Sie sind hier: Startseite / Texte / Geschichte 19./20. Jh. / Harald Walser (1989): "Lieber mit Hindernissen Jahre kämpfen und dann..." - Reformansätze im Bregenzerwald zur Zeit Franz Michael Felders (1839-1869)

Harald Walser (1989): "Lieber mit Hindernissen Jahre kämpfen und dann..." - Reformansätze im Bregenzerwald zur Zeit Franz Michael Felders (1839-1869)

Die Abgeschiedenheit der Täler hat reformerisches Handeln in bäuerlichen Gegenden nicht verhindert. Die soziale und wirtschaftliche Krise des Bauerntums führte in Theorie und Praxis zu Gegenstrategien - zu aufklärerischem Denken, Genossenschaftsgründungen, politischer Bewegung. Das war ein Prozess, der ganze Dörfer an den Rand der Spaltung bringen konnte - wie die Berggemeinde Schoppernau im Bregenzerwald, den Heimatort des Bauern, Dichters und Sozialreformers Franz Michael Felder.


Harald Walser

"Lieber mit Hindernissen Jahre kämpfen und dann..."

Reformansätze im Bregenzerwald zur Zeit Franz Michael Felders (1839-1869)

 

Erschienen in: Die Roten am Land. Arbeitsleben und Arbeiterbewegung im westlichen Österreich. Hrsg. von Kurt Greussing. Steyr: Museum Industrielle Arbeitswelt 1989, S. 13-17.

 

Ende April 1844 wurde in der kleinen Vorarlberger Bauerngemeinde Sulzberg im Bregenzerwald der Schreiner Joseph Anton Huber verhaftet. Huber war erst wenige Wochen zuvor von der Walz zurückgekehrt und wurde von einem Spitzel angezeigt: Er habe in der Schweiz an Veranstaltungen kommunistischer Vereine teilgenommen. Bei einer Hausdurchsuchung wurden dann tatsächlich etliche "aufrührerische Schriften" gefunden: der "kleine Katechismus der Sozialreform", Eintrittskarten für die volkstümlichen Gewerbevereine in Lausanne, Genf und Yverdon sowie deren Statuten, ein Exemplar von Wilhelm Weitlings Blatt "Die junge Generation".

Besonders bedenklich aber erschien den Behörden ein Brief Hubers an seinen Vater, denn dieser enthalte "ein treues Bild communistischer Grundsätze".1

Diese behördlichen Recherchen wären nicht weiter erwähnenswert, gäbe es da nicht eine Reihe zusätzlicher Indizien dafür, daß sich im Bregenzerwald in der Mitte des vorigen Jahrhunderts etliche Aufklärer und Sozialreformer bis hin zu Sozialisten befanden. Und das ist ein erstaunlicher Befund für die doch eher abgelegene Gebirgsregion. Diese den modernen sozialen und politischen Strömungen offen gegenüberstehenden Menschen waren zudem keine "Zugewanderten", sondern durchwegs Einheimische.

Wie konnte es in der von der Landwirtschaft dominierten Gesellschaft des Bregenzerwaldes, wo es praktisch kein Proletariat gab, dazu kommen?

 

***

 

Im Jahre 1884 schrieb der Franzose Jules Gourdault nach einem Besuch im Bregenzerwald:

"Jene, die keinen Platz an der Sonne haben oder für die es keinen Platz in der Herberge gibt, sind deshalb nicht in Verlegenheit. Leichten Fußes wandern sie aus, die Mehrzahl als Gipser (Stukkateure), andere wieder als Holzarbeiter. ... Die Frauen sticken gern Vorhänge aus feinem Nesseltuch. Die Region hat keine echten Fabriken, aber in zahllosen Häusern, selbst in einfachen Hütten im ganzen Bregenzerwald entdeckt man Handarbeiten, Stickrahmen, wie im Schweizer Kanton Appenzell."2

Die Idylle war ein Trugbild des Reisenden: Die Armut war allgegenwärtig. Die Frauen stickten in den meisten Fällen nicht "gern", sondern aus Not. Die Männer wanderten in der Mehrzahl nicht "leichten Fußes", sondern oft schweren Herzens. Gerade in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Nebenerwerbsmöglichkeiten nur mehr beschränkt vorhanden, da mit der Mechanisierung der Spinnereien und später der Webereien das textile Heimgewerbe verdrängt wurde.

