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10.11.2002 / Meinrad Pichler: Festvortrag - 20 Jahre Johann-August-Malin-Gesellschaft

Sonntag, 10.11.2002

Spielboden Dornbirn

 

Lassen sie mich zum Beginn dieser Veranstaltung ein paar grundsätzliche Anmerkungen zur Arbeit und zum Selbstverständnis der JAMGes sagen, bevor dann der Obmann Werner Bundschuh auf die konkrete Arbeit der Gesellschaft eingeht (---> weiterlesen).

Die Publikationen der damals sogenannten "jungen Historiker" und die Gründung der Johann-August-Malin-Gesellschaft im Jahre 1982 haben bei einigen damaligen publizistischen Platzhirschen so erboste Reaktionen hervorgerufen, wie sie heute kaum mehr verständlich erscheinen.

Erst die Forschungen der Malingesellschaft selbst haben Ursachen und Motive dafür ans Licht gebracht, warum bestimmte, ja bestimmende Teile der Vorarlberger Öffentlichkeit eine Erforschung der NS Zeit so unnachgiebig und gereizt zu verhindern suchten. Zwar hat die Landesregierung weder eine Initiative gefördert noch ergriffen, um die NS Zeit in Vorarlberg zu erforschen, die geradezu militante Verhinderung solcher Ansätze hatte sich aber eine ganz eigene Klientel zur Aufgabe gemacht. Es waren in erster Linie die Profiteure des brüchigen Friedens von 1945, die bedingt Wiederaufgenommenen in die Vorarlberger Nachkriegsgesellschaft: das Wesen dieser neuen Ordnung bestand paradoxerweise darin, dass die ehemaligen Christlichsozialen, jetzt ÖVP, anfänglich zwar die Sozialdemokraten mitregieren ließen: aus Kalkül, aus der Sicherheit einer eigenen Absoluten und auf Grund der Tatsache, dass diese Gruppierung nicht durch NS Kollaboration desavouiert war. Das bürgerliche Zusammengehörigkeitsgefühl einerseits und die wirtschaftliche Kraft und das intellektuelle Vermögen der Nationalen und Exnazis andererseits führten bald wieder und an der SPÖ vorbei zu einer neuen Allianz innerhalb des bürgerlichen Lagers. Vielen Schwarzen, die selbst am Nationalsozialismus gelitten hatten, kam dieser neue Schulterschluss zu unvermittelt; doch die politisch, wirtschaftlich und publizistisch Einflussreichen hatten sich auf eine Vorwärtsstrategie geeinigt, die den nachdenklichen oder gar abrechnenden Rückblick ausschloss. Der nun beschworene wirtschaftliche Pioniergeist, ein globaler Antikommunismus und eine regional geförderte Vorarlberg-Ideologie, die auch eine instrumentalisierte Geschichtsbetrachtung miteinschloss, wurden zu den Beziehungspunkten, innerhalb derer sich die Vorarlberger Eliten nun verständigten. Im Rahmen dieser Sachlage wird verständlich, warum eine wirkliche Entnazifizierung nicht stattgefunden hat, warum die dezidiert antinazistischen Teile innerhalb der ÖVP bis zur totalen Einflusslosigkeit zurückgedrängt wurden, warum eine Diskussion über Verstrickung bzw. Widerstand nicht stattgefunden hat, warum Personen wie der ehemalige Landesamtsdirektor Grabherr so dominant werden konnten und warum die wirtschaftlichen Eliten vorerst ihre öffentlichen Aktivitäten auf parapolitische Schauplätze (wie etwa die Dornbirner Messe oder die Bregenzer Festspiele) verlegten.

Wesentlicher Bestandteil der genannten Vorarlberg-Ideologie war der ständige Verweis darauf, dass der Nationalsozialismus eine ungewollte Fremdherrschaft ohne eigene Täterschaft gewesen sei. Historisches Forschungsinteresse gab es deshalb nur an den beiden Eckpunkten: so versuchten beispielsweise die ehemaligen Nazis der Nachkriegsbevölkerung in unterschiedlichsten publizistischen Anstrengungen weiszumachen, dass sie gegen den Tiroler Gauleiter Hofer und gegen die Berliner Zentralisten mannhaft, aber erfolglos für die Selbständigkeit Vorarlbergs eingetreten seien. Dieser Mythos diente nicht nur der eigenen Reinwaschung, sondern auch als Eintrittskarte ins Haus der Vorarlbergideologen. Die christlichsozialen Historiker dagegen widmeten sich in erster Linie den Schlusstagen des Krieges: auch hier waren fremde Schergen am Werk und verantwortlich für Zerstörungen; und hier konnte zugleich jener einheimische Mannesmut sichtbar gemacht werden, der sich in den Jahren zuvor nur innerhalb der Wehrmacht geäußert oder in die innere Emigration zurückgezogen hatte.

Was zwischen 1938 und 1945 stattgefunden hatte, wurde ausgeblendet, nicht einmal für Opfer aus dem christlichsozialen Lager fanden sich Worte des Erinnerns oder gar Mahnmale des Gedenkens, dies auch deshalb, weil man hier beim näheren Hinschauen sehen hätte müssen, dass etwa die Denunziantinnen von Karoline Rädler durchaus angesehene Damen aus Vorarlberg waren und dass etwa Hugo Lunardon vom einheimischen Nazimob bereits in der Nacht der Machtübernahme ins KZ geliefert wurde. Das alles wurde unter den Teppich gekehrt, auf dem man in den 50er Jahren gemütlich und einigermaßen harmonisch zu stehen gekommen war. Und auch das fehlende Mitleid gegenüber dem, was den jüdischen Mitbürgern und behinderten Menschen widerfahren war, festigte das Kartell des Schweigens.

