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Harald Walser (1980/1982): Die Hintermänner. Vorarlberger Industrielle und die NSDAP 1933-1934

Die erste kritische geschichtswissenschaftliche Veröffentlichung zu den einflussreichen Personen, die hinter der nationalsozialistischen Bewegung in Vorarlberg standen, und damals ein Tabubruch: weil man es hierzulande bis dahin nie so genau hatte wissen wollen.

Harald Walser

Die Hintermänner

Vorarlberger Industrielle und die NSDAP 1933–1934

 

Erschienen in: Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte. Hrsg. von Meinrad Pichler, Bregenz: Fink's Verlag 1982 (1. Aufl.; 2. Aufl. 1983), S. 96-106; erstmals unter dem Titel "Wer stand hinter der NSDAP?" in: Zeitgeschichte 8 (1980), S. 288-297

 

Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen der NSDAP und den großen Unternehmern Vorarlbergs in den Jahren 1933 und 1934.

In diesem Zusammenhang erweist sich unter der Literatur zur neueren österreichischen Geschichte besonders das Werk von Norbert Schausberger "Der Griff nach Österreich" (1) als anregend. Denn mit diesem Buch gelang es dem Autor, den "großdeutschen Gedanken" im wesentlichen als Gedanken einer großdeutschen Wirtschaftseinheit darzustellen. Diese Behauptung wird verständlich und erklärbar, wenn man weiß, daß im "Jahre 1930 ... bereits rund zwei Drittel der österreichischen Großindustrie vom ausländischen, davon die Hälfte allein vom deutschen Finanzkapital beherrscht (wurden)" (2).

In Vorarlberg war die Situation etwas anders, denn die alles beherrschende Textilindustrie war und ist noch heute zu einem großen Teil in den Händen ansässiger Unternehmer. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß gerade in den dreißiger Jahren einige Fabriken an Reichsdeutsche verkauft wurden.

 

Die politischen Verhältnisse zu Beginn der dreißiger Jahre

 

Die große Weltwirtschaftskrise und das Ansteigen der Arbeitslosigkeit führten in Vorarlberg zu einer Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen. Bei den Landtagswahlen am 6. November 1932 gelang es der NSDAP, wie überall in Österreich, ihren Stimmenanteil erheblich zu vergrößern. Die Nationalsozialisten konnten ihre Stimmen von 774 im Jahre 1928 auf 8 033 steigern und erhielten im neuen Landtag zwei Mandate. Den Christlichsozialen gelang es mit 43 346 Stimmen (18 Mandaten) nur knapp, ihre Zweidrittelmehrheit zu verteidigen. Zum Teil auf Grund des sensationellen Ergebnisses der erstmals kandidierenden KPÖ (2 615 Stimmen) verlor auch die Sozialdemokratische Partei erheblich an Boden. Gegenüber der Landtagswahl 1928 verringerte sich ihre Wählerschaft um rund 4300 (Stand 1932: 11 906 Stimmen), und sie hielt nun bei vier (1928 sechs) Mandaten. Der Landbund und die Großdeutsche Partei erreichten jeweils ein Mandat.

Wichtiger aber als das Wahlergebnis, das ja keineswegs einen "Erdrutsch" im politischen Kräfteverhältnis herbeiführte, waren die sich ändernden politischen Vorstellungen der wirtschaftlichen und politischen Machtelite im Lande.

Die traditionell liberalen und großdeutschen Vorarlberger Textilfabrikanten (3) wandten sich in dieser Zeit allmählich von "ihren" Parteien ab und unterstützten immer offener die Gruppierungen der extremen Rechten. Bereits Anfang der dreißiger Jahre kamen diese Unternehmer deshalb mit der Arbeiterkammer in Konflikt, weil die Textilfabrikanten "wiederholt faschistische Heimwehrinteressen vertraten und schließlich auch nationalsozialistischen Bestrebungen Gehör schenkten" (4).

