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Werner Bundschuh (1998): „Wie der Teufel das Weihwasser ...“ Die „Wahrmund-Affäre“ und der Kampf der „Kasiner“ gegen den liberalen Verein „Die Freie Schule“

1908 erlebte der Streit zwischen Liberalen und Konservativen in Vorarlberg und Tirol einen Höhepunkt. Durfte es Wissenschaft und Unterricht jenseits kirchlicher Bevormundung geben? Der Innsbrucker Kirchenrechtler Prof. Ludwig Wahrmund stand als Verfechter einer kirchlich ungebundenen "freien Schule" im Zentrum des Konflikts.

 


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Werner Bundschuh

 

„Wie der Teufel das Weihwasser ...“

Die „Wahrmund-Affäre“ und der Kampf der „Kasiner“ gegen den liberalen Verein „Die Freie Schule“

 

Aus: Werner Bundschuh: "Wir sind jung, die Welt ist offen..." Zur Geschichte der "Kinderfreunde" in Vorarlberg. Bregenz 1998, S. 16-30. Gekürzter Vorabdruck in: Kultur - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Jg. 13, 1998, Nr. 7, S. 32-34.

 

Am 26. Februar 1908 gründete in Graz der Sozialist Anton Afritsch den Verein der „Kinderfreunde“. Seine Ideen beeinflußten in der Ersten Republik das Erziehungsprogramm der SDAP und nach dem Zweiten Weltkrieg das der SPÖ entscheidend. Wer sich jedoch mit der Geschichte dieser sozialistischenen Unterorganisation befaßt, muß sich zunächst mit dem liberal-deutschfreisinnigen Verein „Freie Schule” auseinandersetzen. Er ist der ältere Sproß des nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Einheit verschmolzenen Vereins „Freie Schule – Kinderfreunde”.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts erlebte der „Kulturkampf“ in Vorarlberg einen neuen Höhepunkt. Vor 1870 war Vorarlberg ein liberal regiertes Land. In der damaligen Terminologie galt es somit als “rote” Hochburg. Die Machtübernahme durch die “schwarzen Kasiner” hatte in den folgenden Jahrzehnten vor allem auch bildungspolitische Konsequenzen: Die katholisch-konservative Partei bekämpfte das liberale Reichsvolksschulgesetz von 1869 mit aller Konsequenz und versuchte in Vorarlberg ein konfessionelles Schulwesen durchzusetzen. Unter dem Druck der reaktionären Kräfte und der Kirche wurden die Schulgesetze 1883 in der Monarchie novelliert. Nur Lehrer, die einen Befähigungsnachweis zum katholischen Religionsunterricht hatten, durften Schulleiter werden. Diese Konzession reichte den Gegnern des Reichsvolksschulgesetzes jedoch noch nicht aus: Am 29. September 1905 erließ der christlichsoziale Bürgermeister von Wien, Dr. Karl Lueger, eine neue Unterrichtsordnung, die nicht nur die Teilnahme aller Kinder am Religionsunterricht – sogar unter Strafandrohung – vorsah, sondern auch die Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst, an der Beichte und Kommunion, auch an den Prozessionen.

Gegen diese Durchlöcherung der zumindest teilweisen Trennung von Staat und Kirche wurde bereits im Frühjahr 1905 eine liberale Abwehrorganisation gegründet. An der Spitze standen der prominente Rechtsanwalt Dr. Julius Ofner und der zum ersten Obmann gewählte Baron Paul von Hock, ein Rat des kaiserlichen Verwaltungsgerichtshofes. Neben den Freisinnigen waren auch Großdeutsche aus der Anhängerschaft Schöneres, aber auch Vertreter der sozialistischen Arbeiterschaft im neuen Verein zu finden. In erster Linie sind hier Franz Schuhmeier, Engelbert Pernersdorfer, Karl Seitz (der nachmalige Wiener Bürgermeister) und Otto Glöckel (der spätere Staatsekretär für Unterricht) zu erwähnen. Zum Schriftführer wurde der Universitätsprofessor Ludo Moritz Hartmann gewählt.

