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Markus Barnay (2000): Die Stunde der Ignoranten

Die Vorarlberger Landesausstellung im Jahre 1999 hat bis heute eine traumatische Wirkung auf die Kulturpolitik des Landes: Nie wieder! Denn die Landesregierung produzierte damals eine organisatorische und vor allem eine konzeptionelle Pleite, die nur einen Vorteil hatte: Kritische Historiker waren davon nicht betroffen. Weil man sie von vornherein aus dem Unternehmen ausgeschlossen hatte.

Markus Barnay

Die Stunde der Ignoranten

 

Erschienen in: KULTUR. Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, 15. Jg., Nr. 1, Februar 2000

 

Die Sommerausstellung "900 Jahre Zukunft" in der Mehrerau war ein Skandal. Doch das war leider nicht der letzte Skandal in diesem Zusammenhang: Denn die Art und Weise, wie der jetzt vorliegende Rechnungshofbericht die politisch und faktisch Verantwortlichen reinzuwaschen versucht, ist fast noch schlimmer. Kann man im einen Fall politische Borniertheit, Leichtsinn und Dilettantismus als Ursachen ausmachen, so bleiben für eine Beurteilung des 43-Seiten-Papiers aus der Bregenzer Römerstraße nur zwei Interpretationen: Entweder im Landesrechnungshof herrscht völlige Ahnungslosigkeit über die wirklichen Vorgänge rund um die Sommerausstellung, oder es wurde bewußt versucht, die wahre Verantwortung für das Desaster in der Mehrerau zu verschleiern. Die Sündenböcke sitzen laut Rechnungshof jedenfalls nicht in der Landesregierung, sondern auf Kreta bzw. in Dornbirn: Kunrich Gehrer und Peter Troy. Sie sollen das Debakel in der Mehrerau verursacht haben, das nach letzten Berechnungen 47,8 Millionen Schilling gekostet hat, von denen 10,8 Millionen bis heute nicht gedeckt sind.

Vielleicht bedarf es eines etwas drastischen Vergleiches, um klarzustellen, was rund um die Sommerausstellung in den letzten Jahren geschah: Man stelle sich vor, eine Fluggesellschaft organisiere einen Flug nach Amerika. Das Flugzeug ist vorhanden, die Tickets werden ausgestellt. Doch leider gibt es keinen Piloten. Die Fluggesellschaft engagiert stattdessen einen LKW-Fahrer, der vertraglich verpflichtet wird, dem Piloten zu helfen. Als der beim Start feststellt, daß kein Pilot vorhanden ist, nimmt er selbst das Steuer in die Hand. Aber leider kann er nicht fliegen. Einige Wochen nach dem Absturz veröffentlicht die Untersuchungsbehörde ihren Bericht: Der LKW-Fahrer trägt demnach die Hauptschuld am Absturz, weil er das Flugzeug nicht richtig steuerte. Die Fluggesellschaft wird freigesprochen. Immerhin, läßt sie verlauten, habe sich an Bord ja eine Stewardess mit Flugerfahrung befunden, und außerdem habe die Gesellschaft in wiederholten Funksprüchen versucht, den LKW-Fahrer, den sie jetzt als Piloten bezeichnet, dazu zu bringen, die richtigen Knöpfe zu drücken.

 

Dilettantismus, Naivität und Selbstüberschätzung

 

Ähnlich abenteuerlich liest sich der Rechnungshofbericht über die Sommerausstellung in der Mehrerau. Natürlich gibt es bei Ausstellungen - im Gegensatz zum Flugverkehr - keine gesetzliche Verpflichtung, Fachleute zu engagieren. Aber wenn das Ganze schief geht, wird es wohl auch in diesem Fall nötig sein, die Ursachen und die Verantwortung für das Scheitern genau zu prüfen. Das ist im Grunde nicht schwer - es sei denn, man möchte es gar nicht so genau wissen oder gar die wirklich Verantwortlichen schützen. Dort, wo sie genau hinschauen wollten, haben die Prüfer allerdings das gefunden, was kritische Beobachter ohnehin seit langem feststellen: ein ungeheures Ausmaß an Dilettantismus, Naivität und Selbstüberschätzung.