Das war die Situation, wie wir sie im Jahre 1980 immer noch vorfanden und die wir in ihrer Zementiertheit unterschätzten. Das publizistische Sperrfeuer, das auf die Unruhestörer abgegeben wurde, war unverhältnismäßig und hat der Malingesellschaft zu einer ebensolchen Öffentlichkeit verholfen: Ortner, Grabherr, Veiter und Vonbank traten persönlich in die Arena und versuchten mit untauglichen Mitteln etwas zu stoppen, das ihrer Kontrolle entglitten war: nämlich die kritische Aufarbeitung des gewalttätigsten Abschnittes auch innerhalb der Vorarlberger Gesellschaft, die Untersuchung von Ursachen und Erscheinungsformen des tiefsten Zivilisationsbruches, der auch in Vorarlberg stattgefunden hatte. Das einzige Hindernis, das sie mit politischer Hilfe noch aufstellen konnten, war die Archivsperre. Die Verfügbarkeit über die Hinterlassenschaft der Verwaltung stellt natürlich ein nicht zu unterschätzendes Machmittel dar. Der nationalsozialistische Machtapparat hat aber gerade seine unmenschlichsten Maßnahmen auf unterschiedlichsten Ebenen dokumentiert, womit das Landesarchiv durchaus nicht den ersten oder gar einzigen Quellenbestand darstellt. Zudem kamen unsere Aktivitäten gerade noch zu einem Zeitpunkt, als viele Zeitzeugen noch am Leben waren.

Die Heftigkeit der Auseinandersetzung zu Beginn der 80er Jahre ist nur dann verstehbar, wenn man bedenkt, dass die Profiteure des NachkriegsArrangements sich in ihrem persönlichen und politischen Selbstverständnis von Grund auf bedroht sahen. Das umso mehr, als sie der unbegründeten, für sie aber umso bedrohlichern Annahme waren, die recherchierenden Historiker seien Nazijäger und sie damit einer potenziellen Gefahr ausgesetzt. Dass man sich in erster Linie um den Widerstand, den sie selbst als unbedeutend verdrängt hatten, kümmern könnte, war aus ihrem Sichtwinkel unvorstellbar. Aber auch der konkreten Opfer wollten sie nicht gedenken, weil dieses Gedenken stets auch die Erinnerung an die Täter provozierte. Und selbst für diejenigen, die das Naziregime in Anstand überlebt hatten, waren Widerstandskämpfer und Naziopfer ein wandelnder Vorwurf, die an eigene Inaktivität oder ans Wegschauen gemahnten. Deshalb diese Einigkeit im Schweigen. Doch das Verschwiegene ist gleichsam untot, es drängt an die Oberfläche, es ruft nach Verarbeitung.

Es ist und die Aufgabe und Zweck der Johann A. Malin Gesellschaft, diesen unumgänglichen Prozess der historischen Aufarbeitung zu fördern, die Opfern posthum ins kollektive Gedächtnis zu holen, die Zivilcourage und politische Standfestigkeit der Frauen und Männer des Widerstandes als demokratisch beispielhaftes Verhalten im aktuellen Bewusstsein zu verankern und damit zugleich die gegenwärtigen Gefahren für die Demokratie zu benennen.

In ihrem gesamten Forschungs- und Veranstaltungsprogramm hat die Malinges. In den letzten 20 Jahren dieses Ziel verfolgt: kollektiv Verdrängtes ins Bewusstsein zu rufen, den von den Nazis kriminalisierten Oppositionellen ihren politischen Leumund wieder herzustellen und ihr mutiges Auftreten als Vorleistung für die kommende Freiheit zu begreifen. Unser historisches Verständnis war, ist und bleibt ein politisches, und zwar in dem Sinne, dass die Suche nach historischen Einsichten nicht Selbstzweck sein kann, sondern dass solche Einsichten, wenn schon nicht Lehren, so doch Entscheidungshilfen bei der gesellschaftlichen und politischen Gestaltung von Gegenwart und Zukunft sein sollten. Deshalb ist es unsere ständige Aufgabe, die Irrwege der Vergangenheit als solche zu brandmarken, den Abgründen unserer Zivilisation nachzuspüren und aktuelle Rückfälle in verheerende geschichtliche Muster aufzuzeigen.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass mit der geleisteten Aufarbeitung zahlreicher blinder Flecken unserer Landesgeschichte die Mission der Malingesellschaft keineswegs beendet ist: Aufklärung tut weiter Not, da die pompös-verklärende Fassade des Nationalsozialismus viele Ehemalige immer noch verblendet und orientierungslose Junge fasziniert. Und weil faschistische Ideologiepartikel immer noch unser politisches Alltagsleben kontaminieren.

Die Arbeit wächst also leider ständig nach, sie alle können uns bei deren Bewältigung behilflich sein.

 

Siehe auch den Rückblick von Werner Bundschuh: Anmerkungen zur Gründungsgeschichte der Johann-August-Malingesellschaft  (veröffentlicht 2004).