Ende März 1905 berichtete ein Dornbirner Korrespondent der liberalen “Volks-Zeitung”, daß der Religionslehrer Gleinze an der Volksschule Markt jene Schüler, die nicht täglich die Messe besuchten, jeweils eine Stunde nachsitzen ließ. Mit dem Bemerken, “der Klerikalismus wird immer zudringlicher und anmaßender im schwarzen Vorarlberg”[1], regte er die Gründung einer Dornbirner Ortsgruppe der „Freien Schule” an.[]2 Die Gründungsfrage wurde jedoch im Laufe des Jahres 1905 gleich einer heißen Kartoffel zwischen den arrivierten Liberalen und den gesellschaftlich geächteten Sozialdemokraten hin und her gereicht.

Die Absicht, eine Ortsgruppe der „Freien Schule“ in Dornbirn unter der Patronanz des liberalen Bürgermeisters Waibel zu gründen, rief selbstverständlich auch den politischen Gegner auf den Plan. Der Dornbirner Fabrikant und Landeshauptmann Adolf Rhomberg griff die liberalen Lehrer und den Verein “Freie Schule” auf der 11. Generalversammlung des „Katholischen Lehrervereins“ auf das heftigste an.[3] Er lehnte die Anstellung von “republikanischen”, “sozialdemokratischen” und “alldeutschen” Lehrern, die “von ihrem Vaterland, das ihnen Brot und Erwerb gibt, nichts wissen wollen”, ab, und unmißverständlich erklärte der Landeshauptmann: “Mit Leuten aber, die einen Verein ‚Freie Schule‘ propagieren und seinen Bestrebungen zujubeln, mit Leuten, die sich für die ‚Deutsch-österreichische Lehrerzeitung‘ einsetzen, gibt es kein Paktieren, kein Verhandeln, da gibt es nur Kampf unter dem Rufe: Hie Christus, hie Belial!”[4]

 

Konservative: "Freie Schule" ein Werk "Belials"

Ende März 1906 informierte das freisinnige „Vorarlberger Tagblatt“ seine LeserInnen über die erfolgte Vereinsgründung: „Wir wollen allerorten hörbar und energisch Protest erheben gegen jeden Versuch die Schule zu einer Hilfsanstalt der konfessionellen Hierarchien herabzudrücken, unter dem Scheine religiöser Gesinnung politische Tendenzen in die Schule zu tragen und die Kinder zu politischer Agitation zu mißbrauchen, die Bildungskraft der Schule zu schwächen und die Unabhängigkeit der Lehrer zu vernichten. Wir wollen dafür eintreten, daß moderner Geist in die Volksschule einziehe, daß durch verbesserte Methoden und Individualisierung des Unterrichtes die Schulzeit für das Kind dauernd fruchtbringend werde. Wir denken auch daran, durch Errichtung von Musterschulen, die allen hygienischen und pädagogischen Anforderungen entsprechen, durch Erhaltung von vierten Bürgerschulklassen, durch Schulwerkstätten, usw. beispielgebend zu wirken.“[5]

Daß Liberale und Sozialdemokraten Monate hindurch so zögerlich in der Frage der Vereinsgründung agierten, erklärt sich zum Teil aus der Übermächtigkeit des politischen Gegners, denn das laizistische Lager war sich darüber im klaren, daß die Christlichsozialen – die Rede des Landeshauptmannes zeigte dies nur zu deutlich – unter keinen Umständen gewillt sein würden, den Aufbau “dieses Freimaurer-Vereines”[6], dieses “Machwerk(es) der Juden”[7] tatenlos hinzunehmen. Sie fürchteten diesen neuen Verein “wie der Teufel das Weihwasser.”[8]

Die Proponenten der „Freien Schule“ hatten in der Öffentlichkeit mit massiven persönlichen Angriffen und Denunziationen zu rechnen. So griff das “Volks-Blattes” den neuen “Freimaurer-Verein” und den ersten Obmann des Dornbirner Vereins, Gustav Fleck, weit unter der Gürtellinie an.[9] Auch gegen den in Feldkirch unterrichtenden liberalen Professor Johann Hörtnagl entfachten die Klerikalen ein wahres mediales Trommelfeuer, und der Staatsdiener, der für das Grundgesetz eintrat, mußte Vorarlberg schließlich verlassen.[10]

