Leo Haffner (2000): Kultur und Kirche als Machtfaktoren. Ein Beitrag zur Ideologiegeschichte Vorarlbergs
Leo Haffner
Kultur und Kirche als Machtfaktoren
Ein Beitrag zur Ideologiegeschichte Vorarlbergs
Zuerst erschienen unter dem Titel „Kultur und Religion als Machtfaktor. Ein Beitrag zur Ideologiegeschichte Vorarlbergs“ in: Franz Mathis / Wolfgang Weber (Hg.): Vorarlberg. Zwischen Fußach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit. Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945, Bd. 4. Wien–Köln–Weimar 2000, S. 346–408.
„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“
(Artikel 1 der Österreichischen Bundesverfassung)
„Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
(Ulrich Ilg, Landeshauptmann)
Die Vorreiter der kulturellen Reformbewegung
Bei einem der ersten Treffen der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten“, das im Februar 1972 auf Schloss Glopper bei Hohenems stattfand, stellte der Leiter des Kulturamtes der Landeshauptstadt Bregenz, der Autor Dr. Oscar Sandner, fest:
„Es war noch nie so sehr notwendig, unsere Lage in Vorarlberg zu ändern. Wenn man sich nämlich die Geschichte in Vorarlberg in Erinnerung ruft, ... dann zeigt sich, dass der Vorarlberger eine geradezu radikaldemokratische Vergangenheit hat, nach heutigem Vokabular eine ‚linke‘ Vergangenheit. Und nun zeigt sich, dass sich der Vorarlberger nicht kongruent zu seiner Geschichte verhält. Es müssen hier also ganz unerhörte Verdrängungen stattgefunden haben, und da gibt es natürlich viele Gründe dafür, warum der Vorarlberger so anders ist, wie er aufgrund seiner Geschichte sein müsste.“[1]
Dieses Zitat ist ein Hinweis darauf, dass die kulturelle Reformwelle, die unter dem Einfluss der „Studentenrevolte“ des Jahres 1968 zeitverzögert in Vorarlberg einsetzte, sich auch als demokratisch motivierte Bewegung verstand. Sie brachte die aus der Sicht der Kritiker vorhandenen Defizite in der Kulturpolitik mit einem Demokratiedefizit in Vorarlberg in Zusammenhang. Die Gruppe definierte sich sozusagen als Selbsthilfeaktion, als eine Art Bürgerinitiative von Künstlern und Intellektuellen Vorarlbergs, die nach den Worten des Malers Hubert Berchtold versuchen wollte, „selbst Impulse zu setzen ..., um die Öffentlichkeit, die öffentliche Hand, die Bevölkerung und die Kulturkonsumenten zu beeinflussen und damit auch eine Wandlung zum Besseren herbeizuführen.“[2]
Eine kritische Widerstandsgesinnung gegen das „Obrigkeitsdenken“ und bestimmte ideologische Vorgaben der Vorarlberger Landesregierung, zum Beispiel im Schulwesen, hatte sich schon ab 1968 bemerkbar gemacht, und zwar im Kabarett „Wühlmäuse“ in Rankweil. Eine führende Rolle spielten dabei der Rankweiler Heinrich Linder und der Bludenzer Franz Bertel. Beide waren Hauptschullehrer und deshalb vertraut mit den Bestrebungen der Vorarlberger Schulbehörde, die Schule als Transportmittel eines spezifisch „alemannisch“ und kirchlich geprägten Landesbewusstseins einzusetzen, einer Ideologie, die sich nach Ansicht der Kabarett-Texter an überholten Wertmaßstäben orientierte.[3]
Kritik an Kirche und „Establishment“ übten auch eine Gruppe von Pfadfindern und junge katholische Intellektuelle, die 1968 bei der Diözesanerhebung und Bischofsweihe in Feldkirch und bei der 50-Jahr-Feier der Republik Österreich in der Montfortstadt für Aufsehen und lebhafte Diskussionen sorgten.[4] Ein Hauch von Woodstock-Mythos entstand dann um das Pop- und Lyrikfestival „FLINT“ (4./5. Juli 1970) auf der Neuburg bei Götzis. Für die Veranstaltung verantwortlich zeichneten der Grafiker Reinhold Luger, der Liedermacher Günther Sohm, der Amnesty-International-Aktivist Hartwig Rusch und Martin Hämmerle von der Musikgruppe „Gamblers“. Das Motto lautete: „wind kommt auf – wir müssen wagen zu leben – steine beginnen zu rollen.“[5]
Eine Wiederholung dieses Festivals im darauffolgenden Jahr kam wegen eines Verbots durch die Vorarlberger Landesregierung – wie es offiziell hieß, „aus Gründen des Naturschutzes“ – nicht mehr zustande. Die Veranstalter reagierten friedlich, doch mit provokanter Ironie und mit einem Zitat von Theodor Adorno:
„Die autoritäre Persönlichkeit ist ... durch starres Festhalten an moralischen Normen, durch blinde Unterwerfung unter die jeweiligen Maßstäbe der herrschenden in-group, stereotype Verwerfung und archaischen Zerstörungstrieb gegenüber der fiktiven out-group, durch Verschwörungsängste und Allmachtphantasien gekennzeichnet.“[6]
Am 10. Juli 1971 formierte sich als Antwort auf das Verbot von FLINT II ein „Trauerzug“ auf der im Bau befindlichen Autobahntrasse der A l4 bei Neuburg-Götzis. Jugendliche, Popmusiker und Poeten trugen als satirisches Symbol des Widerstandes einen Sarg – die „verzopfte Kulturgesinnung“ der Landesregierung – zu Grabe.
Diese Initiativen fanden zwar unabhängig voneinander statt, die Namen einiger „Widerständler“ tauchen jedoch mehrmals, in verschiedenen Gruppierungen, auf. So waren z. B. der Grafiker Reinhold Luger, der Rechtsanwalt Dr. Günther Hagen und der Amnesty-International-Aktivist Hartwig Rusch 1968 bei den demonstrierenden Pfadfindern und 1971 bei FLINT beteiligt, Dr. Günther Hagen lieferte satirische Texte für das Kabarett „Wühlmäuse“, Reinhold Luger und Franz Bertel fungierten als wichtige Ideenbringer der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten“, der Schauspieler Klaus Schöch, „Star“ der „Wühlmäuse“, war Mitglied des „Veranstaltungskollektivs“ zur Vorbereitung von FLINT II, Michael Köhlmeier hielt beim FLINT-Begräbnis eine marxistische Rede und trat als Autor und Liedermacher bei Veranstaltungen der „Kulturproduzenten“ auf usw.
Die Initiativen der letztgenannten Gruppe – eines Zusammenschlusses von Malern, Bildhauern, Autoren, Medienleuten, Architekten, Musikern, Komponisten und Angehörigen anderer im Kulturbereich tätigen Personen – mündeten in die Durchführung der „Randspiele“. Es war dies ein von 1972 bis 1975 zur Festspielzeit in Bregenz veranstaltetes Alternativfestival mit zeitgenössischer Kunst. Die Mitgliederzahl der Gruppe war relativ gering, sie ging über zwei Dutzend Personen nicht hinaus.
Den unmittelbaren Anstoß zur Entstehung der Gruppe bildete eine Autorenlesung der Volkshochschule Bregenz im November 1971. Robert Blauhut als Organisator stellte die Lesung unter das Motto „Literarisches Bewusstsein“. Die engagiert geführte Diskussion im Anschluss an die Lesung der Autoren Franz Bertel, Ingrid Dapunt, Monika Helfer, Leonhard Paulmichl, Ingo Springenschmid, Elisabeth Wäger-Häusle und Oscar Sandner entwickelte sich zu einer Manifestation eines neuen politischen Bewusstseins: Die Autoren, Künstler anderer Sparten und ein Großteil des Publikums waren sich einig in der Kritik an der unbefriedigenden kulturpolitischen Situation im Lande, eine Protestresolution wurde verfasst und den Medien übermittelt.
Im nächsten Schritt, bei der Versammlung auf Schloss Glopper, zu der der Verfasser dieser Zeilen als Mitunterzeichner die „Resolutionisten“ eingeladen hatte, konkretisierte sich die bis dahin nur allgemein zum Ausdruck gebrachte Protestgesinnung. Mitunterzeichner der Resolution wie Franz Bertel, Reinhold Luger, Kurt Greussing, Hubert Berchtold, Hubert Marte, Walter Salzmann, Herbert Albrecht, Gottfried Bechtold, Heinz Greissing, Wolfgang Matt, Richard Bösch, Hans Purin, Gunter Wratzfeld und Oscar Sandner entwickelten Ideen und Vorschläge für ein eigenes Alternativprogramm: die „Randspiele“.[7]
Später stießen auch Meinrad Pichler, Walter Fink, Rudolf Zündel und Michael Köhlmeier zu der Gruppe. Eine direkte Fortsetzung fand die Idee der „Randspiele“ durch das „Jazz- und Folkfestival“ 1976, durch das Alternativfestival „Kontraste“ 1977 (beide als Veranstaltung der „Bregenzer Gruppe“) sowie in gewisser Hinsicht auch durch die „St. Gerolder Literaturtage“, die – als Plattform heimischer und ausländischer Autoren sowie als Kontaktstelle zur internationalen Verlags- und Medienszene – alljährlich von 1978 bis 1993 vom Leiter der Literaturabteilung von Radio Vorarlberg organisiert und in Zusammenarbeit mit der Propstei St. Gerold veranstaltet wurden. Der Anstoß dazu kam von Propst Pater Nathanael Wirth OSB, der die Propstei im Großen Walsertal – eine „Außenstelle“ des Klosters Einsiedeln in der Schweiz – zu einem einzigartigen Kulturzentrum im Geist eines zeitgemäßen, offenen Christentums ausgebaut hatte.
Dr. Guntram Lins, 1987 bis 1994 Landesrat für Kultur, urteilte in einem Interview im Jahre 1997 über die bahnbrechende Rolle der „Randspiele“:
„Das Besondere daran war, dass man nicht nur kritisiert hat und aufmüpfig gewesen ist, sondern zum ersten Mal begonnen hat, aktiv ein ‚anderes‘ Programm zu machen, ein Programm der Weltoffenheit ... Ich glaube, dass damit ein wesentlicher, neuer Abschnitt begründet wurde.“[8]
Die Intellektuellen und Künstler, die bei der kulturellen „Bürgerinitiative“ der 1970er Jahre mitwirkten, verstanden sich zwar keineswegs als „kulturelle Elite“ – dieser Begriff wäre mit dem Vokabular der „basisdemokratischen 68er Bewegung“ ohnehin nicht vereinbar gewesen – sie stellten jedoch die „alten Eliten“ in Vorarlberg in Frage. Wer aber waren die alten Eliten? In welcher Tradition standen sie? Worin lag die eigentliche Ursache für die Kluft zwischen der sich neu formierenden Kulturszene und der politischen Führung des Landes? Und welche Bewandtnis hatte es mit der Feststellung Oscar Sandners bezüglich der Verdrängung der „radikaldemokratischen Vergangenheit des Vorarlbergers“? Die offene Kritik an bestimmten Merkmalen der Vorarlberger Demokratie erinnert in manchen Punkten stark an den Kulturkampf, der bereits ein Jahrhundert zuvor die Gemüter erhitzt und den die klerikal-konservative Bewegung für sich entschieden hatte.
Ohne Kenntnis der Ursachen und Auswirkungen dieses Kulturkampfes muss die Kultur- und Ideologiegeschichte Vorarlbergs nach 1945 unverständlich bleiben. Um den Rahmen eines solchen Aufsatzes nicht zu sprengen, müssen wir uns auf die Rolle des politischen Katholizismus konzentrieren, andere politische Strömungen wie der Liberalismus und die Sozialdemokratie können nur am Rande behandelt werden.
Die Führungsrolle der Kirche bei der Formierung der „alten Eliten“
Vorarlberg gilt als ein Land der stabilen Machtverhältnisse. Mit Ausnahme der beiden Weltkriege und der Zeit der Nazidiktatur, die einen Sonderfall darstellen, bestimmt seit 1870 im Grunde ein und dieselbe politische Partei (allerdings mit wechselndem Namen) die Grundrichtung der Landespolitik. Das Weltbild des Dornbirner Landwirts Ulrich Ilg, der 1945 als Landeshauptmann die politische Führung übernahm und die Macht – als Landesrat für Finanzen – erst im November 1969 endgültig abgab, unterschied sich in seiner katholischen Fundierung im Grunde kaum vom Weltbild des Dornbirner Fabrikanten Adolf Rhomberg, der noch in der Zeit der Monarchie, nämlich 1890, vom Kaiser zum Landeshauptmann ernannt worden war und der schon 1870, als Student, den ersten Wahlkampf der katholisch-konservativen Kasinos gegen die liberale Partei mitgemacht hatte.
Ulrich Ilg und Adolf Rhomberg sahen ihr Amt stets in Verbindung mit dem „göttlichen Heilsplan“. Der kirchliche Gesichtspunkt spielte in ihrer Einschätzung konkurrierender Ideologien und kultureller Fragen eine zentrale Rolle. (Rhomberg verdankte seine Karriere übrigens in hohem Maß dem Weihbischof von Feldkirch.)[9]
Das Ideal eines „Laienapostels“ sahen die Klerikalen auch in der Person Dr. Otto Enders verkörpert, wie überhaupt die Funktion eines Landeshauptmannes in der Zwischenkriegszeit eine gewisse „Überhöhung“ erfuhr, indem man den Landeshauptmann zum „katholischen“ Landeshauptmann machte und damit zum „Verteidiger überzeitlicher Werte“ stilisierte. Ein Elitenwechsel schien unter diesen Vorzeichen weder erwünscht noch möglich zu sein.[10]
Im Zeitraum von 1890 bis 1987 amtierten lediglich sechs Landeshauptleute (die Zeit des Hitler-Regimes nicht mitgezählt), nämlich Adolf Rhomberg (1890–1918), Otto Ender (1918 – Dez. 1930, Juli 1931–1934), Ferdinand Redler (Dez. 1930 – Juli 1931), Ernst Winsauer (1934–1938), Ulrich Ilg (1945–1964 als Landeshauptmann, 1964 – Nov. 1969 als Landesrat für Finanzen) und Herbert Keßler (1964–1987). Personelle Kontinuität bedeutete auch Machtverfestigung in den Händen einer Partei.
Als mächtigste Stütze im Stabilitätsgefüge des Landes im Zeitraum von 1870 bis zum Ausscheiden Ulrich Ilgs aus der Politik erwies sich die katholische Kirche. Der Kirche war es gelungen, den Machtkampf mit dem liberalen Bürgertum zu ihren Gunsten zu entscheiden.[11] Eine Verschiebung von Macht zugunsten einer anderen Partei oder gar ein demokratischer Machtwechsel, wie er bei Unzufriedenheit des Volkes mit der jeweiligen Regierung in den westlichen Demokratien seit langem üblich war, konnte nicht im Interesse der Kirche gelegen sein. Zum Vergleich: Schon im 19. Jahrhundert wechselten sich in Großbritannien die Whigs und Tories und in den USA die Demokraten und Republikaner regelmäßig in der Führung des Landes ab. Der spätere konservative Premierminister Benjamin Disraeli lobte 1845 „die gesunde und heilsame Kontrolle durch eine verfassungsmäßige Opposition“. Das Prinzip der Gewaltenteilung war ein bürgerliches Prinzip.[12]
Als Karl Marx 1849 nach London ins Exil ging, wurde er nicht nur mit den beklemmenden Schattenseiten des Kapitalismus konfrontiert. Er wurde – gemeinsam mit Friedrich Engels und anderen geschlagenen Revolutionären des Kontinents von Mazzini bis Kossuth – auch zum Nutznießer eines Systems der Meinungsfreiheit, denn „im Zentrum der kapitalistischen Welt, in Großbritannien, hatte sich längst eine neue politische Kultur und ein liberaler Rechtsstaat herausgebildet ... Der freie Wettbewerb wurde abgesichert durch den legitimen Wettbewerb im politischen Bereich.“[13]
Ganz anders die Situation in Vorarlberg in der Ära des politischen Katholizismus. Die kirchliche Hierarchie beanspruchte die absolute Führungsrolle in der Gesellschaft. Dieser Anspruch blieb nur dann ungefährdet, wenn die christlich-soziale Partei ihre Machtposition hielt. Bischof Sigismund Waitz (Generalvikar von Feldkirch 1913–1935) pflegte den „innigen Zusammenhang von geistlicher und weltlicher Obrigkeit“ deutlich herauszustellen: “Die weltliche Obrigkeit ist ein Sinnbild und Abbild der geistlichen und übernatürlichen Gewalt. Sie dient dazu, die Menschenwelt zu schulen, auf daß sie dann auch die geistliche Obrigkeit anerkenne und sich ihr unterwerfe.“[14]
Die enge ideologische und personelle Verflechtung von Kirche und Politik in Vorarlberg eröffnete der kirchlichen Hierarchie die Möglichkeit, in alle Gesellschaftsbereiche hineinzuwirken, z. B. in die Schule, in die Erwachsenenbildung und in das Vereinswesen. In der Frühphase des politischen Katholizismus, also im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, dienten die katholisch-konservativen Kasinos (ab 1868) und der landesweit agierende katholisch-politische Volksverein (ab 1870) als wichtigste Instrumente zur Bekämpfung des aufklärerischen, „gottlosen“ Liberalismus und des angeblich ebenso „glaubensfeindlichen“ Sozialismus. Das Vereinswesen sollte ein Bollwerk sein gegen „Eigensucht und Individualismus“ und gegen die Kulturgesinnung der Liberalen und Sozialisten. „Im Vereinswesen,“ so heißt es in einer Vereinsschrift des mächtigen Dornbirner Kasinos aus dem Jahr 1871, „erhebt die gesunde Natur Protest wider das unnatürliche und fieberhafte Sichgeltendmachen der einzelnen Persönlichkeit; gegen die beliebte Theorie und Praxis unbeschränkter persönlicher Freiheit.“ [15]
Die militante Kasinobewegung trachtete danach, die gegnerischen Parteien „gleichsam mit Stumpf und Stiel auszurotten“, wie es Reinhard Mittersteiner formulierte:
„Die bevorzugte Methode, die junge Sozialdemokratie ... die ab 1893 eine für damalige Verhältnisse bedeutende Aufschwungphase erlebte ... am Aufkommen zu hindern, bildete die vom örtlichen Klerus direkt oder indirekt verordnete Lokalverweigerung – notfalls auch die sogenannte Lokalabtreibung. Quer durch das ganze Land gab es eine ganze Reihe von Ortschaften, in denen Sozialisten über viele Jahre hinweg nicht einen einzigen Gasthausbesitzer fanden, der ihnen für eine Versammlung Einlass gewährte.“[16]
Das Zusammenwirken von Kirche und Partei setzte sich auch in der Zwischenkriegszeit fort, vor allem im Rahmen der „Katholischen Aktion“. Diese umfasste die Katholische Männerbewegung, die Katholische Frauenbewegung sowie die Katholische Jugend (Burschen und Mädchen). Gemäß einer Forderung von Papst Pius XI. wurde den Eliten ein besonderes Augenmerk geschenkt. Entscheidungsträger auf der Ebene der Gemeindeverwaltung, der Landesregierung und der gesetzgebenden Körperschaften sollten nach dem Wunsche Roms ihre Tätigkeit nach katholischen Grundsätzen entfalten. Diese Grundsätze wurden unter anderem durch den 1929 gegründeten „Exerzitienbund“ vermittelt, der 1935 rund 5.000 Mitglieder hatte und der für politische Entscheidungsträger ein spezielles Exerzitienprogramm vorsah: Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bedeutete gleichzeitig Verantwortung gegenüber Kirche und Religion.[17]
Der Bundesobmann des Bauernbundes und spätere Landeshauptmann Ulrich Ilg forderte 1934 im Rahmen des Übergangs vom demokratischen Parteienstaat zum autoritären Ständestaat eine katholische Volksbewegung unter geistlicher Führung. Zur „staatlichen Zuständereform“ müsse, so Ilg, auch „eine Reform der Seelen“ kommen.[18] Sein Vorschlag wurde angenommen und eine sogenannte „Katholische Volksgemeinschaft in Vorarlberg“ gegründet, die so strukturiert war, dass jede selbständige Seelsorgestelle als amtliche Stelle dieser Organisation tätig werden konnte. Zu den Aufgaben der jeweiligen „Ortsleitung“ zählte unter anderem die Einflussnahme auf Schule und Erziehungswesen, auf Kunst, Wissenschaft, Theater, Kino und Rundfunk.[19] Der Ganzheitsanspruch der Religion und das Argument, das Seelenheil der Landesbürger stehe auf dem Spiel, rechtfertigten in den Augen der Klerikalen die angestrengten Bemühungen der Partei, eine Art „Kirchenstaat Vorarlberg“ zu schaffen. Doch mehr Katholizität bedeutete nicht zwangsläufig mehr Christlichkeit.
In der historischen Literatur werden diese Maßnahmen heute sehr kritisch beurteilt. Manfred Dünser spricht im Hinblick auf die Rede Ulrich Ilgs im Jahre 1934 von einem Missbrauch der Religion für politische Zwecke:
„Wenn Ilg meinte, daß ‚die Bekehrung der großen Nöte ohne Hilfe von oben nicht möglich‘ sei, ... dann entsprach dies sicherlich seiner gläubigen Lebenshaltung. Es kommt in seiner Rede aber auch die Ambivalenz ‚katholischer Politik‘ zum Ausdruck: der katholische Politiker, der zwar einerseits von seinem persönlichen Glauben getragen wird, andererseits aber auch Gefahr läuft, diesen Glauben ideologisch mit seiner Politik zu identifizeren ... Dieser Mißbrauch der Religion ... kann als Bestreben verstanden werden, die Weltanschauung bzw. den Glauben in ein geschlossenes totalitäres System als eine dieses System stabilisierende instrumentale Funktion zu integrieren.“[20]
„Alemannisch und christlich zugleich“: die Obrigkeit als „Wächter“
Die Praxis der „Katholischen Aktion“ und der „Katholischen Volksgemeinschaft in Vorarlberg“, auf das Kultur- und Gesellschaftsleben in Vorarlberg Einfluss zu nehmen, wurde auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt, und zwar ab 1948 vor allem im Rahmen der „Katholischen Männerbewegung“ (KMB). Denk- und Aktionsformen der autoritären Periode wirkten, wie noch zu beschreiben sein wird, viel länger nach, als allgemein angenommen wird.[21]
Das enge Beziehungsgeflecht zwischen Kirche und politischer Elite blieb weiterhin aufrecht.
Am 4. April 1948 bestellte Bischof Paulus Rusch den Vorarlberger Landeslaienrat. Zum ersten Vorsitzenden wurde Minister Dr. Ernst Kolb gewählt, während Dr. Arnulf Benzer die Funktion des geschäftsführenden Vorsitzenden übernahm. Im Frühjahr 1951 avancierte Benzer zum ersten Vorsitzenden dieses Gremiums, im Mai 1958 zum Vorsitzenden der Katholischen Männerbewegung (KMB). Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Öffentliches Leben“ im Rahmen der Katholischen Männerbewegung fungierte ab Juli 1955 der Landtagsabgeordnete und spätere Landeshauptmann Dr. Herbert Keßler. Im Jahre 1957 verfügte die KMB über 2.000 Mitglieder in 52 Pfarreien.
Kirchlicher Einfluss machte sich auch bei der Besetzung einer Schlüsselposition im Medienbereich geltend. Auf Vorschlag des Bischofs wurde der hauptamtliche Sekretär der KMB, Dr. Walther Tölzer, im Jahre 1961 zum Intendanten von Radio Vorarlberg bestellt.[22] Tölzer übte diese Funktion 22 Jahre lang aus.
Die ideologische Ausrichtung der Kulturpolitik der Landesverwaltung orientierte sich in den Nachkriegsjahren einerseits an den Vorgaben der Kirche, andererseits noch immer an „völkischen“ Mythen zurückliegender Jahrzehnte. (Der Begriff „völkisch“ wurde in der Regel zwar nicht mehr verwendet, die Haltung, die er bezeichnete, war aber nach wie vor lebendig.) 1948 erläuterte Kulturrat Arnulf Benzer den Zusammenhang zwischen Kultur und Religion mit den Worten:
„Kann sich einer vorstellen, daß Kultur ohne Religion möglich ist? Das muß höchstens einer sein, dem es nicht um den Kern, sondern um das Gerede von der Kultur geht, und der darunter hauptsächlich Kino, Theater u. dgl. versteht.“
Und am Landeskatholikentag 1949 ergänzte er seine Aufforderung, „alemannisch und christlich zugleich zu sein“ durch den „ernsten Ruf“ an seine Vorarlberger Zuhörer, die Möglichkeiten des Bildungshauses Batschuns und der Kultureinrichtungen des Landes tatkräftig zu nutzen, „damit nicht landesfremde Eigenart (sic!) überhandnimmt.“[23]
Einige Jahrzehnte später ordnet Benzer solche Formulierungen ins Kapitel „Jugendsünden“ ein.[24] Im Grunde waren sie weniger „Jugendsünden“ eines einzelnen, sondern sie brachten auf treffende Weise den Kern jener „Landesideologie“ zum Ausdruck, die von Benzers weltlichen und kirchlichen Oberen in Vorarlberg vertreten wurde. Hier kam jene „Wächtermentalität“ zum Ausdruck, jenes Misstrauen gegen „landesfremde Eigenart“, das schon für die Uranfänge der konservativ-klerikalen Bewegung charakteristisch gewesen war, als es z. B. 1861 darum ging, die Ansiedlung von Protestanten in Bregenz zu verhindern. (Dieses Thema wird später genauer behandelt werden.)