Der Bettel nahm im Tal immer mehr zu, sodaß sich einzelne Gemeindevorstehungen beziehungsweise die Pfarreien in großen Schwierigkeiten befanden. Im Jahre 1860 schreibt beispielsweise Aloys Stockmayr, der Pfarrer von Schoppernau, in seiner Pfarrchronik:

"Dieses Jahr zeichnete sich besonders durch die vielen Gassenbettler, namentlich Handwerksburschen, Vagabunden etc. aus; an manchen Tagen kommen mehr als 20 Bettler zur Pfarrtüre, im Durchschnitt kann ich annehmen täglich 5."3

 

Reformbestrebungen - "Partei der Gleichberechtigung"

 

In dieser Situation gärte es unter der armen Bevölkerung, aber auch etliche Wohlhabende sahen sich zu Reformvorschlägen veranlaßt.

Zu ihnen gehörte der Lithograph und spätere Landtagsabgeordnete der Liberalen Josef Feuerstein. Sein Vater hatte die größte Tabakproduktion in Vorarlberg betrieben und seinem Sohn ein bedeutendes Vermögen hinterlassen. Feuerstein beerbte zudem seinen Onkel Franz Xaver Feuerstein und erhielt so eine Steindruckerei in Bregenz. 1858 heiratete er die Tochter des vermögenden Landrichters von Bezau, dem Hauptort des Bregenzerwaldes. Er machte deren Elternhaus, den "Gasthof zur Sonne", zum Mittelpunkt der Intellektuellen und Reformer des Tales.4

Vermutlich über Vermittlung des Bezauer Gemeindearztes Dr. Gallus Greber kam Feuerstein mit dem Bauern und Dichter Franz Michael Felder aus Schoppernau, am Ende des Bregenzerwaldes, und dessen Schwager Kaspar Moosbrugger in Kontakt. Es entwickelte sich eine persönliche und politische Freundschaft, die allerdings auch von erheblichen inhaltlichen Differenzen geprägt war.

Zum einen konnte und wollte Feuerstein den "antikirchlichen" Vorstellungen Felders und vor allem Moosbruggers nicht folgen.5 Feuerstein war von seiner Herkunft und von seiner ökonomischen Stellung her, aber auch als "Realpolitiker" - Bürgermeister von Bezau und liberaler Landtagsabgeordneter - in der Kirchenfrage wesentlich konzilianter.

Zum andern unterschied sich Feuerstein von seinen Mitstreitern in der Beurteilung der "sozialen Frage" und deren Lösung. Während Felder auf der Linie des deutschen Sozialistenführers Lassalle wirkte, den er als "meinen Mann" bezeichnete und dessen theoretische Auseinandersetzungen er genau verfolgte6, vertrat Feuerstein eher bürgerlich-liberale Vorstellungen und mahnte zur Vorsicht. So in einem Brief vom 7. August 1866:

"Wäre des nicht besser gethan, wenn man nach dem Beispiele der Pionire zuerst im kleinen u. sicher vorgehen würde. Wenn man Consum Vereine gründen würde aber vorerst ganz im kleinen d. h. nur mit ein paar Gegenständen z. B. Salz, Kaffee, Gerste. Welch eine Menge Salz bedarf der Bregenzerwald, u. wie werden die Bauern übervortheilt, oft bei einem einzigen Sake um zwei Gulden! ...

Der Consum Verein wäre für das Volk eine Schule genoßenschaftlichen Strebens und man könnte so nach u. nach auf schwirigere Unternehmungen wie der Käsehandlung übergehen."7

Felder hatte für solche Konsumgenossenschaften nur Spott übrig: Er wollte das Volk "rührig" wissen und nicht zum "sparenden Philister" erziehen:

"Lieber mit Hindernissen Jahre kämpfen und dann etwas tüchtiges, zeitgemäßes, als mit kleinen Vereinen, die dem Meinen sicher von selbst folgen wie der Troß dem Fürstenwagen, die besten Kräfte im Land zersplittern und entzweien."