Doch die schärfsten Auseinandersetzungen gab es um die Vorträge des Innsbrucker Kirchenrechtlers Univ. Prof. Dr. Ludwig Wahrmund.[11] Wahrmund, einst katholischer “Hoffnungsträger”, setzte sich mit modernistischen Ideen auseinander und griff die katholische Kirche als Hort des Dogmatismus und der Intoleranz an.[12] 1906 ließ er sich zum Obmann der Innsbrucker Ortsgruppe des Vereins „Freie Schule” wählen. Er trat auch mehrmals in Vorarlberg als Versammlungsredner in Erscheinung, so am 29. April 1907 in Dornbirn. Sein Auftritt wurde in der liberalen Presse euphorisch kommentiert:

„Die Ortsgruppe der ‚Freien Schule‘ kann sich zu ihrem moralischen und materiellen Erfolg gratulieren, den ihr die öffentliche Vereinsversammlung am Montag eintrug. Als moralischen Erfolg bezeichnen wir die vom Redner, Professor Dr. Wahrmund, entfachte Begeisterung der überaus zahlreich anwesenden Mitglieder und Gesinnungsfreunde, als materiellen Erfolg nennen wir die Gewinnung von dreißig neuen Mitgliedern. Die Rede Dr. Wahrmunds über ‚Klerikalismus und freie Schule‘ war in der Tat ein Meisterwerk der Rhetorik und doch populär gehalten, so daß selbst jeder schlichte Arbeiter dem hohen Gedankengange des Vortragenden folgen konnte.“[13]

Die Affäre eskalierte, als der damalige christlichsoziale Reichsratsabgeordnete und spätere Bundeskanzler Michael Mayr im Dezember 1907 Ludwig Wahrmund im Parlament scharf angriff und die Ablöse seines Professorenkollegen forderte, dem er Mißachtung der religiösen Grundsätze und Mißbrauch des akademischen Katheders zu politischen Zwecken vorwarf. Aber auch ein junger Vorarlberger Abgeordneter trat ins Rampenlicht: Der “christlichsoziale Arbeiterführer“ Dr. Karl Drexel, der die Angriffe Mayrs unterstützte. Wütend reagierte der Redakteur der „Volks-Zeitung“ auf diese Schützenhilfe des Dornbirner Priesters und Politikers:

„Im Parlamente vernaderte der Innsbrucker Professor Mayr den auch in Vorarlberg wohlbekannten Professor Wahrmund. Als der Jesuit Mayr nun Beweise bringen sollte, kam er in die Enge und glücklicherweise fiel ihm noch ein, daß es auch in Vorarlberg Jesuiten gibt, die den Professor Wahrmund hassen. Da meldete sich als Kronzeuge der Vorarlberger Abgeordnete Dr. Drexel, der bezeugt, daß auch Prof. Wahrmund in einer Versammlung der ‚Freien Schule‘ in Dornbirn die Religion herabgesetzt habe. Ich war nun selbst in jener Versammlung, aber von einem Dr. Drexel war nichts zu sehen. Wie will er nun gegen Herrn Professor Wahrmund aussagen? Auf sein anwesendes Unterläufl wird er sich doch nicht ausreden wollen? Wahr ist, daß Professor Dr. Ludwig Wahrmund in seiner Rede wohl dem Klerikalismus das Todesurteil sprach und die römische Kirche mit einem verdorrten Baum oder so ähnlich verglich, aber mit der christlichen Religion hatte diese Kritik der Klerikalen nichts zu tun, da die katholische Kirche und Religion zwei grundverschiedene Begriffe sind. Mit dem Dr. Drexel als Kronzeugen dürfte Mayr kein Glück haben.“[14]

Mit Wahrmund solidarisierten sich deutschnational-liberale und sozialdemokratische Abgeordnete, die Zeitungen aus diesen Lagern sahen die Freiheit der Wissenschaft durch die Angriffe auf den Theologieprofessor bedroht. Und keinem geringeren als dem späteren tschechoslowakischen Präsidenten Thomáš Masaryk war es vorbehalten, zu dieser Causa eine große Parlamentsrede zu halten. Durch eine Kompromißformel, der alle politischen Lager zustimmen konnten, rettete Dr. Karl Drexel vorübergehend den parlamentarischen Burgfrieden.[15]

Nach einem öffentlich zugänglichen Vortrag der „Freien Schule” am 18. Jänner 1908 in Innsbruck zum Thema “Katholische Weltanschauung und freie Wissenschaft”, bei dem Wahrmund seine bisher schärfsten antiklerikalen Formulierungen gebraucht hatte, liefen jedoch die katholischen Professoren und Studenten Sturm. Schon im November war es zu Prügeleien an der Universität zwischen den Anhängern Wahrmunds und seinen Gegnern gekommen, so daß dieses Semester ganz im Zeichen dieser Auseinandersetzung stand.