Der von den Klerikalen angestrebte „Kirchenstaat Vorarlberg“, dessen „völkische Eigenart“ es zu bewahren galt, war auf einem völlig anderen ideologischen Selbstverständnis aufgebaut als der Staat des bürgerlichen Liberalismus. Die Konsequenzen waren weitreichend, die Unterschiede im Kulturverständnis augenfällig.
Die großen Ballungszentren der k. u. k. Monarchie, speziell die Hauptstadt Wien, verzeichneten von 1867 bis 1914 in Wissenschaft und Kunst einen Aufschwung ohnegleichen. Dieser Aufschwung wurde unter anderem dadurch gefördert, dass der nach der Revolution von 1848/49 autoritär regierte Obrigkeitsstaat vom liberalen Bürgertum gezwungen wurde, ab 1860 nach und nach seine Wächterfunktionen abzubauen, eine Verfassung zu gewähren, die Bildung von politischen Gruppierungen zu erlauben, der Kirche die Oberaufsicht über die Schulen zu entziehen und damit den Weg in die Vielfalt in Politik, Gesellschaft, Kultur und Religion zu ermöglichen. Auch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war Wien eines der weltweit bedeutendsten Zentren von Kunst und Wissenschaft, nicht zuletzt dank des intellektuellen Übergewichtes der jüdischen Staatsbürger.[25]
Vorarlberg hingegen nahm, wie die Lektüre des Vorarlberger Schrifttums in diesem Zeitraum ergibt, im großen und ganzen kaum Anteil an dieser Blütezeit. Dies lag nicht nur an der großen äußeren (geographischen) Distanz zu Wien oder an der ländlich-bäuerlichen und industriellen Struktur Vorarlbergs – die zweifellos eine gewisse Rolle spielte –, sondern auch an der inneren (geistigen) Distanz der konservativen Eliten Vorarlbergs zum Kulturgeschehen der Hauptstadt, konkret im weltanschaulich begründeten Misstrauen der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit gegenüber einer „voraussetzungslosen“ Wissenschaft und einer von religiösen Vorgaben losgelösten Entwicklung von Kunst und Kultur. Das herrschende Kulturverständnis in Vorarlberg rückte die Bewahrung der „völkischen Eigenart“ in den Mittelpunkt. An einer Modernisierung und Ausweitung des Bildungswesens, vor allem im dörflichen Bereich, zeigte sich das katholisch-konservative Lager wenig interessiert. Vielmehr wurde das Bemühen der Dorfpfarrer deutlich, das weltliche Schulwesen zu kontrollieren. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist die Blütezeit des politischen Katholizismus in Vorarlberg eine Zeit der kulturellen und geistigen Stagnation.
„Intellektualität,“ so die Meinung des Intellektuellen Guntram Lins, „wurde noch in der Ära Ulrich Ilg als Gefährdung einer jenseitsorientierten Glaubenshaltung angesehen. Denn da kommen naturwissenschaftliche Erkenntnisse herein, geisteswissenschaftliche Erkenntnisse, die Philosophie des Nihilismus spielt herein ... für einen gestandenen Bauern war dies eine Gefährdung des Bewährten, eine Gefährdung des bewährten Lebens auf dem Lande ...“[26]
Schließlich dürften die in der christlich-sozialen sowie in der deutsch-nationalen Bewegung Vorarlbergs vorhandenen antisemitischen Affekte das Ihre dazu beigetragen haben, der Kultur der Moderne misstrauisch gegenüberzustehen, da ein wesentlicher Teil der Großleistungen in Kunst und Wissenschaft zwischen 1867 und 1938, wie erwähnt, von jüdischen Staatsbürgern erbracht wurde. Nachwirkungen eines antisemitisch durchsetzten Anti-Wien-Reflexes lassen sich, wie wir später sehen werden, noch im Misstrauen erkennen, das die Spitze der Vorarlberger Landesverwaltung nach 1945 den Bregenzer Festspielen entgegenbrachte, und zwar wegen der starken Präsenz von „Wiener Künstlern“ in Bregenz.. Dies gilt vor allem für Dr. Elmar Grabherr, den engsten Mitarbeiter Ulrich Ilgs.[27]
Die Ideologie der Defensive
Eines der Grundmuster der Vorarlberger Kulturpolitik von l870 bis in die Ära Herbert Kessler ist die Verteidigungshaltung. Verteidigt wurden Religion, Sittlichkeit und Volkstum. Die “Gefährdungen” auf diesem Gebiet kamen in der Regel von außen, verursacht von Liberalismus, Sozialismus und einer Geschichtswissenschaft, die den „Sonderfall Vorarlberg“[28] nicht erkennen wollte. Verteidigt wurden die Eigenständigkeit Vorarlbergs, und zwar mit Berufung auf die „demokratische Tradition”[29]; die „kulturelle Autonomie” Vorarlbergs[30] , unter Herbert Keßler auch die christlich-abendländische Kultur[31], das Gute, Wahre und Schöne in der Kunst. Nicht immer waren es objektive, abgesicherte Sachverhalte, auf die sich die Verteidiger des Alemannentums und seiner „demokratischen Tradition“ stützen konnten. So ging etwa der aus Dornbirn stammende Germanist Dr. Eugen Thurnher in einem l967 veröffentlichen Aufsatz davon aus, dass der Raum Vorarlbergs „in einem jahrhundertelangen Prozeß von alemannischem Blut erfüllt worden“ sei. Deshalb bleibe es „durch alle Zeiten die Aufgabe eines Vorarlberger Geistes, die bluthafte Bindung an das alemannische Volkstum zu wahren“. Die These Thurnhers, das „alemannische Wesen“ sei als „überpersönliches Gesetz der Vorarlberger Dichtung“[32] über Jahrhunderte hinweg erkennbar, ignorierte aber den einfachen Sachverhalt, dass der Süden Vorarlbergs romanisch besiedelt und beeinflusst worden ist.
Die häufige Beschwörung der vorbildhaften demokratischen Tradition Vorarlbergs in Jungbürgerbüchern oder in der „offiziellen Geschichtsschreibung“ (man denke etwa an Dr. Benedikt Bilgeris fünfbändige „Geschichte Vorarlbergs”[33] oder an Dr. Franz Vögels Aufsatz „Hundert Jahre Vorarlberger Landtag 186l–1961”, herausgegeben vom Land Vorarlberg 1961[34]) lässt zwar die „erzieherische” Absicht solcher Äußerungen erkennen. Sie stimmen aber nicht immer mit der tatsächlichen historischen Entwicklung überein. Der Dornbirner Landtags- und Reichsratsabgeordnete Johannes Thurnher zum Beispiel, der als großer Organisator die Hauptarbeit beim Aufbau der katholisch-konservativen Partei ab l867 leistete, führte ein ausgesprochen diktatorisches Regiment.[35] Und Landeshauptmann Ulrich Ilg zeigte sich über die Bemerkung des Bundeskanzlers Julius Raab, Vorarlberg sei überhaupt keine Demokratie, sondern eine Demokratur, nach eigenem Bekunden mehr erfreut als befremdet. Wörtlich schreibt Ilg dazu:
„Ich habe darin eine Bestätigung gesehen, dass man sich bei seinen Entscheidungen zuerst von seinem Gewissen leiten lassen muss und erst in zweiter Linie sich fragt, was wird das Volk dazu sagen.“ [36]
An anderer Stelle faßt Ulrich Ilg seine Haltung zum Thema Demokratie in dem Satz zusammen: „Die Hilfe des Hl. Josef war mir wichtiger als die Sympathie der Wähler.“[37] Für Ilg war der Zentralbegriff eben nicht die Demokratie, sondern die Religion.
Arnulf Benzer – selbst in führenden Funktionen der katholischen Laienbewegung und lange Jahre als Leiter der Kulturabteilung in der Vorarlberger Landesverwaltung tätig – beurteilt die enge Verknüpfung von Religion und Politik im Rückblick 1998 teilweise kritisch, und zwar unter einem mentalitätsgeschichtlichen Gesichtspunkt. Bei den redlich denkenden Männern des katholisch-konservativen Lagers, die ihr politisches Amt mit Verantwortungsbewusstsein und Sorgsamkeit ausübten, mit öffentlichen Geldern sparsam umgingen und ihre Kinder zu Gottesfurcht erzogen, sei das Bewusstsein ausgeprägt gewesen: „Wir wollen das Beste für das Volk. Mir sind reachte Mä ...“ Diese „rechten Männer“ hätten gleichsam „die Kirche und den lieben Gott als Verbündete hinter sich gewusst“. Dies habe zu einer gewissen Form von Pharisäertum geführt, zu einer Mentalität der falschen Selbstgerechtigkeit.[38]
Ein Hauptanliegen Ulrich Ilgs auf kulturellem Gebiet war die Verteidigung von Ethik, Sitte und Moral. Die Zensur von Theaterstücken oder Filmen war an der Tagesordnung. (Laut Dr. Benzer seien allerdings nicht nur Politiker der ÖVP, sondern auch Mandatare der anderen Parteien auf die Einhaltung strenger Moralrichtlinien bedacht gewesen.[39]) Die Zensurpraxis der Vorarlberger Gemeinden ging weit über den Rahmen der Gepflogenheiten der nationalsozialistischen Zensur hinaus. Von der Zensur betroffen war 1946 zum Beispiel Hermann Bahrs Theaterstück „Das Konzert“.[40] 1948 hatte die Landesregierung arge Bedenken gegen die Inszenierung der Operette „Die lustige Witwe“. Bemängelt wurden die Frivolität und die mangelnde moralische Basis des Werkes. Eine sittliche Gefährdung der Jugend erblickte man in der Ballettaufführung „Abraxas“ von Werner Egk, einer Choreographie des Fauststoffes im Rahmen der Bregenzer Festspiele l955.[41] Berühmt wurde das sieben Jahre später von der Landesregierung verfügte Verbot des Twist-Tanzens. Dieses Verbot war im Grunde nichts anderes als die getreue Befolgung von Empfehlungen, welche die Dornbirner Geistlichkeit bereits im Jahre 1889 im „Vorarlberger Volksblatt“ verkündet hatte. „Durch das Tanzen“, so lautete die Begründung der besorgten Kleriker, werde nämlich „die Genußsucht befördert, vielfach die Gesundheit untergraben und Anlaß geboten zu unsittlichen Verhältnissen, namentlich bei jüngeren Leuten“[42].
Es war jedoch kaum möglich, die strikte Einhaltung des Verbots zu überwachen. 1962 berichtete Radio Vorarlberg über ÖBB-Schiffe, die sich auf dem Bodensee als Blockadebrecher gegen das Twistverbot und die Filmzensur betätigten.[43] Die Premiere der Operette „Die Trauminsel“ von Robert Stolz bei den Bregenzer Festspielen desselben Jahres führte zu einer schweren Verstimmung mit Regisseur Adolf Rott, weil die vorgesehene Twisteinlage aus moralischen Gründen verboten wurde.[44] Im Sommer 1967 vernichtete ein ehemaliger Kapuziner in Dornbirn „aus moralischen Gründen“ nahezu alle Aktzeichnungen von Edmund Kalb, eines Zeichners, der zu den bedeutendsten Künstlern zählt, die Vorarlberg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat.[45] Die Tendenz, Kultur- und Sittlichkeitsnormen des Klerus auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen, wurde auf allen Ebenen sichtbar. Als Fahnenträger der „sittlichen Fehlentwicklung“ der Gesellschaft wurde die Sozialistische Partei angesehen. Von einem internationalen Jugendlager der SPÖ, das aus Anlass der Bregenzer Festspiele l951 in Hard abgehalten wurde, hieß es in konservativen Kreisen, dass sich dort „die tollsten Dinge sittlicher und politischer Natur“ abspielten.[46]
Der „redliche Führer Ulrich Ilg“ und das Autoritätsprinzip
In seinen Lebenserinnerungen schrieb Ulrich Ilg, er sei in die Politik gegangen, „um einen höheren Willen zu erfüllen“[47]. Dieser religiöse Anspruch verlieh Ilg – abgesehen von seiner persönlichen Integrität – die Aura der Unangreifbarkeit, durch ihn sprach gleichsam die „göttliche Ordnung und Autorität“. Den Landeshauptmann öffentlich zu kritisieren, wäre im Vorarlberg der Nachkriegszeit ein Sakrileg gewesen. Wie empfindlich z. B. die katholische Geistlichkeit in der Autoritätsfrage reagieren konnte, mag ein Beispiel aus der Marktgemeinde Götzis illustrieren. Dort wurde die Aufführung des bürgerlichen Trauerspiels „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller im Jahre 1946 auf Veranlassung des Pfarrers unter anderem deshalb verboten, weil das Werk als Aktion gegen die Bourgeoisie, den „faulen Oberbau der bürgerlichen Schichte“, aufgefasst werden konnte. Zudem sei durch die Katastrophe des Dritten Reiches das Volksvertrauen zu jeder Art von Autorität erschreckend geschwunden. Der „redliche Führer“ Landeshauptmann Ilg könnte, so hieß es, durch die Rolle des Präsidenten im Drama angegriffen werden.[48]
Der Bregenzer Bürgermeister Dr. Karl Tizian war einer der wenigen Amtsträger, die sich nicht bereit zeigten, den Autoritätsanspruch des Landeshauptmannes voll und ganz zu akzeptieren. Mitte Juli 1957 zum Beispiel warf Tizian der Landesregierung „Mißbrauch der Amtsgewalt“ vor, weil diese – nach seiner Meinung ohne rechtliche Handhabe – in die Theaterpolitik der Stadt Bregenz eingegriffen hatte.[49] Aufschlussreich ist die Argumentation in der Antwort der Landesregierung. Sie verwahrte sich „schärfstens“ gegen diese Kritik und stellte fest:
1. dass es falsch war, sie so deutlich und öffentlich anzugreifen, weil die Autorität verletzt wurde;
2. dass sie im Recht gewesen sei;
3. dass die Stadt Bregenz ihr für viele Wohltaten dankbar zu sein habe.[50]
Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen Tizians hervorgeht, trug dieses Antwortschreiben der Landesregierung die Handschrift Dr. Elmar Grabherrs, seines langjährigen Intimfeindes. Der aktuelle Konflikt zog sich bis in den Herbst hinein und zeigt einen Grundwiderspruch im Demokratieverständnis der Landesregierung auf. Einerseits berief sie sich häufig auf die demokratische und föderalistische Tradition Vorarlbergs, andererseits beharrte sie auf dem Autoritätsprinzip, wenn sie dies für notwendig erachtete. Bemerkenswert ist weiters die offensichtlich starke Position des Landesamtsdirektors Grabherr. Am 30. September 1957 notierte Tizian:
„Noch ein Brief an Landeshauptmann Ilg wegen des Briefes, den ich bei der Stadtvertretung vorbringen soll und den ich dazu nicht für geeignet halte. Aber auf meinen Vorschlag zu einer Aussprache bekam ich in 6 Wochen keine Antwort. Darf er nicht vom LAD aus oder ist es das eigene Prestige?”
(Anm.: Landesamtsdirektor Dr. Grabherr weilte in der fraglichen Zeit auf Urlaub.)
Am 5. Oktober 1957 entlud sich der Konflikt bei einem Treffen der führenden Mandatare der ÖVP. Im Tagebuch Tizians findet sich darüber folgende Eintragung:
„Landesparteiratssitzung in der Krone ... Bürkle Bludenz greift zuerst die verschiedenartige Pflege der Demokratie (anders nach unten, anders nach oben) bei der Landesregierung an ... Dann lege ich ... klar und sehr offen die Gründe ... unseres Zwistes mit der Landesregierung auseinander, zeige vor allem auf, wo dabei Grabherr und die Kamarilla im Spiele sind. Durch die Nichtbeantwortung meines Briefes hat sich Ilg auch vor diesem Forum ganz ins Unrecht gesetzt. Ich komme auch zu persönlichen Gründen und versichere den Herren, daß sie von mir in der Richtung keine Sorgen haben müßten, da ich dort drüben keinen Sessel anstrebe. Ilg wird bald rot, bald weiß bei diesen Erklärungen, Ulmer versucht etwas zu seiner Ehrenrettung, Kolb schweigt und schreibt, der LH erklärt nur, daß er meinen Brief nicht beantwortet habe, weil er doch nicht habe nachgeben können – aus Autoritätsbewußtsein.”[51]
In der Öffentlichkeit wurde die Problematik eines rigoros gehandhabten Autoritätsprinzips in einer Demokratie – soweit erkennbar – kaum wahrgenommen oder diskutiert. Dass Ulrich Ilg als Politiker im Ständestaat groß geworden war, also in einer austrofaschistischen Tradition stand, war in Vorarlberg im Grunde nie ein Thema. (Das Dollfuß-Bild in der Stube Ulrich Ilgs ist nie von der Wand genommen worden.[52] Dies war in der Nazizeit ein Zeichen des Mutes, konnte nach 1945 aber ebenso als Zeichen der Anhänglichkeit an ein autoritäres Regime gedeutet werden.)
Auch Tizian war anfänglich von einer Demokratieauffassung westlicher Prägung weit entfernt. Er brachte zwar wiederholt sein Missbehagen über die Mängel der Vorarlberger Demokratie zum Ausdruck, doch an einer Schwächung der ÖVP konnte ihm nicht gelegen sein. Auch er, der große Bewunderer Kurt Schuschniggs, war durch die politische Frontkampfmentalität der Zwischenkriegszeit und durch das Feindbilddenken gegenüber der Sozialdemokratie geprägt worden. Zudem neigte der ehemalige Offizier der deutschen Wehrmacht und Reserveoffizier des österreichischen Bundesheeres Tizian schon aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in seiner Funktion als Bürgermeister nicht selten zu autoritären Entscheidungen.
Das größte Hindernis, die Sozialdemokratie als wirklich gleichwertigen Partner im politischen Konkurrenzkampf anzuerkennen, war offenbar religiöser Natur. (Gewisse Parallelen zum Kampf der Konservativen gegen die Liberalen im 19. Jahrhundert sind offenkundig, denn auch der liberalen Partei Carl Ganahls war Religionsfeindlichkeit vorgeworfen worden.[53]) Mit besonderer Genugtuung vergleicht Tizian, der tiefgläubige Katholik, die Teilnehmerzahlen der Marienfeiern am 1. Mai in Rankweil mit jenen der SPÖ-Umzüge am Tag der Arbeit. An der Rankweiler Lichterprozession des Jahres 1946 seien nicht weniger als 15.000 Personen gezählt worden. (Tizian dazu: „Es soll ergreifend gewesen sein.”[54]) 1947 berichtet er von einer Teilnehmerzahl von 16.000 Menschen.[55] Über den „Umzug der Rotbenelkten” in Bregenz am 1. Mai desselben Jahres hingegen schreibt er in sein Tagebuch:
„Schwach besucht und kaum 500 Leute. Die alten Genossen. Wenig Interesse bei den Reden eines Wieners (Kostroun) am Kornmarktplatz. Noch schwächer der Umzug der KPÖ. Sie dürfen mit ihren Brüdern von der SPÖ nicht zusammen kommen. Mehr Spruchtranspararente und Fahnen als Leute. Komische Figuren mit Sichel und Hammer. Die Landesfahne. Alles zusammen eine Kompanie stark. Haller (der kommunistische Stadtrat, Anm.) redet um Neuwahlen.”[56]
Das Jahr 1945 stellte keinen echten Neubeginn dar, keine Stunde Null der Vorarlberger Demokratie, sondern man begann dort, wo man 1938 aufgehört hatte. In der Zeit des Wiederaufbaus war die Neigung „zu politisieren” und die tieferen Ursachen, die zum Untergang der Demokratie geführt hatten, zu analysieren, bei einem Großteil der Bevölkerung ohnehin kaum vorhanden. „Von Politik wollte man zunächst einmal nichts mehr wissen.” [57] Die Voraussetzungen für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen, etwa (auf literarischer oder journalistischer Ebene, waren nicht gegeben. Hierin unterschied sich Vorarlberg (und das übrige Österreich, das die „Schuldfrage” jahrzehntelang verdrängte) weitgehend von seinem nördlichen Nachbarland. Nach Ansicht kritischer Intellektueller und Schriftsteller in der Bundesrepublik Deutschland war eine der Hauptursachen für die Katastrophe des Nationalsozialismus in der Bereitschaft der Deutschen zu suchen, sich der Staatsautorität unterzuordnen und das Führerprinzip zu akzeptieren. Die Disposition für die Untertanenmentalität war schon vor Hitlers Machtübernahme 1933 geprägt worden. Die Konsequenz daraus lautete, dass man in der Publizistik nach 1945 danach trachten musste, die Autoritätsgläubigkeit der Bürger im neu aufzubauenden Staatswesen schon im Ansatz zu erschüttern.
Der Bruch mit der jüngsten Vergangenheit und die Abrechnung mit dem Nazi-Regime bestimmten in den 1950er und 1960er Jahren auf weite Strecken das politische Klima der Bundesrepublik Deutschland. In der Nachkriegsliteratur wurde die „Tendenz zur Restauration früherer gesellschaftlicher Verhältnisse” ausführlich und kritisch beleuchtet.[58] Jedenfalls verstärkte sich in intellektuellen Kreisen zunehmend das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer kritischen „Gegenöffentlichkeit”, wie sie etwa durch den Publizisten Rudolf Augstein und seine Zeitschrift „DER SPIEGEL” schon ab 1947 repräsentiert wurde. Verleger vom Zuschnitt eines Gerd Bucerius („DIE ZEIT”), eines Henri Nannen („Stern”) oder eines Rudolf Augstein waren nicht nur von ihrem gesellschaftlichen Auftrag erfüllt, Deutschland wieder aufzubauen. Sie wollten das Volk nach Jahren des Unheils auch zur Demokratie erziehen.[59]
Während also führende Publizisten der Bundesrepublik Deutschland die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu einem zentralen Thema machten – „DER SPIEGEL” stellte mit seinem Grundsatz, vor keiner Autorität, nicht einmal vor einer befreundeten, zu kuschen, den Obrigkeitsstaat prinzipiell in Frage[60] – wich man in Vorarlberg einer umfassenden Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit aus. So konnte es geschehen, dass die Vorarlberger Landesregierung keine Bedenken hatte, die im Jahre l954 erstmals gestiftete Ehrengabe des Landes für Kunst und Wissenschaft an eine bewusste Bekennerin der Nazi-Ideologie, die Dichterin Natalie Beer, zu verleihen.[61]
Dass auch die Vorarlberger Presse, speziell die führenden „Vorarlberger Nachrichten”, die Problematik dieser Entscheidung unterschlug, lässt auf einen Gleichklang der Interessen in dieser Frage zwischen maßgeblichen Meinungsbildnern und politischen Entscheidungsträgern schließen. Karl Tizian spricht in seinem Tagebuch übrigens noch im Jahre l962 von „Naziredakteuren”, die bei den „Vorarlberger Nachrichten” am Werk seien und dem Chefredakteur DDr. Anton Ruß „über den Kopf” wüchsen.[62] Dass eine durchgreifende Entnazifizierung niemals ein Anliegen der Vorarlberger Landesverwaltung war, hängt, wie wir später sehen werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit dem Einfluss Elmar Grabherrs zusammen.
Die Kulturimpulse von außen
Die Zuwanderer nach 1945 – Die Liberalisierung der 1970er Jahre und die Folgen
Die neuen Kulturimpulse in Vorarlberg äußerten sich in zwei großen Wellen. Die erste Welle setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein und wurde hauptsächlich von zugewanderten Berufskünstlern der Kriegsgeneration ausgelöst, von Theaterleuten, Musikern, Dirigenten, Rundfunkleuten und Intellektuellen verschiedener Sparten, die sich wegen kriegsbedingter Ereignisse, wegen Vertreibung aus ihrer Heimat (z. B. Böhmen), oder wegen ihrer politischen Belastung in Vorarlberg niedergelassen hatten. (Die Letzteren nannte man „politisch Versprengte”, sie stammten zum Teil aus Wien oder aus Deutschland.)[63]
Die Zuwanderer waren an der Vorarlberger Landesbühne tätig (dem späteren Theater für Vorarlberg), beim Rundfunk in Dornbirn, in Musikschulen oder – während der Sommermonate – bei den Bregenzer Festspielen. Bald traten junge Künstler hinzu, die ihre Ausbildung in Wien oder anderswo erst vor kurzem beendet hatten und Vorarlberg als Sprungbrett für eine weitere Karriere benutzten; auch einige gebürtige Vorarlberger waren darunter. Vorarlberg war bis dahin – abgesehen von der bildenden Kunst[64] – mehr oder weniger kulturelles Brachland gewesen. Erst dieser Zuzug von außen und das Auftreten von Berufskünstlern in größerer Zahl schufen die Basis für den Anschluss Vorarlbergs an die überregionale Kulturentwicklung. So ist auch die Entdeckung, dass sich die Bregenzer Bucht als hervorragende Kulisse für ein künstlerisches „Spiel auf dem See” eignet, einem „Zuwanderer”, nämlich dem Wiener Tänzer Kurt Kaiser, zu verdanken.[65]
Die wichtige Rolle, welche die Kultur beim Landessender Vorarlberg einnahm, wurde z. B. im Hörspielbereich deutlich, wo Heinz Hostnik in der ersten Hälfte der 1950er Jahre Pionierarbeit leistete. Ab 1957 entwickelte sich zwischen dem Bregenzer Kulturreferenten Oscar Sandner und der Literaturabteilung von Studio Vorarlberg unter Hans Peter Link eine Art Kulturachse, die Ende der 1960er Jahre der neuen Literatur den Weg zu ebnen suchte. Link bot Oscar Sandner im Rundfunk eine wichtige literarische Plattform, setzte sich für Inge Dapunt, Monika Helfer und Robert Blauhut ein und brachte 1969 Martin Walsers “Zimmerschlacht” als österreichische Erstaufführung heraus. Die Entwicklung der E-Musik in Vorarlberg ist untrennbar mit den Namen der Dirigenten und Musikchefs von Radio Vorarlberg Hans Moltkau und Gilbert Klien verbunden, jene der Pop-Musik der 1970er Jahre mit dem Namen Fritz Jurmanns. Das Dornbirner Studio war von 1946 bis 1958 neben Radio Wien der einzige Sender in Österreich, der über ein eigenes Berufsorchester verfügte. „Es waren viele Vorarlberger, die erst durch das Vorarlberger Funkorchester hören gelernt haben”, erinnert sich ein ehemaliges Mitglied dieses Klangkörpers.
