Kurt Greussing (2006): Auf dem Spielplatz der "Neandertaler-Rechten". Ausländer- und moslemfeindliche "VN"-Leserbriefe
Kurt Greussing
Auf dem Spielplatz der "Neandertaler-Rechten"Ausländer- und moslemfeindliche "VN"-LeserbriefeErschienen in: KULTUR, 21. Jg., Juli-Aug. 2006, S. 20-21 "Wir in Österreich leben in einem freien Land und wer bei uns bleiben will, ob hier geboren oder nicht, der hat sich lückenlos unseren Gesetzen anzupassen, und wenn wir von den Islam-Fanatikern das Kopftuch nicht wollen, dann haben sich diese Leute nach uns zu richten, denn sie leben in unserem Lande, und die Islam-Religion hinterfragen wir solange wir dies wollen bei uns" (VN, 25./26.5.2006) - das ist ungefähr die Tonlage, in der seit etlichen Monaten die Leserbriefseite der "Vorarlberger Nachrichten" durchschnittlich im Zwei-Tages-Rhythmus der angeblichen Stimme des Volkes Raum gibt. Ob die Argumentation den Regeln der Logik und der deutschen Grammatik folgt, spielt dabei keine Rolle. Da hat sich also jemand "lückenlos unseren Gesetzen anzupassen" und soll gleichzeitig auf Befehl des Leserbriefschreibers vom Kopftuch lassen, obwohl dieser Schreiber von eben diesen Gesetzen zu einer solchen Befehlsausgabe nachweislich gar keine Ermächtigung erhalten hat. Macht nichts, Hauptsache, es geht - durchschnittlich fünfzehnmal pro Monat (Schnitt für Mai 2006) - gegen Moslems und Zuwanderer. Das ist ein eigenartiger Kontrast in einem Blatt, das sich in seinen redaktionellen Rubriken, auch im Lokalteil, um eine recht ausgewogene Berichterstattung zu den ja durchaus umstrittenen Fragen der Integration von Zuwanderern und der politischen wie kulturellen Rolle des Islam bemüht. Im Leserbriefteil freilich weht zu diesen Themen meist ein ganz anderer Wind: der einer generellen Verdächtigung aller türkischen und türkischstämmigen Menschen in Österreich als bornierte Moslems, und eine Verdächtigung all dieser Moslems als potenzielle Dschihadisten mit nur einem Ziel: aus Bregenz Beregens, aus Bludenz Buldenis, aus Lustenau Lustenova und aus unserem Land Vorarlbergistan zu machen. Lediglich Götzis bleibt, wie und was es ist - der Ortsname bedeutet auf Türkisch "arschlos", und seine Nennung ist ein Quell häufiger Heiterkeit im sonst nicht so heiteren Dasein der türkischsprachigen Vorarlberger. Es ist müßig, darüber zu rätseln, ob dieses ausländer- und moslemfeindliche Dauerfeuer in VN-Leserbriefen der Redaktionspolitik geschuldet ist, die auf einer der meist gelesenen Seiten des Blattes für umsatzsteigernde Aufregung sorgen will (es gilt die Unschuldsvermutung); oder ob hier tatsächlich sich alle jene einfinden, die Christentum und Abendland von einem neuen Osmanensturm bedroht sehen, während der weniger aufgeregte Rest der Bevölkerung keine Absicht hat, sich mit politischen Borderlinern um einen Platz in dieser Diskursarena zu prügeln. Fest steht, dass diese Vielzahl erregter Aufrufe, zum großen Teil von den immer gleichen Schreiberinnen und Schreibern, den Eindruck schafft, Angst vor Zuwanderern und Moslems sei völlig normal und plausibel. Solche Plausibilität entsteht erst recht in einem Klima, in dem sich soziale Unsicherheit mit der Angst vor einem Gewaltpotenzial moslemischer Extremisten paart, die in der Tat zu einem Krieg gegen die "Ungläubigen" bereit sind. Doch jeder differenzierende Blick auf die Realitäten würde den Appellcharakter solcher Leserbriefe wohl entkräften. Da spielt es eben keine Rolle, dass der Großteil der Zuwanderer mit islamischem Hintergrund in vielfacher Hinsicht säkularisiert ist. Weiter ist es auch irrelevant, dass bei den alt- und neugläubigen Moslems, vor allem jenen der zweiten und dritten Generation, schon längst eine im Internet gut nachvollziehbare Debatte über die Verbindlichkeit religiöser Traditionen und die Notwendigkeit neuer Interpretationen dieses Traditionsguts im Gange ist (u.a. www.islam.de - Links "Islam im Web").