Auch die Arbeitslosen wurden durch ihre unerträgliche wirtschaftliche Lage radikalisiert. Eine am 2. Jänner 1933 von einigen hundert Arbeitslosen in Bregenz durchgeführte Demonstration - sie wurde von Funktionären der damals sehr aktiven KPÖ geleitet - erregte die Gemüter. Einer Abordnung der Arbeitslosen erklärte der damalige Landeshauptmann Dr. Ender, daß "in den vergangenen Jahren der Zuzug aus Innerösterreich nach Vorarlberg so stark gewesen sei, daß das kleine Land mit seiner geringen Einwohnerzahl nicht mehr imstande sei, allen Zugezogenen Arbeit zu bieten" (5). Diese lapidare Antwort führte zu tumultartigen Ausschreitungen, sodaß nur mit Hilfe der Gendarmerie die Stürmung des Landesregierungsgebäudes verhindert werden konnte (6).

Ende November 1932 gab es in Vorarlberg 7 740 unterstützte Arbeitslose, von denen 3 229 nur die Notstandsaushilfe erhielten, d. h., sie waren schon mehr als dreißig Wochen arbeitslos und schieden daher von der Masse der Vollunterstützten aus (7).

 

Die Zuspitzung des Konflikts zwischen dem Deutschen Reich und Österreich

 

Zu Beginn des Jahres 1933 wurde vom Deutschen Reich aus ein "groß angelegter Propagandafeldzug ... gegen Österreich und die Regierung Dollfuß geführt" (8). Mitte Mai erfolgte die Ausweisung des bayerischen Justizministers Hans Frank, der in Österreich an der Spitze einer antiösterreichischen Kampagne stand. Diese Ausweisung führte zu einer Eskalation des schwelenden Konfliktes und zum Bruch zwischen den Regierungen Dollfuß und Hitler. Die Regierung des Deutschen Reiches verhängte am 27. Mai 1933 die sogenannte "Tausend-Mark-Sperre". Das vom Fremdenverkehr stark abhängige Österreich sollte durch diese Maßnahme ruiniert werden (9).

Die nationalsozialistischen Formationen in Österreich wurden angewiesen, das politische Klima durch verstärkte Aktivitäten zu vergiften. Die SA (Sturmabteilung) bekam in dieser Zeit folgenden Befehl: "Die derzeitige Regierung darf nicht zur Ruhe kommen. ... Die Führer der Stürme haben diese Anordnung sofort als Befehl an die unterstehenden örtlichen S.A.-Führer hinauszugeben" (10).

 

Die Terrorwelle der NSDAP in Vorarlberg

 

In Vorarlberg lag das Zentrum der nationalsozialistischen Terrorwelle in den Gemeinden Dornbirn und Lustenau, den Zentren der Vorarlberger Stickerei- und anderer Textilindustrie. Auf Grund der vielen Attentate entschloß sich der Landeshauptmann am 2. Oktober 1933, einen politischen Kommissär, "nämlich Dr. Adolf Straub von der Wiener Bundespolizeidirektion", einzusetzen (11).

Die Anschläge gingen dennoch weiter. So explodierten beispielsweise am 10., 11., 12., 14. und 15. Oktober an mehreren Stellen Dornbirns Böller. Nachdem auch am 7., 8. und 9. November eine ähnliche "Böllerwelle" über das Stadtgebiet hinweggegangen war, sah sich Dr. Straub veranlaßt, die Sperrstunde der Gasthäuser auf 22 Uhr herabzusetzen. Bekannte Nazi-Gaststätten mußten schon um 19 Uhr schließen. Ab 22.30 Uhr durfte man nicht mehr ohne Bewilligung auf der Straße angetroffen werden (12).

Da diese Maßnahme - sie wurde übrigens auch in Lustenau angewandt - erfolglos blieb und nach dem Wahlerfolg der NSDAP im Deutschen Reich eine neuerliche Terrorwelle die Stadt erschütterte, wurde die Sperrstunde am 13.11.1933 im ganzen Ortsgebiet auf 19 Uhr, die Ausgangssperre auf 20 Uhr herabgesetzt. Es kann kaum verwundern, daß trotz dieser Maßnahmen der Terror weiterging. Am 10.12.1933 wurde sogar das Dornbirner Rathaus durch einen Anschlag schwer verwüstet (13).