Dabei enthält der Rechnungshofbericht durchaus einige Details, die bisher nicht in vollem Umfang bekannt waren - und die betreffen vor allem Zahlen:

  • Das kulturelle Rahmenprogramm der Sommerausstellung kostete nicht wie ursprünglich angekündigt 2,2 Millionen, sondern 4,3 Millionen Schilling - nicht eingerechnet die Werbemaßnahmen, die über das reguläre Ausstellungsbudget abgewickelt wurden, und das zusätzliche Personal, das im Lauf des Sommers aus dem Landhaus abgestellt wurde.
  • Die Personalkosten der Ausstellung betrugen insgesamt über 15 Millionen Schilling - 3,5 Millionen mehr, als Landesrat Bischof noch im November 1999 in einer Anfragebeantwortung angab.
  • Die Firma Ravensburger erhielt knapp 9 Millionen Schilling - für den Aufbau und die Gestaltung des sogenannten Zukunftszelts und die Lieferung von 20.000 Büchern und Spielen, von denen letztlich ein paar hundert verkauft wurden.
  • Das Kloster Mehrerau wurde mit Bauarbeiten im Umfang von 9,5 Millionen Schilling beauftragt.

 

Heiße Luft, Philosophie und Phantasie

 

Sehr wohl bekannt waren dagegen die inhaltlichen Details, und die reichen bekanntlich bis ins Jahr 1994 zurück: Damals engagierte die Kulturabteilung des Landes den Leiter des Kunstraum Dornbirn, Hans Dünser, und - auf dessen Vermittlung - den wissenschaftlichen Leiter Hans-Peter Meier-Dallach. Das von den beiden erarbeitete Konzept - eine Mischung aus heißer Luft, Philosophie und Phantasie, die mit einem realistischen Ausstellungskonzept nur entfernte Ähnlichkeit hatte - war bis 1998 die Grundlage aller Entscheidungen. Im Februar 1998 wurde schließlich (wieder auf Vermittlung von Hans Dünser) Peter Troy engagiert - aber nicht, wie dies im Rechnungshofbericht fälschlicherweise unterstellt wird, als Projektleiter, sondern als Projektkoordinator, der - laut Vertrag - das Projektmanagement der Kulturhäuser Betriebsgesellschaft (kurz KUGES) bei der Durchführung der Ausstellung "unterstützen" sollte. Der Haken dabei: Im Februar 1998 existierten weder ein Projektmanagement noch ein taugliches Ausstellungskonzept. Zudem trat der Leiter der KUGES, Robert Manger, erst zwei Monate später sein Amt an. Die KUGES - damals unter Führung von Hofrat Fritsche aus der Landesregierung - war aber laut Vertrag

a)      Veranstalter der Ausstellung,

b)      weisungsberechtigt gegenüber dem Projektkoordinator und

c)      verpflichtet, dem Projektkoordinator "größtmögliche Unterstützung" zukommen zu lassen.

Wie diese Unterstützung angesichts einer provisorischen Geschäftsführung ohne Personal aussehen sollte, geht aus dem von Landesrat Bischof unterzeichneten Vertrag freilich nicht hervor. Dafür hielt man es in der Kulturabteilung, die den Vertrag ausarbeitete, offenbar für ausreichend, wenn Troy drei Arbeitstage pro Woche zur Verfügung stand (auch das ein klarer Beleg dafür, daß Troy keineswegs als alleinverantwortlicher "Projektleiter" engagiert worden war). Zudem gab es zu diesem Zeitpunkt zwar Subventionszusagen des Landes, aber noch keinen detaillierten Budgetplan für die Ausstellung. Und außer Hans-Peter Meier-Dallach hatte Anfang 1998 noch kein einziges Mitglied des späteren Projektteams einen Vertrag!