Felder wies in seinem mehrseitigen Antwortschreiben vom 10. August 1866 auch auf die systemstabilisierende Kraft solcher "Philistervereine" hin, wie sie vom deutschen Ökonomen Schulze-Delitzsch propagiert worden waren und wie sie auch von Feuerstein vertreten wurden:

"Da stand Schulze auf und predigte vom Sparen, vom im kleinen anfangen, von Consum und Vorschußvereinen. So wurde die Angst der deutschen Geldsäcke glücklich zerstreut. Dankbar dafür schenkten sie Herrn Schulze von Delitzsch 45.000 Thaler, wofür er nun wirken muß."8

Im hintersten Teil des Bregenzerwaldes traten also mit Felder und Moosbrugger Männer auf, welche die theoretischen Auseinandersetzungen über die Lösung der "sozialen Frage" verfolgten und selbst Partei ergriffen. Nicht nur das: Felder, Moosbrugger und Feuerstein gründeten schließlich sogar die erste Partei auf dem Gebiet der damaligen Monarchie, die sich ausdrücklich als Partei der arbeitenden Bevölkerung verstand - die "Vorarlbergische Partei der Gleichberechtigung".

Die Bezeichnung "Partei" stand allerdings in keinem Verhältnis zur Zahl der Mitglieder. Dennoch hofften die drei Männer, ihre "Partei" werde über kurz oder lang die stärkste des Landes.9

Wenden wir uns kurz den programmatischen Vorstellungen Felders und Moosbruggers zu:

"Gleichheit der Menschen ist das Princip unserer gesammten Kultur. Gleichheit des Rechts ist nur eine Consequenz desselben. Es ist daher ein ehrenhafter Zug unserer Zeit, Gleichberechtigung für Alle kräftig anzustreben, die unter Einem Rechtszustand (in Einem Staat) zusammenleben..."

Diese aufrührerisch anmutenden Worte schrieb Kaspar Moosbrugger in der programmatischen Schrift der Partei "Ruf aus Vorarlberg um Gleichberechtigung"10. Eine Konsequenz daraus war für Moosbrugger die Forderung nach "Associationen der Arbeiter zu eigenen Unternehmungen (Produktiv-Associationen)", deren Gründung vom Staat zu unterstützen sei.11

Wie konnten solche Gedanken in einem abgeschlossenen, bäuerlich geprägten Tal entstehen?

Felder, Moosbrugger und mit ihnen etliche andere Bewohner des Bregenzerwaldes wurden nicht zuletzt durch die vielen "Fremdler", wie man die saisonalen Auswanderer nannte, mit der "sozialen Frage" und den modernen sozialreformerischen Ideen bekanntgemacht. So finden sich im Nachlaß Felders viele "Fremdlerbriefe",12 wie jener Josef Natters aus Geneuille vom 1. Juli 1866. Natter beschreibt darin die Wohnsituation der Arbeiterinnen und Arbeiter - und zieht politische Konsequenzen:

"Bei uns würde man Bedauern mit Ziegen oder Schweinen haben, die man in solche Ställe hinein thun müßte. Doch Du weißt das gut genug, aber man muß es gesehen haben, ehe man sich eine richtige Vorstellung davon machen kann. Wenigstens auf mich hat dieser Anblick einen viel stärkeren Eindruck gemacht, als alle statistischen Zahlen. Doch zeigen diese doch die fürchterliche Menge an, die in solchen Zuständen lebt. Da thut Abhilfe wahrlich noth u. jeder Mensch mit gesundem Verstand soll denen danken, die sich bemühen, diesem Übelstande abzuhelfen, u. das Seinige dazu beitragen. Ich habe aufs Neue den Vorsatz gemacht, für die Grundsätze unseres verehrten u. leider zu früh verblichenen Meisters zu leben und zu sterben. Eben darum freut's mich so, daß die Wälder noch zur rechten Zeit dem Übel zu steuern anfangen..."13

Der "Meister" war niemand anderer als Ferdinand Lassalle, und die Freude Natters über die "Steuerung" des Übels im Bregenzerwald bezieht sich auf Felders Idee einer Käsegenossenschaft. Damit wären wir bei der dritten Antwort - neben der frühkommunistischen und der liberal-bürgerlichen - auf die soziale Frage im Bregenzerwald: der hauptsächlich an Lassalle orientierten Genossenschaftsidee.