 

Höhepunkt der "Wahrmund-Affäre": Schließung der Universität

Als Wahrmund seinen Vortrag als Broschüre herausgab, schritten die Behörden ein und konfiszierten sie umgehend. Nach der Vorsprache des Apostolischen Nuntius in Wien beim Außenminister Aloys Graf Lexa von Aerenthal nahm diese Affäre internationale Ausmaße an. Um die Wahrmund-Vorlesung im Sommersemester zu verhindern, wurde sogar die Universität vorübergehend geschlossen, was auch zu studentischen Unruhen in Graz, Brünn, Czernowitz, Wien und Leoben führte. Der Kaiser, gemahnt an die Revolution von 1848, wies den Unterrichtsminister unmißverständlich an, dem “Skandal ein Ende” zu bereiten. Schließlich wurde der Kirchenrechtler von Innsbruck nach Prag versetzt , und am Ende konnte keine Seite einen völligen Sieg verbuchen: Der katholischen Seite war es trotz der Intervention des Vatikans nicht gelungen, Wahrmund völlig aus dem Lehramt zu vertreiben, die Liberalen konnten sich mit ihrer Forderung, den Kirchenrechtler und Kinderfreundeobmann in Innsbruck zu belassen, nicht durchsetzen.

Daß unter solchen Auspizien ein Wahrmund-Vortrag auch in Vorarlberg zu einer politischen Skandalisierung führte, ist begreiflich. Gegen die angestrebte Ortsgruppengründung im deutschfreiheitlich regierten Bregenz unter Bürgermeister Ferdinand Kinz protestierte der „Katholische Schulverein“ und Landeshauptmann Adolf Rhomberg polemisierte vor allem gegen Professor Wahrmund, der kurz zuvor in Dornbirn gesprochen hatte. Der Landeshauptmann stellte fest, Wahrmund “habe alles in Schatten gestellt, was jemals jemand in Vorarlberg zu sagen die Frechheit hatte”. Wahrmund habe sich – so der Landeshauptmann – in Innsbruck “Blasphemien zuschulden kommen (lassen), wobei die Versammlungsteilnehmer, namentlich die Weiber ... vor Lachen förmlich wieherten”[16].

Der Dornbirner Ortsverein war mit dem Auftritt Wahrmunds jedoch mehr als zufrieden gewesen, hatten sich doch angeblich rund dreißig Zuhörer nach dem Vortrag spontan dem Verein angeschlossen.[17]

Bei der Bregenzer Ortsgruppengründung am 14. März 1908 wurde eine Resolution verabschiedet, in der Wahrmund, “dem wackeren Vorkämpfer für Wahrheit und Recht, dem Verteidiger freier wissenschaftlicher Forschung”, für “seinen Opfermut und seine Unerschrockenheit im Kampfe um die höchsten Menschenrechte” die Unterstützung versichert wurde.[18]

Im Zentrum der Veranstaltung standen die ideologische Kritik am politischen Gegner und die Auseinandersetzung des Vorsitzenden mit dem Syllabus von Papst Pius IX. und der antimodernistischen Haltung von Papst Pius X. Daneben stellten Versammlungsteilnehmer auch zukunftsweisende Forderungen: Ein Diskussionsteilnehmer regte die Einführung von Schulärzten und von Schulzahnärzten an, die Errichtung einer allgemeinen städtischen Mädchen-Volks- und Bürgerschule wurde “wärmstens” begrüßt. [19] Ein besonderes Vereinsanliegen war auch die Einführung von Elternabenden.