Den Höhepunkt erreichte die Terrorwelle aber erst im Jänner 1934, als fast täglich bis zu 25 Bölleranschläge im Gebiet der Stadt Dornbirn gezählt wurden. Die Täter konnten meist nicht ausgeforscht werden. War dies aber dennoch der Fall, so waren die Strafen zumeist wirkungslos. Die wurden nämlich von der NSDAP oder von einer Firma bezahlt. Dies ist für das Unternehmen F.M. Hämmerle belegt, wo noch vor der großen Böllerwelle, also bis zum Oktober 1933, etwa zwanzig Angestellte und Arbeiter politische Strafen erhalten hatten (14).

Im Zuge der Februarereignisse des Jahres 1934 ebbte die Terrorwelle ab und nahm erst in den Wochen unmittelbar vor dem Juli-Putsch wieder zu (15).

 

Die Beziehungen der Textilunternehmer zur NSDAP

 

Das Zentrum der Vorarlberger Textilindustrie, Dornbirn, war von der ungeheuren Krise dieser Branche besonders betroffen. Dies führte dazu, daß alle Betriebe zur Kurzarbeit übergehen mußten. "Die rund 5.000 noch in der Textilindustrie Beschäftigten erhielten für ihre Kurzarbeit einen so geringen Lohn, daß dieser sogar unter dem Niveau der Arbeitslosenunterstützung lag" (16). Die Behörden des Landes waren der Situation nicht gewachsen und versuchten, im Lande befindliche innerösterreichische Arbeitslose abzuschieben. Diese wurden "zusammengefangen, in Arreste gesteckt (und) ... willkürlich auf fünf Jahre des Landes verwiesen und wie Landstreicher auf den Schub geschickt. Dabei handelt es sich z.T. um Arbeitslose, die seit Jahren in Vorarlberg ansässig sind und entweder die Arbeitslosenunterstützung oder die Notstandsaushilfe beziehen" (17).

Wie bereits erwähnt, entschlossen sich in dieser Zeit die einflußreichsten Unternehmer des Landes, beeindruckt vom Erfolg der "nationalen Einigung" im Reich, eine gemeinsame Kampffront mit der NSDAP zu bilden. Dies geschah natürlich nicht expressis verbis, sondern auf dem Umweg über die Großdeutsche Partei und deren Organ, das "Vorarlberger Tagblatt" (18). "Die Großdeutsche Volkspartei in Vorarlberg bekundet ihre Bereitschaft zu dieser gemeinsamen Kampffront im besonderen dadurch, daß sie auf das Herausgaberecht des Vorarlberger Tagblattes verzichtet..." (19).

Doch auch die direkte Unterstützung der NSDAP durch Unternehmer ist nachweisbar. Noch vor dem Verbot der Partei konnte der Führer der Vorarlberger Nationalsozialisten, Anton Plankensteiner, bei einer Rede in den Rankweiler Hirschensälen am 11. Juni 1933 auf die guten Beziehungen der Partei zu den Unternehmern hinweisen. Der anwesende Vertreter der Behörde vermerkte in seinem Bericht: "Unter anderem forderte der Redner auch zur treuen Gefolgschaft auf und ermahnte seine Genossen, vor eventuellen Strafen nicht abzuschrecken, da Geldstrafen ... ja ohnehin von den N.S.D.A.P.-Fabrikanten von Dornbirn bezahlt werden. Die einzelnen Ortsgruppen hätten die Strafbeträge allmonatlich nur in einem Verzeichnis dem Bezirksobmann Plankensteiner nachzuweisen" (20).

Für das Jahr 1935 ist sogar nachweisbar, daß die wegen politischer Delikte mehrmals verurteilte Fabrikantentochter Erika Rhomberg öfters Geldbeträge an führende Funktionäre der illegalen Partei übergeben hat. Die Behörden berichteten damals, daß "ohne Zweifel Erika Rhomberg, die bei allen Fabrikanten und wirtschaftlich bessergestellten Nationalsozialisten in Dornbirn Zutritt hat, als Sammlerin dieser Gelder in Betracht" komme (21).