Diese Idee unterschied sich prinzipiell von den Vorstellungen des Liberalen Josef Feuerstein. Der Käsehandel wurde damals vom Gemeindevorsteher von Schnepfau, dem Adlerwirt Gallus Moosbrugger, und seinen Brüdern beherrscht. Er besaß die größte Käsehandlung Vorarlbergs und unterhielt Geschäftsbeziehungen vor allem nach Mailand. Gallus Moosbrugger beherrschte zugleich den Import aller wesentlichen Güter in den Bregenzerwald und hatte somit praktisch ein Import- und Exportmonopol errichtet.14 Das sollte durch die Gründung von Genossenschaften gebrochen werden.

Felder und Kaspar Moosbrugger wollten mit ihren "Productions-Genossenschaften" auch das Bewußtsein der Bauern verändern. Im November 1866 verschickten sie ihre Programmbroschüre an alle Landtagsabgeordneten und Gemeindevorsteher Vorarlbergs. Anfang 1867 ließ Moosbrugger anonym seine Schrift "Klarstellung der Vorarlbergischen Partei der Gleichberechtigung" erscheinen. Von ihr meinte der Bregenzer Polizeikommissär Johann Hammer:

"Diese Klarstellung ist rein nur den Schriften und Tendenzen der Roth-Republikaner Lasalle und Proudhon entnommen und daher dem Geiste unseres Vorarlberger Volkes verderblich, wiewohl ich anderseits die feste Überzeugung mir auszusprechen getraue, daß in der großen Maße desselben diese Tendenz-Druckschrift gewiß keine günstige Aufnahme findet."15

Die beiden Schriften Moosbruggers führten - da hatte Hammer recht - zu keinen größeren positiven organisatorischen Konsequenzen für die "Partei". Doch immerhin gab es Diskussionen: Während das katholisch-konservative "Vorarlberger Volksblatt" die Schriften mit Spott und Hohn übergoß,16 sah die liberale "Feldkircher Zeitung" durchaus Gemeinsamkeiten und hielt "eine gegenseitige Verständigung über die anzustrebenden Ziele nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar durch die Sache selbst begründet..."17

 

"Die Fackel des Aufruhrs ... in diese Gemeinde getragen"

 

Im Bregenzerwald selbst gingen die Wogen hoch: Die Geistlichkeit predigte in einer bislang nicht gekannten Aggressivität gegen Felder und Moosbrugger. Auch der liberale Landtagsabgeordnete und Ortsvorsteher von Bezau Josef Feuerstein mußte sich von der Kanzel herunter die klerikale Gegenpropaganda anhören. Die von Felder gegründete und öffentlich zugängliche Bibliothek wurde von "Experten" auf ihre "Tendenz" untersucht, und über Felder selbst verbreitete der Pfarrer von Schoppernau, Johann Georg Rüscher, er verleihe "Hurenbücher".18

Insbesondere die Kapuziner stellten sich in den Dienst der "frommen Sache", warnten öffentlich vor Felders Schriften und übten solange Druck auf die Frau Josef Feuersteins aus, bis dieser den Druck von Felders neuestem Werk "Gespräche des Lehrers Magerhuber mit seinem Vetter Michel" einstellte.

Der Konflikt eskalierte soweit, daß Felder sogar tätlich angegriffen wurde. Pfarrer Rüscher war nicht zum Einlenken bereit und verbreitete weitere Lügen über den Dichter und Sozialreformer. Am 7. Mai 1867 mußte Felder schließlich mit seiner Frau aus Schoppernau über das Faschinajoch nach Bludenz zu seinem Schwager Kaspar Moosbrugger fliehen. Daraufhin bekannte sich Moosbrugger öffentlich zu seiner Schrift und bat "alle Eiferer", ihn "zu packen" und "dem bisher wild verfolgten Dichter Satisfaction zu leisten".19