Daß angesichts solcher Voraussetzungen das Scheitern der Sommerausstellung vorprogrammiert war, dürfte selbst Laien einsichtig sein. Die Verantwortlichen wurden mehrfach darauf aufmerksam gemacht (unter anderem durch Artikel in dieser Zeitschrift im September 1998 und Juni 1999, aber auch durch den ausgestiegenen Grafiker Reinhard Gassner, der Anfang 1999 meinte: "Die Leute in der Landesregierung sollten eigentlich wissen, daß so ein Projekt ohne einen Experten für die Gestaltung nicht funktioniert"), beschwichtigten jedoch öffentlich und versicherten, daß die Ausstellung wie geplant realisiert werden könnte. Den Landesrechnungshof interessieren solche Details nur am Rande: "Die Beurteilung der Ausstellungsgestaltung war nicht Gegenstand der Prüfung" (Rechnungshofbericht S. 66), heißt es dort lapidar, so, als könne man sich dadurch der Verpflichtung entziehen, die Entstehung des Projektes und damit auch die Verantwortung für die Folgen zu untersuchen. Schlimmer noch: Der Rechnungshof erweckt in seinem Bericht sogar den Eindruck, die Verantwortlichen hätten das Desaster unmöglich voraussehen können und wären schließlich völlig überrascht worden. Eine solche Interpretation basiert entweder auf fundamentalen Mißverständnissen oder auf der Absicht, die wahren Hintergründe für das Debakel zu verschleiern.

 

"Gänzlich ungeeignete" Kulturhäuser-Betriebsgesellschaft

 

Letzterer Verdacht drängt sich auf, wenn man sich die Äußerungen des Rechnungshofes über den Geschäftsführer und den Aufsichtsrat der KUGES ansieht:

Die KUGES war demnach "Veranstalter und nicht Projektverantwortliche" (S. 99), weil - so die eigentümliche Logik des RH - "die strukturellen und personellen Voraussetzungen (der KUGES) für die Übernahme eines Ausstellungsprojekts in der Dimension einer Landesausstellung gänzlich ungeeignet war" (S. 103). Dummerweise gab es demnach bis Ende Juni 1999 (also nach Eröffnung der Ausstellung) keinen "Projektverantwortlichen", weil erst zu diesem Zeitpunkt eine neue Aufgabenbeschreibung für Peter Troy verfaßt wurde, die ihm auch die Aufgabe zuwies, die Vorgänge in der Mehrerau zu "steuern" und ein "finanzielles Projektcontrolling" durchzuführen (S. 79). Daß sich Troy schon zuvor - mangels eines Projektmanagements in- oder außerhalb der KUGES - quasi selbst zum Projektleiter ernannt hatte, mag dem RH zwar als Argument dienlich sein, es ändert aber nichts daran, daß auch danach ausschließlich der Geschäftsführer der KUGES, Robert Manger, Verträge unterzeichnen und Gelder überweisen durfte.

Robert Manger hatte jedoch laut Rechnungshof "kein allgemeines Weisungsrecht gegenüber den Projektleitern" (S. 103). Also war Peter Troy kein Projektleiter (weil in seinem Vertrag dieses Weisungsrecht klar festgehalten war), oder der RH verbreitet die Unwahrheit. Glatt erfunden ist auch die Behauptung des RH, daß zum Zeitpunkt des Amtsantritts von Manger (April 1998) "das inhaltliche Konzept, der Ausstellungsort, das Projektteam und insbesondere der Projektleiter" bereits feststanden. Das einzige, was damals nachweislich feststand, war der Ausstellungsort. Geradezu skurril ist jedoch die Aussage, daß der Geschäftsführer der KUGES "kein Mitglied des Projektteams (war), welches seine Entscheidungen vorgabegemäß autonom traf. Der Projektleiter berichtete direkt dem Aufsichtsrat bzw. dessen Vorsitzenden (ein Aufsichtsratsmitglied war sogar als unmittelbares Verbindungsmitglied zwischen Aufsichtsrat und Projektleiter bestimmt)." In Wirklichkeit gab es weder die angeblichen Vorgaben für die autonomen Entscheidungen (und wenn es sie mündlich gegeben hätte, wäre es wohl mehr als fahrlässig, die Teammitglieder autonom entscheiden zu lassen, ohne daß die Verantwortung dafür geregelt ist) noch einen Auftritt des "Projektleiters" Troy im Aufsichtsrat (dort erstattete ausschließlich Geschäftsführer Manger Bericht). Und das "sogar" dafür bestimmte Aufsichtsratsmitglied Kunrich Gehrer hatte sich bei Peter Troy leider nie blicken lassen.