„Der Rahmen, in dem wir musiziert haben, war sehr groß. Das ging von den Klassikern bis Hindemiths ‘Mathis der Maler’. Man hat sich da langsam vorgearbeitet. Auch die Volksmusikgruppen in Vorarlberg profitierten von den Berufsmusikern, denn die Bauernkapelle des Funkorchesters war für alle Blasmusikkapellen ein großes Vorbild.”[66]
Der gesellschaftliche Stellenwert von Berufskünstlern in der Ära Ilg war aus der Perspektive der Mehrheit der Bevölkerung freilich relativ gering. Noch im Jahre 1972, beim erwähnten Treffen der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten” auf Schloss Glopper, sprach Oscar Sandner von einem „merkwürdigen Verhältnis der Vorarlberger zur Kultur“. Die Ursache für die mangelnde Kulturgesinnung hierzulande liege unter anderem „im Besitztrieb in Form der Eigentumsideologie“. Dieser Besitztrieb hindere „den Vorarlberger noch sehr stark, sich rein geistigen, rein kulturellen, rein künstlerischen Werten zu öffnen“[67].
In den darauffolgenden zweieinhalb Jahrzehnten vollzog sich dann ein fast als dramatisch zu bezeichnender Aufholprozess. Der Generationswechsel, die durch die Regierung Kreisky eingeleitete Liberalisierung der Gesellschaft in Österreich, die Rückkehr zahlreicher Studenten von ihren Hochschulorten nach Vorarlberg, die kulturelle Reformbewegung der 1970er Jahre, die Schaffung neuer Kulturinstitutionen und die offensive Umsetzung des Kulturauftrages durch den ORF lösten eine zweite Welle der kulturellen Mobilisierung Vorarlbergs aus.
Im Mai 1997 spricht Sandner von einem bereits „völlig saturierten Kultur-, Kunst- und Geistesklima“ in Vorarlberg. Und die Stadt Bregenz sei im Hinblick auf die Zahl ihrer Kulturbauten überhaupt reif für das Guinness-Buch der Rekorde.[68]
Lässt man die Doppeldeutigkeit der Aussage Sandners einmal beiseite – Zufriedenheit im Sinne von Sattheit liefe auf geistigen Stillstand hinaus; zudem fügt Sandner ironisch hinzu: „Der Geist weht, wo er will, aber weht er auch im Vorarlberger Föhn?“ – so ist die Entwicklung Vorarlbergs seit der Ära Ilg dennoch bemerkenswert. Die Zahl und Vielfalt der kulturellen Veranstaltungen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ist so hoch wie nie zuvor. Sehr viele Gemeinden setzen ihren Stolz darein, einen „Kultursaal“ zu besitzen. Das Konservatorium in Feldkirch und die Musikschulen in den Gemeinden sorgen erfolgreich auf breiter Ebene für die Heranbildung eines musikalischen Nachwuchses. Das Theater für Vorarlberg konnte seine Existenz gut behaupten, trotz des Theatersterbens an anderen Orten. Das Bibliotheks-, Fortbildungs- und Fachschulwesen ist auf einem achtbaren Niveau (ohne freilich den Nachteil einer fehlenden Universität wettmachen zu können, vor allem im geisteswissenschaftlichen Bereich). Die sogenannten „kleinen Kulturveranstalter“ betreiben Breitenarbeit in einem früher nicht gekannten Ausmaß: Sie mobilisierten z. B. im Jahr l995 in l603 Veranstaltungen 70.000 Menschen; fast 60 Prozent der Künstlerinnen und Künstler auf diesem Sektor kamen aus Vorarlberg.[69]
Einer Reihe von Autoren, Komponisten und Architekten ist es gelungen, auch außerhalb des Landes bekannt zu werden. Die Schubertiade – ein vom Hohenemser Gerd Nachbauer geführtes, privates Kulturunternehmen mit höchstem Niveau – genießt internationales Ansehen. Die Bregenzer Festspiele konnten ihre Besucherzahl aufgrund künstlerisch und technisch effektvoller Inszenierungen des Spiels auf dem See vervielfachen. Das Kunsthaus Bregenz als „Jahrhundertbauwerk“ für die zeitgenössische Kunst ist auch in architektonischer Hinsicht von außergewöhnlicher Attraktivität.
Dass der Betrieb der Kulturbauten beträchtliche Geldmittel verschlingt, die von der direkten Kunstförderung abgezweigt werden müssen, und dass die finanzielle Unterdotierung des Landesarchivs die Gefährdung und Zerstörung von unwiederbringlichen Dokumenten und Kulturgütern durch den Schimmelpilz zur Folge hat, steht auf einem anderen Blatt. Nicht zu übersehen ist auch das Problem eines gewissen Überangebots von Kulturveranstaltungen. (Pater Nathanael Wirth, Propst von St. Gerold und einer der wichtigsten Pioniere unter den „kleinen“ Kulturveranstaltern, stellte im Februar 1998 dazu fest: „Es geht auf Kosten der Qualität, und man nimmt einander die Besucher weg, weil der Kuchen jener, die für Kultur ansprechbar sind, nicht viel größer geworden ist, aber auf mehrere Orte aufgeteilt werden muß. Aber immerhin – es bewegt sich etwas.“[70])
„Alemannia non cantat“ – „Alemannia cantat“
Die Sparpolitik Ulrich Ilgs und die Richtungsänderung nach seinem Abgang
Erst im Vergleich mit der Sparpolitik Ulrich Ilgs wird erkennbar, wieviel sich in den darauffolgenden Jahrzehnten in der Kulturpolitik bewegt hat. Man erhält den Eindruck, als ob das Land Vorarlberg einen beachtlichen Teil seiner Energien darauf verwendet habe, eine Beleidigung wettzumachen, die ihm im Jahre l962 von einem Minister für Unterricht und Kunst zugefügt worden war, nämlich von Dr. Heinrich Drimmel. Dieser hatte nach einem für die ÖVP enttäuschenden Wahlergebnis gemeint, es gehe eben nicht mehr, dass das höchstindustrialisierte Bundesland der zweiten Republik „noch zur Gänze vom Misthaufen aus regiert“ werde.[71] Damit war Ulrich Ilg gemeint, der wegen seiner aufrechten Haltung während der Nazizeit, seiner Redlichkeit und der von ihm geleisteten, großen Aufbauarbeit in den Nachkriegsjahren zwar höchstes Ansehen genoss, aber zu sehr in seiner bäuerlichen Tradition verharrte, um die Notwendigkeit der Modernisierung der Gesellschaft zu erkennen.
Ulrich Ilg und sein „Finanzminister“ Adolf Vögel – ebenfalls Landwirt – hatten wenig Interesse an einer musisch-kulturellen Weiterentwicklung des Landes. Das „Vorarlberger Funkorchester“, dessen Gründung l946 eine Pionierleistung ersten Ranges gewesen war, musste l958/59 aufgelöst werden, nachdem die Landesregierung nach der Umstrukturierung des Rundfunks nicht bereit gewesen war, zur Existenzsicherung des Klangkörpers einen finanziellen Zuschuss zu leisten. Die Vorarlberger Landesbühne unter der Leitung von Kurt Kaiser litt in den Nachkriegsjahren unter ständiger Finanznot sowie unter der Zensurpraxis im Lande (vor allem jener der Gemeinden), die laut Kaiser „weit über den Rahmen der nationalsozialistischen Zensurstellen hinausging“[72].
Für das größte, alljährlich wiederkehrende Kulturereignis Vorarlbergs, die Bregenzer Festspiele, hatte Ilg wenig übrig. Wie aus dem folgenden Zitat aus den Lebenserinnerungen des Landeshauptmannes hervorgeht, bezog sich sein Kulturverständnis hauptsächlich auf Erziehung und Schule und nicht auf die Kunst:
„Der Schwerpunkt der Kulturpolitik in allen vergangenen Jahren lag ohne Zweifel bei der Förderung des Schulwesens einschließlich der Lehrerbildung. Es liegt ein unbezahlbarer Wert für ein Land in einem Lehrerstand, der für fachliche und religiös-sittliche Erziehung beste Qualitäten aufweist. Diese Tatsachen werden leider oft übersehen und zu wenig geschätzt. Dafür wird umsomehr über Großveranstaltungen in der Presse geschrieben, als ob sie die Lebensgrundlage des Volkes wären, was aber in keiner Weise wahr ist. Hier liegt nach meinem Dafürhalten eine zuweitgehende Überbewertung vor.“[73]
Konsequenterweise lehnten Ilg und Vögel einen finanziellen Zuschuss des Landes zum Bau eines Festspielhauses stets ab. Auch der Hinweis auf die Umwegrentabilität brachte keinen Erfolg. (Wissenschaftliche Untersuchungen hatten ergeben, dass die Mehreinnahmen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft durch die Festspiele viereinhalbmal größer waren als die Subventionen.)[74]
Im Dezember l958 hatte Ulrich Ilg die Bregenzer Festspiele – wie sich bei einer Landtagssitzung zeigte – auf der politischen Ebene bereits abgeschrieben, doch die Hartnäckigkeit Karl Tizians (eines ursprünglichen Festspielskeptikers) und anderer Befürworter war größer, sodass die finanzielle Förderung durch das Land in einem gewissen Rahmen bestehen blieb.[75]
Die Politik der Sparsamkeit unter Ilg kam dem Land Vorarlberg im Fall des Festspielhauses langfristig teuer zu stehen. Bald nach dem Abgang Ilgs als Landesrat für Finanzen, im Jahr 1971, erreichte Ernst Bär, der Direktor der Festspiele, sein lang ersehntes Ziel, nämlich einen Beschluss über den Bau des Festspielhauses, wobei der Bund 40 % der Baukosten übernahm, das Land 35 % und die Stadt Bregenz den Rest. Dieser Vertrag war für das Land Vorarlberg und für Bregenz bedeutend ungünstiger und mit viel höheren Kosten verbunden als ein Vertragsangebot des Finanzministers Dr. Reinhard Kamitz, das dieser bereits im Jahr 1956 gemacht hatte: Der Bund wäre damals bereit gewesen, 80 % der Gesamtkosten zu übernehmen und das Bregenzer Festspielhaus als Bundesgebäude zu errichten.[76]
Der auslösende Faktor für die spöttische Kritik Drimmels an der – aus seiner Sicht – provinziellen Politik der Landesregierung dürfte das Twistverbot gewesen sein. Der Bregenzer Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Dr. Karl Tizian schrieb am 24. November l962 über die Reaktionen in Vorarlberg auf Drimmels Äußerung in sein Tagebuch: „Es gibt schadenfrohe und bestätigende Kenntnisnahme, es gibt Empörung über den Sprecher und den Inhalt, nicht zuletzt über die Form der Aussage. Aber Folgen wird es keine geben.“ Tizian sollte vorerst recht behalten. l964 trat Ulrich Ilg zwar als Landeshauptmann zurück und übergab sein Amt an Herbert Keßler, behielt aber den Schlüssel zur Macht, die Funktion des Finanzreferenten, wie erwähnt, noch bis November l969 in den Händen. „Die Landeskulturpolitik,“ notierte Karl Tizian 1969, „ist ein vernachlässigtes Kind. Ohne Gesicht, ein Flickwerk, überall halbe oder viertel Lösungen.“[77] Erst nach dem Ausscheiden Ilgs aus der Regierung trat das bäuerliche Element in der Landespolitik zurück, das seit langem der Verwirklichung von urbanen Kulturvorstellungen enge Grenzen gesetzt hatte.
Mit dem Feldkircher Rechtsanwalt Dr. Rudolf Mandl als Landesrat für Finanzen fand die allzu defensive Sparpolitik ein Ende. Mandl setzte auf Investitionen und erweiterte den finanziellen Spielraum für die Kultur beträchtlich. Der Reformstau, den Herbert Keßler und sein beamteter Kulturreferent Arnulf Benzer zu bewältigen hatten, war indessen enorm. Die Ära Keßler kann man als Periode des Übergangs und der strukturellen Verbesserungen bezeichnen, in der große Geldmittel in den Bau oder die Renovierung wichtiger kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen investiert wurden. Zu erwähnen sind hier z. B. das Bregenzer Festspielhaus, das Landeskonservatorium, die Landesbibliothek und das Landesbildungszentrum Schloss Hofen.
Herbert Keßler leistete neben Karl Tizian auf der landespolitischen Ebene den wesentlichsten Beitrag zur Existenzsicherung der Bregenzer Festspiele. Der eigentlich starke Mann in der Kulturpolitik des Landes war allerdings ein Beamter, nämlich Arnulf Benzer. Schon in der Ära Ulrich Ilg hatte er im Hintergrund die Fäden gezogen. (Ilg pflegte zu sagen: „Die Kultur, die macht der Benzer“[78], was auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Landeshauptmann und dem obersten Kulturbeamten schließen lässt). Und als sich die Landesregierung nach dem Abgang Ilgs zu einer Modernisierung ihrer Kulturpolitik gezwungen sah, war es wiederum Benzer, der – taktisch vorsichtig und anpassungsfähig im Hinblick auf den jeweiligen Zeitgeist – eine Art Wende herbeiführte. Die Voraussetzungen dazu waren nun günstiger als früher: Im Gegensatz zu Ulrich Ilg hatte Keßler auch eine persönliche Beziehung zur Kunst, nämlich über die Musik. Sein Ehrgeiz bestand darin, das Sprichwort „Alemannia non cantat“ – Alemannien singt nicht – zu widerlegen.[79]
Ideologisch gesehen blieb Keßler allerdings fest auf dem Boden der Weltanschauung seines Vorgängers. Versuche, einen Dialog zwischen Kunst und Politik herbeiführen, gerieten über das Anfangsstadium nicht hinaus; ein vorurteilsfreier Austausch von Ideen fand somit kaum statt. Zu groß waren die Vorbehalte Keßlers gegen die kritischen, gesellschaftsverändernden Aspekte der zeitgenössischen Kunst und Literatur. Zu ausgeprägt war noch die Erwartung, Kunst habe vorrangig beizutragen zur Festigung von geordneten, gedeihlichen und „geheiligten“ gesellschaftlichen Zuständen. Vermutlich spielte auch die Angst vor dem Unbekannten eine gewisse Rolle, eine – auch im Fall von FLINT unbegründete – Furcht vor Drogen und politischem Extremismus.
Keßler suchte weniger das dynamische Element in der Kunst oder die Neuheit von Erfahrungen. Im Vordergrund stand eher die Bestätigungsfunktion, nämlich die Bestätigung des eigenen Weltbildes und der traditionellen Ordnungsvorstellungen. Doch er ließ Verschiedenes zu, was früher nicht akzeptiert worden wäre, und er förderte es auch. Anfang der 1970er Jahre zum Beispiel warf Arnulf Benzer (nach eigener Darstellung) der Regierung und dem Landesamtsdirektor vor, neue Strömungen in der Kunst nicht zur Kenntnis zu nehmen. Insbesondere die abstrakte Kunst sei davon betroffen gewesen. Die Regierung habe in den Zeiten davor von ihm – Benzer – gelegentlich sogar die Vorführung von neu angekauften Kunstwerken verlangt.[80] Der Landeshauptmann stellte durch das 1974 vom Landtag verabschiedete Kulturförderungsgesetz – eine österreichische Neuheit – die Kunstförderung in Vorarlberg auf eine zeitgemäße Basis.[81]
Der Druck zur Änderung der Kulturpolitik war auch ein Resultat der wachsenden Konkurrenz durch die Sozialisten. 1970 verlor die ÖVP in Bregenz das Bürgermeisteramt an Fritz Mayer von der SPÖ. Bei den Nationalratswahlen l97l gewann die SPÖ unter Bruno Kreisky die absolute Mehrheit. Ein Teil der bürgerlichen Wähler hatte somit in der Landeshauptstadt Bregenz und auf Bundesebene signalisiert, dass auch ein Sozialist unter Umständen für sie wählbar war. Damit war eines der wichtigsten Ziele der ÖVP-Politik verfehlt worden, nämlich unter allen Umständen (gemeinsam mit den Freiheitlichen) zu verhindern, dass die Sozialistische Partei im bürgerlichen Lager Fuß fassen konnte. Der Sieg Fritz Mayers in Bregenz – diesmal mit Unterstützung der Freiheitlichen und der „Vorarlberger Nachrichten“ – löste Alarmstimmung in der ÖVP aus.
Der Minister für Unterricht und Kunst Dr. Fred Sinowatz zeigte große Bereitschaft, neue Kulturinitiativen – etwa im Bereich der „Alternativ- und Jugendkultur“ – zu unterstützen. Er erregte damit allerdings den Argwohn der Landesregierung, weil dies in ihren Augen eine Gefährdung der „Kulturautonomie des Landes“ war. Die im Entstehen begriffene „alternative“ Kulturszene profitierte von dieser Konkurrenzsituation, weil dadurch Geldmittel sowohl von der Landesregierung in Bregenz als auch vom Ministerium für Unterricht und Kunst in Wien flüssig gemacht werden konnten.
Die neuen Kulturinitiativen
Die Vorreiterrolle der Stadt Bregenz und die Funktion der Medien
Es war kein Zufall, dass sich Bregenz zum wichtigsten Schauplatz der „alternativen Kulturszene“ in Vorarlberg entwickelte. Mit dem Theater am Kornmarkt und dem Künstlerhaus – beide wurden 1955 eröffnet – hatte die Landeshauptstadt unter dem ÖVP-Bürgermeister Karl Tizian zwei wichtige Instrumente für eine offensive Kulturpolitik geschaffen. Als einzige Stadt Vorarlbergs verfügte Bregenz über ein Kulturreferat. Zu dessen Leiter hatte der Theaterliebhaber Tizian – von seiner Ausbildung her selbst Historiker, Kunsthistoriker und Archäologe – den Kunsthistoriker und Literaten Dr. Oscar Sandner gemacht. Tizian und sein Nachfolger als Bürgermeister, Fritz Mayer, hatten mit Sandner zwar zuweilen ihre liebe Not, weil dieser wenig Neigung zeigte, die Kostenvoranschläge für die von ihm organisierten Großausstellungen (z. B. „Angelika Kauffmann und ihre Zeitgenossen“ 1968, „Vorarlberger Barockbaumeister“ 1973, „Oskar Kokoschka“ 1976, „Englische Kunst der Gegenwart“ 1977) auch tatsächlich einzuhalten. Doch Sandner erwies sich als ideenreicher Kulturmanager mit guten internationalen Kontakten und hoher Kompetenz auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst. Der Umstand, dass Tizian und Mayer trotz massiver öffentlicher Kritik an ihrem als „schwierig“ geltenden Kulturamtsleiter festhielten, ist ein Beweis für die Schlüsselrolle, welche der Kulturpolitik in ihren Augen zukam.
Während das Theater für Vorarlberg trotz seiner nominellen Freiheit als sogenanntes Privattheater an der Nabelschnur der Landessubventionen hing, konnte sich Sandner unter dem „Schutz“ Tizians auch an die Aufführung politisch umstrittener Werke wagen, z. B. an Bert Brechts „Dreigroschenoper“ im Jahr 1956. Bürgermeister Tizian notierte im Anschluss an dieses Theaterereignis – in einer Inszenierung der Stuttgarter Komödie – am 20. November 1956 in sein Tagebuch:
„Sehr gute und ausgleichende Inszenierung ... Aber die Märe ist manchmal hart und Bert Brecht war ja zu lebzeiten Kommunist. Deswegen wollte uns der Rußkonzern („Vorarlberger Nachrichten“; Anm.) ... zum Absetzen des Stückes zwingen, drohte mit Skandal und Demonstrationen. Wir blieben fest, es wäre zu viel Präjudiz gewesen. Und das Publikum war einverstanden damit.“
Dr. Tizian ließ ein liberales Kulturprogramm nicht nur zu, er wollte es auch. Mit dieser Haltung agierte er gegen den Widerstand der Landes-ÖVP, „deren kulturpolitisches Verständnis“, so Oscar Sandner, „für Vorarlberg absolut hinter und nicht vor dem Berg war. Dr. Tizian hat mir wirklich größtmögliche Freiheiten in den Programmentscheidungen gelassen und mich auch gegenüber dem städtischen Kulturausschuß stark gemacht.“[82]
Bregenz spielte im Jazzbereich eine Vorreiterrolle (z. B. mit Konzerten Chris Barbers, Oscar Petersons in den 1960er Jahren oder mit dem ersten Europakonzert von Keith Jarrett im Frühjahr 1972 – unmittelbar im Vorfeld der Randspiele), ebenso auf dem Gebiet der avantgardistischen bildenden Kunst. Gottfried Bechtold stellte 1971 seinen Betonporsche her (laut Sandner „ein markantes Datum“); die Gründung der Galerie Krinzinger in Bregenz sowie eine Ausstellung mit visueller Poesie mit Künstlern wie Eugen Gomringer, Gerhard Rühm und Heinz Gappmayr im Künstlerhaus waren weitere Anzeichen dafür, dass das Bregenzer Kulturumfeld in Bewegung geraten war.[83]
Die kulturelle Protesthaltung der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten“ äußerte sich nicht in Demonstrationen, sondern in konkreten Kulturprojekten. Die organisatorischen Voraussetzungen schuf die Landeshauptstadt, indem sie den „Kulturproduzenten“ die städtische Infrastruktur für diesen Zweck zur Verfügung stellte. Die Vorbereitung und Umsetzung eines Alternativprogrammes hatte zur Folge, dass eine gewisse Loyalitätsgesinnung entstand, die auf der Ebene der Randspiele einen Kreis von Intellektuellen, „Kulturproduzenten“ und Medienleuten mindestens bis 1975 zusammenhielt und die in bestimmten Teilbereichen, z. B. in der Literatur, bis in die 1990er Jahre anhielt. Die nach Ansicht der „Randspiel-Akteure“ unzureichende Berücksichtigung der zeitgenössischen Kunst bei den Bregenzer Festspielen in der Direktionsära Ernst Bär und das Vorhandensein eines gemeinsamen „Feindbildes“ – personifiziert durch Herbert Keßler – taten ein übriges, um die Bereitschaft zum Zusammenschluss zu fördern.
Dabei wurde (von der Warte des Landeshauptmannes aus gesehen: ungerechterweise) außer acht gelassen, dass Keßler trotz seiner Ängstlichkeit gegenüber der „Jugendkulturszene“ im Vergleich zu seinem Vorgänger Ulrich Ilg wesentlich kulturfreundlicher agierte und gewisse Fortschritte nicht zu übersehen waren (allerdings im Rahmen eines vorwiegend traditionellen Kulturbegriffes; Franz Bertel kritisierte weiters, dass die Förderungsmittel nach dem Gießkannenprinzip verteilt würden und nicht nach Qualität.)[84] Übersehen wurde auch, dass den Festspielen 1971 mit einer sensationellen Aufführung von „Porgy and Bess“ ein großer Schritt in Richtung Modernisierung gelungen war und sich Direktor Ernst Bär – in Anbetracht des Desinteresses weiter Bevölkerungskreise am Kulturgeschehen – schon früher große Verdienste um das Kulturleben in Vorarlberg erworben hatte. Nicht zuletzt seiner Hartnäckigkeit verdankten die Festspiele ihren Fortbestand – trotz starker Widerstände von seiten der Vorarlberger Landesregierung. (Lediglich Arnulf Benzer war innerhalb der Landesverwaltung – gegen den Strom schwimmend – als nachdrücklicher Befürworter der Festspiele aufgetreten.)
Die Kritik der „Kulturproduzenten“ war grundsätzlicher Art. Gefordert wurde eine Neudefinition des Kulturbegriffes. Kultur sollte nicht allein zur Behübschung des Alltags dienen (das Spiel auf dem See: eine „Insel der Operettenseligkeit“), nicht bloß als musisches Kulinarium oder als Stätte der religiösen Erbauung (Theaterstücke mit moralisierender Tendenz wie „Der große Verzicht“ von Reinhold Schneider oder „Franziskus“ von Max Zweig gaben eine Zeit lang bei den Festspielen den Ton an).[85] Es ging um das Zeitgemäße in der Kunst und um die Forderung, auch unangenehmen, gesellschaftskritischen Themen nicht auszuweichen. Der Bildhauer Walter Salzmann rückte in den Gesprächen auf Schloss Glopper 1972 die „existentielle Dimension“ der Kunst in den Vordergrund: „Für mich ist die Basis das geschändete Menschenbild, und in dieser Richtung baue ich meine Arbeit auf.“ Aktive Kulturpolitik sollte weiters bedeuten, so der Publizist Kurt Greussing, „dass den Menschen in diesem Land Gelegenheit gegeben wird, neue Formen der Kommunikation im Land herzustellen. Dazu gehört beispielsweise, dass Menschen, die sich künstlerisch etwa mit der Problematik der Gastarbeiter befassen, auch wirklich gefördert werden.“[86]
Zum ersten Mal seit 1945 wurde von einer Gruppe namhafter Kulturschaffender, und nicht bloß von Einzelpersonen, in einem kulturellen Kontext die Frage nach den Machtverhältnissen gestellt und nach der Befindlichkeit der Demokratie in Vorarlberg. Zum ersten Mal fand eine kulturelle Oppositionsgesinnung auch ein starkes Echo in einem Teil der Medien, denn das gesellschaftliche und mediale Umfeld in Vorarlberg hatte sich seit der Rundfunkreform 1966/67 wesentlich geändert.