Noch im Mai zeigte Felder Pfarrer Rüscher wegen Ehrenbeleidigung und Bedrohung der persönlichen Sicherheit an und kehrte dann - nachdem die Behörden seine persönliche Sicherheit garantiert hatten - nach Schoppernau zurück. Von Au bis nach Schoppernau wurde er von der Auer Blasmusik begleitet.20

Felders Position wurde gestärkt. Die Anzeige gegen Rüscher hatte er zwar zurückziehen müssen, politisch aber gab es etliche Erfolge: Ein Käseverein, ein Handwerkerverein samt der Leihbibliothek und ein Viehversicherungsverein florierten und fanden in wachsender Zahl Mitglieder.

Im Zuge der Gemeinderatswahlen in Schoppernau eskalierte der Konflikt erneut: Felder und sein Vetter, der Uhrenmacher und ehemalige "Fremdler" Johann Josef Felder, wurden in einem Gasthaus von Anhängern des Pfarrers tätlich angegriffen. Am Wahltag bedrohten die mit Prügeln bewaffneten Anhänger des Pfarrers die Wahlkommission, sodaß Felder die Wahl anfocht und vor Gericht Recht bekam.

Unter großen Sicherheitsvorkehrungen gewann dann die "Felder-Partei" die Wiederholungswahl, worauf der Pfarrer verkünden ließ, dreihundert der fünfhundert Schoppernauer seien freimaurerisch.21

Doch die politischen Weichen waren nicht so gestellt, wie Felder und Moosbrugger das gehofft hatten: Das ehemals liberale Vorarlberg wurde "schwarz". Die Kasino-Bewegung und das übrige katholische Vereinswesen, eine politisierte Geistlichkeit und das "Vorarlberger Volksblatt" als publizistisches Organ bewirkten diese Veränderung der politischen Situation.22

Fortschrittliche Reformansätze wie jene Felders und Moosbruggers wurden geächtet. Der Bauernstand geriet zunehmend in die Defensive und in das Schlepptau der Christlich-Konservativen. Die Arbeiterbewegung hingegen orientierte sich in den folgenden Jahrzehnten am Programm von Karl Marx und Friedrich Engels und verwarf zunehmend die Vorstellungen Lassalles:

"Felder war der letzte gewesen, der sich die Solidarität von Agrikultur und Industrie zu weiter, allseits segensreicher Entwicklung hatte vorstellen können."23

Der politische Katholizismus wollte mit den Bregenzerwälder Reformern selbst über deren Tod hinaus nichts zu tun haben. Noch 20 Jahre nach dem frühen Tod Felders, der - im Alter von nicht einmal 30 Jahren - 1869 verstorben war, mußte eine Feier zu dessen 60. Geburtstag vom Heimatort Schoppernau in die Nachbargemeinde Au verlegt werden. Schon 1875 hatte der Schoppernauer Pfarrer Georg Rüscher die Aufstellung eines Felder-Denkmales auf dem Friedhof untersagt. Das Denkmal war daraufhin gegen den Willen des Pfarrers an der Friedhofsmauer - in der Nähe von Felders Grab - aufgestellt worden. Nun, am 1. September 1889, war es der nicht minder fanatische Nachfolger Rüschers, Pfarrer Josef Gschließer, der eine Gedenkfeier verhinderte. Rüscher damals in seiner Predigt in der Pfarrkirche wörtlich:

"Ein Mann ist aufgestanden, der in unverschämter Frechheit es wagte, seinen Seelsorger mit Wort und Schrift zu verhöhnen und sich als Richter über ihn aufzuwerfen. - Gott hat ihn abberufen aus diesem Leben, er hat ihm bei Gerichte ohne Zweifel die Frage gestellt, warum er sich so frech hinausgesetzt habe über die Warnung ,rühre mir meinen Gesalbten nicht an'. - Allein sein Geist lebt fort in seinen Gesinnungsgenossen.... Jenes Denkmal draußen auf dem Friedhofe, das eine das Gesetz verachtende Rotte gegen die geistliche Obrigkeit gesetzt hat, es überliefert den unseligen Namen des Mannes, der die Fackel des Aufruhrs gegen die Seelsorger in diese Gemeinde getragen hat."24