 

Die fehlenden Summen waren bekannt

 

Die eigenartigsten Interpretationen finden sich im Rechnungshofbericht aber, wenn es um die Rolle des Aufsichtsrates der KUGES geht: Dessen vier Mitglieder - Kunrich Gehrer (Leiter der Kulturabteilung des Landes), Hans Jürgen Fritsche (Leiter der Vermögensverwaltung), Landesrat Siegi Stemer und Landesrat Hans-Peter Bischof als Vorsitzender - haben laut Rechnungshofbericht am 26. Juli 1999 (also zwei Monate nach Eröffnung der Ausstellung!) zum ersten Mal eine Übersicht über die voraussichtlichen Kosten der Ausstellung gesehen (S. 69). Bis dahin haben sie sich demnach auf die Versicherung von Robert Manger verlassen, man könne die Sommerausstellung im Rahmen des geplanten Gesamtbudgets abwickeln - eines Gesamtbudgets, das der Aufsichtsrat laut Rechnungshof gar nicht kannte. Das einzige jemals zuvor existierende detaillierte Budget (erstellt vom dafür nicht zuständigen Projektkoordinator Peter Troy im Juni 1998) wurde nämlich "nie adaptiert und dem Aufsichtsrat zur Beschlußfassung vorgelegt" (S. 87).

Falls das stimmt, haben der Aufsichtsrat der KUGES und in weiterer Folge der Landtag Projektzuschüsse in Höhe von 22,2 Millionen Schilling befürwortet bzw. genehmigt, ohne jemals konkrete Zahlen über voraussichtliche Kosten und Einnahmen der Sommerausstellung gesehen zu haben!

Es kommt aber noch besser: Bereits das Projektbudget vom Juni 1998 enthielt laut RH einen - nicht gedeckten - Fehlbetrag von 4,7 Millionen Schilling. Robert Manger sah offenbar keinen Anlaß, dies dem Aufsichtsrat der KUGES mitzuteilen, weil er davon ausging, daß die Kosten "über zusätzliche Einnahmen finanziert werden müssen" (S. 68).

Trotz dieses bereits absehbaren Defizits beschloß der Aufsichtsrat im Dezember 1998 das Engagement der Firma Ravensburger (ca. 9 Mio. ö.S.) und den Ankauf eines Flugsimulators (ca. 2 Mio. ö.S.) - "unter dem Vorbehalt der Deckung im Gesamtbudget" (S. 105). Und im April 1999 wurden dem Kloster Mehrerau Baukosten in Höhe von 9,5 Mio. Schilling genehmigt - "sofern diese Kosten im Rahmen des Gesamtbudgets liegen" (ebd.). Zieht man von diesen Kosten die völlig irrwitzige Summe von 3,1 Millionen Schilling ab, die den Märchenerzählern der Firma Ravensburger zufolge durch den Verkauf von Büchern und Spielen erzielt werden sollten (tatsächlich wurden es dann ca. 100.000,- Schilling), müssen der Aufsichtsrat der KUGES und/oder deren Geschäftsführer Robert Manger im April 1999 gewußt haben, daß insgesamt über 10 Millionen Schilling fehlen - noch vor der erste Tropfen vom Himmel fiel, der das berühmte Hochwasser verursachte.

Offiziell (und ohne selbst zwei und zwei zusammenzählen zu müssen) hatten es alle Beteiligten übrigens am 26. Juli 1999 schriftlich - damals wurde optimistischerweise von einem Defizit von 7 Millionen Schilling ausgegangen. Daß dies die Öffentlichkeit nicht erfuhr, hat wohl kaum etwas mit den Landtagswahlen zu tun, die knapp zwei Monate später stattfanden. Die "Überraschung" des zuständigen Landesrates, als er das wahre Ausmaß im Oktober 1999 erfuhr, dürfte sich jedenfalls in Grenzen gehalten haben.