Die Nazis brüsteten sich mit ihren prominentesten Geldgebern und scheuten sich nicht, die Namen einiger bekannter Unternehmer im "Roten Adler", dem "Kampfblatt der NSDAP für Tirol und Vorarlberg", zu nennen. Dies war beispielsweise bei der Verhaftung einflußreicher NS-Sympathisanten Ende 1933 der Fall (22).

Vor allem die Teilhaber der Firma F.M. Hämmerle waren es, die die NSDAP immer wieder finanziell und personell unterstützten. Der Seniorchef des Unternehmens, Kommerzialrat Victor Hämmerle, langjähriges Mitglied der Großdeutschen Partei, veranstaltete zusammen mit dem Führer der NSDAP, Anton Plankensteiner, eine Hilfsaktion für die Geschädigten einer Hochwasserkatastrophe im Montafon. Aus dieser Aktion wurde ein derartiger Propagandafeldzug für die Nationalsozialisten, daß sich die Landesregierung gezwungen sah, die Bewilligung für diese Sammlung wieder zurückzuziehen (23). Der Gendarmerieposten Dornbirn, der, wie noch zu beweisen sein wird, keineswegs radikal Front gegen die einheimischen Unternehmer machte, vermutete in einem Brief an den Sicherheitsdirektor: "Richtig mag auch sein, daß er (Victor Hämmerle; H.W.) die Partei finanziell unterstützt" (24). Trotz dieser Vermutungen - sie waren ein offenes Geheimnis - wurde Victor Hämmerle am 27. Februar 1935 zum Ehrenbürger von Dornbirn ernannt. Hans Nägele, früher selbst Nationalsozialist, der sich hauptsächlich mit der Vorarlberger Unternehmergeschichte befaßte, meint von diesem Fabrikanten:

"Die Aufgabe, die das Schicksal Victor Hämmerle als Gesellschafter und Seniorchef der Firma F.M. Hämmerle auf sozialem, politischem und kulturellem Gebiete gestellt hat, war sehr groß; nur eine außerordentliche Persönlichkeit wie die Victor Hämmerles, nur ein Mann von echtem Schrot und Korn konnte sie lösen. In der Geschichte unserer Heimat im 19. und 20. Jahrhundert wird die Gestalt Victor Hämmerles allzeit als Vorbild gelten" (25).

Der Schwiegersohn Victor Hämmerles und Prokurist des Unternehmens, Gustav Wagner-Wehrborn, war den Behörden seit langem als führendes NSDAP-Mitglied bekannt. Wagner-Wehrborn tat sich vor allem als Finanzier der Partei hervor und wurde von dieser "Mitte April 1933 mit der Aufstellung eines Motor-SA-Sturmes für das Land Vorarlberg" betraut, was ihm "in kürzester Zeit" auch gelang (26). Auf Grund illegaler Tätigkeit für die NSDAP wurde er mehrmals verhaftet und verurteilt. Als er am 17. April 1934 mit dem Zug aus dem Anhaltelager Kaisersteinbruch zurückkehrte, wurde er am Bahnhof von ca. zweitausend Personen erwartet, was der "Rote Adler" am 30.4.1934 triumphierend berichtete (die Anzahl der Personen ist sowohl im "Roten Adler" als auch im Gendarmeriebericht mit 2 000 angegeben). Der "Rote Adler" verschweigt allerdings, daß in einigen Dornbirner Firmen "Sorge getragen (wurde), daß die Arbeiter und Angestellten sämtlicher Betriebe von der Ankunft des Barons Kenntnis erlangen", also mit "sanftem Druck" aufgefordert wurden, ihn am Bahnhof zu empfangen (27). Die Behörden standen diesem von langer Hand geplanten Propagandaunternehmen hilflos gegenüber. Auffallend war, daß für Wagner-Wehrborn kein Auto zur Verfügung stand; es lag also "zweifellos die Absicht (vor), den Baron Wagner zu Fuß durch die Menge zu führen, damit die Anwesenden Gelegenheit haben, ihn zu begrüßen" (28).