 

Geistliche im Kampf gegen die "Freie Schule"

Eine besondere Rolle im Kampf gegen die „Freie Schule” spielte in Dornbirn Dekan Anton Ender, seines Zeichen Stadtpfarrer, Bezirksschulinspektor und ultrakonservativer Politiker. Konsequent bekämpfte er alle, die seine erzkatholische Weltanschauung nicht teilten. Alles Nichtkatholische war ihm mehr als suspekt. Aber selbst im eigenen Lager stieß er wegen seiner ultrakonservativen Einstellung zum Teil auf Widerstand. 1908 – kurz nach seinem Amtsantritt – lud die „Freie Schule" Dr. Theodor Bernhard zu einem Vortrag über "Schule und Klerikalismus" ein. Der Redner rief die katholischen Eltern dazu auf, ihre Kinder von den religiösen Übungen fernzuhalten. Auf Veranlassung des Pfarrers ließ der hiesige Orts- und Bezirksschulrat ein weiteres Auftreten des Redners verbieten.[20]

Unter Dekan Ender hatten besonders die Kinder in der Schule zu leiden, wenn sich die Eltern dem umfassenden Herrschaftsanspruch der katholischen Kirche nicht fügen wollten. So mußte jedes Kind ein Kirchenbüchlein haben, in das der Kirchenbesuch eingetragen wurde. Wer keine Eintragung vorweisen konnte, mußte im Unterricht aufstehen und wurde solcherart angeprangert. Doch nicht genug damit: Ender soll sogar in seiner Eigenschaft als Bezirksschulinspektor Lehrer körperlich gezüchtigt haben![21] Wenn schon Lehrer so behandelt wurden, wie erst die Kinder!

Ender war jedoch beileibe nicht der einzige, der von der Kanzel herab gegen die „Freie Schule” wetterte. Solche Predigten hielt auch der Hatler Pfarrer Ferdinand Gierer, nachmals Dornbirner Ehrenbürger.[22] Die „Freie Schule” galt ihm als Hort der „Freimaurerei“, und der Kirchenmann war felsenfest davon überzeugt, daß die dahinter steckende Gesinnung wie der Protestantismus mit allen Mitteln bekämpf werden müsse.

Der Obmann der „Freien Schule“, Stadtrat Dr. Franz Feierle, stand in ständigem Konflikt mit dem Dornbirner Klerus und mehrmals stellte er seine Vorträge unter das Motto: “Wie entkräftet man die gegnerischen Angriffe gegen die Freie Schule?”[23] Haßerfüllte Kommentare im „Volksblatt“ waren die Antwort, beide Seiten schenkten sich nichts.

Nach der „Wahrmund-Affäre“ verstärkten sich im christlichsozialen Lager die antisemitischen Ausfälle: “Sozialdemokraten und bürgerliche Freisinnige fanden sich, all jene, die vom Hasse gegen die Ordnung geleitet sind. Diesen Leuten ist nicht zu helfen, wenn man auch alles täte, was sie in ihrem Wahnwitz verlangen. Die Vorarlberger fallen auf die Kniffe der total verjudeten ‚Freien Schule‘ nicht herein; dazu sind sie zu kernhaft deutsch und zu vernünftig. Man läßt die Herren Hebräer und ihre Sendlinge schreien, soviel sie wollen. Das helle Sonnenlicht, das uns erfreut, ist den Maulwürfen in ihren verkümmerten Augen lästig.”[24]

Feierle, der für eine „Koalition aller Freiheitlichen aller Nationen, Konfessionen und Gesellschaftsschichten zum Schutze aller kulturellen Güter“[25] eintrat – und damit in seinem eigenen politischen Lager zunehmend auf Widerstand stieß –, wurde im „Volksblatt“ dafür mit Häme überschüttet: “Das ist zwar nichts Neues, die Judenpresse predigt dies seit jeher, aber daß Dr. Feierle, der deutsche Auchkatholik, vor einer Versammlung, die größtenteils aus verhetzten Juden und Sozialdemokraten bestand, diese Aufforderung feierlich wiederholte, das ist das Nette daran ... Alle Nationen, Konfessionen und Gesellschaftsschichten sollen also zusammenhalten. Deutsche und Juden, Tschechen und Italiener, Slovenen und Slowaken, alle sind willkommen; der Fabrikant und der Sozialdemokrat, der Gewerbetreibende und der Arbeiter und der Bauer, alle vereint in rührender Eintracht zum Schutze der ‚kulturellen‘ Güter, etwa wie die ‚Freie Judenschule‘! ... Aber wie verträgt sich denn diese Forderung mit der Haltung unseres Freisinns daheim? Dr. Jörg Rädler, der Antisemit! Dr. Jörg Rädler, der Gegner der Sozialdemokratie, der Deutschnationale! Der deutsche, volksbewußte, judenfeindliche, antisozialdemokratische ‚Volksfreund‘!”[26]