 

Peinliche Fragen

 

All das wirft natürlich einige Fragen auf. Die Frage der Verantwortung ist offensichtlich anders zu stellen, als es der Rechnungshof aus Gründen, die noch zu klären sind, tat. Zu fragen ist, ob Geschäftsführer und Aufsichtsrat ihre besondere Sorgfaltspflicht erfüllten. Wären sie angesichts eines (anfänglichen) Budgets von über 20 Millionen nicht verpflichtet gewesen, sich beispielsweise sachkundig zu machen, ob die Projektstruktur der Größe des Projektes adäquat ist und ob die Projektmitarbeiter die fachlichen Voraussetzungen erfüllen? Hätte der Aufsichtsrat sich nicht zwingend einen genauen Budgetplan vorlegen lassen müssen - und zwar nicht erst, als das finanzielle Desaster schon unabwendbar war? Das sind Fragen, die auch der Eigentümer der KUGES - das Land Vorarlberg - stellen müßte, und zwar unabhängig von der Prüfung des Rechnungshofes. Da das Land Vorarlberg zu einer seriösen und zweckmäßigen Verwendung öffentlicher Mittel verpflichtet ist, müßte es die Protokolle der Aufsichtsratsitzungen prüfen und feststellen, ob fahrlässig gehandelt wurde. Sollte dies der Fall sein, würden die Mitglieder des Aufsichtsrates und der Geschäftsführer aufgrund des GmbH-Gesetzes nämlich zivilrechtlich haften - und zwar auch mit ihrem Privatvermögen. Zu fragen ist auch, ob Landeshauptmann Sausgruber diese Prüfungen bereits vorgenommen hatte, als er öffentlich personelle Konsequenzen ausschloß und damit Aufsichtsrat und Geschäftsführer quasi aus ihrer gesetzlichen Pflicht entließ.

Abseits der rechtlichen Fragen bleiben natürlich noch andere: Wo liegen die wirklichen Ursachen und vor allem Motive für das Desaster? Wenn man sehenden Auges in ein solches Debakel läuft, muß man ja Gründe dafür haben.

Die wahrscheinlichen Ursachen sind schnell aufgezählt:

  • Man wollte das ganze Projekt von vornherein unter politischer Kontrolle behalten - deshalb wurden zunächst Hans Dünser und dann die von ihm "erfundenen" Projektmitarbeiter Meier-Dallach und Troy engagiert, deshalb überließ man die historische Aufarbeitung Leuten aus dem Landesdienst ohne einschlägige Erfahrung, deshalb vermied man es tunlichst, Fachleute zu engagieren (oder wenigstens deren Erfahrungen weiterzugeben, denn das Bilanzpapier von Christine Spiegel über die Landesausstellung 1991 ruht bis heute in Kunrich Gehrers ehemaliger Schublade und wurde dem Projektteam von 1999 nie gezeigt). Was offenbar mit allen Mitteln verhindert werden sollte, war eine wie auch immer geartete "kritische" Ausstellung, wie sie für Dornbirn (Industriegeschichte) oder Hohenems (Jüdisches Viertel) vorgeschlagen worden war. Dafür nahm man ein offensichtlich unausgegorenes Konzept in Kauf, dessen Inhalt vermutlich keiner der Entscheidungsträger jemals verstanden hat (was wiederum durchaus verständlich wäre).
  • Man ließ sich scheinbar freiwillig "einlullen" - vom Projektkoordinator Troy, der zum "Projektleiter" mutierte; von Robert Manger, der alle Verträge unterschrieb, aber dennoch laut Rechnungshof nicht wußte, was er tat; und vor allem von Hans-Peter Meier-Dallach, dessen "Kaisers neue Kleider" im Juni 1999 zwar alle sehen konnten, dem aber manche sogar noch glaubten, daß er eine große Ausstellung vorbereiten könne, als er längst bewiesen hatte, daß er es nicht kann (Meier-Dallach kommt übrigens im Rechnungshofbericht am besten weg - indem er gar nicht erwähnt wird; und finanziell war er ohnehin der Gewinner - als einziger, der durchgehend bezahlt wurde, und als Autor der "Jugendstudie", deren Hinterfragung dem Rechnungshof offenbar kein Anliegen war).
  • Man wollte vermutlich dem Kloster Mehrerau einen Dienst erweisen (der sich längst als Bärendienst erwiesen hat) und hielt deshalb an einem untauglichen Ausstellungskonzept fest, als das 900-Jahre-Jubiläum des Klosters längst vorbei und der Schultrakt, in dem die Ausstellung ursprünglich stattfinden sollte, bereits renoviert war.