Es gibt noch eine Reihe weiterer Hinweise, daß führende Angestellte und Teilhaber der großen Dornbirner Textilunternehmen Beziehungen zur (illegalen) NSDAP unterhielten (29).

Insgesamt schätzten die Behörden die Zahl der Parteimitglieder in Dornbirn auf 3 000 bis 4  000. Diese stammten "hauptsächlich aus den Kreisen der Handels- und Gewerbetreibenden, aus der Angestelltenschaft und auch aus der Dornbirner Realschule. ... Daß sich die NS(DA)P in Dornbirn so rasch entwickelt hat, ist in erster Linie dem Einfluß der dortigen Fabrikanten zuzuschreiben, von denen ein Großteil der Bevölkerung irgendwie abhängig ist" (30). Dieses Zitat - es ist einem Bericht der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch an die Sicherheitsdirektion entnommen - trifft die Situation in Dornbirn sehr genau.

 

Der Einfluss der Unternehmer auf die Behörden und die Bevölkerung

 

Es gibt eine Reihe von Hinweisen, daß es den Behörden oft genug am Mut und an der Energie fehlte, gegen die einflußreichen Hintermänner der NSDAP vorzugehen, da verschiedentlich angenommen wurde, die Gendarmerie stecke mit den Unternehmern "unter einer Decke". Darauf deutet eine ganze Reihe von Anzeigen hin, die der Sicherheitsdirektion für Vorarlberg in den Jahren 1933 und 1934 zugingen.

So beschwerte sich am 16. Oktober 1933 der Sekretär des Christlichen Arbeitersekretariats, Lorenz Dür, über vier namentlich genannte Gendarmeriebeamte des Postens Dornbirn, da diese "besondere Aufmerksamkeit und Ergebenheit gegenüber den NS-Fabrikanten (Eugen Rhomberg, Victor Rhomberg, Dr. Ginzel, Dr. Paul Rhomberg, Siegfried Nosko, Frl. Cleweta)" zeigten (31). Nach einer ausführlichen Beschreibung der Zustände in der Firma F.M. Hämmerle wurde sogar der Bezirkshauptmann Dr. Graf angegriffen: "All das zusammengenommen erweckt unwillkürlich den Eindruck, als ob die BH Feldkirch bzw. ihr Chef das Protektorat und die Anwaltschaft für die verfolgten Nationalsozialisten übernommen hätte..." (32) Im Protokoll der Ortsleitungssitzung der Vaterländischen Front vom 25.9.1933 steht: "Die Bevölkerung ärgert sich ständig über die Gendarmerie... Wir verlangen gründliche Ordnung, sonst hört unsere Arbeit auf. In Bregenz begreift man die Verhältnisse in Dornbirn nicht. Es ist dringend notwendig, daß nach Dornbirn eine andere Exekutive kommt: 20 Bundespolizisten und eine Garnison." Weiters meinten die Führer der Vaterländischen Front, ihre Organisation müsse sich "auf ein Treffen mit der NSDAP, die vielleicht stärker ist als wir, (vorbereiten)" (33). "Die Arbeiterschaft hat längst die Überzeugung, daß man in Bregenz gegenüber den Herrn Fabrikanten sich zu schwach zeigt. Es hat den Anschein, als ob die Regierung tatsächlich einen Kniefall vor dem Geldsack gemacht habe" (34). Trotz dieser Beschwerden und Forderungen, die sämtlich von den Parteifreunden des Landeshauptmannes stammen, wurde das Vertrauen der Bevölkerung (durch die Maßnahmen der Landesregierung und ihr untergebener Organe) in die staatlichen Behörden nicht größer. Der den Nazis besonders verhaßte Lorenz Dür richtete am 18. Jänner 1934 einen weiteren Beschwerdebrief an den Sicherheitsdirektor:

"... Solange die zuständigen Faktoren nicht wissen wollen oder den Mut nicht aufbringen, den Dornbirner Industriellen als den verantwortlichen Drahtziehern und Geldgebern der NSDAP das Handwerk zu legen, den zweifelhaften Exekutivorganen und öffentlichen Angestellten vaterländisches Denken und Handeln beibringen ..., hat es für den einzelnen keinen Zweck, sich für eine so zweifelhaft gewordene Sache einzusetzen. ... Ich ersuche Sie dringend, Herr Sicherheitsdirektor, sich zu interessieren für den Anteil, den die Dornbirner Industriellen, besonders die verschiedenen Teilhaber der Firma F.M. Hämmerle, am Tun und Treiben der NSDAP im Lande von Anfang an genommen haben; will man der Gefahr Herr werden, dann müssen in erster Linie diese Herren kleiner werden" (35).

Diese ausführlich zitierten Beschwerdebriefe und Protokolle bilden keineswegs Einzelfälle. Die zu einem großen Teil anonymen Anzeigen richten sich fast ausschließlich gegen die Textilunternehmer und gegen die Exekutivorgane in Dornbirn. Aber auch aus anderen Teilen Vorarlbergs sind solche Beschwerden an die Landesbehörden geschickt worden (36).

Es kann daher nicht verwundern, daß die Bevölkerung - gerade in Dornbirn - kaum offen gegen die Nationalsozialisten aufzutreten wagte. Insbesondere die Arbeiter der Fabriken mußten sich politisch den Vorstellungen ihrer Arbeitgeber anpassen. Die Ortsgruppe der Vaterländischen Front (VF) schrieb am 8.12.1933 an die Landesregierung: "Nationalsozialistisch eingestellte Arbeitgeber üben auf die hiesige Bevölkerung einen derartigen Druck aus, daß es nicht zu wundern wäre, daß Arbeiterkreise, die der VF gar nicht so ferne stehen, immer mehr von uns abrücken, wenn die Behörden nicht hinreichend helfen, daß jenem unheimlichen Drucke zumindest dort begegnet werde, wo es möglich und auch wirksam wäre" (37).

Daß dieser Druck und die Abhängigkeit der Arbeiter sehr realer Natur waren, zeigen viele Gendarmerieprotokolle, die mit entlassenen Arbeitern praktisch aller Dornbirner Textilunternehmen angefertigt wurden. Das Heimwehr-Mitglied Bruno Mätzler gab am 20.9.1933 auf dem Posten Dornbirn an, daß er wegen seiner Tätigkeit in der Heimwehr zum Prokuristen Wagner-Wehrborn und dem Firmenchef Hubert Hämmerle gerufen worden sei. Die beiden Herren hätten ihm nahegelegt, die Heimwehr, "die schließlich gegen die Firma arbeite", zu verlassen (38). Einem anderen Heimwehr-Mitglied derselben Firma, das ebenfalls zum Firmenchef gerufen wurde, empfahl sein Meister, es solle dem Chef "sagen, daß ich schon 2 Monate aus der HW ausgetreten sei und daß ich mich künftighin in der NSDAP betätigen werde. Er wolle dann ebenfalls sein bestmögliches tun, damit ich wieder im Betrieb weiterverbleiben könne. ... Er sagte dann, wenn ich mich bei der NSDAP betätigen und vielleicht dadurch eine Strafe mir zuziehen würde, so wäre ich beim Firmachef, Herrn Franz Hämmerle, in ganz anderem Ansehen und könnte mein Bleiben im Betrieb ziemlich gesichert sein. Über kurz oder lang werden ja doch alle H.W. Männer aus dem Betrieb hinausfliegen, man wird schon einen Grund finden..." (39). Schon das Verkehren "in Kreisen, die unserer Anschauung nicht passen" (40), genügte, um mit der Gefahr der Kündigung konfrontiert zu werden.

Im Oktober 1933 kam es dann zu weiteren politisch motivierten Entlassungen in der Firma F.M. Hämmerle (41). Nationalsozialistische "Personalpolitik" soll es aber auch in Textilunternehmen außerhalb Dornbirns gegeben haben. Schwere Beschuldigungen kamen in diesem Zusammenhang gegen den Direktor des Hohenemser Unternehmens "Neumann & Söhne" (die heutige Firma Otten) auf (42).