Vor der Reform war der Rundfunk in Österreich weitgehend ein Spielball von Machtinteressen der Parteien gewesen.
Radio Vorarlberg war bis Dezember 1954 im Besitz des Landes. Die Informationspolitik des Senders – neben der Funktion als Kulturträger und Arbeitgeber für das „Vorarlberger Funkorchester“ – deckte sich im wesentlichen mit jener der Pressestelle der Vorarlberger Landesregierung. Von kritischer, wirklich unabhängiger Journalismusarbeit konnte nicht die Rede sein. Die Gesamtleitung hatte mit Dr. Arnulf Benzer ein hoher Landesbeamter inne. Der politische Einfluss blieb auch in der Proporzzeit bestehen, als der Rundfunk in zwei Einflusssphären geteilt wurde, in eine rote und eine schwarze.
Die Rundfunkreform 1966/67 war für die Bundesländer und damit auch für Vorarlberg vor allem in zwei Richtungen bedeutsam. Sie brachte den Landesstudios im Sinne des Föderalismus eine enorme Aufwertung. Gerd Bacher – ein gebürtiger Salzburger – ging von der Überzeugung aus, dass ein wesentlicher Teil des kulturellen Potentials Österreichs in den Bundesländern liege und dass es aufgrund der bis dahin zentralistischen Struktur des Rundfunks kaum genutzt worden sei. Der ORF der Zukunft sollte „die größte Orgel des Landes sein“, Kunst und Literatur somit eine wichtige Rolle spielen. Trotz der niedrigen Einwohnerzahl erhielt auch Vorarlberg ein technisch, budgetär und personell großzügig ausgestattetes Studio.
Der Programmbereich umfasste eigenständige Abteilungen u. a. für E-Musik, U-Wort, U-Musik, Volkskultur, Literatur und Wissenschaft. Die „Pflege“ der akustischen Künste und die „Betreuung“ der Musiker, Sänger, Komponisten, Literaten und Hörspielmacher in Vorarlberg konnte dadurch in einem bis dahin nicht gekannten Umfang ausgeweitet werden. Im Bereich der Information galt für den Bacher-ORF die BBC als Vorbild, also eine Sendeanstalt mit langer demokratiepolitischer Tradition, wie überhaupt gewisse Demokratievorstellungen des angelsächsischen Raums – „Macht braucht Kontrolle“, „Demokratie als ein Konkurrenzsystem der Parteien“ – eine Art Leitbildfunktion ausübten.
Hätten sich die Veranstalter der „Randspiele“ als Kritiker des Status quo in Vorarlberg z. B. ein Jahrzehnt früher zu artikulieren versucht, wäre ihnen vermutlich viel weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden als dies in dem nach politischer Unabhängigkeit strebenden Bacher-ORF geschah. Auch das Ende des „Vorarlberger Volksblattes“ als Parteiorgan der ÖVP und dessen Ablösung durch die „Neue Vorarlberger Tageszeitung“ im Jahre 1972 wirkte sich für die Propagierung einer zeitgemäßen Kulturgesinnung günstig aus. Das ORF-Landesstudio Vorarlberg und die „Neue Vorarlberger Tageszeitung“, deren Kulturseite von April 1972 bis Oktober 1973 von Dr. Wolfgang Burtscher redigiert wurde, widmeten der Berichterstattung über die neuen Kulturinitiativen breiten Raum und setzten darüber hinaus auch kritische Akzente in der Medienlandschaft Vorarlbergs. Die Macht der „Vorarlberger Nachrichten“ in der Meinungsbildung, speziell der Einfluss ihres Chefredakteurs Dr. Franz Ortner, wurden dadurch bis zu einem gewissen Grad relativiert. Über die Bregenzer Festspiele hatten die „Vorarlberger Nachrichten“ in der Regel stets wohlwollend berichtet. Der gute Kontakt zwischen den „VN“ und den Festspielen rührte daher, dass Direktor Ernst Bär früher Redakteur dieser Zeitung gewesen war.
Das Landesstudio Vorarlberg entwickelte sich bis in die 1990er Jahre hinein gemäß dem Kulturauftrag zu einem wichtigen Impuls- und Auftraggeber für Musikschaffende und Autoren des Landes. Dabei profitierte der ORF selbst wohl am meisten von der Entstehung einer Vorarlberger Musik- und Literaturszene, deren Weiterentwicklung er durch international beschickte Workshops und Literaturseminare für Autoren, etwa im Hörspielbereich, zu stimulieren suchte.
Folgt man der Einschätzung Dr. Oscar Sandners, der die Exponenten des Trägervereins „Kulturproduzenten“ im Spektrum von „Mitte links bis etwas weiter links“ einordnete, dann darf die politische Dimension der „Randspiele“ und ihrer Nachfolgeveranstaltungen nicht überbewertet werden.[87] Diese Aussage trifft sicherlich zu, wenn damit die politischen Machtverhältnisse in Vorarlberg gemeint sind. Die ÖVP blieb auch weiterhin die dominierende Kraft im Lande. Längerfristig signalisierten die „Randspiele“ aber den Beginn einer neuen, gesellschaftspolitischen Ära. Die konservativen Positionen des politischen Katholizismus bröckelten nach und nach ab, die ÖVP sah sich gezwungen, dem Lebensgefühl einer jungen Generation, wenn auch nur zögernd, Rechnung zu tragen und sich in kultureller Hinsicht etwas flexibler als zu Zeiten Ulrich Ilgs zu erweisen und – was den Sektor der Investitionen in Kulturbauten anlangte – in die Offensive zu gehen.
Die „Randspiele“, deren Organisatoren es verstanden, die „rote“ Wiener Regierung in bezug auf die Subventionen geschickt gegen die „schwarze“ Landesregierung auszuspielen, präsentierten ein Programm der Öffnung, das wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre: 70 Veranstaltungen und 10 Ausstellungen allein in den ersten drei Jahren – Jazz mit Chick Corea, Gary Burton, Ralph Towner, Gunter Hampel, Terje Rypdal usw., Pop, Folk, Neue Musik wie Cage und Boulez (erstmals in Vorarlberg), zeitgenössisches Theater, Straßentheater, Kabarett, Film, Fotografie, Kirchenmusik und nicht zuletzt: Literatur von Vorarlberger Autoren.[88] Der ORF trat zuerst als „Multiplikator“, dann als Mitakteur in Erscheinung, z. B.1975 mit einer öffentlichen Hörspielproduktion eines Werks von Michael Köhlmeier („Drei im Café spielen“). Im selben Jahr erlebte auch das Stück „Like Bob Dylan“ von Michael Köhlmeier bei den „Bregenzer Randspielen“ seine Uraufführung. Im Bereich der Literatur bildete sich weiters eine neue, von Walter Fink betreute Publikationsreihe mit dem Titel „Zeitwörter“ heraus, die in der Vorarlberger Verlagsanstalt herausgebracht wurde.
Die schrittweise Liberalisierung des kulturellen und gesellschaftlichen Klimas ab 1971 in Österreich war zum wesentlichen Teil ein Werk der Regierung Kreisky, entsprach aber auch einem internationalen Trend. „Entscheidend“, so Oscar Sandner über die Entwicklung in Vorarlberg, „war unter anderem sicher ein Unterrichts- und Kunstminister Fred Sinowatz“, seiner Ansicht nach „überhaupt der beste Kunstminister, den Österreich hatte, und in Bregenz ein Bürgermeister wie Fritz Mayer, der die offene Kulturpolitik seines Vorgängers, Dr. Tizian, fortsetzte und verstärkte.“[89]
Kreiskys Strategie, den Klassenkampfcharakter der SPÖ abzulegen und das „bürgerliche“ Element in den Vordergrund zu stellen, war – so scheint es – eine wesentliche Voraussetzung für den Abbau alter Feindbilder. Umgekehrt waren die alten Radikalpositionen des politischen Katholizismus gegenüber der Sozialdemokratie längst nicht mehr durchzuhalten, vor allem die Verwendung der Religion für politische Zwecke.
Wie groß die Barrieren zwischen Klerikalismus und Sozialdemokratie früher gewesen waren, mögen drei Beispiele veranschaulichen. 1893/94, zur Zeit des schärfsten Kampfes der Christlichsozialen gegen das Vordringen der sozialistischen Partei, hatte der konservative Landeshauptmann Adolf Rhomberg – einem Gelübde folgend – gegenüber seinem Wohnhaus in der Dornbirner Marktstraße ein Kloster für den Kapuzinerorden errichten lassen. Es sollte der Missionierung der Arbeiterschaft dienen. Das Altarbild der Kapuzinerkirche ist wohl das einzige weitum, dem eine parteipolitische Grundidee zugrunde liegt. Das Gemälde zeigt einen händeringenden, in Not geratenen Arbeiter, der im Begriffe ist, sich in die Arme der Sozialdemokratie zu stürzen; da greift – so die Symbolik des Bildes – der hl. Josef ein, verschafft ihm Arbeit und Brot und leitet ihn dadurch auf den rechten Weg, nämlich auf den Weg der christlichsozialen Partei.[90]
Bischof Sigismund Waitz (Erzieher von Kaiser Karl I. und von 1913 bis 1935 Generalvikar von Feldkirch) sah nach dem Ersten Weltkrieg im modernen Staatsrecht ein Verhängnis für die Völker. Für ihn gab es lediglich eine Unterscheidung, nämlich jene zwischen „Satanokratie“ und „Theokratie“. Waitz wörtlich: „Ein Drittes aber gibt es nicht.“[91]
1926 bezeichnete Caritasdirektor Dr. Josef Gorbach – einer der einflussreichsten Priester Vorarlbergs – die Sozialisten als „Feinde, die ... in unser schönes katholisches Vorarlberg eingebrochen sind ... Es sind keine Vorarlberger, in denen das Blut unserer Väter rollt; sondern Eindringlinge, Ausländer, Fremdlinge. So kommen zum Großteil von dorther, wo das Judentum und der Bolschewismus auf dem Throne sitzen ..., von Wien her, dem einstigen katholischen, heute verjudeten Sowjet-Wien ... Kaum ein Monat vergeht, wo nicht der eine oder andere Sendling der Hölle (sic!), nämlich des Judentums, der Freimaurerei und Freidenkerei die ... Bahnfahrt nach Vorarlberg macht, um in unser Volk die Pestseuche des Unglaubens, der Unmoral zu tragen ...“[92]
Andererseits gab es in der Zwischenkriegszeit auch führende christlich-soziale Politiker, die der radikalen Ausgrenzung der Sozialdemokratie nichts abgewinnen konnten. Zu ihnen zählten Vizekanzler Jodok Fink und der Nationalratsabgeordnete Dr. Karl Drexel. Beide galten als überzeugte Demokraten. Jodok Fink starb 1929 – zu früh, um sich im Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern des autoritären Ständestaates einschalten zu können. Die Bemühungen des „linken“ Priesters Dr. Drexel, Vorurteile gegenüber der Sozialdemokratie abzubauen und die parlamentarische Demokratie zu retten, hatten, wie Reinhard Mittersteiner darlegt, wenig Erfolg:
„Da sich Drexel, so er eine Idee des politischen Gegners für gut hielt, auch öffentlich dazu bekannte und weiters jede Aushöhlung der Demokratie scharf bekämpfte, bekam er um 1930 parteiintern den Spitznamen ‚p.u.‘ für politisch unzuverlässig. Von seiner strikten Ablehnung ständestaatlicher, antidemokratischer Tendenzen in der eigenen Partei machte er absolut kein Hehl. In einer Rede ... 1933 griff er die Vaterländische Front auf das schärfste an und verkündete, dass Dollfuß bereits zur Marionette der Austrofaschisten Starhemberg und Fey geworden sei. Aufgrund solcher und ähnlicher Äußerungen wurde Drexel zunehmend ins politische Aus gedrängt ...“[93]
Elmar Grabherr – „die graue Eminenz”
Ein Hauptmerkmal der Demokratie ist – laut Karl Popper, dem „Lieblingsphilosophen” von Landeshauptmann Martin Purtscher – die Abwählbarkeit der Regierenden. Im Hinblick auf einen der mächtigsten Männer zwischen 1945 und 1980 in Vorarlberg konnte dieses Prinzip nicht in Anwendung gebracht werden, denn es handelte sich um einen Beamten. Es war dies Elmar Grabherr, die „graue Eminenz” der Landesregierung. Er brachte von Anfang an ein stark obrigkeitsstaatliches Element in die Landesverwaltung: ab l945 als Leiter des Präsidiums im Amt der Landesregierung und als Schriftführer des Landtages, von Juli l955 bis Dezember l976 als Landesamtsdirektor und Personalchef. Sein ehrgeiziges Bemühen, aus Vorarlberg ein Musterland zu machen, mit der besten und sparsamsten Verwaltung, drückte sich unter anderem in einem ausgeprägten Kontrollbedürfnis aus.[94]
Kritiker Grabherrs sagten von ihm, er hätte am liebsten einen Zaun um Vorarlberg errichtet, um das Land vor Einflüssen zu schützen, die nicht in sein Weltbild passten.[95] Sein Hauptziel war die „Selbständigkeit des Landes“. Seine Fähigkeiten als Jurist wurden allgemein anerkannt, auf der anderen Seite, so Arnulf Benzer, sei er dem Irrtum unterlegen, man könne das Leben tatsächlich mit Paragraphen und Gesetzen regulieren.[96] Als Instrument für die ideologische Verfügbarkeit über das Land dienten die Kultur im weitesten Sinn, die Geschichtswissenschaft und das Rechtswesen.
Landesamtsdirektor Elmar Grabherr, der den Vorbildcharakter der Vorarlberger Demokratie stets betonte, aber als Beamter in einem außergewöhnlichen Maß auch politische Macht ausübte, war bis Ende l976 oberster Chef der gesamten Beamtenschaft, die er mit straffen Zügeln lenkte. Als Jurist zählte er zu jenen, die eine Kompetenzerweiterung der Bundesländer in föderalistischem Sinn erreichten. Damit war – als Kehrseite der Medaille – eine Verfestigung regionaler Machtstrukturen verbunden. Er galt als Kopf und Motor bei der Propagierung der „Alemannenideologie“ und der „Pro-Vorarlberg“-Bewegung (1979/80). Seine guten Kontakte zu den „Vorarlberger Nachrichten“ wusste er – nicht selten an den Politikern vorbei – in seinem Sinn zu nutzen. Er war bei der Gründung des Franz-Michael-Felder-Vereins beteiligt und zog die Fäden bei der Rheticusgesellschaft und der Vorarlberger Juristischen Gesellschaft. Die Etablierung einer „offiziellen Geschichtsschreibung“, die – ideologisch gesehen – auf eine Stabilisierung der Machtverhältnisse in Vorarlberg hinauslief und ihren Hauptvertreter in Benedikt Bilgeri hatte, war Elmar Grabherrs Werk.
Grabherr zeigte wenig Bereitschaft, den Status von Bregenz als Landeshauptstadt anzuerkennen. Er hätte lieber seine Heimatstadt Feldkirch in dieser Rolle gesehen. Dem steten Bemühen Karl Tizians, auf dem Wege der Kulturarbeit die Position von Bregenz auszubauen, setzte Grabherr mit Hilfe Ulrich Ilgs zähen Widerstand entgegen. Hier ist ein Teil der Schwierigkeiten der Bregenzer Festspiele zu sehen, übrigens auch des Vorarlberger Landesmuseums, eine Erhöhung der knappen Förderungsmittel durch das Land zu erreichen. Ein weiterer Grund für Grabherrs kritische Haltung gegenüber Bregenz war die im Vergleich zu den übrigen Orten Vorarlbergs am weitesten fortgeschrittene „Verösterreicherung“ der Stadt.[97] Damit war der relativ starke Zuzug aus den Bundesländern östlich des Arlbergs sowie aus Gebieten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gemeint. Für Elmar Grabherr war es laut Arnulf Benzer „eine negative Erinnerung, dass der ganze Beamtenstab der Technik in der Vorarlberger Landesverwaltung vor 1938, also der Ingenieure bzw. Nichtjuristen, völlig auf Böhmen und Sudetendeutsche abgestellt war ... Wovor er zum Beispiel Angst hatte, war die ‚Verweichlichung‘ des alemannischen Charakters.“[98]
Die Heirat einer Cousine Grabherrs mit einem niederösterreichischen Gendarmeriebeamten fand ebenso die Missbilligung des Landesamtsdirektors[99] wie die starke Präsenz von Künstlern aus der Bundeshauptstadt Wien während der Bregenzer Festspiele. Ein nach Osten, nach „Innerösterreich“, sich ausrichtendes Kulturbewusstsein stand in striktem Widerspruch zu seinem eigenen Geschichtsbild. Diese Haltung wurzelte in seiner grundsätzlichen Ablehnung des Herrschergeschlechtes der Habsburger und ihrer Politik. Seine besondere Sympathie galt der Schweiz. Das patriarchalisch-demokratische System des Kantons Appenzell, das keine geheime Abstimmung vorsah und früher auch kein Frauenstimmrecht kannte, stellte Grabherr als Vorbild hin. Ihm schwebte ein Alemannenstaat für alle Bodenseeländer vor.[100]
Ein Problem sah Grabherr weiters in der – wie er es ausdrückte – „Rassenmischung“ in der Bundeshauptstadt Wien.[101] In seinen Augen leisteten die Bregenzer Festspiele einer „Verwienerung“ der Kultur in Vorarlberg Vorschub. Arnulf Benzer – langjähriges Mitglied von Entscheidungsgremien der Festspiele – betonte demgegenüber in einem Rückblick, die Engagements von jüdischen Künstlern seien in den ersten zehn Festspieljahren besonders zahlreich gewesen.
Vor dem Hintergrund der langjährigen Konflikte zwischen Grabherr und Ilg auf der einen und Tizian auf der anderen Seite wird die staatspolitische Dimension der Bregenzer Festspiele deutlich. Für den überzeugten Österreicher und Patrioten Karl Tizian waren die Festspiele nicht nur ein Kulturereignis an sich, sondern auch eine wichtige Plattform zur Stärkung des österreichischen Staatsbewusstseins in Vorarlberg. Hier bot sich die Möglichkeit, das Selbstverständnis Österreichs als Kulturnation hervorzukehren. Die Eröffnung der Bregenzer Festspiele ist denn auch stets als Staatsakt zelebriert worden, bei dem Spitzenvertreter der Republik zugegen waren. Damit sollte offenbar auch „von Wien aus“ jener antiösterreichischen Tendenz entgegengewirkt werden, die ihren Urheber in Elmar Grabherr hatte. Ernst Bär betonte als Direktor der Festspiele häufig die Brückenfunktion dieses Kulturunternehmens zwischen Österreich und den europäischen Staaten im Westen. Als mindestens ebenso bedeutsam erwies sich die Brückenfunktion zwischen Vorarlberg und Wien.
Der Einfluss Grabherrs auf die Landespolitik war unter Ulrich Ilg besonders ausgeprägt. Auch die Ära Herbert Keßler, über dessen „Alemannenreden“ sich Karl Tizian in seinem Tagebuch öfters lustig machte,[102] trug in mancherlei Hinsicht den Stempel Grabherrs. Die Macht des obersten Landesbeamten wurde ab 1970 allerdings etwas relativiert, da sich der neue starke Mann der Landesregierung, der Landesrat für Finanzen Dr. Rudolf Mandl – ein Freiberufler und Pragmatiker – nicht ohne weiteres ins ideologische Korsett des Landesamtsdirektors zwängen ließ und auch in juristischen Fragen nicht immer einer Meinung mit Grabherr war. Die Förderung der Festspiele durch die Landesregierung entwickelte sich ab l970 wesentlich günstiger als zuvor. Die Stärkung der Position der Landeshauptstadt Bregenz mit Hilfe der Kulturpolitik konnte Grabherr auf Dauer nicht verhindern.
Wie groß seine Macht in der Ära Ilg gewesen war, zeigte sich darin, dass es ihm 1964 gelungen war, die Aufnahme seines stärksten Gegenspielers, Karl Tizian, in die Landesregierung zu verhindern. Grabherrs Einfluss auf Ulrich Ilg ist es zu verdanken, dass dieser l964 nicht den unbotmäßigen und selbstbewusst auftretenden Tizian, sondern den Beamten Herbert Keßler zum Landeshauptmann machte. Keßler war im Zuge seiner Beamtenkarriere durch die ideologische Schule Grabherrs gegangen.[103] Im Rückblick fällt das Urteil Keßlers über Grabherr zum Teil allerdings kritisch aus: Der Landesamtsdirektor sei zwar ein exzellenter Verfassungsjurist gewesen, gleichzeitig jedoch auch einseitig und manchmal sehr starr.
Dass eine durchgreifende Entnazifizierung niemals ein Anliegen der Vorarlberger Landesverwaltung war, hängt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit dem Einfluss Grabherrs zusammen. Er war ab 1. Jänner 1941 Mitglied der NSDAP (Aufnahmeantrag am 23. März 1939)[104] . 1935 war er als Jurist in den Vorarlberger Landesdienst eingetreten und einige Zeit nach dem „Anschluss” an Deutschland in die Gauleitung nach Innsbruck übernommen worden. Im Laufe seiner Beamtenkarriere unter nationalsozialistischen Vorzeichen brachte es Elmar Grabherr bis zum Personalchef der Zivilverwaltung in der Operationszone Alpenvorland mit Sitz in Bozen. Als Oberster Kommissar dieser Dienststelle, welche die Bereiche Inneres, Finanzen, Justiz, Wissenschaft und Unterricht, Wirtschaft, Versorgung und Landwirtschaft, Forst, Pressewesen, Bauamt, Jugend, Volkswohlfahrt, das Institut für Landes- und Volksforschung, Propaganda sowie das Büro des “höheren SS- und Polizeiführers” umfasste, fungierte Gauleiter Franz Hofer. Verantwortlich für den Bereich “Inneres” war der Bregenzerwälder Dr. Egon Denz, als Vertreter für den Gauamtsleiter in der Abteilung Wirtschaft in Bozen amtierte der spätere Generaldirektor der VKW und der Illwerke DDr. Adolf Berchtold. Dieser Apparat war eine Parallelverwaltung zur fortbestehenden, aber zurückgedrängten italienischen Verwaltung.[105] In der Schlussphase des Krieges (1944) übernahm Elmar Grabherr laut Auskunft seines Cousins Hubert Grabherr die Funktion eines Polizeichefs. [106]
Innerhalb der NSDAP gab es indessen eine breite Palette in der Art und Intensität der Mitwirkung. Eine Parteimitgliedschaft Elmar Grabherrs aus Gründen der Opportunität oder Karriere ist wahrscheinlicher als eine Zugehörigkeit aus Begeisterung für den Nationalsozialismus. Von Gauleiter Hofer weiß man, dass er zuweilen auch Mitarbeitern Aufstiegschancen bot, die sich hauptsächlich durch ihre berufliche Fähigkeiten und Verwaltungskenntnisse hervortaten und nicht allein durch ihre Linientreue.[107] Nach allem, was man bisher sagen kann, war Grabherr kein Anhänger Hitlers in jenem Sinn, wie es Dr. Franz Ortner, der langjährige Chefredakteur der „Vorarlberger Nachrichten”, gewesen ist. (Ortner war vom großdeutsch ausgerichteten Familienmilieu seiner Mutter geprägt worden. Sein Heimathaus in Götzis, der Gasthof „Kreuz”, galt als eine Hochburg der „Nationalen”. Sein Vater, Josef Ortner, war Eisenbahner und stammte aus Attnang-Puchheim in Oberösterreich. Franz Ortner hatte sich „aus Begeisterung für den Nationalsozialismus” freiwillig an die Ostfront gemeldet und war schwer verwundet heimgekehrt. Sein Engagement für das Regime setzte er als Mitarbeiter eines in Wien stationierten NS-Propaganda-Senders fort.)[108]
Eines ist freilich nicht zu übersehen: das Ideengut des Nationalsozialismus hinterließ – neben dem traditionellen christlichen Antisemitismus – deutliche Spuren im politischen Denken Elmar Grabherrs. Sein berüchtigter „Alemannenerlass” aus dem Jahre 1961, der vorsah, nur „echte Vorarlberger” als Beamte in den Landesdienst aufzunehmen[109], seine Kritik an der „Rassenmischung” in der Bundeshauptstadt Wien und eine Reihe von Zeitungsartikeln im Rahmen der „Pro-Vorarlberg-Bewegung” der Jahre 1979/80 sind Belege für den „völkischen” Grundtenor seiner Ideologie.[110] Dass ein Teil von Grabherrs Ideen aus dem Dunstkreis und geschichtlichen Vorfeld des Nationalsozialismus stammte, ergibt sich auch aus einem Vergleich seines Alemannen-Kapitels in seiner „Vorarlberger Geschichte” (erschienen 1986) mit der 1940 erschienenen „Vorgeschichte der deutschen Stämme”, herausgegeben von Prof. Dr. Hans Reinerth unter der Schirmherrschaft des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte und des Reichsamtes für Vorgeschichte der NSDAP. Grabherr transponierte die Idee von der Überlegenheit der germanischen Rasse eine Oktave tiefer auf die Ebene alemannisch-rätischen Volkstums, er reduzierte das Völkische auf einen Stamm. Aus dem Gesamtvölkischen wurde das Zwergvölkische. Das Anrüchige dieses Begriffs ging dadurch verloren.[111]
Elmar Grabherrs Mitgliedschaft bei der NSDAP und sein Nahverhältnis zu Gauleiter Hofer waren nach Kriegsende einem Kreis von Eingeweihten zwar offenbar bekannt, wurden aber in der breiten Öffentlichkeit nicht diskutiert, schon gar nicht in den führenden „Vorarlberger Nachrichten”, wo ja ebenfalls ehemalige nationalsozialistische Parteigänger Aufnahme gefunden hatten. Die Rolle Grabherrs in der Nazizeit und sein Verhältnis zu Gauleiter Hofer ist noch wenig erforscht. Festzuhalten ist, dass der Gauleiter – abstammungsmäßig zur Hälfte Vorarlberger –, Vorarlberg absolut tirolisieren wollte. Und er bestrafte jene, welche eine eigenständige Vorarlberger Verwaltung erhalten wissen wollten. So musste zum Beispiel Dr. Rudolf Kopf, nach dem „Anschluss” kurzfristig Statthalter (Landeshauptmann-Stellvertreter), seine eigene Meinung in dieser Frage mit der Verbannung nach Aussig in Nordböhmen büßen.[112]
Elmar Grabherr hingegen zeigte sich „anpassungsfähig“; er gehörte nicht zu jenen, die sich dazu entschlossen hatten, in der Zeit des Nationalsozialismus den „Vorarlberger Standpunkt” zu vertreten. Die Tatsache, dass er während der Kriegszeit an leitender Stelle in der Administration des Gauleiters Hofer tätig gewesen war, also jenes Mannes, der die verwaltungsmäßige Selbständigkeit Vorarlbergs abgeschafft hatte, war ein Kapitel seiner Biographie, das ihm sichtlich unangenehm war.[113] Dass gerade Grabherr – von seiner Abstammung her übrigens nur zur Hälfte „echter Vorarlberger” – zum Propagandisten der Alemannenideologie und zum Wortführer der „Pro-Vorarlberg“-Bewegung werden konnte, zeugt von den inneren Widersprüchen dieser Initiative. Während seiner Tiroler Zeit durfte sich Grabherr nämlich darauf berufen, selbst ein halber Tiroler zu sein. Seine Mutter war als Berta Mair in Bozen geboren worden ...