Auch Felders Mitstreitern Moosbrugger und Feuerstein erging es nicht besser. In das Sterbebuch von Bezau trug der dortige Pfarrer hinter den Namen des im Dezember 1903 verstorbenen ehemaligen Gemeindevorstehers und liberalen Landtagsabgeordneten Josef Feuerstein, der zeitlebens praktizierender Katholik gewesen war, "Sozialdemokrat" ein.25

 

 

Anmerkungen

 

1 Tiroler Landesarchiv, Gub. Präsidiale ad No. 2892-78 II aus 1844; it. n. Oberkofler, Gerhard: Anfänge - Die Vorarlberger Arbeiterbewegung bis 1890, in: Greussing, Kurt (Hg.): Im Prinzip: Hoffnung. Arbeiterbewegung in Vorarlberg 1870-1946. Bregenz 1984, S. 22-72, hier S. 34.

2 Gourdault, Jean: Sommertage im Bregenzerwald, in: Bregenzerwälder Reisebilder des 19. Jahrhunderts. Beiheft des Franz-Michael-Felder-Vereins 3. Bregenz 1979, S. 20-30, hier S. 26.

3 Zit. n. Methlagl, Walter: Die Entstehung von Franz Michael Felders Roman "Reich und Arm", Habilitationsschrift Univ. Innsbruck 1977, S. 83.

4 Siehe Meusburger, Wilhelm: Zwei Bregenzerwälder Lithographen des 19. Jahrhunderts, in: Biblos, Jg. 35 (1986), II, S. 160-173. 

5 Siehe den Briefwechsel Feuersteins mit Felder, in: Felder, Franz Michael: Briefwechsel 1856-1869, 1. Teil, hrsg. von Walter Methlagl. Bregenz 1981, z.B. S. 215 und S. 278 ff.

6 Ebd., S. 215.

7 Ebd., S. 214.

8 Ebd., S. 218.

9 Vgl. Methlagl (wie Anm. 3), S. 161 ff.

10 Zit. n. Franz Michael Felder - Kaspar Moosbrugger: Briefwechsel. Kommentar. Anmerkungen, Dokumente, Personen-, Werk- und Sachregister von Walter Methlagl. Bregenz 1975, S. 325 f.

11 Ebd., S. 336.

12 Siehe Methlagl (wie Anm. 3), S. 75 ff.

13 Felder (wie Anm. 5), S. 203.

14 Vgl. Methlagl (wie Anm. 3), S. 67 ff.

15 Bericht Hammers vom 24.2.1867; zit. n. Felder - Moosbrugger (wie Anm. 10), S. 363 f. Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) war ein radikaler französischer Publizist, Soziologe und Ökonom und begründete theoretisch eine Form des Anarchismus. Ferdinand von Lassalle (1825-1864) war einer der Gegenspieler von Karl Marx. Er war Initiator und Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1863) und Vertreter einer sozialreformistischen Linie.

16 "Vorarlberger Volksblatt", 16.11.1866 und 28.5.1867, in: Felder - Moosbrugger (wie Anm. 10), S. 338 f. und 368 f.

17 "Feldkircher Zeitung", 17.11.1866, zit. n. Felder - Moosbrugger (wie Anm. 10), S. 339.

18 Vgl. Methlagl (wie Anm. 3), S. 167.

19 "Feldkircher Zeitung", 15.5.1867, zit. n. Felder - Moosbrugger (wie Anm. 10), S. 365.

20 Vgl. Methlagl (wie Anm. 3), S. 175.

21 Vgl. Methlagl, Walter: Der Traum des Bauern Franz Michael Felder. Bregenz 1984, S. 97 ff.

22 Vgl. Haffner, Leo: Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservativismus. Bregenz 1977, S. 26; Barnay, Markus: Die Erfindung des Vorarlbergers. Ethnizitätsbildung und Landesbewußtsein im 19. und 20. Jahrhundert. Bregenz 1988, S. 202 ff.

23 Methlagl (wie Anm. 21), S. 115.

24 Zit. n. Methlagl (wie Anm. 21), S. 5.

25 Siehe Meusburger (wie Anm. 4), S. 172.