Die Beschuldigungen gegen die Vorarlberger Behörden, sie seien im Kampf gegen die Nationalsozialisten nicht konsequent genug, waren keineswegs aus der Luft gegriffen. Ein typisches Beispiel ist die Anfrage des Handelsministeriums über die politische Einstellung der Firmeninhaber von Josef Hubers Erben (Götzis), Bengers Söhne (Bregenz) und der Vorarlberger Trikotfabrik (Hohenems) wegen Heereslieferungen Ende 1933. Obwohl alle als Sympathisanten der Nationalsozialisten galten, gaben die Vorarlberger Behörden eine günstige Auskunft. Auf dem Akt steht zur Begründung der handschriftliche Vermerk: "Heereslieferungen wären sonst an Wiener Firmen vergeben worden" (43).

Den Arbeitern Vorarlbergs waren die politischen Vorstellungen der Unternehmer eher suspekt. "In der Vorarlberger Arbeiterschaft ... (bestand) ... eine klare Ablehnung des deutschen Nationalsozialismus" (44). Diese Ablehnung dürfte auch durch die Politik der meist nationalsozialistischen Unternehmer nicht abzubauen gewesen sein. Diese nützten ihre Stärke - die Gewerkschaften waren ja praktisch ausgeschaltet -, um Ende 1933 trotz der wieder etwas verbesserten Konjunkturlage die Löhne zu drücken. Bei der Firma F.M. Rhomberg hofften die Arbeiter nach der langen Kurzarbeit auf ein höheres Einkommen. "Sie konnten dies umso mehr glauben, als ja im Betrieb Hochkonjunktur herrscht, die letzte Rolleurmaschine in Gang gebracht wird und auch Arbeitskräfte neu eingestellt wurden. Die Arbeiterschaft war daher sehr überrascht, als ein Anschlag der Firma den Arbeitern zu wissen tat, sie sei gezwungen, einen Lohnabbau durchzuführen. ... Die Chefs der Firma sind stramme Hitleranhänger und beschäftigen auch mit Vorliebe gesinnungstreue Arbeiter..." (45).

 

Zusammenfassung

 

Die vorliegenden Quellen erlauben eine Antwort auf die Frage, warum es der NSDAP gerade in Dornbirn und den umliegenden Gemeinden gelungen ist, eine derart starke und dominierende Stellung im politischen Leben einzunehmen, wie dies Anfang der dreißiger Jahre der Fall war. Die wirtschaftlich und politisch so ungemein starke Position der Fabrikanten, ihre finanziellen Unterstützungen für die Partei und deren Mitglieder sowie die Bekämpfung politisch andersdenkender Menschen über den Umweg der Personalpolitik in den einzelnen Unternehmen waren sicherlich die ausschlaggebenden Faktoren. Daneben ist natürlich auch eine Art politischer "Großwetterlage" zu berücksichtigen, die die NSDAP vor dem Juli-Putsch begünstigte.

Zur Zeit, als die Vaterländische Front und die Heimwehr eine anscheinend fast absolute Herrschaft ausübten, konnten es sich Unternehmer in Dornbirn leisten, Arbeiter auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Heimwehr zu entlassen. Diese Tatsache belegt eine gewisse Hilflosigkeit der Behörden gegenüber den Wirtschaftskräften.

Nicht zu unterschätzen ist denn auch der Anteil der Behörden am Aufkommen der Nationalsozialisten, denn sie traten der Partei und ihren Hintermännern nicht energisch genug entgegen. Die Ursachen dafür sind sicher komplexer, als sie hier dargestellt werden konnten.

