grundlagen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu wenig gesprochen, die Gesellschaft zu wenig "entnazifiziert", sondern vor allem auch das Herrschaftsmodell von 1933 bis 1938 zu wenig als das benannt, was es in Wirklichkeit war! Verschleiernd war in unserer Generation die Rede vom "Ständestaat", nicht vom Austrofaschismus! In Vorarlberg hieß es vorwiegend, das Dollfuß-Regime war eine "andere Demokratie". Tatsächlich: Diese Demokratie war so anders, dass wir sie heute nicht haben wollen! Dass die Schüssel-Passer Regierung in mancher Maßnahme daran erinnert, ist kein Zufall!

Wehret den Anfängen, heißt es zu recht! Seit wachsam vor jenen, die im Nadelstreif ideologische Grundmuster der Menschenverachtung transportieren! Verbale Distanzierungen vom Austrofaschismus und Nationalsozialismus genügen nicht! Als Historiker beklage ich, dass die Täter und Mittäter von 1934 bis 1945 in der 2. Republik weitgehend "kalt" amnestiert wurden und dass die Opfer und Verfolgten nur mit größter Mühe gegen die Resistenz politischer und behördlicher Instanzen um ihre Wiedereingliederung in die demokratische Gesellschaft kämpfen mussten. Ihre ehemaligen Schergen hatten oft nur wenig Mühe, wieder in Amt und Würden oder zur Altersversorgung zu kommen!

"Ehre und Treue" als Wahlspruch der SS zu erkennen überfordert heute manchen Polit-Funktionär! Dies ist Ausfluss dieser mangelnden Vergangenheitsbeschäftigung! Und welch schreckliches Urteil über den historischen Bildungsstand des durchschnittlichen FPÖ-Mandatars!

Ich habe die unsägliche Krumpendorfrede eines Landeshauptmannes für so unerträglich gehalten, dass ich damals bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet habe. Sie wurde abgeschmettert - wie so viele Verfahren, die Bezug nehmen auf das NS-Verbotsgesetz. Wir stehen hier vor dem Gerichtsgebäude! Mein Appell an dieser Stelle: Justizia sei auf dem rechten Auge nicht blind! Du warst es in der Vergangenheit nur zu oft!

Österreich wurde nach 1945 wieder aufgebaut, heißt es in den Schulbüchern. Materiell mag es stimmen, doch wenn man das politischen Klima in diesem Lande betrachtet, dann kommen einem ernste Zweifel, ob die antifaschistischen Lippenbekenntnisse der Wiederaufbaugeneration nicht ein fürchterliches Erbe hinterlasen hat, auf dem der Mist einer biologistisch-neofaschistischen Unsinnsideologie wieder gedeihen kann!/p>

Eine von Humanität und dem Bekenntnis zum liberalen Rechtsstaat geleitete politische Aufklärung hatte in diesem Land kaum eine Chance, in der breiten Öffentlichkeit Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Ein Wall von Tabus und Mythen umrankten den Austrofaschismus und Nationalsozialismus und je ferner diese Zeiten rücken, desto leichter fällt es den sogenannten "Revisionisten", junge Menschen dazu zu verleiten, diese unselige Vergangenheit zu beschönigen zu verharmlosen. Aber damit entsteht eine Gefahr für die Gegenwart und Zukunft!

Alte Ideen und historische Reminiszenzen - ungestört von kritischen Einwänden - dominieren nicht mehr nur den Stammtisch! Ein von Irrationalität beherrschtes Gesellschafts- und Geschichtsbild spukt in den Köpfen der diverser Rechtsextremisten - die man nicht an der Glatze und den Schuhbänden in den Stiefeln erkennen kann - herum.

Als Historiker und Lehrer weiß ich, wie schwierig Gegenstrategien sind! Die tieferen Ursachen für den Rückgriff auf längst überholt geglaubte autoritäre Gesellschaftsmodelle liegen in zentralen Problemfeldern unserer Gegenwart, in den Spannungsfeldern unserer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft. Im Zeitalter der sogenannten Globalisierung sehen viele die Risiken der derzeitigen neoliberalen Wirtschaftspolitik, spüren die Vereinzelung und werden von Existenzängsten geplagt. Humanistische Ideen sind in diesem Szenario für viele zweitrangig.

Nur mit antifaschistischen Parolen dagegen operieren zu wollen, ist zweifelsohne zu wenig! Die Bedürfnisse und Probleme jener, die anfällig sind für rechtsextreme Ideen und Lösungsansätze müssen durchaus ernst genommen werden! Doch immer wieder Ausländer- und Fremdenhatz als vermeintliche Problemlöser von Seiten verantwortlicher PolitikerInnen anzubieten, ist verantwortungslos und daher auf das schärfste zurückzuweisen! Solche PolitikerInnen müssen bei Wahlen die entsprechenden Antworten erhalten. Eine einfache Antwort, auf einfache Lösungsvorschläge!

Meine Mitdemonstrantinnen und Mitdemonstranten!

Diese schwarz-blaue Regierung grenzt sich nicht energisch genug vom braunen Bodensatz ab, der unsere Gesellschaft nach wie vor bedroht! Antifaschismus allein ist zu wenig, aber ohne antifaschistische Grundhaltung droht unsere Gesellschaft wieder in Barbarei zurückzusinken.

Wir sind Post-Ausschwitzmenschen und unser Ziel muss es sein, dass sich Auschwitz nicht wiederholt! Denn was einmal in der Geschichte verwirklicht wurde, lässt sich grundsätzlich wiederholen!

Das österreichische Staatsgrundgesetz ruht auf einem antifaschistischen Grundkonsens, der die Menschenvernichtung von Mauthausen verunmöglichen soll! Darum im Namen der Humanität: Weist Rechtsextremismus und Neonazitum überall zurück, bekämpft mit friedlichen Mitteln und Aufklärung den Alltagsfaschismus in diesem Lande, solidarisiert euch mit jenen, die von der zunehmenden politischen Kälte in diesem Land bedroht werden! Zieht die Lehren aus der unseligen Vergangenheit in diesem Land, um eine menschenwürdigere Zukunft in diesem Land gestalten zu können!

Bert Brecht hat nach 1945 in Bezug auf den Nationalsozialismus formuliert: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch.

Das ist leider im heutigen Österreich immer noch aktuell.