Berlin, Paris und andere Parallelgesellschaften
Es ist unmöglich, die verschiedenen Ströme dieser Debatte - von politisch Radikalen und Gewaltbereiten über Wertkonservative bis zu liberalen, demokratischen Neuerern - zahlenmäßig zu erfassen. Genauso wenig kann man sie aber alle in einen Topf werfen. Auch andere Angst-Szenarien sind, was den Islam angeht, blanker Unfug - etwa die Banlieues-Aufstände in den französischen Städten im November des vergangenen Jahres. Hier war die Warnung der Innenministerin Liese Prokop vor Zuständen wie in "Paris" oder "Berlin" von wenig Sachkenntnis getragen. Denn die französischen Aufstände hatten mit Religion als organisierender Kraft gar nichts zu tun - sondern viel eher mit den Peer-Strukturen des Drogenhandels und der Arbeitslosenkriminalität (www.eurozine.com/articles/2006-02-01-donzelot-en.html ; riotsfrance.ssrc.org/ ). Und "Berliner Zustände" sind im Hinblick auf Gewalt vor allem dadurch charakterisiert, dass sogenannte Autonome seit rund zwei Jahrzehnten an jedem 1. Mai Rabatz und die Bezirke Kreuzberg-Neukölln zu einer Aufstandszone machen - wofür aber gerade ihre türkisch- und arabischstämmigen moslemischen Altersgenossen nun wirklich nichts können. In der Umgebung von Berlin hingegen sind tatsächlich Parallelgesellschaften entstanden. Die haben jedoch nichts mit den patriarchalischen, frauendiskriminierenden und von fehlender Schulbildung geprägten Milieus türkischer Migranten zu tun, die der üblichen Debatte über Parallelgesellschaften reichlich Nahrung geben. Es handelt sich vielmehr um jene "national befreiten Zonen", in denen der Rechtsstaat völlig abgedankt hat, weil sich Menschen dunklerer Hautfarbe ohne Angst um ihr Leben dort nicht mehr bewegen können. 640 "Körperverletzungen durch rechtsradikale Täter" zählt die deutsche Kriminalstatistik 2004, 816 Fälle im Jahre 2005 ( profil, 2.6.2006, S. 92 ). Rechtsradikale Gewalt ist dort am stärksten, wo es die wenigsten Ausländer gibt - in den ostdeutschen Bundesländern. Solche Parallelgesellschaften sind durch ein öffentliches Reden vorbereitet und begünstigt worden, wie wir es auf den Leserbriefseiten Vorarlberger Zeitungen und Internetforen wiederfinden. Befindlichkeiten und Ängste zu äußern ist die eine Seite - darüber ist wahrscheinlich schwer ein rationales Gespräch möglich. Denn man kann Menschen nicht vorschreiben (und kann es für sich selber oft auch nicht begründen), worauf sich Aufmerksamkeit angstvoll richtet oder eben nicht. Die Behauptung angeblicher Tatsachen jedoch, die solche Ängste begründen sollen, ist eine andere Sache. Es ist klar, woraus sich die Wiederholungsschreiber zwischen Muntlix und Lochau bedienen. Es sind ein paar Internet-Seiten sowie Udo Ulfkottes Buch "Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern" (Frankfurt 2003 und 2004). Dieses Buch ist der Alarmruf eines ehemaligen FAZ-Journalisten, der, wie er betont, zwischen Islam und Islamismus ebenso unterscheiden will wie zwischen der großen Mehrzahl friedlicher Moslems und gewaltbereiten Radikalen (S. 11). Doch dann verfährt er mit einem doppelten Trick, abgesehen von den oft nicht nachgewiesenen Zitaten und der von keinerlei kritischer Nachfrage getrübten Benutzung der Ermittlungen des Bundesverfassungsschutzes: Er bezeichnet die zahlreichen Stellungnahmen orthodoxer islamischer Gruppen, wonach Gewalt abgelehnt und das demokratische System der BRD als verpflichtend anerkannt wird, schlichtweg als Tricks, um die wahren Absichten einer islamischen Machtübernahme zu verbergen. Und er macht die übrigen Moslems dann doch zu Komplizen dieser Radikalen, weil die beiden Gruppen sich ja regelmäßig in Moscheen bei der Erfüllung ihrer religiösen Pflichten träfen. Das kann man, wenn man will, ja erst einmal so sehen, obwohl sich auch Ulfkotte fragen müsste, warum eine solche Doppelstrategie immer nur in eine Richtung - die des Islamismus - und nicht auch in die andere des religiösen Reformismus aufgehen sollte. Das Problem ist ein anderes. Texte aus moslemischen Quellen, die zum Beispiel 1996 in einem islamischen Jugendmagazin namens TNT (Themen - Nachrichten - Trends) erschienen sind, werden ohne Angabe des Datums als ganz aktuell vorgestellt. Und diese Texte treten dann einen endlosen Recyclingmarsch durch die Leserbriefspalten diverser Zeitungen an - immer mit der aufgeregten Attitüde einer brandaktuellen Nachricht, obwohl es in Wirklichkeit der Schnee von gestern ist.