Elmar Grabherr war in Südtirol Personalchef einer Behörde gewesen, die ab 1943 eine wichtige Rolle im „Volkstumskampf” der Südtiroler gegen Italien gespielt und die Aussiedlungspolitik der Italiener durchkreuzt hatte. Man darf davon ausgehen, dass er im Klima der kulturellen Frontkampfmentalität in Bozen Anstöße erhalten hatte, gewisse Elemente dieser Politik später auch auf Vorarlberg zu übertragen. Die Vorstellung, dass es im „völkischen” Bereich darum gehe, einen Kampf gegen „fremde Einflüsse” zu bestehen, ist jedenfalls ein Grundelement in Grabherrs Denken. Die Angst vor dem “Fremden” hatte in Vorarlberg indessen eine lange Tradition.
Das „Land vor der Haustüre” – ein Exkurs
Schon 186l war die Idee von einer Art ideologischer Einheit Vorarlbergs aufgetaucht. Der Dornbirner Arzt Dr. Josef Anton Ölz hatte, um die Ansiedlung von Protestanten aus der benachbarten Schweiz und aus Süddeutschland zu verhindern, die Erhaltung der „Glaubenseinheit” Vorarlbergs gefordert.[114] Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als man nach dem Bankrott der absolutistischen Regierung in Österreich die ersten, zaghaften Schritte in Richtung Demokratie und Selbstbestimmung wagte, indem man z. B. die Einberufung eines Landtages erlaubte. Vorarlberg wurde damals politisch und kirchlich von außen regiert. Der Sitz der Statthalterei war Innsbruck, der Fürstbischof saß in Brixen.
Am Anfang stand aber Ungewissheit. Ungewissheit über den zukünftigen politischen Status Vorarlbergs. Unsicherheit auch darüber, wie das das kleine, unbedeutende Ländchen im äußersten, westlichen Zipfel der Monarchie gelegen, mit drei Kleinstädten und einigen Märkten, ansonsten aber mit einer durchwegs ländlich-bäuerlichen Struktur und Mentalität, sich gegenüber den politischen und kirchlichen Entscheidungszentren Wien, Innsbruck und Brixen würde behaupten können.
Ein geistiges Zentrum, welches als Symbol für ein unverwechselbares kulturelles Profil des Landes hätte dienen können, gab es nicht. Selbst der Name des Landes vor dem Arlberg ist aus der Perspektive der Innsbrucker Regierung entstanden. In einem abwertenden Sinn, den Elmar Grabherr in ihm zu erkennen glaubte, bedeutet er gleichsam: „das Land draußen vor der Haustüre ...”.[115] In Schwaben sprach man um l860/70 gelegentlich von Tiroler Hütebuben, wenn man zum Beispiel Kinder aus dem Vorarlberger Walgau meinte, die von Frühling bis Herbst bei schwäbischen Bauern Arbeit und Unterkunft fanden.[116]
Schon im Frühstadium der Entwicklung zur modernen Parteiendemokratie in Vorarlberg haben wir es also mit dem Problem einer noch ungefestigten Identität zu tun, mit einem Thema, das auch im 20. Jahrhundert eine Rolle spielen sollte. Die notorische Betonung der Überlegenheit des Alemannentums ist zu einem Gutteil ein Akt der Kompensation, ein Versuch der Selbstbehauptung in einem großen Staatskörper, in dem das Land vor dem Arlberg zur Zeit der Monarchie schon aufgrund seiner Kleinheit nur eine Randexistenz führte.
Europaweit gesehen ist der Zeitraum von l800 bis 1945 das Zeitalter des sich überschlagenden Patriotismus und des nationalen Übereifers. In einem allgemeinen Klima der vaterländischen und „völkischen” Gesinnung, die sich später bis zum Faschismus und Nationalsozialismus steigerte, konnte auch in Vorarlberg der Drang zum Patriotismus und die Suche nach einer Ausdrucksform der eigenen Identität nicht ausbleiben. Worin bestand aber die Unverwechselbarkeit des Landes? Woran sollte sich das Selbstwertgefühl des Vorarlbergers entzünden?
Lediglich die aufstrebende Textilindustrie zeugte von Fortschrittsgeist und bürgerlichem Selbstbewusstsein. Hemmungsloser Kapitalismus, repräsentiert durch die politisch liberalen Fabrikanten, war die Kehrseite dieser Entwicklung und die Ursache für die Vergrößerung der Kluft zwischen Reich und Arm. Soziale Not breitete sich aus, Kinderarbeit und Ausbeutung der Fabriksarbeiter waren an der der Tagesordnung. Die unteren Schichten in Vorarlberg standen weitgehend unter dem geistigen Einfluss der katholischen Kirche, die aufgrund des Konkordats von 1855 das Pflichtschulwesen in der Hand hatte. Die Kirche hatte jedoch kein Interesse, das völlig unzeitgemäße und hauptsächlich auf die Interessen der Religion abgestimmte Schulsystem zu reformieren. Der niedrige Bildungsstand und die Neigung breiter Bevölkerungsschichten in ländlichen Gebieten, sich in politischen Dingen der Autorität der Geistlichkeit zu unterwerfen, war das Ergebnis der rückständigen Schulpolitik.[117]
Das politische Selbstbewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung konnte sich nur an dem aufrichten, was ihr bekannt war. Bekannt und vertraut waren die Traditionen, z. B. die kirchlichen Festtage, die gemeinschaftsbildenden Riten der Kirche, die Führungsrolle des Dorfpriesters. Ideen von der Reform der Gesellschaft hingegen bedeuteten in der Darstellung der Kanzelredner Verunsicherung und Bedrohung von althergebrachten Traditionen. Die Mobilisierung der Gläubigen gegen das Vordringen liberaler Ideen geschah zwar im Interesse kirchlicher Macht, doch die feurigen Predigten der Geistlichen gegen den „Ungeist der Zeit”, der von außen, nämlich „von Wien” kam, die Vereinsarbeit der Kasinos und die katholische Presse (vor allem das „Vorarlberger Volksblatt”) hatten den Effekt, dass eine Art katholisches Gemeinschaftsgefühl entstand, ein Wir-Bewusstsein, das leicht zu einer Form der „Vorarlberger Identität” ausgeweitet werden konnte.
Das Feindbild war vielschichtig: Der liberale Fabrikant war ein Feind der sozial Schwachen und ein Feind der Kirche. Auch der Beamtenapparat, welcher die den Konservativen suspekte neue liberale Verfassung in die Praxis umzusetzen hatte, trug aus klerikal-konservativer Sicht den Stempel des Zentralismus. Schließlich die Parteien. Die liberale Partei als Gegner in der Frühzeit des politischen Katholizismus und die Sozialdemokraten, die erst ab den 1890er Jahren stärker in Erscheinung traten, hatten aus der obigen Perspektive einen entscheidenden Makel. Sie waren Fahnenträger „landesfremder” Ideen und deshalb angeblich nicht geeignet, „den Vorarlberger Standpunkt” zu vertreten.
Die Formulierung „aus Vorarlberger Sicht” hat sich übrigens bis in die jüngste Vergangenheit erhalten und ist zur stehenden Redewendung geworden. Gemeint ist in der Regel der Standpunkt der politischen Mehrheit. Der Minderheitenstandpunkt trägt meist den Makel des mangelnden Patriotismus. Ein Beispiel für dieses Einheitsverlangen liefert Benedikt Bilgeri. In Band IV seiner „Geschichte Vorarlbergs” schildert er den Parteienkampf zwischen Liberalen und Konservativen um l870 und kritisiert die Liberalen mit den Worten:
„Zunehmend unbeliebt machten sich die Liberalen des Landes ... durch ihre unentwegte Verbundenheit mit der liberalen Regierung in Wien, deren Zentralismus sie alles opferten.”[118]
Indem sich der Historiker Bilgeri im Jahre 1982 die Perspektive der Konservativen des Jahres 1870 völlig zu eigen macht, liefert er den Beweis für die Dauerhaftigkeit und den Erfolg des „Einheitskonzepts”. Das katholisch-konservative Lager konnte sich in der Tat unter anderem deshalb über hundert Jahre lang behaupten, weil es ihm gelang, seinen Monopolanspruch in der Bestimmung der „Vorarlberger Identität” durchzusetzen und gegenüber anderen politischen Parteien zu behaupten.
Dabei hätte es auch anders kommen können. Von l86l bis l870 gaben der liberale, bürgerliche Fortschrittsoptimismus, das verfassungstreue Beamtentum und wohlhabende Fabrikanten politisch den Ton in Vorarlberg an. Die gebildeten Schichten waren vom Geist der Aufklärung erfüllt. In diesem Jahrzehnt unterschied sich Vorarlberg kaum von anderen Gebieten der Monarchie, in welchen der Emanzipationswunsch des Bürgertums die Richtung vorgab. Die Hauptschwäche der Liberalen bestand darin – abgesehen vom grassierenden Positivismus als Weltanschauung – dass sie nicht gewillt waren, das drängendste aller Probleme, nämlich die soziale Frage, zu lösen. Ihr Reformeifer endete dann, wenn Gefahr bestand für ihren politischen und materiellen Besitzstand.[119]
Die Konservativen spielten in jenem Jahrzehnt im Landtag nur eine unbedeutende Rolle. In den Jahren von l868 bis l870 überrollte dann eine massive klerikale Propagandawelle das Land. Schauplätze des Wahlkampfes waren die Kirchen und die neu gegründeten katholisch-politischen Vereine, die „Kasinos.” Dies führte bei der Landtagswahl des Jahres 1870 zu einer völligen Umkehr der Kräfteverhältnisse im Landtag. Die Städte wurden allerdings weiterhin liberal dominiert.
Die klerikal-konservative Ideologie als „Neuschöpfung”
Über den Zusammenhang zwischen Beichtstuhl und Wahlzelle
Schon der Gründungsimpuls der katholisch-konservativen Partei vor l870 war ein Akt der Defensive gewesen. Während sich in der k. u. k. Monarchie in weiten Kreisen des Bürgertums eine wirtschaftliche, kulturelle und vor allem auch politische Aufbruchstimmung breit gemacht hatte, während die liberale Regierung in Wien die Rechte der Bürger – zum mindesten jener mit Vermögen und Besitz – zu erweitern und das Schulsystem zu verbessern trachtete, verlangten die Konservativen Vorarlbergs die volle Beibehaltung des Konkordats von l855. Dieser Vertrag „zwischen Kaiser und Papst“ war von Grund auf demokratie- und bildungsfeindlich gewesen. Vorbereitet hatte ihn eine durch und durch autoritäre Regierung. Das Konkordat sollte unter anderem dazu dienen, eine Bürgerrevolution wie jene des Jahres l848 von vornherein unmöglich zu machen. Bemerkenswert ist, dass die Forderung der Konservativen nach Wiederherstellung des Konkordats im Namen der „demokratischen Tradition Vorarlbergs” und seiner besonderen Eigenheiten erhoben wurde.
Formuliert wurden die Appelle an die Wiener Regierung von den „Kasinos”. Klerus und Kasinos traten als Sprecher der Landbevölkerung, der Kleinbürger und Arbeiter auf, also jener Schicht, die nur wenig oder gar keinen Zugang zu Information und Bildung hatten.[120]
Das Einheitsverlangen spielte ab l870 – abgesehen vom religiösen Aspekt – in der konservativ-katholischen Führungsschicht nicht zuletzt deshalb eine Rolle, weil das Vorarlberg der konservativen Partei eben ganz anders aussehen sollte als jene Länder, in welchen die Philosophie der Aufklärung ihre Spuren hinterlassen hatte. Demokratie in den Augen der Konservativen bedeutete, sich gegenüber Wien und dem „von außen kommenden” liberal-gottlosen Zeitgeist durchzusetzen, im Inneren des Landes aber „Einheit” zu bewahren, das heißt, sich der Autorität der Kirche zu unterwerfen.
Der Name der katholisch-konservativen Partei, die l896 in christlich-soziale Partei und l945 in Volkspartei umgetauft wurde, sowie ihre Verankerung in der traditionsbewussten Landbevölkerung hat den merkwürdigsten Aspekt ihrer Gründung völlig vergessen lassen:
Die Partei ist keine Vorarlberger Erfindung. Sie ist als Neuschöpfung nicht gleichzusetzen mit früheren Formen der Demokratie in diesem Land. Die Landtage früherer Zeiten haben die Mitwirkung des Klerikerstandes nicht gekannt.
Die Idee zur Gründung der Partei und ihre Organisationsform in Gestalt von Kasinos ist ein Import aus Deutschland. Auch ihr ideologischer Führer bis zum Jahr 1890, Dr. Bernhard von Florencourt, ein in Rom ausgebildeter Priester aus ursprünglich hugenottischer Familie, stammte aus Deutschland.
Er war ein Verfechter des Prinzips, „Abweichler” von der Parteilinie als „schädliche, faule Teilchen” aus der Partei auszuschließen. Dies hatte zur Folge, dass eine Reihe fähiger Männer mit gemäßigt konservativer Haltung „ausgesondert” wurde oder, wie im Fall von Adolf Rhomberg, erst nach jahrelanger Anstrengung zum Zuge kam. Das Problem der Partei war das Fehlen einer intellektuellen Elite. Andererseits war der ausgesprochen antikapitalistische Kurs der Partei ebenfalls das Werk Florencourts.[121]
Nicht nur das Parteiprogramm – formuliert von Florencourt – und die Organisationsstruktur der Partei wurden importiert. Auch der Anstoß für die Gründung der Partei kam von außen, nämlich durch zwei folgenschwere politische Niederlagen des Papsttums. 1860 bis 1870 hatte der Papst den größten Teil seines Territoriums, den Kirchenstaat, an den italienischen Staat abgeben müssen. In Österreich hatte die Kirche durch die Kündigung des Konkordats von 1855 einen großen Teil ihres gesellschaftlichen Einflusses verloren. Die Gründung der Vorarlberger Kasinos war eine unmittelbare Folgeerscheinung dieser Ereignisse. Überspitzt könnte man also sagen:
Die Eigenheiten Vorarlbergs wurden im Namen des römischen Papsttums unter der ideologischen Führung eines in Rom ausgebildeten deutschen Priesters französischer Abstammung mit Hilfe einer aus Deutschland importierten politischen Organisationsstruktur verteidigt.
Der Kritik der Intellektuellen und des liberalen Bürgertums am Papsttum mochte ein großer Teil der Landbevölkerung nicht zustimmen. Als Bevormundung wurden die päpstlichen Weisungen des Heiligen Vaters in Rom oder die jedem Priester eingeräumte Sonderstellung im Dorf nicht empfunden. Da die Wahlen im 19. Jahrhundert nicht geheim waren, spielte die Geistlichkeit vor allem in der Landbevölkerung eine entscheidende politische Rolle. Der Zusammenhang zwischen Beichtstuhl und Wahlzelle wurde zum Grundelement der Vorarlberger Demokratie.
Auch nach l945 griff die Kirche zuweilen direkt in Wahlkämpfe ein. Am 18. November l962 zum Beispiel notierte Karl Tizian in sein Tagebuch, dass an diesem Wahltag „sogar an den Kirchtürmen ... auf die Wahlpflicht hingewiesen wird mit einem rot-weiß-roten Plakat. Und daß man Katholiken wählen soll.”[122] Mit Katholiken konnten nur Mandatare der ÖVP gemeint sein. Das geschah trotz des „Mariazeller Manifests” von 1952. Dieses hatte die enge Bindung der Kirche – als Institution – an eine Partei aufgekündigt.
Fragt man im Sinne Oscar Sandners nach den Gründen der „Verdrängung der radikaldemokratischen Vergangenheit des Vorarlbergers”, dann lässt sich die Auswirkung des Klerikalismus auf die demokratische Kultur in Vorarlberg wie folgt beschreiben:
Die Aktivitäten des katholischen Klerus und der beiden Dornbirner Parteigründer Johannes Thurnher und Dr. Josef Anton Ölz haben der politischen Entwicklung des Landes eine neue Richtung gegeben. Mit der betont klerikalen Profilierung Vorarlbergs ab 1870 war eine tatsächliche oder aufgezwungene Klammer der Gemeinsamkeit gegen die Freiheitsideale des bürgerlichen Liberalismus von 1848 und „gegen Wien” als Symbol des Zentralismus geschaffen worden. Gleichzeitig hatte man sich unter die politische Vormundschaft der katholischen Geistlichkeit begeben. Der kirchliche Autoritätsanspruch konnte sich damit auf breiter Front entfalten.
Die Geschichte der mit Abstand stärksten politischen Partei Vorarlbergs war somit von Anfang an von Widersprüchen geprägt. Die Partei nahm zum Beispiel für sich in Anspruch, im Namen des Volkes zu sprechen. Die „demokratische Tradition Vorarlbergs” war geradezu ein Grundelement ihres Selbstverständnisses. Die Machtstruktur und das Weltbild, welches sie verteidigte, war aber hierarchisch-autoritär geprägt und fußte auf der Vorstellung einer religiös und – wie sich bald zeigen sollte – auch ethnisch geschlossenen Gesellschaft. Die Widersprüche hätten sich nur durch ein freies, geistiges – also demokratisches – Kräftespiel auflösen lassen. Damit wären aber auch die regionalen Autoritäts- und Machtverhältnisse in Frage gestellt worden. Je stärker die Widersprüche, umso deutlicher machte sich – vielleicht unbewusst – der Hang zur Schaffung von Feindbildern bemerkbar, welche die inneren Gegensätze überdeckten und als Projektionsfläche von Überfremdungsängsten sowie von Befürchtungen einer „physischen und moralischen Gefährdung” des Volkes dienten.
Die Erneuerung der „völkischen Idee”
Während Dr. Ölz in der Gründungsphase der katholisch-konservativen Partei die Religion als Vehikel zur Identitätsbestimmung Vorarlbergs benützte, trat um die Jahrhundertwende mehr und mehr der „rassische” Aspekt in den Vordergrund. Für Dr. Otto Ender, einen der einflussreichsten Politiker Vorarlbergs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war die Erhaltung des deutschen Volkstums eine der Hauptaufgaben seiner Partei. In der Generalversammlung des christlich-sozialen Volksvereins des Jahres 1910 kritisierte er die Liberalen des 19. Jahrhunderts, weil sie die „Völkermischung und ein gewisses Weltbürgertum als Gipfel der Kultur” betrachtet hätten. Er vertrat die Auffassung, dass die aus dem österreichischen Trentino eingewanderten italienischsprachigen Arbeitskräfte „eine Bedrohung des Volkstums und völkischer Eigenart” darstellten. „Unsere nationale Frage im Lande”, so Ender, „hat zwei Seiten, die sprachliche und der Rassenumschwung (sic!) ... Für die körperlichen und geistigen Eigenschaften ist es nicht gut, wenn Romanen und Germanen zusammenheiraten, die Nachkommen sind physisch und moralisch gefährdet.”[123]
Die „völkische” Idee erlebte durch Dr. Elmar Grabherr nach 1945 eine Wiedergeburt. Als höchster Landesbeamter, als Propagandist der Pro-Vorarlberg-Bewegung (1979/80) und als dilettierender Historiker (seine „Vorarlberger Geschichte” erschien 1986) war er von der fixen Idee besessen, dass das Alemannisch-Rätische höherwertig sei als das, was von außen, vor allem aus dem Osten, kam.
Die Vorbereitungskurse zur Beamtenprüfung benützte Grabherr unter anderem dazu, seine Theorie von der „Volkwerdung” Vorarlbergs auseinanderzusetzen, was – vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus gesehen – einer reinen Fiktion entsprach.[124] 1961 trat der Landesamtsdirektor in einem Rundschreiben an die Behörden dafür ein, bei der Besetzung von Beamtenstellen im Landesdienst oder bei der Vergabe von Förderungsmitteln „echte Vorarlberger” zu bevorzugen, also Personen, die sich durch ihren Familiennamen, ihren Geburtsort, die Beherrschung des Dialekts und ähnliche Kriterien deutlich von „Nichtvorarlbergern” unterschieden. Auch die Mitglieder des Ehrenzeichenrates sollten nur „echte Vorarlberger” sein. Tizian hielt diesen Rest der Rassenideologie für sehr gefährlich und für „eine gute SPÖ-Propagandagelegenheit bei den Innerösterreichern”. Zur Befriedigung Tizians verweigerte der ÖVP-Klub im Vorarlberger Landtag diesem Entwurf seine Zustimmung. 1964 „feierte dann”, wie Tizian schreibt, „der berühmte Landsmannschafterlaß Grabherrs ....durch eine Urgenz fröhliche Urständ.” Er setzt hinzu: ”Diesmal weiß auch Ilg keine Entschuldigung mehr.”[125]
Hans Magnus Enzensberger stellt zu dem in vielen Ländern auftretenden und ethnisch begründeten Abgrenzungsbedürfnis fest:
„Natürlich gibt es nirgends auf der Welt Nationen mit einer kompakten, ethnisch absolut homogenen Bevölkerung. Dem Nationalgefühl, das sich in den meisten Staaten herausgebildet hat, ist diese Tatsache von Grund auf zuwider. Infolgedessen fällt es dem ‚Staatsvolk’ dort in aller Regel schwer, sich mit der Existenz von Minderheiten abzufinden, und jede Einwanderungsbewegung gilt dort als politisches Problem ... Verleugnet wird aber nicht nur die eigene buntscheckige Herkunft. Wanderungsbewegungen großen Stils führen immer zu Verteilungskämpfen ... Gekämpft wird dann um die Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen, ein Feld, das der Demagogie ideale Entfaltungsmöglichkeiten bietet.”[126]
Die Betonung des „Alemannentums” kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte allerdings nicht nur mit den Nachwehen der „völkischen” Ideologie zu tun. Sie hing auch mit dem Bestreben zusammen, die Selbständigkeit Vorarlbergs wiederzuerlangen. Während der Nazizeit war der Verwaltungsapparat der Länder Tirol und Vorarlberg zusammengelegt worden. Nun galt es, die Verwaltungsstrukturen zu entflechten, um Vorarlberg wieder „auf eigene Füße zu stellen”. Die Idee des „Alemannentums” diente als Mittel, um die Loslösung von Tirol argumentativ zu untermauern. Denn nur eine auf das Alemannische gegründete Verschiedenheit schien 1945 erfolgversprechend genug, um sich von Tirol erneut abzugrenzen. Die Erinnerung daran, dass der Süden Vorarlbergs rätoromanisch besiedelt worden war, musste in jener Phase tunlichst vermieden werden, weil auch große Teile Tirols dem ehemals rätoromanischen Siedlungsraum zuzurechnen waren.