 

Hintergründe werden ignoriert

 

Doch warum nahm der Landesrechnungshof all das so selektiv wahr, daß die wahren Hintergründe des Debakels entweder ignoriert oder nur angedeutet werden? Warum kommt die KUGES im Prüfbericht immer dann namentlich vor, wenn sie entlastet wird, während bei belastenden Äußerungen kein Verantwortlicher benannt wird (stattdessen "kann (die zu wenig konsequente Einforderung von Unterlagen) als Versäumnis gewertet werden", ist aber laut RH "erklärbar")? Warum wird die KUGES mit einer Art argumentativem Salto mortale zugleich als unfähig hingestellt, bestimmte Aufgaben zu übernehmen (S. 103), während sie andererseits als geeignete Institution für die Durchführung solcher Projekte nicht in Frage gestellt wird? In Kulturkreisen macht inzwischen das Gerücht die Runde, der Direktor des Landesrechnungshofes, Herbert Schmalhardt, habe nicht nur drei Jahre lang für den damaligen Landeshauptmann Purtscher Projekte zur Aus- und Fortbildung erarbeitet, sondern auch die Kulturhäuser-Betriebsgesellschaft "miterfunden". Sollte das stimmen, würde es vieles erklären, aber zugleich die Unabhängigkeit des Landesrechnungshofes in diesem Fall (und im Fall der vorgesehenen KUGES-Prüfung im laufenden Jahr) massiv in Frage stellen.

Bleibt noch eine mögliche Erklärung für die Vorgänge rund um die Sommerausstellung in der Mehrerau: Die Verantwortlichen verachten anscheinend die Kultur.

Nur wer mit der Einstellung jenes Laien an die Sache herangeht, der in einer Ausstellung mit abstrakter Kunst ausruft: "Das kann ich auch", überläßt ein Großprojekt wie die Sommerausstellung einem Rudel von Dilettanten. Würde er Kunst und Kultur ernst nehmen, müßte er sich um Fachleute bemühen, die etwas von ihrem Handwerk verstehen - und würde beispielsweise zur Kenntnis nehmen, daß "Ausstellungsgestalter" ein Beruf ist, der bestimmte Fähigkeiten und Qualifikationen voraussetzt.

Nur wer Künstler und Kulturschaffende für Scharlatane hält, die nichts von Wirtschaft verstehen, kommt auf die Idee, die "Projektleitung" eines solchen Projektes einem Mann zu übertragen, der zwar aus der Wirtschaft kommt, aber keine Ahnung von einem Kulturprojekt hat. Auch Rechnungshof-Direktor Schmalhardt meinte in einer Anmerkung zur Sinnhaftigkeit der KUGES: "Die Stärke der Kulturverantwortlichen liegt in der Kultur, nicht so sehr in der Wirtschaft" (VN vom 18.12.1999).

Und nur wer Freizeitparks und Themenausstellungen für dasselbe hält, kommt auf die Idee, einer Spielwarenfirma für viel Geld einen ganzen Ausstellungsbereich zu überlassen.

Das ist das wirklich traurige an dem ganzen Komplex "900 Jahre Zukunft": Es drängt sich der Eindruck auf, daß wir es mit Verantwortlichen zu tun haben, die Kunst und Kultur zumindest in diesem Fall mit Ignoranz und Geringschätzung begegneten.

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