Recycling aus dem Internet
So berichtet einer der üblichen Leserbriefschreiber zum Thema Islam in den VN vom 20./21.5.2006, ein so genannter "Koordinationsrat der türkischen Vereine in NRW" (NRW = Nordrhein-Westfalen) fordere, der nächste Bundeskanzler der BRD und seine Minister müssten Türken sein und die Kreuze hätten zu verschwinden. Wer die hierbei offerierten Texte im Internet googelt, merkt sofort, wo der Mann seine Informationen abgeschrieben hat. Das Zitat wurde erstmals 1998 (!) von Adelgunde Mertensacker, der Obfrau einer christlich-fundamentalistischen Splitterpartei namens "Christliche Mitte", in einer Broschüre veröffentlicht - angeblich aus einem Brief des Vorsitzenden jenes "Koordinationsrats". Dieser Brief verwandelte sich dann im Laufe der Jahre - folgt man diversen Webseiten, u.a. jener der rechtsradikalen "Republikaner" - in eine hochoffizielle Erklärung dieses "Koordinationsrats" und sodann in Flugblätter mit Verbreitung von Duisburg bis Garmisch-Partenkirchen. In den VN ist eine "Wurfsendung" draus geworden, die der Schreiber angeblich sogar zu Hause hat. Um weiter zu belegen, dass Moslems den "Auftrag zur Welteroberung" hätten, zitiert derselbe Schreiber den Koran-Vers 33:35, demzufolge die Moslems von Gott zu Erben über das Vermögen der "Ungläubigen" eingesetzt worden seien. Nur - an der angegebenen Stelle und in dieser Form existiert eine solche Textpassage im Koran überhaupt nicht. Es gibt einen ähnlich lautenden Vers (33:27), doch der bezieht sich ausdrücklich nur auf jene "Ungläubigen" (Christen und Juden), die mit Mohammeds Kriegsgegnern in Mekka gegen den Propheten koaliert hatten. Auch hier wurde das frei flottierende Internet-Material samt falscher Koran-Stelle einfach abgeschrieben. Kein Zweifel: Weite Teile des Koran sind aus der Perspektive eines Kampfs gegen die "Ungläubigen" verfasst - verbunden mit der Aufforderung, sie nach ihrer Unterwerfung als religiöse Gemeinschaften zu dulden und ihr Eigentum zu schützen. Ob nun der Koran, und sein Entwurf einer politischen Ordnung, wörtlich für alle Zeiten gilt oder ob er aus der historischen Situation immer wieder neu interpretiert werden muss, darüber gab und gibt es unter Moslems viel - notwendigen - Streit. In der politischen Auseinandersetzung müssen sich gläubige Moslems in westlichen Gesellschaften natürlich fragen lassen, auf welcher Seite dieses Streits sie welche Position beziehen. Mit windigen Beweis-Zitaten allerdings, die ohne eigene Prüfung von irgendwelchen Internetseiten abgekupfert sind und dann durch VN-Druckerschwärze geadelt werden, wird man dieser Auseinandersetzung wenig dienen. Da die VN von niemandem verlangen, bei Tatsachenbehauptungen Ort und Zeit des Ereignisses sowie die Quelle der Erkenntnis anzugeben, wandeln sich länger zurückliegende einmalige Vorkommnisse zu immer wiederkehrenden Urban Legends.
Kolonisierung des Neandertals
Der Stoff, aus dem man sich hier bedient, sind also einschlägige Websites, notfalls auch die der FPÖ und ihres Chefs HC Strache. Doch auch die Wissenschaft wird bemüht, etwa der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, der zum Kronzeugen einer bevorstehenden moslemischen Kolonisierung Europas gemacht wird (VN, 20.6.2006). Ferguson ist in der Tat für unkonventionelle Weltsichten gut - etwa die, dass die demografische Entwicklung in Europa den christlichen Bevölkerungsteil zur Bedeutungslosigkeit verringern werde und moslemischstämmige Zuwanderer "ein alterndes Europa kolonisieren" würden. Denn die Zuwanderung werde "sehr wahrscheinlich ... zu einem großen Teil" aus den Nachbarländern Europas kommen, und das seien eben moslemische Gesellschaften. Doch der Kronzeuge ist gar keiner: Denn er sieht, recht flott spekulierend, drei mögliche Ergebnisse dieses Prozesses: erstens tatsächlich die "schleichende Islamisierung einer dekadenten Christenheit" durch die wachsenden moslemischen Kolonien in den alternden Städten; zweitens eine "glückliche Fusion" rasch sich säkularisierender Moslems der zweiten Generation mit ihren nachchristlichen Nachbarn; und drittens die ausländerfeindliche Reaktion der - wirtschaftlich gesprochen - "Neandertaler-Rechten", Demagogen, die nicht wüssten, wer bei dichtgemachten Grenzen für Pensionen und Gesundheitsdienste zahlen solle (www.hoover.org/publications/hoover-digest/article/7308). Die Länder, die jeweils für eine dieser Möglichkeiten stünden, seien der Reihe nach Frankreich, Großbritannien und Österreich. Halt: Wie kommt Ferguson nur auf die Idee, Österreich sei in Zukunft ein potenzieller Hort der "Neandertaler-Rechten"? Er wird doch wohl nicht die Leserbriefseiten der VN gelesen haben.
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