Die Haltung Feierles sei “ein großer Schwindel”, “waschecht judenliberal” und deshalb entlarve sie die Doppelbödigkeit des Vorarlberger Freisinns. Der “Vorarlberger Volksfreund” replizierte diese Angriffe mit der Notwendigkeit, daß im “mittelalterlich-rückschrittlichen Donaustaat, der von Krummstab und Mönchskutte” regiert werde, alle “freigesinnten Elemente” zusammenstehen müßten.

Diese Beteuerungen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich auch das liberale Lager längst schon im antisemitischen Fahrwasser befand. Aus den ehemals Liberalen waren nunmehr "Völkisch-Nationale" geworden, und dies blieb bei der vielfältigen personellen Verknüpfung nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung zur “Freien Schule”.



[1]     Volks-Zeitung (= VZ), Nr. 13/1905.

[2]     Mittersteiner, Reinhard: Ein roter Punkt in dem schwarzen Meere ringsum. Am Beispiel des Vereins Arbeiterheim. Die Anfänge sozialdemokratischer Milieukultur in Dornbirn. In: Dornbirner Schriften XXII, S. 5-57, hier S. 30.

[3]     Feldkircher Zeitung (= FZ), 14.10.1905.

[4]     Vorarlberger Volksfreund (= VVfr), 9.9.1905.

[5]     Vorarlberger Tagblatt, 31.3.1906, S. 1.

[6]     Vorarlberger Volks-Blatt (= VV), Nr. 14/1906.

[7]     VZ, Nr. 13/1905.

[8]     VZ, Nr. 75/1907.

[9]     VV, Nr. 14/1906.

[10]    K.K. Real- und Obergymnasium Feldkirch (Hg.), 51. Jahresbericht, 1905–1906.

[11]    Vorarlberger Landes-Zeitung (= VLZ), 27.1.1908.

[12]    Eine ausführliche Darstellung dieses “Skandals” findet sich bei Kuprian, Hermann J. W.: „Machen Sie diesem Skandal ein Ende. Ihre Rektoren sind eine nette Gesellschaft.“ Modernismusdiskussion, Kulturkampf und Freiheit der Wissenschaft: Die Wahrmund-Affäre 1907/08, in: Gehler, Michael (Hg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thauer-Wien-München 1995, S. 99–127.

[13]    VZ, Nr. 36/1907.

[14]    VZ, Nr. 101/1907.

[15]    Kuprian (wie Anm. 12), S. 114.

[16]    VLZ, 9.3.1908.

[17]    VZ, Nr. 36/1907.

[18]    Ebd.

[19]    VLZ, 16.3.1908.

[20]    Bregenzer Tagblatt, 14.10.1908.

[21]    Metzler, Franz Gebhard: Monsignore Anton Ender - Dekan und Stadtpfarrer in Feldkirch. Ein Lebensbild. Feldkirch 1954, S. 25.

[22]    VZ, Nr. 78/1907.

[23]    Gemeindeblatt Dornbirn, Nr. 16, 17.4.1910.

[24]    VV, 24.7.1912.

[25]    BTB, 9.4.1914, S. 2.

[26]    VV, 9.4.1914.

 

Der Dornbirner Stadtpfarrer und ultrakonservative Politiker Anton Ender bekämpfte die „Freie Schule“ als „Teufelswerk“.

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„Villa Kunterbunt“ in Dornbirn. Heute Sitz der Landesleitung der sozialistischen Vorarlberger Kinderfreunde. Das „bürgerliche Haus“ ist Sinnbild für die Wurzeln des Vereins: Liberale Bürgerliche und sozialdemokratische Underdogs fanden sich 1905 im Verein „Freie Schule“.

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