Leo Haffner: Ein besessener Vorarlberger. Elmar Grabherr und die Ablehnung der Aufklärung
Das vorliegende Buch macht Zeitgeschichte nicht nur aus der Sicht des "spätgeborenen" Forschers erlebbar. Der Autor lässt auch Akteure und Zeitzeugen ausführlich selbst zu Wort kommen. Besonders brisantes Material enthalten die Tagebücher des ÖVP-Politikers und Nazi-Gegners Karl Tizian sowie Privatbriefe des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Elmar Grabherr. Leo Haffner hat sie in langjähriger Arbeit zusammen mit anderen Quellen akribisch ausgewertet, Zeitzeugen befragt und nach den Ursachen der verhinderten Aufklärung seit dem 19. Jahrhundert geforscht. Das Buch gibt Einblick in die inneren Machtverhältnisse Vorarlbergs nach 1945 und zeigt die Spätfolgen der NS-Ideologie auf. Grabherr, ehemals loyaler Gefolgsmann von Gauleiter Franz Hofer, wurde als Landesamtsdirektor (1955-1976) zum Wortführer der völkischen Alemannenideologie. Tizian, Bregenzer Bürgermeister und Landtagspräsident, setzte auf kulturelle Offenheit. Bereits als Student erkannte er klar den wahren Charakter des nationalsozialistischen Regimes. Als vehementer Gegner Grabherrs konnte er dessen Macht in der Ära Ulrich Ilg (1945-1969) allerdings nicht eindämmen.
Leo Haffner, geboren 1940, Studium der Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Innsbruck. Ab 1968 im ORF (Tirol und Vorarlberg) tätig. 1974-1996 Leiter der Abteilung "Kulturelles Wort" bei Studio Vorarlberg. Mitbegründer der Zeitschrift ALLMENDE. Autor zahlreicher Fernseh- und Hörfunkdokumentationen. UNDA-Fernsehpreis 1981. Gründungsmitglied der "Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten", der "Johann-August-Malin-Gesellschaft" und des "Vorarlberger Autorenverbandes". Mitglied des PEN.
Veröffentlichungen (Auswahl): "Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservativismus" (Dissertation 1977), "Die Aufklärung und die Konservativen. Ein Beitrag zur Geschichte der katholisch-konservativen Partei in Vorarlberg" (1982), "Der Liberalismus bringt keinen Segen. Martin Thurnher - ein Leben für den Konservativismus" (1987), "Fundamentalismus aus Vorarlberg. Der Kreuzzug der Konservativen für die Kirche und seine Auswirkungen auf die demokratische Kultur" (1993) sowie "Kultur und Kirche als Machtfaktoren. Ein Beitrag zur Ideologiegeschichte Vorarlbergs" (2000).
Rezension in: KULTUR, Feb. 2009, 1/2009 (Markus Barnay)
Übersicht der --> Präsentationen und Lesungen
Inhalt |
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11 Vorwort von Kurt Greussing Vorarlberg: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Freunde
19 Geschichtsschreibung als Instrument der Politik 19 Vorarlberg – eine Insel der Freiheit? 24 Methodisch exakt 27 Der Fall Reinhold Bernhard und der Mord im Kloster 30 NS-Forschung – zu weit gehend? 33 ORF-Mittagslandesrundschau, 22. November 1986
37 Geistige Landesverteidigung 37 Elmar Grabherr und das Prinzip der Ungleichheit zwischen den Menschen 40 »Jetzt tuond se net gär so wüascht« – Die verhinderte Ernennung Anton Methlagls zum Landesschulinspektor für Vorarlberg (Ende 1949 bis Anfang 1950)
46 Elmar Grabherr und die Rassenlehre 54 »Dieses Reich, das wir dem Führer schaffen helfen«
57 Elmar Grabherr im Widerstreit der Meinungen 57 Ein besessener Vorarlberger 62 Elitebewusstsein 66 »Wir haben den Kopf hinhalten müssen« 69 Privates 70 Polarisierend 73 Eine widersprüchliche Eminenz
75 Reinheit und Einheit 75 Echte Vorarlberger 79 Alemannisch und christlich zugleich 80 Ausgerechnet der Herr Trenka
87 Die Aktion Pro Vorarlberg 88 »Willy schreib!« 90 »Kriminelle, Arbeitsscheue und Farbenblinde« 93 Die Macht der Redaktion über bürgerliche Politiker 96 »Ebbas Ähnlichs wie di lätscht Näarrschi« 100 Gegen Kantönligeist 103 Elmar Grabherr und der politische Wendepunkt von 1870
107 Der Widerstand gegen die Aufklärung im 19. Jahrhundert 107 Religiöser Fundamentalismus in Vorarlberg 108 Der Glaube will herrschen 114 Vorarlberg und die Ideen der Aufklärung im 19. Jahrhundert 117 Verhärtung der politischen Fronten 118 Die gemeinschaftsbildende Kraft der Religion 120 Die Einheit des Glaubens 122 »Fremdkörper« 123 Erzieher des Volkes 125 Lehrer als Stiefkinder konservativer Politik 127 Gegen den bösen Geist der Welt 128 Hilfe aus Baden 131 Weitere Kasino-Gründungen 133 Der Widerstand gegen den Fundamentalismus 134 Zentralismus in Vorarlberg 135 »Faule, schädliche Teilchen« 137 Religiosität als politische Kampfhaltung – eine Bilanz 138 Der »eigene Weg« im Zeichen der Gegenaufklärung 140 Das konservative Jahrhundert (1870 -1970): ein Überblick
145 Der Zivilisationsbruch und seine Vorgeschichte 145 »Von den Juden und ihren Lügen« 147 Das kurze Leben der Toleranzidee 150 Die Anhänger Schönerers 153 Der CV als Säule des Dollfuß- und Schuschnigg-Regimes
155 Vorbemerkungen zu den Tagebuch- und Briefdokumenten aus der NS-Zeit 155 Die weltanschauliche Herkunft Elmar Grabherrs 158 Rudolf Kopf als »Herz-Jesu-Nazi« 159 Karl Tizians Erziehung im Geist des Österreich-Patriotismus
165 Im Schatten des Hakenkreuzes – Zeitzeugenberichte, Briefe und Tagebücher 1938
193 Briefe an einen Freund 1941–1944
227 1945 – Stunde Null? 227 Die »Entnazifizierung« Elmar Grabherrs 235 »Nicht viel reden, Gott mehr gehorchen als den Menschen« 236 Irritationen 238 Gefahr aus Wien 241 Der neue Verfassungsentwurf Elmar Grabherrs 243 »Das Kuschen hatte man längst gelernt« 245 Die Spätfolgen der milden Entnazifizierung
249 Das geistige Erbe der »Kasiner« 249 Vom Misthaufen aus regiert? 251 Das Kulturverständnis der »Spätkasiner«
257 Karl Tizian als Kritiker der Vorarlberger Demokratie
263 Wo blieb die Opposition?
267 Vorarlberg-Patriotismus kontra kritische Wissenschaft
273 Das neue Kulturklima 273 Die Zuwanderer nach 1945 und die Liberalisierung der 1970er-Jahre 277 Karl Tizian als Pionier der Kulturpolitik in Vorarlberg
279 Guntram Lins und die Politik der Öffnung
283 Dank 287 Anhang 287 Bibliografie 301 Liste der Interviews 303 Fotonachweis 305 Personenregister |