Die Bevölkerung erwies sich zunächst als nicht sehr anfällig für die nationalsozialistischen Ideen. Auf Grund der "Machtdemonstrationen" der "Nationalen" und der zögernden Haltung der Behörden arrangierte man sich aber schließlich mit der Partei. Denn gerade die Arbeiter, die dem direkten Zugriff der Fabrikanten ausgesetzt waren, wurden immer wieder durch Entlassungen verunsichert. Die anscheinend so machtvolle Kundgebung der Nazis bei der Rückkehr Gustav Wagner-Wehrborns aus dem Anhaltelager Kaisersteinbruch am Dornbirner Bahnhof ist offensichtlich nicht nur wegen der Beliebtheit des "Barons" bei den Arbeitern zustandegekommen: Die Angst vor Repressalien durch die Firmenleitung war - wie dargestellt wurde - keineswegs unbegründet. Die Arbeiter hatten kaum mehr die Möglichkeit, sich gegen Entscheidungen der Firmenleitung zu wehren. Die damals in Österreich herrschenden Politiker hatten durch die Niederschlagung der Arbeiterbewegung eine entscheidende Kraft im Kampf gegen den Nationalsozialismus aus blinder Angst vor der "roten Gefahr" selbst ausgeschaltet.

 

 

Anmerkungen

 

1)       Norbert Schausberger: Der Griff nach Österreich. Der Anschluß. Wien-München 1978.

2)       Ebd., S. 180.

3)       Vgl. Leo Haffner: Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservativismus. Bregenz 1977.

4)       Gerhard Wanner: Die Geschichte der Vorarlberger Kammer für Arbeiter und Angestellte 1921-1938. Ein Beitrag zur Geschichte der Vorarlberger Arbeiterbewegung. Feldkirch o.J. (1978), S. 75.

5)       VV, 11.1.1933.

6)       Ebd.

7)       Hubert Frommelt: Vorarlberg 1933/34. Die Anfänge des neuen Systems Dollfuß-Schuschnigg. (Hausarbeit aus Geschichte der Neuzeit an der Universität Innsbruck) Innsbruck o.J., S. 15.

8)       Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1934. München 1976, S. 215.

9)        Vgl. Gustav Otruba: Österreichs Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Wien-München 1968, S. 20.

10)      Das Braunbuch. Hakenkreuz gegen Österreich. Wien 1933, S. 15.

11)      Vgl. Frommelt (Anm. 7), S. 75.

12)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn 1933, Faszikel NS-Betätigung.

13)      Vgl. Anm. 12.

14)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn Zl. 194/1933.

15)      Vgl. Frommelt (Anm. 7), S. 124 ff.

16)      Ebd., S. 16.

17)      VW, 26.1.1933.

18)      Vgl. Frommelt (Anm. 7), S. 35.

19)      VT, 3.4.1933.

20)      VLA, LReg. Präs. 312/1933.

21)      VLA, BH Bregenz, III-Zl. 1138/1935.

22)      Vgl. Roter Adler, Jg. 2, 17.12.1933.

23)      Vgl. VT, 26. und 28.8.1933.

24)      VLA, LReg. Präs. 544/1933 (Brief vom 16.9.1933).

25)      Hans Nägele: Dornbirner Unternehmer. Leistung und Bedeutung der Gründer und Gesellschafter einiger Textilfirmen für die Wirtschaft, Politik und Kultur der Heimat. Lustenau 1965, S. 68.

26)      VT, 11.3.1939.

27)      VLA, BH Feldkirch, Sammelakt NS, Zl. 17/1934.

28)      Ebd.

29)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn Zl. 2/1934.

30)      VLA, LReg. Präs. 596-1/1933.

31)      VLA, LReg. Präs. 1033/1933.

32)      Ebd.

33)      Vgl. Anm. 31.

34)      Ebd.

35)      Ebd.

36)      VLA, LReg. Präs. 544/1934.

37)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn Zl. 520/1933.

38)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn Zl. 133/1933.

39)      Ebd. (Protokoll vom 18.9.1933).

40)      Ebd. (Protokoll vom 19.9.1933).

41)      VLA, BH Feldkirch/Politische Expositur Dornbirn Zl. 214/1933.

42)      Ebd., Zl. 36/1933.

43)      VLA, LReg. Präs. 1282-1/1933.

44)      Wanner (Anm. 4), S. 108.

45)      VW, 5.12.1933.

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Abkürzungen:

VLA    Vorarlberger Landesarchiv

VT      Vorarlberger Tagblatt

VV      Vorarlberger Volksblatt

VW     Vorarlberger Wacht

 

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