Die Herauslösung der Vorarlberger Verwaltung aus den Strukturen der ehemaligen Gauverwaltung Tirol-Vorarlberg war indessen keine einfache Aufgabe. Die Vorarlberger Landesregierung brauchte dazu jemanden, der das System von innen her kannte. Und das war Elmar Grabherr. Für Ulrich Ilg war Grabherr offenbar unentbehrlich.[127]
Der im Mai 1945 von der französischen Besatzung eingesetzte Landesausschuss unter dem Vorsitz von Ulrich Ilg verfügte zudem über keinen Juristen. Grabherrs herausragende Fähigkeiten als Verfassungsjurist und seine Erfahrungen als Personalchef führten sehr rasch dazu, dass er eine Schlüsselposition in der Vorarlberger Verwaltung einnahm. Im Lauf der Zeit entwickelte sich zwischen Ulrich Ilg und Grabherr ein Vertrauensverhältnis, das schließlich in ein regelrechtes Abhängigkeitsverhältnis des Landeshauptmannes von seinem wichtigsten juristischen Berater mündete. Dr. Elmar Vonbank fasste dies in dem Satz zusammen: „Ilg war dem Grabherr hörig.”[128]
Falls die Darstellung Karl Tizians zutrifft, war Ilg seinem Untergebenen Grabherr deshalb innerlich verpflichtet, weil Grabherr ihn – Ilg – 1945 angeblich zum Landeshauptmann gemacht habe. „Und daran krankt alles”, fügt Tizian hinzu. Diese Notiz stammt vom 31. Dezember 1958.
Karl Tizian als Kritiker der „Vorarlberger Demokratie”
Unter den wenigen schriftlichen Zeitzeugenberichten, die derzeit der Forschung zugänglich sind, zählen die Tagebuchaufzeichnungen Dr. Karl Tizians wohl zu den wichtigsten. Sie erhellen zum Teil bisher unbekannte Seiten der jüngeren politischen Geschichte Vorarlbergs. Die Notizen wurden im Jahre 1934 begonnen und enden 1985, im Todesjahr des Bregenzer Politikers. Karl Tizian wurde im Gymnasium des Klosters Mehrerau erzogen, absolvierte ein Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie, promovierte in Innsbruck und übte nach seiner Heimkehr aus dem Krieg vorerst den Kaufmannsberuf aus. Von 1950 bis 1970 bekleidete Tizian, den „Die Furche” 1962 als „einen der bedeutendsten Kommunalpolitiker Österreichs” bezeichnete, das Amt des Bregenzer Bürgermeisters. Seit 1949 gehörte er als Abgeordneter der ÖVP dem Vorarlberger Landtag an und stand diesem von 1964 bis 1974 als Präsident vor.[129] Dem Verfasser lagen für die vorliegende Untersuchung die Tagebuchnotizen ab dem Jahr 1945 vor.
Das Jahr 1945 stellte keinen echten Neubeginn dar, keine Stunde Null der Vorarlberger Demokratie, sondern man begann dort, wo man 1938 aufgehört hatte. Laut Horst Schreiber waren „die restaurativen Züge und eine deutliche Kontinuität autoritärer, antidemokratischer und antirepublikanischer Traditionen” im Schulwesen der beiden westlichsten Bundesländer unübersehbar. Dasselbe gilt für die Politik. „Ein demokratischer Geist herrscht kaum”, berichtete der französische Oberkommandierende Militärkommissar Béthouart über die Verhältnisse in Tirol und Vorarlberg an seine Regierung in Paris.[130]
Der Vertreter der französischen Militärregierung in Bregenz sah sich aus diesem Grund veranlasst, massiven Druck auf die Vorarlberger Landesregierung auszuüben, um seine Vorstellungen von Demokratie durchzusetzen. Karl Tizian stellte am 1. August 1945 jedenfalls besorgt fest:
„Unser Landesgouverneur ist ein gewisser Oberst Jonng (gemeint ist Oberst Jung; Anm.), der sehr, sehr rot eingestellt ist und die ganze ‚demokratische’ Landesregierung in ihrer Tätigkeit hemmt, indem er selbst wenn nur eine rote Gegenstimme ist, dieser Recht gibt. Auch mußte das Sicherheitsreferat einem Sozialdemokraten übergeben werden! Wie mag das weiter gehen?”[131]
Ulrich Ilg gelang es jedoch im Laufe der Jahre, das Vertrauen der französischen Militärstellen zu gewinnen, sodass Konflikte dieser Art eher zu den Ausnahmen zählten.
Die Sorge Tizians, die Sozialdemokratie könnte die Machtbasis der ÖVP ernsthaft gefährden, war unbegründet. Hingegen fand er häufig Anlass, sich in seinem Tagebuch kritisch über seine eigene Partei und die politischen Strukturen in Vorarlberg zu äußern, über die „Akademikerfeindlichkeit” der ÖVP, über die „Macht der Beamten” in der Landesregierung, über die „Scheinheiligkeit der Vorarlberger Demokratie”, über Mängel im Föderalismusverständnis der Landesregierung („zum Schaden der Gemeinden”) sowie über das mangelnde Österreich-Bewusstsein führender Männer der Vorarlberger Landesverwaltung. Besonders schmerzte ihn, dass die Landesregierung nur geringe Bereitschaft zeigte, ein so herausragendes Ereignis wie die endgültige Befreiung Österreichs von den Besatzungsmächten 1955 auf würdige Weise zu feiern. Und als Bundespräsident Theodor Körner im Januar 1957 starb, war Tizian nicht nur als österreichischer Patriot, sondern auch als gläubiger Christ tief getroffen, denn ihn bewegte die Frage, wie der Sozialist Körner wohl “hinübergehen” und ob man ihm ein christliches Begräbnis gewähren werde. Mit erkennbarer Verbitterung registriert er die kühle Haltung der Landesregierung gegenüber dem Staatsmann Körner, der für Tizian ein Symbol des österreichischen Staatsgedankens und ein Freund gewesen war. Die Tagebuchaufzeichnungen sind – skizzenhaft – auch als Vorgeschichte der “Pro-Vorarlberg“-Bewegung interpretierbar.
13. Jänner 1946
Besuch bei Onkel Ernst Winsauer (ehem. Nationalrat, Bundesrat und Landeshauptmann; Anm.). Auch er sagt, daß Kolb der einzige „Kopf” unseres Landes im Parlament ist. Die anderen, Fink und Grubhofer, sind sehr mittelmäßig, denken nicht zu viel, repräsentieren dafür brav die derzeit (hoch) im Kurs stehende Akademikerfeindlichkeit (von) Ilg – Leißing und Consorten. Die Probleme in Wien sind nicht gering.
3. November 1948
30-Jahrfeier der Selbständigkeit Vorarlbergs. Gestern Abend hatte Dr. Otto Ender noch einmal ganz kräftig im Radio gesprochen. Heute ist Festsitzung des Landtages, die Presse bringt nette Gedenkbeilagen. Wie aber soll diese Selbständigkeit stehen, wenn wir einen so schwachen Landtag haben und nur Beamte regieren?
27. Juni 1950
Gemeindetagung in Dornbirn. Heftige Kontroverse mit den Herren der Landesregierung (Dr. Greber) in Sachen Finanzausgleich. Sie glauben, eine Demokratie gehe nur dort an, wo sich die Landesregierung gegen die Autorität des Bundes wehre, die Gemeinden hätten mit dem Föderalismus nichts zu tun.
12. Februar 1951
Gemeindeverbandsitzung in Dornbirn. Diskussion um Dietrichs Wohnbausteuer und Zwischenfall mit Dr. Graber um die Gemeindehoheit in Finanzsachen und sonst. Der Föderalismus hört eben in der Montfortstraße (Landesregierung; Anm.) auf.
14. Dezember 1951
Im Landtag behandeln wir den Rechnungsabschluß 1950 und Rechenschaftsbericht der Regierung dazu. Interessant ist die Stellung der Regierung zu einem ähnlichen Sanktionsparagraphen des Finanzministers, wie wir ihn im Lande seit 1932 zum Schaden der Gemeinden haben. Die Vorarlberger Demokratie in ihrer ganzen Scheinheiligkeit!
18. Oktober 1955
Ein ganz strenger Tag. Vorerst in die Landesregierung. Um festzustellen, ob die Regierung anläßlich des 25. Okt. als des endgültigen Befreiungstages etwas tun will. „Nein, der Staatsvertrag spielt bei uns nicht diese Rolle wie im Osten”, war die Ansicht der Regierung, wie mir Kolb sagte. Also erkläre ich, daß dafür die Landeshauptstadt etwas tun wird und gehe gleich ans Programm, das ein Bekenntnis von uns an Österreich bringen soll. Verhandle gleich mit den Musikfreunden und Rednern.
26. Oktober 1955
Die SPÖ macht in der Zeitung schwere Vorwürfe gegen Ender (ehem. Bundeskanzler; Anm.) und mich wegen der Österreichfeier, sogar Ilse (Gattin Tizians; Anm.) und ihren Besuch beim Kaiser Otto ziehen sie hinein. Dafür werben wir für die Abendveranstaltung. Die wird sehr zeitgemäß und würdig. Ist ganz gut besucht und steigert sich. Wir haben vor allem die treffendsten Einlagen aus Österreichs Dichtung: Preradovic, Wildgans, Grillparzer – gewählt, die kräftig steigerte. Wie ich erkläre, „auch in Vorarlberg weht das Banner rot-weiß-rot” bricht offener Beifall und Zustimmung aus und fest erklingt die Hymne. Wir sind nachher noch beisammen im Gösser, im Kreis von Cartellbrüdern.
4. Jänner 1957
Heute um 10 Min. vor 4 Uhr nachmittags starb in seiner Wiener Wohnung Dr. Theodor Körner, nachdem er den ganzen Tag in der Hofburg gearbeitet hatte ... Ich durfte mich ... (seines) aufrichtigen Gönnertums erfreuen, bei meinen Besuchen in der Präsidentschaft hat er mich liebevoll aufgenommen, in Bregenz aber immer ausgezeichnet. „Der Bundespräsident, der sich einbildet, auch Freund des Hauses Tizian zu sein” schrieb er in unser Gästebuch am 19. Juli 1956. Unsere SPÖ-Leute beneiden mich immer um diese Freundschaft und das Präsidium der Landesregierung sah sie als halben politischen Hochverrat. Für mich war und blieb Körner das vom Volk gewählte Staatsoberhaupt und der Träger von Österreichs Staatsbewußtsein.
Nun ist er nicht mehr. Und eine Frage bewegt den, der ihn geachtet. Wie ging er hinüber, wie steht er vor dem Ewigen Richter, was war sein innerer Glaube, sein Bekenntnis, wird man ihn so gottlos beerdigen müssen wie seine Vorgänger, wer wird das entscheiden?
8. Jänner 1957
Trauersitzung der Stadtvertretung, ich habe sie ganz kurzfristig einberufen, nachdem sich die heutige Landesregierungssitzung nicht zu einer Veranstaltung entschließen konnte.
14. Jänner 1957
Pontifikalrequiem für Körner, zelebriert von Bischof Wechner mit großer Staatsbeteiligung. Und dann Trauersitzung des Landtags, aber sehr trocken, und ohne Musik, dafür föderalistischen Einschlag, wie sichs gehört.
30. Dezember 1960
Grubhofer (Nationalrat; Anm.), der die Verfassungsausgabe vom LAD (Landesamtsdirektor, Anm;) in die Hand bekam, ärgert sich auch über die Stelle, die ich schon im Klub vor 5 Wochen angegriffen habe und wo es heißt: „Nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches bemühte sich Vorarlberg vergeblich um einen Anschluß an die stammesverwandte Schweiz. So wurde die Zugehörigkeit zum Bundesstaat Österreich wirksam.” Das gab man der Jugend! Dr. Grabherr hat es eigenartig getan. Ich warne aber Grubhofer, nicht zu stark zu explodieren und vor allem keine Prestigehaltung einzunehmen, weil ihn Ilg sicher zu Gunsten Grabherrs fallen ließe. Und das wäre doch nicht zu wünschen.
Aus den Aufzeichnungen Dr. Tizians geht deutlich hervor, dass Dr. Elmar Grabherr gegen die Republik Österreich als Erbin des Vielvölkerstaates ähnliche Aversionen hegte wie gegen das Habsburgerreich mit seiner „Rassenmischung” – um einen von Grabherr verwendeten Begriff zu gebrauchen. Tizian stand hingegen ganz in der „altösterreichischen” Tradition. Sein Vater stammte aus Lamon (Provinz Venetien). Seine Mutter war Bregenzerin. Tizian galt als sehr heimatbewusst, der Alemannenideologie eines Elmar Grabherr konnte der Bregenzer Bürgermeister, der sein „italienisches” Temperament nicht verleugnen konnte, nichts abgewinnen. In seinen Tagebuchnotizen äußert er häufig sein Unbehagen über die überragende Machtposition Grabherrs, über den Mangel an Zivilcourage führender Parteimitglieder gegenüber Ilg und Grabherr und über die Schwierigkeit, eine vertrauensvolle Gesprächsbasis mit Ulrich Ilg zu finden. Einerseits verehrte er den Landeshauptmann gleichsam als Vaterfigur, andererseits schmerzte ihn die Tatsache, dass Ilg dem Beamten Grabherr einen so bedeutenden Einfluss auf die Landespolitik gewährte.
7. August 1959
Die Landtagswahlen werfen ihre Schatten voraus! Schon wird eifrigst um Kandidaten gestritten ...
Ich mische mich nicht ein ... letzten Endes bestimmt doch Grabherr, wie die Regierung aussieht.
6. September 1959
VCV-Fest in Feldkirch. Großer Aufmarsch, sehr lange Predigt von Bischof Wechner... In einer triefenden Festrede stellt Kolb den LH Ulrich Ilg als Gegenbeispiel gegen Machtgier, Besitzstreben und Genußsucht hin und der sagt, er hätte gerne Kolb als Nachfolger gehabt, drum ihn 1954 nach Vorarlberg geholt und weil Kolb nun nicht möge, werde er halt LH bleiben müssen.
25. November 1963 ÖVP Landtagsklub. Wieder die Nachfolge Ulmer. Und wieder traut sich außer mir niemand, zu dem diktatorischen Vorgehen gewisser Herren Stellung zu nehmen. Sie kriechen eben alle.
8. Jänner 1964
Besuch beim Herrn Landeshauptmann. Neujahrsglückwünsche. Lange Diskussion über unsere Kanalisierung, wo er die uns in Bregenz abträgliche Einstellung nicht zugeben will. – Auch eine sehr offene Diskussion über meine Stellung zu ihm, über die Intrigen und über meine jederzeitige Bereitschaft, in Wort und Tat zu beweisen, daß ich drüben in der Montfortstraße keine Ambitionen habe, weder im Landtagspräsidium noch in der Regierung selbst. Aber er gibt nicht aus, bagatellisiert nur. Es ist schwer, mit ihm vertrauensvoll zu reden!
Die Notizen Tizians geben die Sicht eines Beteiligten wieder. Sie sind also nicht frei von einer subjektiven Betrachtungsweise. Die Motive, die Ilg bewogen haben, sich Tizian gegenüber reserviert bis ablehnend zu verhalten, werden dabei nicht erkennbar. Der Landeshauptmann selbst verliert in seinen Lebenserinnerungen kein Wort darüber, sodass seine Version der Ereignisse nicht hinreichend dargestellt werden kann.
Wo blieb die Opposition?
Von einer „gesunden und heilsamen Kontrolle durch eine verfassungsmäßige Opposition”[132], wie sie der konservative britische Staatsmann Benjamin Disraeli den Politikern bereits 1845 empfohlen hatte, konnte im Vorarlberger Landtag der Nachkriegszeit – immerhin war seither ein Jahrhundert vergangen – kaum die Rede sein.
Eine demokratisch motivierte Erneuerung der ÖVP von seiten ihres „linken”, christlich-sozialen Flügels war nicht unbedingt zu erwarten, da die Vatergestalt eines Ulrich Ilg alles überdeckte. Die Sozialisten in Vorarlberg blieben auch nach 1945 im Grunde eine Außenseiterpartei. Zwar betont Ulrich Ilg in seinen Erinnerungen das fast freundschaftliche, sachliche Arbeitsverhältnis zu seinem sozialistischen Regierungskollegen Jakob Bertsch.[133] Doch als Partei litten die Sozialdemokraten nach wie vor an der veröffentlichten Meinung, am Stigma der angeblichen „Landesfremdheit” und an der ihnen zugeschriebenen Eigentums- und Religionsfeindlichkeit. Zu einer wirklich starken Oppositionspartei – mit der Chance, eventuell einen Regierungswechsel herbeizuführen – konnten sie sich unter diesen Umständen in Vorarlberg nur schwer entwickeln.
Bleibt noch das ehemals deutschnationale Bürgertum, dem auch wesentliche Teile der Landbevölkerung zuzuzählen sind. (Arnulf Benzer spricht davon, „dass kein Landesteil in Vorarlberg das völkische Prinzip, das der Nationalsozialismus herausgekehrt hat, so eifrig aufgenommen hat wie der Bregenzerwald”. Besonders in den „besseren Kreisen” des Bregenzerwaldes, der Heimat der „völkisch” inspirierten Dichterin Natalie Beer, sei die Anhängerschaft der Nazis groß gewesen.[134] Die wirtschaftlich und politisch einflussreichste Schicht waren jedoch zweifellos die Industriellen in den Textilzentren.) Für den liberalen Parteigründer, den Feldkircher Fabrikanten Carl Ganahl (Führer der Liberalen im Landtag 186l–1870), und den liberalen Dornbirner Bürgermeister Dr. Johann Georg Waibel (1869–1908) war die Freiheit von obrigkeitsstaatlicher und kirchlicher Gängelung des Geistes eines der wichtigsten Leitbilder gewesen.[135] Dieses Leitbild war in der bürgerlichen, intellektuell führenden Schicht Vorarlbergs im Verlauf von zwei, drei Generationen durch die deutschnationale Hybris nach und nach verdrängt worden. Die politischen Nachfahren eines Carl Ganahl und eines Johann Georg Waibel hatten sich schon vor dem „Anschluss” an Deutschland durch ihre Sympathie zu Hitler nachhaltig diskreditiert.
Die Industriellen und „besseren Kreise” hatten sich unter dem Einfluss der jeweiligen Zeitströmung von Gegnern der obrigkeitsstaatlichen oder kirchlichen Gängelung zu Anhängern der nationalen Hysterie gewandelt, zu Gefolgschaftsleuten des politischen Herrentums und der Diktatur. Bei vielen „großdeutsch” denkenden Fabrikanten mag die Hoffnung auf das große Geschäft in einem größeren Markt eine wesentliche Rolle gespielt haben. Spätestens 1945 stellte es sich heraus, dass sie bei der Herbeiführung einer Katastrophe mitgewirkt hatten. Von den Ideen der Aufklärung, von der Selbstbestimmung des Menschen und von der Meinungsfreiheit, die den „Vorarlberger Verein der Verfassungsfreunde” von 1867 beflügelt hatten, war nicht einmal die Erinnerung übriggeblieben.[136]
Jene Kreise, die durch ihre Nazivergangenheit belastet waren, verzichteten darauf, den Antiklerikalismus wieder ins Spiel zu bringen, weil sie selbst durch die jüngste Vergangenheit höchst belastet waren und deshalb an Glaubwürdigkeit verloren hatten. Man wollte sich durch die Beschäftigung mit Politik nicht erneut die Finger verbrennen.[137] Ulrich Ilgs politische Linie fand von seiten des nationalen Lagers in der Öffentlichkeit somit kaum Widerspruch. Gleichsam im Gegenzug dazu verzichtete die ÖVP darauf, den scharf antikapitalistischen Kurs früherer Zeiten, der zum Beispiel mit den Namen Karl Drexel oder Bernhard von Florencourt verbunden war, wieder aufzunehmen. Die ÖVP erweiterte ihr politisches Spektrum und entwickelte sich zunehmend auch zu einer Partei der Unternehmer.
Der Verzicht der „besseren Kreise”, des nationalen Großbürgertums und des VdU (des „Verbandes der Unabhängigen”) auf eine Wiederbelebung des aufklärerischen Liberalismus und der Verzicht auf eine echte politische Oppositionsrolle – ein Vorgang, der in der Landespolitik keine Ausgewogenheit im Kräftespiel zwischen Macht und Machtkontrolle aufkommen ließ – , ging einher mit einer weitgehenden Abkoppelung vom Kultur- und Geistesleben der Moderne. Guntram Lins kommentiert diesen Befund wie folgt:
„Man kann sagen, dass da eine regelrechte Regression der geistigen Entwicklung stattgefunden hat. Und die weniger Diskreditierten haben sich ja in der ÖVP integrieren lassen. Viele Industrielle sind da zur ÖVP – nicht aus innerer Überzeugung, sondern weil dies die einzige große Gruppierung war, in der sie ihre Vorstellungen zumindest von wirtschaftlicher Entwicklung zum Durchbruch verhelfen konnten. Im geistigen, ideologischen Bereich hat da eine Regression und ein Argumentationsverzicht stattgefunden. Sie haben sich aus dieser Ebene der Politik zurückgezogen. Liberalismus ist dann erst wieder in neuerer und neuester Zeit entstanden, aus einer anderen Wurzel heraus.”[138]
Die Spätfolgen der „milden” Entnazifizierung und die Macht der „Vorarlberger Nachrichten”
Die „milde” Entnazifizierungspolitik der Vorarlberger Landesregierung in den Nachkriegsjahren führte zu einer frühzeitigen Rehabilitierung und Wiedereingliederung eines wesentlichen Teils der ehemals nationalsozialistischen Elite in die Gesellschaft Vorarlbergs. Diese Politik erwuchs nicht allein, wie Arnulf Benzer betont, „aus dem Geiste der Versöhnung”,[139] sondern entsprach auch einem machtpolitischen Kalkül, denn die ehemaligen Nationalsozialisten stellten ein bedeutendes Wählerpotential dar. (1949 erreichte der „Verband der Unabhängigen” – VdU – in Vorarlberg mit 22 % das beste aller Bundesländerergebnisse.)[140] Es gab Bestrebungen in ÖVP-nahen Kreisen, etwa auf akademischer Ebene, das nationale Lager als Bündnispartner gegen die Sozialdemokratie zu gewinnen. Es galt die Devise: „Der Feind steht links”. Im April 1955 kam es nach monatelangen Verhandlungen zur Gründung einer bürgerlichen Akademikerorganisation, in der Angehörige von katholischen CV-Verbindungen und Mitglieder von schlagenden und „liberalen” Verbindungen in einer gemeinsamen Plattform, der „Vereinigung Vorarlberger Akademiker”, zusammengefasst wurden. Diese Vereinigung war ausdrücklich gegen den „Bund sozialistischer Akademiker” (BSA) gerichtet und zielte darauf ab, die Postenvergabe im öffentlichen Bereich in ihrem Sinn zu beeinflussen.[141]
In einer Reihe von Fällen zeigte sich, dass eine ehemalige Parteinahme für das Hitlerregime kein Hindernis darstellte, Schlüsselpositionen im öffentlichen Leben zu erlangen. Die deutsch-nationale Gesinnung eines Dr. Gerold Ratz zum Beispiel, dessen Begeisterung für den „Führer” Adolf Hitler als Offizier in Feldkirch sich noch im Jahre 1945 in flammenden Durchhalteappellen für den Endsieg äußerte,[142] hinderte die ÖVP nicht, ihn mangels eines geeigneten Kandidaten aus dem eigenen, klerikalen Lager zum Bregenzer Stadtparteiobmann und anschließend zum Landesrat zu küren. (Seine schwere Kriegsverletzung mag wesentlich zu seiner Rehabilitierung beigetragen haben. Er hatte damit ausreichend „Sühne geleistet” und wurde laut Benzer gleichsam zum „reinen Helden”.)[143] Gerold Ratz gehörte der Vorarlberger Landesregierung von 1959 bis 1973 an. Er war – ebenso wie Adolf Berchtold als Direktor der VKW und der Illwerke – anpassungsfähig genug, seine NS-Vergangenheit vergessen zu lassen. Er brachte es trotz fehlender echter ideologischer Verankerung in der Partei immerhin zum Landesstatthalter (1964–1973).
Bei Elmar Grabherr und Franz Ortner war dies anders. Hier handelte es sich um Männer, die sich in ihrer jeweiligen Funktion eine fast unerschütterliche Machtbasis geschaffen hatten und deren Machtbewusstsein und frühere ideologische Prägung phasenweise nur wenig verhüllt zutage trat. In diesen Fällen mussten die ÖVP und vor allem der Bregenzer Bürgermeister Tizian es bitter büßen, dass die „kritische Intelligenz” in der ÖVP seit jeher zurückgedrängt worden war und dass man es früher versäumt hatte, sich kritisch mit demokratiefeindlichen Strömungen auseinanderzusetzen, sich vom Ideengut von ehemals „braunen” Sympathisanten oder „Systemerhaltern” des Naziregimes abzugrenzen und somit ihren Machtzuwachs zu verhindern.[144] Denn die publizistische Offensive Franz Ortners gegen Karl Tizian im Zusammenhang mit der Autobahnfrage war keine rein journalistische Aktion, sondern eine Demonstration der politischen Macht des Chefredakteurs. Und die Niederlage und Abwahl Tizians als Bürgermeister 1970 wurde zum politischen Sieg Ortners. Damit signalisierte Ortner den Politikern aller Parteien, wie die tatsächlichen Machtverhältnisse in Vorarlberg lagen und dass es da einen gewissen Zusammenhang gab zwischen politischer Karriere und politischem „Wohlverhalten” im Sinne der „Vorarlberger Nachrichten”.
Die Erinnerung an die Niederlage der ÖVP in Bregenz 1970 war in Vorarlberg auch 1979/80 noch lebendig, als Franz Ortner gemeinsam mit Elmar Grabherr daranging , der Landesregierung mit Hilfe der “Pro-Vorarlberg“-Bewegung einen separatistischen Kurs aufzuzwingen, der in einer so extremen Form – gefordert wurde ein Sonderweg für Vorarlberg in Form eines „eigenen Statuts” – von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte.[145] Für die ÖVP war die Initiative zwar einerseits ein Glücksfall, weil sich der „Kampf gegen den Wiener Zentralismus” leicht in Wählerstimmen ummünzen ließ, andererseits brachten Ortner und Grabherr die Landesregierung in die im Grunde demütigende Situation, sich als eine Art Vollzugsorgan einer Tageszeitung und eines pensionierten Beamten betätigen zu müssen.
