17.05.2003 / Die Zukunft der Vergangenheit

Was machen wir mit der Geschichte? Was macht die Geschichte mit uns?

 Sa 17.05.03 / 19:00 / Theater am Saumarkt Feldkirch



Ein Symposion der Programmgruppe Tangenten
Mit Aleida Assmann, Jan Assmann, Christian Meier & Eva Grabherr

Der bekannte deutsche Historiker Christian Meier wagt eine Bilanz der europäischen Geschichte an der Wende zum 21. Jahrhundert. Dabei geht es ihm vor allem um die Frage, welche Beziehung unsere heutigen Gesellschaften überhaupt noch zu dem historischen Erbe von drei Jahrtausenden herstellen können. Wie können wir den Weg Europas von Athen bis Auschwitz verstehen? Was bedeutet die Geschichte Europas für uns, und was vermögen wir in ihr? Welche besondere Verantwortung haben wir als Zeitgenossen innerhalb historischer Prozesse?

Er diskutiert diese Fragen mit dem renommierten Ägyptologen Jan Assmann ('Gedächtniskultur') und der Literaturwissenschafterin Aleida Assmann (Arbeiten zum Thema 'Holocaust und Erinnerung').

Die Diskussion leitet Dr. Eva Grabherr.

"Wer nicht von dreitausend Jahren
sich weiß Rechenschaft zu geben,
bleib im Dunkeln unerfahren,
mag von Tag zu Tage leben."

J. W. von Goethe

Die postmoderne Informationsgesellschaft bietet ungeahnte Möglichkeiten der Datenspeicherung. Kaum ein Ereignis, das nicht aufgezeichnet, digitalisiert, registriert und archiviert werden könnte. Was zunächst wie die Vollendung des alten enzyklopädischen Ideals erschien, das den Fortschritt der Menschheit an den Fortschritt des Wissens band, droht inzwischen ins Gegenteil zu kippen: dem digitalisierten Gedächtnis steht ein allgemein konstatiertes Nachlassen des Geschichtsbewusstseins gegenüber, und die Vorstellung von der Allgemeinbildung wirkt angesichts der zahllosen Quiz- und Millionenshows der Spaßgesellschaft vollends lächerlich. Die Ablösung der Schriftkultur durch die "Digitalkultur" scheint zu einem Zustand zu führen, in dem vertiefte und gewachsene Bewusst­seinsbildung unwichtig wird und der Konsens über gesellschaftlich relevantes Wissen sich auflöst.

Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf unser Verhältnis zur Vergangenheit hat, steht im Zentrum unserer Veranstaltung "Die Zukunft der Vergangenheit. Was machen wir mit der Geschichte? Was macht die Geschichte mit uns?" am 17. Mai 2003 im TaS.

Der Ägyptologe Jan Assmann, die Literaturwissenschafterin Aleida Assmann sowie der Historiker Christian Meier referieren und diskutieren unter der Leitung von Dr. Eva Grabherr über die Auswirkungen der Speichermedien auf das kulturelle Gedächtnis, das Verhältnis von Geschichte und Erinnerung, den unterschiedlichen Gebrauch von Vergangenheit und die Zukunft des Geschichtsbewusstseins in einer Welt im Umbruch.

 

19.00 Uhr

Aleida und Jan Assmann

Wie, wann, warum und von wem wird Geschichte erinnert?

Vor Beginn des ersten wie des zweiten Golfkrieges wurde immer wieder an das Münchner Abkommen erinnert, das unter dem Begriff "appeasement" in die Geschichte eingegangen ist. Mit dieser Erinnerung wurde das Argument verbunden, dass man einem zweiten Hitler rechtzeitig und mit Gewalt entgegentreten muss. Geschichte ist aber nicht nur ein Arsenal von Argumenten, sondern auch ein Fundus von identitätsstiftenden Erzählungen, eingeprägten Bildern und nicht zuletzt traumatischen Erfahrungen. In den beiden Beiträgen soll das spannungsvolle Verhältnis von Geschichte und Erinnerung diskutiert und der unterschiedliche Gebrauch von Vergangenheit an Beispielen illustriert werden.

 

Pause mit kleinem Büfett

 

20.30 Uhr
Christian Meier

Auslaufen des Geschicktsbewußtseins

Symptom eines Beschleunigungsschubs oder eines neuen gesellschaftlichen
Bewusstseins?

Dass in einer Zeit sehr raschen, beschleunigten, umfassenden gesellschaftspolitischen Wandels das Bedürfnis nach historischer Orientierung, also das historische Bewusstsein in der allgemeinen Öffentlichkeit (historisch speziell Interessierte und das Interesse an besonderen Epochen, etwa der NS-Zeit, seien hier ausgenommen) stark geschrumpft ist, muss auf der Folie der Neuzeit paradox erscheinen. Denn da erfolgt die Beschleunigung des Wandels und die Entstehung eines Geschichtsbewusstseins gleichsam Hand in Hand. Woher erklärt es sich, dass es heute so anders damit steht und - was hat das zu bedeuten?

 

21.15 Uhr
Diskussion mit allen Referenten
Moderation: Eva Grabherr

 

Über die Vortragenden:

Aleida Assmann ist Professorin für Anglistik und Literaturwissenschaften in Konstanz. Zahlreiche Publikationen zum Thema kulturelles Gedächtnis und Geschichtsbewusstsein z.B. Erinnerungsräume, Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (1999), Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit, Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945 (1999).

Jan Assmann, geboren 1938, ist Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg. Er leitet seit 1978 ein Forschungsprojekt in Luxor (Oberägypten) und lehrte als Gastprofessor in Paris, Yale und Jerusalem. 1998 erhielt er den Preis des Historischen Kollegs, der als deutscher Historikerpreis vergeben wird. U.a. sind von ihm erschienen: Das kulturelle Gedächtnis (1999), Weisheit und Mysterium (2000), Religion und kulturelles Gedächtnis (2000), Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten (2001).

Christian Meier, geboren 1929, ist Professor für Alte Geschichte in München. Er ist Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Von 1980 bis 1988 war er Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands. Wichtigste Veröffentlichungen: Res Publica Amissa; (1966), Die parlamentarische Demokratie (2001), Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte (1993), Cäsar (1986), Von Athen bis Auschwitz (2002).

Eva Grabherr, Gründungsleiterin des Jüdischen Museums in Hohenems, derzeit Geschäftsführerin von ,okay.zusammen leben', ein Projekt der Aktion Mitarbeit zur Migrationsgesellschaft Vorarlbergs.