Von der Verärgerung gewählter politischer Mandatare über die Macht der „Vorarlberger Nachrichten” und den damit verbundenen Ohnmachtsgefühlen der Politiker bekam die Öffentlichkeit in der Regel kaum etwas mit. Tatsächlich aber spielte die Zeitung, wie Karl Tizian in seinen Tagebüchern deutlich macht, seit langem eine zentrale machtpolitische Rolle in Vorarlberg. Sie verstand es, den Politikern ihr Abhängigkeitsverhältnis von der Redaktion immer wieder bewusst zu machen. Dem Dornbirner ÖVP-Nationalrat Franz Grubhofer, der sich aus einem bestimmten Grund den „Unmut” Dr. Franz Ortners zugezogen hatte, war es zum Beispiel passiert, dass sein Name mehrere Jahre lang nicht mehr in den „Vorarlberger Nachrichten” genannt wurde. Ein Politiker, der in der Zeitung „nicht vorkommt”, hat jedoch nur geminderte Chancen, wiedergewählt zu werden.[146]
Umgekehrt berichtet Tizian von einer ausgeprägten Neigung der Chefredaktion, „immer mehr selbst Politik zu machen”. Bereits 1951 schreibt er über seinen ehemaligen Schulkollegen und Alt-Mehrerauer DDr. Anton Ruß:
„Toni ist mehr als selbstherrlich ob seiner Auflage und seines Geldes. Er bucht den finanziellen Erfolg als Maßstab für sein Recht. Verantwortung braucht man ja keine haben.”[147]
1966 bezeichnet er Ruß als „unberechenbar” und fügt – fast möchte man sagen prophetisch – hinzu: „Arm, wer politisch von ihm abhängig wäre.”[148] 1968 registriert Tizian im Zusammenhang mit der Autobahnfrage in Politikerkreisen „überall Wut auf und Furcht vor den ‚Nachrichten’” und kritisiert die Gepflogenheit von Politikern, „Wallfahrten” zu DDr. Anton Ruß nach Eichenberg zu unternehmen, um „gut Wetter zu machen”. 1970 berichtet er im Hinblick auf das Bregenzer Autobahn-Aktionskomitee erneut von der „großen Angst vor den VN”.
Das nach außen hin harmonische Verhältnis zwischen dem Herausgeber und Chefredakteur der “VN”, Anton Ruß, und seinem wichtigsten Mann in der Redaktion, Franz Ortner, war laut Arnulf Benzer Ende der 1960er Jahre von einer steigenden Spannung gekennzeichnet. Anton Ruß, der trotz seiner Härte im Geschäftsleben auch eine ausgeprägte Mitleidsader entwickeln konnte, hatte Franz Ortner „aus soldatischem Mitgefühl mit einem Schwerverwundeten” in die Redaktion aufgenommen. Über die politische Vergangenheit des ehemaligen Hitler-Anhängers war der Herausgeber im Bild, doch dieser Faktor fiel in den Jahren des Wiederaufbaus gemäß einer allgemein geübten Praxis nicht so sehr ins Gewicht. (Zu den Förderern Ortners zählte übrigens auch der VN-Journalist Dr. Hans Nägele, ehemals Mitglied der NSDAP und – ebenso wie Ortner – in den Kriegsjahren im Propagandaapparat der Partei tätig.)[149]
Dass sich Ortner aufgrund seiner publizistischen Erfahrung zu einer Zentralfigur der Zeitung entwickelte, machte ihn zwar unentbehrlich. Nach und nach musste Toni Ruß aber zur Kenntnis nehmen, dass Ortner ihm journalistisch überlegen war und er – Ruß – als Zeitungschef seinen fähigsten Redakteur auch sonst nicht mehr ganz im Griff hatte. Die unterschwellige Rivalität spitzte sich mehr und mehr zu, bis der Konflikt durch den plötzlichen Tod des Anton Ruß am 2. September 1969 ein jähes Ende fand. Ortner verstand es, seine gute persönliche Beziehung zu Rosa Ruß, der Witwe des Verstorbenen, sowie die Spannungen innerhalb der Herausgeberfamilie wegen der Führung der Zeitung zu seinen Gunsten zu nutzen, denn Karl Tizian notierte am 10. Jänner 1970 in sein Tagebuch:
“Die Verhältnisse in der ‘Kirchstraße’ sind ja etwas unübersehbar, doch scheint sich, nachdem Eugen (der Bruder des Verstorbenen; Anm.) an die Wand gespielt wurde, immer mehr Sophie Kempf durchzusetzen, deren Mann auch die Vormundschaft für die Kinder des DDr. Anton hat ...
Also hat Dr. Ortner unter gewissenloser Ausnützung der Instinkte freies Spiel.”[150]
Am 10. März 1970 bemühte sich Tizian bei einer Aussprache mit Eugen Ruß und Richard Kempf, eine günstigere Schreibweise der VN zu erreichen, doch er musste resignierend feststellen, dass beide dem „starken Mann” der Zeitung, Franz Ortner, „nicht gewachsen” waren.[151]
Einen Höhepunkt und gleichzeitig die Grenze seiner Macht erreichte Franz Ortner zehn Jahre später, als es ihm gemeinsam mit Elmar Grabherr gelang, nahezu 70 % der Vorarlberger Wählerschaft für die „Pro-Vorarlberg“-Bewegung zu mobilisieren.[152] Mit Grabherr hatte Ortner eine Reihe von Merkmalen gemeinsam. Beide hatten es im Verlauf ihrer Karriere verstanden, sich gegenüber ihren Vorgesetzten unentbehrlich zu machen, beide übten ihre Macht in Bereichen aus, die einem demokratischen Regulativ entzogen waren, beide waren Mitglieder der NSDAP gewesen und hatten ihre politische Prägung in einem totalitären Regime erfahren, beide beherrschten die Kunst des Wechselspiels zwischen demokratischer Rhetorik und autoritärer Praxis, beide waren sich einig in der Feindschaft gegenüber dem „sozialdemokratischen und zentralistischen Wien” und in ihrem Bestreben, ihre regionalen Machtinteressen auszubauen sowie die Politik der Liberalisierung der Gesellschaft zu verhindern. Ihr größter, gemeinsam errungener Propagandaerfolg war die feste Verankerung der „Alemannenideologie” im öffentlichen Bewusstsein.
Was sie in ihrer Biographie unterschied – das sei noch am Rande erwähnt –, war ihre unterschiedliche, persönliche „Opferbereitschaft für Führer und Reich” in der nationalsozialistischen Zeit. Während sich Franz Ortner freiwillig an die Ostfront gemeldet hatte und dies mit einer schweren Verwundung bezahlen musste, gelang es Elmar Grabherr, seine Militärdienstzeit auf rund ein Vierteljahr zu verkürzen – er war nach Kaisersteinbruch bei Wien einberufen worden – und sich „uk” (unabkömmlich) stellen zu lassen. Dabei kamen ihm die persönlichen Beziehungen seines Vorgesetzten in seiner Bregenzer Dienststelle, Dr. Hans Schneider, der in Konstanz beheimatet war, zu Korvettenkapitän Leffler, dem Chef des Wehrbezirkskommandos Bregenz, sowie eine vorübergehende Lähmung der Stimmbänder zugute.[153]
Die “Pro-Vorarlberg“-Bewegung 1979/80 brachte zwar „neuen Schwung in die Föderalismus-Diskussion”, konkrete Ergebnisse blieben aber lange Zeit aus. Sonderrechte für Vorarlberg in Form eines eigenen Statuts wurden nicht erreicht. (Erst viel später, als “Pro Vorarlberg”, wie es Ernst Winder formulierte, „schon ein Erinnerungsposten der österreichischen Innenpolitik war”, nämlich in den Jahren 1984, 1987 und 1988, erfüllte der Bund einzelne Punkte des Forderungsprogramms der österreichischen Bundesländer und entsprach damit auch „den Wünschen Vorarlbergs”.)[154] Die “Pro-Vorarlberg“-Bewegung zeigte aber auch auf, dass „ein nationalistisch-rassistisches Ideologiepotential” existierte, „das zumindest zeitweilig aktiviert werden konnte” (Markus Barnay)[155]
Aufschlussreich ist der „Frontverlauf “zwischen Befürwortern und Gegner der Initiative „Pro Vorarlberg”. Die „linke” – um mit Oscar Sandner zu sprechen: „radikaldemokratische” – Intelligenz, konkret die Kulturschaffenden Vorarlbergs, sowie die SPÖ sprachen sich „mit aller Entschiedenheit”[156] gegen die Forderungen der Initiative aus, da sie nach ihrer Ansicht auf eine Provinzialisierung der Kulturpolitik[157] und eine „Zertrümmerung des Rechts- und Sozialstaates” hinausliefen. Die FPÖ und die ÖVP sicherten der Initiative „volle Unterstützung” zu. Von seiten der ÖVP-Prominenz wandte sich einzig der Bludenzer Rechtsanwalt Guntram Lins in einem Leserbrief in den „Vorarlberger Nachrichten” vom 12. September 1979 gegen „Pro Vorarlberg”.
„Jedes österreichische Bundesland”, so Lins in seiner Stellungnahme, “hat seine besondere Lage und seine eigene Geschichte. Bedenken Sie beispielsweise die historischen und lagemäßigen Besonderheiten Tirols, Kärntens oder Burgenlands. Daraus können aber keine Sonderrechte eines Bundeslandes abgeleitet werden ... Ich fühle mich mit vielen anderen Vorarlbergern auch nicht als Angehöriger einer dreiprozentigen Minderheit. Ein Vorarlberger u n d Österreicher kann daher die im Keime doch separatistische Initiative nur ablehnen.”
Später stellte sich dieser Leserbrief als erster Vorbote einer grundsätzlichen Abkehr von der „Alemannenideologie” und einer neuen Kulturpolitik der Landesregierung heraus. Denn Guntram Lins, der 1984 zum Landesrat für Finanzen, Hochbau und Legistik bestellt wurde, übernahm nach dem Ausscheiden von Herbert Keßler aus der Landesregierung 1987 auch die Funktion des Landesrates für Kultur. Seine Abkehr von ideologischen Dogmen des 19. Jahrhunderts brachte eine weitreichende Entkrampfung im Verhältnis zwischen den Kulturschaffenden und der Landesregierung mit sich. Am Für und Wider der “Pro-Vorarlberg“-Bewegung lässt sich erkennen, wo die Hauptkonfliktlinie zwischen beiden in der Vergangenheit zu suchen war.
Nach den Worten von Guntram Lins war der „Kantönligeist”, der aus der „Pro-Vorarlberg“-Initiative sprach, nicht vereinbar mit seiner Auffassung, dass Vorarlberg einer „offenen Gesellschaft” zusteuern sollte. Eine Schulpolitik beispielsweise, die – gemäß den Vorstellungen Elmar Grabherrs – ausschließlich von Vorarlberg aus gelenkt werden sollte, hätte nicht die Zustimmung des späteren Landesrates gefunden. Lins wollte verhindern, „dass der Dunst des Regionalen liegen blieb in diesem Lande”[158].
Es ist bezeichnend, dass die kulturelle Widerstandsgesinnung der frühen 1970er Jahre gerade in der Auseinandersetzung mit „Pro Vorarlberg” eine Renaissance erlebte. Der Gegenbewegung zu „Pro Vorarlberg” gehörten nämlich zum großen Teil Personen an, die bereits in der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten” und in der Medien- und Alternativkulturszene aktiv geworden waren, wie z. B. Hans Purin, Reinhold Luger, Michael Köhlmeier, Ulrich Gabriel, Günter Hagen, Walter Fink, Meinrad Pichler und andere. Diese Gegenbewegung gab sich den Namen „Vorarlberger pro Österreich”. In ihren Augen war die „Pro-Vorarlberg“-Bewegung ihrem inneren Wesen nach ein Rückgriff auf die „Blut- und Bodenkultur” vergangener Zeiten und ein Versuch, die Liberalisierung von Kultur und Gesellschaft rückgängig zu machen, die seit der Ära Kreisky erreicht worden war. Die „Vorarlberger pro Österreich” empfahlen den Wählerinnen und Wählern in einem Flugblatt:
„Am 15. Juni NEIN zu ‘Pro Vorarlberger Nachrichten’ ... weil sich ein richtiger Vorarlberger eine eigene Meinung bilden kann – ohne Prof. Ortner und Dr. Grabherr – oder?”
Und in einem weiteren Flugblatt hieß es, man wolle nicht, „dass die ‚Vorarlberger Nachrichten’ dieses Land noch mehr regieren, als das bisher schon geschieht”[159]. Mit einer solchen Deutlichkeit war der Machtanspruch Ortners noch nie kritisiert worden.
Vorarlberg-Patriotismus kontra kritische Wissenschaft
Über den Mythos der „autonomen Landeskultur”
Die Pro-Vorarlberg-Ideologie hinterließ auch in einem Teil des Literatur- und Wissenschaftsbetriebs ihre Spuren. Im Februar l98l stellte der Felder-Forscher und Leiter des „Brenner-Archivs“ der Universität Innsbruck, Dr. Walter Methlagl, in einem Brief an den Verfasser fest:[160] :„Die konservative Seite ist derzeit dabei, sich kulturell nach allen Seiten einzuigeln und scheut dabei vor separatistischen Tendenzen nicht zurück.“
Methlagl bezog sich dabei unter anderem „auf die Tatsache, daß Vorarlberg sich seit Jahren einen Landes-Historiographen leistet, der als das Hauptziel seiner Darstellung die Verunglimpfung der Habsburger – also der ehemaligen Zentralgewalt in Wien – ansieht.“ (Gemeint ist Benedikt Bilgeri.)
Zum Thema Franz Michael Felder schrieb Methlagl:
„Eine Facette dieser Einigelung ist es auch, Felder als rein ‘vorarlbergische Angelegenheit’ zu betrachten, als Repräsentanten von etwas, was man mystischerweise ‚autonome Landeskultur’ nennt. Mir ist es vor einer Woche passiert, daß man meinen Einsatz für einen Konsens in Sachen ‚Felder-Archiv’ als ‚heimtückischen Anschlag auf die Autonomie der Vorarlberger Kultur’ denunziert hat. In breiten Bevölkerungsschichten führt dies, wie schon früher mehrfach gehandhabt, zu einer ‚Feindbildkultur’, in der es vor allem darum geht, den jeweils eigenen Standpunkt zu rechtfertigen. ‚Kultur’ ist dadurch grundsätzlich als Machtfaktor definiert, in Wirklichkeit degradiert. Denn sie sollte ja eigentlich Machtstrukturen und ihre Konsequenzen freilegen, d. h. kritisch wirken. Dann hätte sie auch für den Einzelnen befreiende, entscheidungsfördernde Konsequenzen. So aber sind dem Einzelnen eigene Entscheidungen fast grundsätzlich durch den Zugehörigkeitsanspruch zu einem ‚Lager’ verbaut. Das hat jeder an sich erfahren, der sich mit seiner Meinung einmal ‚dagegen’ gestellt hat.“
Er habe, so Methlagl weiter, aus vielen Indizien, die vor allem aus seinem Umgang mit Studenten aus Vorarlberg gewonnen seien, den Eindruck, dass sich die nachrückende Generation mit dieser Entwicklung nicht abfinden wolle:
„Wenn man jung ist, geht man sozusagen aufs Ganze. Man ist Idealist und weder bereit noch in der Lage, sich einem Partikularismus unter parteipolitischen Perspektiven anzupassen ... Die Alternativen sind schwer anzugeben: Jedenfalls kein Ersatz in einer anderen Art von Kulturkonsum, sondern Weckung und Förderung von produktiven Kräften bei Einzelnen, wie immer sich diese äußern.“
Das Verhältnis von Kulturvereinen zum Land Vorarlberg beurteilte Methlagl so:
„Es bleibt ... die Gefahr, daß es künftig immer so sein wird, daß private Organisationen, die die kulturelle Zusammenarbeit mit dem Land suchen, in grundsätzlichen Entscheidungen sich nach politischen Vorentscheidungen verhalten werden müssen, wenn sie nicht in offene Opposition treten wollen.“
Jedenfalls sei eine „konservative Parteiabhängigkeit des Franz-Michael-Felder-Vereins“ erkennbar.
Die Kritik Methlagls am Felderverein ist u. a. deshalb bemerkenswert, weil sich die Vereinsgründer Ende der Sechzigerjahre gegen eine politische Vereinnahmung ausgesprochen hatten. Vom Gesichtspunkt des politischen Katholizismus aus war das Felder-Gedenkjahr 1969 – der Dichter war 1869 gestorben – deshalb ein heikles Ereignis gewesen, weil Felder und sein Schwager Moosbrugger durch ihre politische Reformarbeit die kirchliche Monopolstellung in der Bewusstseinsbildung der Landbevölkerung erschüttert hatten. Festzuhalten ist dabei: Nicht die Religion war die Zielscheibe von Felders Kritik – denn er galt als gläubiger Mensch –, sondern die politische Macht, die davon abgeleitet wurde. Felder und Moosbrugger hatten durch die Gründung einer Partei, die eindeutig als sozialdemokratisch einzustufen ist, eine politische Spaltung in Vorarlberg herbeigeführt. Die Erinnerung daran galt es bei der Neugründung des Felder-Vereins im Zusammenhang mit dem 100. Todestag tunlichst zu vermeiden.[161]
Eugen Thurnher beschwor im Vorfeld des Jubiläums – offensichtlich aus obigem Grund – mit Nachdruck die „Einheit der Vorarlberger Literatur”. Er stellte eine Art mythischen Zusammenhang her in der Literatur von Rudolf von Ems (13. Jahrhundert) über Franz Michael Felder (19. Jahrhundert) bis Eugen Andergassen, Natalie Beer, Adalbert Welte und Gertrud Fussenegger (20. Jahrhundert):
„In der Dichtung wird das geistige Wesen eines Landes sichtbar ... Alle zeitlichen Dinge werden als hohes Gleichnis erfahren, in dem die göttliche Ordnung sich darstellt ... und Zeit und Ewigkeit einander antworten.”
Thurnher machte deutlich, dass die Dichtung, welche „das geistige Wesen des Landes” sichtbar mache, nur auf der Religion gegründet sein könne, als Grundprämisse der Vorarlberger Identität.[162]
Der Germanistikprofessor erklärte Felder zwar zu einer Schlüsselfigur der kulturellen Identität Vorarlbergs, indem er feststellte: „In der Dichtung Franz Michael Felders empfängt das Land ein getreues Bild seines eigenen Wesens.” Die „heiklen” Aspekte im Wirken des Bregenzerwälders, z. B. sein gespanntes Verhältnis zu bestimmten Repräsentanten der Kirche, seine Kapitalismuskritik und seine Forderung nach demokratischen und sozialen Reformen werden jedoch heruntergespielt. Zitat Thurnher:
„So lange die Welt steht, wird es Reiche und Arme geben. Aber es kommt darauf an, die sittlichen Gefahren (sic!), die in beiden liegen, zu überwinden, um innerlich frei zu werden. Erst dadurch wird wohlwollendes, gegenseitiges Verständnis möglich, durch das der Gegensatz nicht nur erträglich, sondern sogar sinnvoll (sic!) wird.”[163]
Das Ansinnen Thurnhers, der Arme möge wohlwollendes Verständnis für den Reichen haben, auf dass die Armut ihm, dem Armen, als sinnvoll erscheine, stellt die Reformideen Felders und Moosbruggers wohl auf den Kopf. Immerhin hatten sich die beiden Bregenzerwälder von Ferdinand von Lassalle inspirieren lassen, dem Gründer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Immerhin hieß ihre Bewegung „Partei der Gleichberechtigung auf sozialdemokratischer Grundlage”. Die Theorie von der „Einheit der Vorarlberger Literatur” lässt sich gerade am Beispiel jenes Dichters, der das „Vorarlberger Wesen” laut Thurnher am deutlichsten verkörperte, nicht nachweisen. Diese Theorie ist vielmehr Ausdruck einer präventiven Verteidigungshaltung mit dem Ziel, eine politische Vereinnahmung durch die Linke früh genug hintanzuhalten.
Es herrschte offensichtlich die Befürchtung, dass die Sozialistische Partei den Schoppernauer Dichter als Vorkämpfer des Sozialismus ins Bewusstsein der Wähler rücken und daraus propagandistischen Nutzen ziehen werde. Franz Michael Felder als Urahne der Vorarlberger Sozialdemokratie: das war aber genau das Gegenteil von dem, was aus dem Blickwinkel eines Elmar Grabherr oder eines Eugen Thurnher wünschenswert schien. Denn dies hätte jenes Bild zerstört, das der politische Katholizismus von der „sozialistischen Gefahr” seit Ende des 19. Jahrhunderts gezeichnet hatte. Felder war weder „landesfremd”, noch konnte ihm „Sitten- oder Religionslosigkeit” nachgewiesen werden. Einen Ausweg fand man dadurch, indem man – wie von Methlagl beschrieben – Felder zu einer „Vorarlberger Angelegenheit” machte, zu einem Phänomen der „autonomen Landeskultur”.
Aus der Perspektive Benzers und Grabherrs, den Mitbegründern des Felder-Vereins, schien das Felder-Jubiläum zudem eine geeignete Möglichkeit zu bieten, die Existenz einer literarischen Tradition Vorarlbergs unter Beweis zu stellen und damit das kulturelle Prestige des Landes zu heben.
Die Versuche der Landesverwaltung, kontrollierend auf die geisteswissenschaftliche Forschung einzugreifen, lassen sich auch gut am Beispiel der Geschichtswissenschaft aufzeigen. Als der Vorarlberger Landtag 1961 sein 100-Jahr-Jubiläum feierte, erteilte Elmar Grabherr den offiziellen Auftrag zur Abfassung einer historischen Untersuchung mit dem Thema „100 Jahre Vorarlberger Landtag” nicht an den Landesarchivar und Berufshistoriker Dr. Ludwig Welti – was naheliegend gewesen wäre –, sondern an einen Juristen, nämlich an den ihm direkt unterstellten Beamten der Landesregierung Dr. Franz Vögel.[164]
Welti hatte zuvor wenig Bereitschaft gezeigt, sich der Geschichtsauffassung Grabherrs unterzuordnen. Dies hatte übrigens zur Folge, dass man ihm nie die Gesamtleitung des Archivs übertrug und er zeitlebens nur die wissenschaftlichen Agenden betreuen durfte.[165] (Auf die Problematik des Aufsatzes von Franz Vögel über die Geschichte des Landtages, der die Verhältnisse in Vorarlberg idealisiert, wurde bereits hingewiesen.)
Laut Dr. Alois Niederstätter vom Vorarlberger Landesarchiv war die Landesverwaltung in jener Zeit der Auffassung, dass über den Weg der Geschichtswissenschaft Identitätsbildung stattfinden könne. Im Kern ging es darum, in der Bewusstseinsbildung auf die spezifischen „vorarlbergischen Eigenheiten” hinzurarbeiten: Die „Überlegenheit” des politischen Systems im Lande beruhe auf seiner demokratischen Tradition. In Vorarlberg dominiere seit jeher das Genossenschaftsdenken, nicht das Herrschaftsdenken. [166]
Somit war es aus der Warte der Landeskulturpolitik nur konsequent, eine Geschichtsschreibung mit „staatstragendem” Charakter zu fördern. Diese Voraussetzungen schien vor allem der Historiker Benedikt Bilgeri zu erfüllen, der von sich sagte, dass für ihn als Vorarlberger ein „Vorarlberger Patriotismus selbstverständlich” sei. In seinem Werk „Der Bund ob dem See. Vorarlberg im Appenzellerkrieg”, erschienen 1968, zeichnet er in der Beschreibung Vorarlbergs eine Art „Idealbild einer Demokratie, viel demokratischer als die Schweiz jemals war. Bilgeri kommt zu dem Schluss, dass der Bund ob dem See, der von Appenzell ausging und dann auf Vorarlberg übergriff, im Grunde eine Vorwegnahme der Französischen Revolution gewesen sei und dass die Demokratie westlicher Prägung in Vorarlberg erfunden wurde.”
Von da an, so Niederstätter, sei Bilgeri „der Hausgeschichtsschreiber bei Grabherr” gewesen. Bemerkenswert ist immerhin, dass die Landesregierung nicht ein Forscherteam von mehreren Wissenschaftlern – wie bei Großprojekten dieser Art allgemein üblich – mit der Abfassung der fünfbändigen Landesgeschichte betraute, sondern einen Forscher „ihres Vertrauens”, nämlich Bilgeri.
Bemerkenswert ist ebenso, dass die Vorarlberger Landesregierung als wichtigster Geldgeber nicht genannt und damit der Charakter dieser Publikation als Auftragswerk verschwiegen wird.
Ein weiterer Beleg für den Versuch einer „offiziellen” Steuerung des Vorarlberger Geschichtsbildes ist der Umstand, dass ein so gründliches und an Erkenntnissen reiches Geschichtswerk wie Reinhold Bernhards Dissertation „Vorarlberg im Brennpunkt politischen und geistigen Wandels 1789–1801”, welche die Zeit der Franzosenkriege und die antiaufklärerischen Widerstände in Vorarlberg behandelt, erst sechzehn Jahre nach ihrer Fertigstellung als Buch veröffentlicht werden konnte, da die nötigen Förderungsmittel des Landes zur Drucklegung so lange ausblieben.
Der Grund für die Verzögerung lag in der ungeschminkten Darstellung der planmäßigen Folterung, Ermordung und Beraubung von Kreishauptmann Indermauer und zweier weiterer Amtsträger durch Vorarlberger Bauern am 9. und 10. August 1796 in Bludenz. Reinhold Bernhard, immerhin unter den Auspizien des Bundespräsidenten promoviert und mit der Ehrengabe des Landes ausgezeichnet, hatte es abgelehnt, einer Anregung Arnulf Benzers zu folgen und die entsprechende Stelle, die dem “offiziellen” Geschichtsbild widersprach, zu „entschärfen”.[167]
Der letzte, bekannt gewordene Versuch, im Sinne Grabherrs “regulierend” in den historischen Wissenschaftsbetrieb einzugreifen, ging vom Chefredakteur der „Vorarlberger Nachrichten” aus.
Den unmittelbaren Anlass dazu bot der der sogenannte „Vorarlberger Historikerstreit”, der 1986 seinen Höhepunkt erlebte. Der Leiter des Vorarlberger Landesarchivs DDr. Karl Heinz Burmeister hatte die bis dahin erschienenen drei Bände der „Geschichte Vorarlbergs” von Dr. Benedikt Bilgeri mehrere Male, zuletzt in einem im November 1986 ausgestrahlten ORF-Interview, einer kritischen Analyse unterzogen. Es handelte sich dabei um ein vom Umfang her beeindruckendes Werk, das den „Sonderfall Vorarlberg” (Bilgeri) und seine „demokratische Tradition” detailreich und umfassend darzustellen sich bemühte.
In einer Replik auf die Kritik Burmeisters bezeichnete Bilgeri in den „VN” die „Vorwürfe”, die der Archivleiter ihm gemacht habe, nämlich „Schönfärberei und antiösterreichische Haltung”, als „lächerlich oder eher bösartig”. In Wahrheit sei ihm, Burmeister, die Geschichte Vorarlbergs als Rheinländer von Krefeld und Wahl-Lindauer innerlich völlig fremd, und seine deutsche Ausbildung habe ihm die ganz anderen Verhältnisse der freien Alpenländer Tirol, Vorarlberg und Schweiz nicht näherbringen können.[168]
Franz Ortner fügte dieser Replik Bilgeris einen eigenen Kommentar hinzu, in dem er die Kritik Burmeisters als „brutale Denunzierung des Vorarlberger Föderalismus” bezeichnete. Der Kommentar Ortners gipfelte in der Empfehlung, die Vorarlberger Landesregierung möge „Burmeister zur Entschuldigung auffordern oder ihm nahelegen, das Ländle zu verlassen”. Damit rückte Ortner einen – zugegebenermaßen polemisch geführten – wissenschaftlichen Diskurs auf die Ebene der schieren Machtdemonstration. Mit diesem Angriff auf die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Forschung, vergleichbar mit dem Angriff des Josef Anton Ölz auf die Freiheit der Religionsausübung l86l, lieferte Ortner – vermutlich ungewollt – den Beweis für die Funktionalisierung der Geschichtswissenschaft als Instrument der Machterhaltung.
Die Neubewertung der Kunst
Guntram Lins und die Politik der Öffnung
Die beiden darauffolgenden Jahre brachten eine tiefgreifende, neuerliche Wende in der Kulturpolitik und Medienszene Vorarlbergs. 1987 übergab Landeshauptmann Herbert Keßler sein Amt an Dr. Martin Purtscher. Guntram Lins übernahm neben seinen bisherigen Agenden als Finanzreferent auch die Funktion eines Kulturreferenten der Landesregierung, und zwar bis zum September 1994. Am 10. Juni 1987 verstarb Elmar Grabherr, fast genau ein Jahr darauf, am 3. Juni 1988, auch Franz Ortner. Die Themen, welche die beiden über viele Jahre hinweg der Landespolitik vorgegeben hatten, vor allem die „Alemannenideologie”, traten fast mit einem Schlag in den Hintergrund. Martin Purtscher legte ein Hauptaugenmerk auf die Öffnung von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung einer europäischen Dimension. „Sein” Kulturreferent Guntram Lins stellte das Verhältnis der Politik zur Kunst auf eine völlig neue Basis. Er vertrat die Auffassung, „dass sich Kunst sozusagen an der Front der geistigen Entwicklung des Menschen abspielt und wirklich der innovativste Teil der Gesellschaft ist, der in die Zukunft weist.”[169]
Ulrich Ilg, so Lins, sei zwar der Typus eines Politikers gewesen, der alle Achtung verdiene. („Ich glaube, man sollte nicht irgendetwas Negatives bei ihm sehen. Das war eben sein Verständnis des Lebens bezogen auf das Jenseits.“) Doch es sei ihm, Lins, schon während des Studiums in der Stella Matutina in Feldkirch klar geworden, dass eine Haltung, die darauf gründet, alles vom Blickwinkel des gläubigen Menschen aus zu sehen, auf die Dauer den Ansprüchen der heutigen Generation nicht mehr gerecht werde. Lins betonte ausdrücklich den Status der Autonomie der Kunst, losgelöst von ideologischen oder religiösen Vorgaben. „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“, lautete ein Kernsatz von Ulrich Ilg.[170] Der neue Denkansatz erlaubte den Zweifel. Denn wer gibt dem Träger eines politischen Amtes die Gewissheit, dass es tatsächlich Gottes Stimme ist, die er zu hören glaubt?
Die distanzierte Haltung von Guntram Lins zum Thema „Pro Vorarlberg“ kam am besten im Projekt „Kultursprünge“ zum Ausdruck. Bei dieser Aktion, die sich über drei Jahre erstreckte (1991–1993) und jährlich mit einem Betrag von rund drei Millionen Schilling dotiert wurde, wich die Vorarlberger Landesregierung zum ersten Mal vom reinen Subsidiaritätsprinzip ab und übernahm die Verantwortung für ein „Schwerpunktprogramm zur schöpferischen Beschäftigung mit heimischen und fremden Kulturen“. Das Programm umfasste unter anderem einen Kinderliederwettbewerb mit dem Thema „Fremd macht neugierig“, einen Wettbewerb für Video- und Radiospots, ein Projekt über den (türkischen) Ursprung der Blasmusik, Ausstellungen, Sprachkassetten, welche die Integration türkischer Mitbürger erleichtern sollten, Informationsabende, „multikulturelle Feste“ und anderes mehr. Durch das Projekt „Kultursprünge“ sollte laut Guntram Lins „bewusst gemacht werden, dass auch in den letzten 100 Jahren viele Einwanderer zu uns gekommen sind, aus Italien (Trient), Südtirol, Kärnten, Steiermark und in den letzten Jahrzehnten aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Diese Erweiterung des Bewusstseins und das Akzeptieren historischer Tatsachen sollte zum Abbau der Unterscheidung zwischen ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘ beitragen und damit der Humanität Raum schaffen.“[171]
Mit Ulrich Gabriel, der gemeinsam mit Willi Pramstaller und Sabine Folie für die Konzeption und die Durchführung der Projekte sorgte, hatte die Landesregierung einen ihrer schärfsten Kritiker in ihr eigenes Projekt eingebunden. Ulrich Gabriel war als Gründer der Jeunesse Musicale (1975), als Mitbegründer des Vereins „Offenes Haus“ (1979), des „Spielbodens“ in Dornbirn (1981) sowie als Buch- und Rundfunkautor, als Dirigent und Komponist zum großen Anreger der „alternativen“ Kulturszene geworden.[172] Die Zusammenarbeit zwischen Guntram Lins und Ulrich Gabriel setzte sich ab 1994 in einem mehrjährigen, für Vorarlberg neuartigen soziokulturellen Projekt fort, in dem das Thema „Arbeitslosigkeit und Arbeitswelt der Zukunft“ behandelt und Lösungsansätze entwickelt wurden. Das Neue dieses Vorhabens mit dem Titel „Aktion Mitarbeit KulturLabor“ bestand in dem Versuch, Wirtschaft, Kultur, Medien und Politik in einem gemeinsamen Projekt zu verbinden.[173]
Guntram Lins (privat ein besonderer Liebhaber der bildenden Kunst) suchte von sich aus den regelmäßigen Kontakt zu Künstlern, auch zu jenen der Avantgarde. Er hatte im Gegensatz zu Kessler keine Vorbehalte, sich auf ungesichertes Terrain zu begeben. Ein markantes Beispiel dafür ist der Bau des Kunsthauses Bregenz. Dieses politisch wagemutige Projekt bietet sich als „Schnittstelle“ zur Verbindung des Bodenseeraumes mit der internationalen Kunstentwicklung an. Die Hauptaufgabe der Kulturpolitik aus der Sicht von Guntram Lins besteht darin, alles Kreative der heutigen Künstler so zu fördern, dass die Künstler ihre Antworten auf Fragen des Daseins geben können.[174] Theoretisch hieße dies: Ideologieverzicht der Politik in Fragen von Kunst und Aufwertung schöpferischer Tätigkeit.
Damit zog die Landespolitik ab l987 die Konsequenzen aus einem langwierigen und noch lange nicht abgeschlossenen Umwandlungsprozess des Landes von einer religiös-patriarchalisch gelenkten und agrar- und industrieorientierten Gesellschaft hin zu einer Informationsgesellschaft mit weltweiten Vernetzungen, in der das Beharren auf absoluten Wertmaßstäben in Kultur und Gesellschaft obsolet geworden ist. Mit erheblicher Verspätung tritt eine neue Bewertung von Kunst ins Blickfeld. Ausgehend von der Philosophie Schopenhauers sieht Lins in der Kunst eine zentrale Möglichkeit, wesentliche Fragen des Daseins zu beantworten: Sie wird als Seismograph betrachtet für die jeweilige Befindlichkeit der Gesellschaft und als Spiegel für die Vielfalt der Wege, Wirklichkeiten zu erkennen oder darzustellen. Ein Zitat aus einer Broschüre des Kunsthauses Bregenz mag dies verdeutlichen:
„Man muss nicht unbedingt strenge Kategorien anwenden in Fragen der Kunst, sondern wir haben die Wahl ...“[175]
[1] Tonbandprotokoll: Treffen der „Vorarlberger Kulturproduzenten“ auf Schloss Glopper, 16.2.1972, im Besitz des Verf.
[2] Ebd.
[3] Sofern der Verfasser in diesem Aufsatz als Zeitzeuge auftritt, wird dies nicht ausdrücklich in den Fußnoten vermerkt. Der Verfasser war als freier Mitarbeiter des ORF (1968-70), als Kulturredakteur des Aktuellen Dienstes (1970-1974) und als Leiter der Abteilung Hörspiel / Literatur des Landesstudios Vorarlberg (1974-1996) mit den kulturellen Geschehnissen dieses Zeitraumes direkt befasst und darüber hinaus als Organisator von literarischen Veranstaltungen, Hörspielproduktionen und Seminaren zur Weiterbildung von Autoren sowie als Mitglied der „Gruppe Vorarlberger Kulturproduzenten” und Leiter der St. Gerolder Literaturtage (1978–1993) unmittelbar in die Vorarlberger Literaturszene eingebunden.
[4] Siehe auch Vorarlberg-Chronik, Ausgabe 1997, Hg. Land Vorarlberg, Bregenz 1997, S. 258.
[5] FLINT-Flugblatt pop and lyrik festival, Neuburg bei Götzis, 4.-5. Juli 1970, Kopie im Besitz des Verfassers
[6] Ebd.
[7] Siehe Anm. 1
[8] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[9] Haffner, Leo: Die Kasiner. Vorarlbergs Weg in den Konservatismus. Bregenz 1977, S. 134-135
[10] Dünser, Manfred: Politischer Katholizismus in Vorarlberg. Katholische Aktion und Katholische Männerbewegung 1920‑1990. Feldkirch 1991, S. 63
[11] Siehe Anm. 9, S. 16-18
[12] Albert C. Sellner: Karl Marx, der Visionär und Rassist. In: DIE ZEIT, Nr. 23, 28.5.1998
[13] Ebd.
[14] Siehe Anm. 10, S. 47
[15] Siehe Anm. 9, S. 42-53
[16] Mittersteiner, Reinhard: Die schwarze Moderne. Dr. Karl Drexel und die katholische Arbeiterbewegung in Dornbirn. Vortrag im Stadtarchiv Dornbirn, 9. März 1998. Mitschrift d. Verf.
[17] Siehe Anm. 10, S. 28-31
[18] Ebd., S. 76
[19] Ebd., S. 35-36
[20] Ebd., S. 76-77
[21] Ebd., S. 102-109
[22] Ebd., S. 111
[23] Ebd., S. 139
[24] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 30.3.1998
[25] Johnston, William M.: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938. Wien 1992, S. 44-45, S. 81-87, S. 127-172
[26] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[27] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[28] Benedikt Bilgeri in Vorarlberger Nachrichten, 26.11.1986
[29] Zum Beispiel Vorarlberg-Bericht, Heft 87/1996, Hg. Land Vorarlberg, S. 24
[30] Brief von Walter Methlagl an den Verfasser, 11.2.1981
[31] Jenny, Marcelo: Herbert Keßler. In: Herbert Dachs, Peter Gerlich, Wolfgang C. Müller (Hg.): Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik.. Wien 1995, S. 280-288, hier S. 283
[32] Thurnher, Eugen: Das literarische Schaffen. In: Karl Ilg (Hg.): Landes- und Volkskunde, Geschichte, Wirtschaft und Kunst Vorarlbergs 1-4. Innsbruck‑München 1961‑ 1967. Band IV, S. 214-218
[33] Bilgeri, Benedikt: Geschichte Vorarlbergs, Band IV, Zwischen Absolutismus und halber Autonomie. Wien–Köln–Graz 1982
[34] Vögel, Franz: Hundert Jahre Vorarlberger Landtag 1861–1961. In: Landstände und Landtag in Vorarlberg. Geschichtlicher Rückblick aus Anlaß der Wiedererrichtung einer Volksvertretung vor 100 Jahren (1861–1961). Hg. Land Vorarlberg. Bregenz 1961, S. 102
[35] Siehe Anm. 9, S. 153
[36] Ilg, Ulrich: Meine Lebenserinnerungen. Dornbirn 1985, S. 76
[37] Ebd., S. 88
[38] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 7.4.1998
[39] Ebd.
[40] Haffner, Leo: Die Aufklärung und die Konservativen. Ein Beitrag zur Geschichte der katholisch-konservativen Partei in Vorarlberg. In: Meinrad Pichler (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte. Bregenz, S. 17–28
[41] Tizian, Karl: Tagebuch 25.7.1955. Abschrift im Besitz des Verfassers. (Im Folgenden abgekürzt: Tizian Tb.)
[42] Siehe Anm. 9, S. 32–33
[43] Tizian Tb. 26.8.1962
[44] Tizian Tb. 22.7.1962
[45] Sagmeister, Rudolf und Kathleen: Leben und Werk. In: Edmund Kalb 1900–1952, Katalog und Buchausgabe. Hg. Stadt Dornbirn, Land Vorarlberg – Kunsthaus Bregenz. Dornbirn‑Bregenz 1994. S. 59
[46] Tizian Tb. 29.7.1951
[47] Siehe Anm. 36, S. 91
[48] Siehe Anm. 40, S. 28
[49] Tizian Tb. 18.7.1957
[50] Tizian Tb. 1.8.1957
[51] Tizian Tb. 5.10.1957
[52] Siehe Anm. 36, S. 34
[53] Siehe Anm. 9, S. 23
[54] Tizian Tb. 2.5.1946
[55] Tizian Tb. 3.5.1947
[56] Tizian Tb. 1.5.1947; siehe auch: Meusburger, Wilhelm: „Ich habe die Pawlowa tanzen gesehen.“ In: Ausstellungskatalog Max Haller, Vorarlberger Landesmuseum Bregenz 23.7.–20.9.1992, S. 19
[57] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 8.4.1998
[58] Grau, Werner: Deutsche Literatur der 50-er Jahre. In: Die 50-er Jahre. Unser Jahrhundert in Wort, Bild und Ton. Gütersloh 1985, S. 229–234
[59] Grunenberg, Nina: Das Wort als Ware. In: DIE ZEIT Nr. 23, 28.5.1998, S. 3
[60] Augstein, Rudolf: So fingen wir an, so wurden wir angefangen. In: DER SPIEGEL, Sonderausgabe 1947–1997, S. 7
[61] Ehrengaben des Landes Vorarlberg für Kunst und Wissenschaft. Informationsblatt der Vorarlberger Landesregierung an die Mitglieder der Kunstkommission. Ohne Datum.
[62] Tizian Tb. 18.11.1962
[63] Interviewprotokoll Theo Lang (ehem. Solocellist des Vorarlberger Funkorchesters), 5.4.1998
[64] Kunst in Vorarlberg 1900–1950. Katalog der Ausstellung. Vorarlberger Landesmuseum 21.7.–19.8.1976
[65] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 30.3.1998
[66] Siehe Anm. 63.
[67] Siehe Anm. 1
[68] Oscar Sandner im Gespräch mit Roland Jörg. In: Kultur, Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Jg. 12, Nr. 6, Juli‑August 1997, S. 26
[69] Johannes Rausch (Obmann der IG Kultur) im Gespräch mit Bettina Scherer. WANN & WO, 4.1.1998
[70] P. Nathanael Wirth OSB im Gespräch mit Peter Füßl, Kultur, Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Jg. 13, Nr. 3, April 1998, S. 5
[71] Tizian Tb. 24.11.1962
[72] Fritsch, Sibylle: Die Situation des professionellen Theaters der Nachkriegszeit in Vorarlberg mit besonderer Berücksichtigung der Bregenzer Festspiele (1945–1947). Maschinschr. Diss., Wien 1975, S. 74
[73] Siehe Anm. 36, S. 90
[74] Bär, Ernst: Welttheater auf dem Bodensee. Bregenzer Festspielbuch. Wien 1977, S. 191
[75] Tizian Tb. 22.12.1958
[76] Siehe Anm. 74, S. 193
[77] Tizian Tb. 15.10.1969
[78] Interviewprotokoll LAbg. Othmar Holzer, ÖVP, 11.7.1997; Plitzner, Klaus: Vorarlberg muß Österreichs gute Stube bleiben. In: Robert Kriechbaumer / Franz Schausberger (Hg.): Volkspartei – Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Wien–Köln–Weimar 1995, S. 613–618
[79] Interviewprotokoll Herbert Keßler, 15.1.1998
[80] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[81] Siehe Anm. 78, Plitzner S. 617
[82] Oscar Sandner im Gespräch mit Roland Jörg. In: Kultur, Jg. 12, Nr. 6, Juli–August 1997, S. 22
[83] Ebd., S. 25
[84] Siehe Anm. 1
[85] Siehe Anm. 74, S. 191
[86] Siehe Anm. 1
[87] Siehe Anm. 68, S. 25
[88] Siehe Anm. 68, S. 26
[89] Ebd., S. 25
[90] Siehe Anm. 9, S. 64 c, Bildbeschreibung
[91] Siehe Anm. 10, S. 47–48
[92] Siehe Anm. 10, S. 53
[93] Siehe Anm. 16
[94] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[95] Interviewprotokoll Elmar Vonbank, 15.9.1997
[96] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[97] Grabherr, Elmar: Vorarlberger Geschichte. Bregenz 1986, S. 298
[98] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[99] Mitteilung von Ilse Fuchs, geb. Grabherr, 15.9.1997
[100] Interviewprotokoll Hubert Grabherr, 16.11.1997
[101] Greussing, Kurt und Pichler, Meinrad: Politische Kultur 1986. Vom Arier zum Alemannen. In: Kultur, Jg. 1, 1986, Nr. 9, S. 4–6
[102] Z. B. Tizian Tb. 18.9.1968
[103] Vgl. Tizian Tb. 26.6.1964, 27.12.1958, 7.8.1959; Interviewprotokoll Herbert Keßler, 15.1.1998
[104] Siehe Anm. 101
[105] Lun, Margareth: Südtirol in der Operationszone Alpenvorland 1943–1945. Diplomarbeit Universität Innsbruck 1993, S. 64–67; Interviewprotokoll Viktoria Stadelmayr, 15.11.1997
[106] Interviewprotokoll Hubert Grabherr, 16.11.1997
[107] Interviewprotokoll Viktoria Stadelmayr, 15.11.1997
[108] Interviewprotokoll Ferdinand Ortner, 10.11.1997
[109] Tizian Tb. 15.10.1962
[110] Barnay, Markus: Pro Vorarlberg. Eine regionale Initiative. Bregenz 1983, S. 43
[111] Siehe Anm. 97, S. 27–29, S. 16, S. 94. Den Hinweis auf diese Zusammenhänge verdanke ich Univ.-Prof. Dr. Elmar Vonbank.
[112] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[113] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[114] Siehe Anm. 40, S. 21–23
[115] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[116] Lampert, Regina: Die Schwabengängerin. Erinnerungen einer jungen Magd aus Vorarlberg 1864–1874, Zürich 1996, S. 65
[117] Haffner, Leo: Der Liberalismus bringt keinen Segen. Martin Thurnher – ein Leben für den Konservativismus. In: Werner Bundschuh / Harald Walser (Hg.): Dornbirner Statt-Geschichten. Dornbirn 1987, S. 96–100
[118] Siehe Anm. 33, S. 367
[119] Siehe Anm. 9, S. 23–26, S. 39
[120] Siehe Anm. 119
[121] Ebd., S. 91–100
[122] Tizian Tb. 18.11.1962
[123] Vorarlberger Volksblatt 8.2.1910
[124] Interviewprotokoll Elmar Vonbank, 15.9.1997
[125] Tizian Tb. 14.7.1964; Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[126] Enzensberger, Magnus: Die große Wanderung. Frankfurt/M. 1992, S. 16–18
[127] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 10.11.1997
[128] Siehe Anm. 127
[129] Vorarlberg Chronik, Ausgabe 1997, Hg. Land Vorarlberg, S. 284
[130] Schreiber, Horst: Schule in Tirol und Vorarlberg 1938–1948. Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Bd. 14. Hg. Rudolf Steininger, Innsbruck–Wien 1996, S. 308
[131] Tizian Tb. 1.8.1945
[132] Sellner, Albert C.: Karl Marx, der Visionär und Rassist. In: DIE ZEIT, 28.5.1998, S. 4
[133] Siehe Anm. 36, S. 76
[134] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 18.12.1997
[135] Siehe Anm. 9, S. 20–26
[136] Ebd., S. 21 f.
[137] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 8.4.1998
[138] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[139] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 8.4.1998
[140] Wanner, Gerhard: Parteien und Parteipolitik. In: Franz Mathis / Wolfgang Weber (Hg.): Vorarlberg. Zwischen Fußach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit. Wien–Köln–Weimar 2000, S. 421–463, hier S. 423
[141] Tizian Tb. 29.6.1954, 19.9.1954, 25.4.1955
[142] Interviewprotokoll Elmar Vonbank, 15.9.1997
[143] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 18.12.1997, 8.4.1998
[144] Tizian Tb. 10.3.1970, 21.4.1970, 30.4.1970
[145] Siehe Anm. 110, S. 33–52
[146] Interviewprotokoll Othmar Holzer, 11.7.1997
[147] Tizian Tb. 1.6.1970, 15.3.1951
[148] Tizian Tb. 19.12.1966, 15.7.1968, 19.6.1968, 1.4.1970
[149] Interviewprotokoll Arnulf Benzer, 18.12.1997, 17.6.1998
[150] Tizian Tb. 10.1.1970
[151] Tizian Tb. 10.3.1970
[152] Siehe Anm. 110, S. 62
[153] Interviewprotokoll Alma Riml, geb. Heinzle, 5.6.1998
[154] Winder, Ernst: Zwischen Fußach und Europa. Drei Jahrzehnte Vorarlberger Landespolitik. Unveröff. Manuskript, S. 45–47 (im Besitz d. Verf.)
[155] Siehe Anm. 110, S. 93
[156] Siehe Anm. 157, S. 36
[157] Siehe Anm. 110, S. 30
[158] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[159] Siehe Anm. 110, S. 58
[160] Brief von Walter Methlagl an den Verfasser, 11.2.1981
[161] Siehe Felder, Franz Michael: Briefwechsel 1856–1869. 1. Teil. Hg. Walter Methlagl. Bregenz 1981, Einleitung S. 16–17
[162] Siehe Anm. 32, S. 214–218
[163] Ebd., S. 279
[164] Siehe Anm. 34
[165] Mitteilung von Ludwig Welti an den Verfasser
[166] Interviewprotokoll Alois Niederstätter, 4.2.1998; Grabherr, Elmar: Vorarlberger Geschichte. Bregenz 1986, S. 94
[167] Mitteilung von Reinhold Bernhard an den Verfasser
[168] Vorarlberger Nachrichten, 26.11.1986
[169] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[170] Siehe Anm. 36, S. 54
[171] Brief von Guntram Lins an den Verfasser, 26.1.1998; Liederbuch Gögö Wotschi. Fremd macht neugierig. Hg. Vorarlberger Landesregierung. Bregenz 1992
[172] Gabriel, Ulrich: Spielboden. Forum für Jugend und Kultur Dornbirn. In: Andreas Khol / Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1982, München–Wien 1983, S. 321–338
[173] Folder Laboratorium 98. Zur Zukunft der Arbeit. Zeit oder Geld. Brauchen wir eine neue Wirtschaftstheorie? 1. und 2. Mai 1998 in St. Gerold, Vorarlberg
[174] Interviewprotokoll Guntram Lins, 23.6.1997
[175] Michael Clegg im Gespräch mit Martin Guttmann. Ausstellung 50 Positionen zeitgenössischer Kunst. Videoporträts und Werke. Kunsthaus Bregenz, 28.9.–30.11.1997, Gesprächsprotokoll, S. 2