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Kurt Greussing (1988): Der heilige Karl: Mit Feuer und Flamme für die Kirche

Vorarlberger Konservative - und die Hohenemser - halten einen Stadtheiligen in Ehren, dessen Glaubenseifer für alles andere stand als für die angeblich typisch christlichen Werte des Humanismus und der Toleranz. Eine Exkursion in die Welt des Fundamentalismus.


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Kurt Greussing

Der heilige Karl:
Mit Feuer und Flamme für die Kirche

Ketzerische Nachbemerkungen zur Hohenemser Borromäus-Ausstellung

 

Erschienen in: KULTUR, 3. Jg., 1988, Nr. 10, S. 16-18

 

"Reformer - Heiliger - Vorbild": Unter diesem Motto wurde im Oktober der 450. Geburtstag des Patrons von Hohenems, des hl. Karl Borromäus (1538-1584), mit einer Ausstellung im gräflichen Palast und einem prächtig ausgestatteten Katalog gefeiert. In dessen Vorwort wird der kirchengeschichtlich weniger beschlagene Laie von den beiden Ausstellungs- und Kataloggestaltern Eberhard Tiefenthaler (Vorarlberger Landesbibliothek) und Paul Rachbauer (Vorarlberger Landesmuseum) auf den vorbildlichen Heiligen eingestimmt: "Muster des nachtridentinischen Bischofs, das Vorbild und Symbol des neu erstarkten Glaubens, der Motor der innerkirchlichen Erneuerung".

Da gilt es natürlich, "sein nie ermüdendes Wirken für die Konsolidierung der katholischen Christenheit - unter besonderer Berücksichtigung der Schweiz und Vorarlbergs - zu würdigen" - zumal in "Hohenems, jener Stadt, die über Jahrhunderte das Gefühl ihrer Verbundenheit mit dem großen Kirchenreformer bis heute bewahrt hat" (Katalog, S. 9). Ob man das nicht nur von der Stadt, sondern auch von ihren Bewohnern behaupten kann, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich muß zugeben: Die "Konsolidierung der katholischen Christenheit" ist mir kein Anliegen. Auch mit Heiligen weiß ich wenig anzufangen. Aber Reformer und Vorbilder - die mag ich. Besonders wenn sie vor über 400 Jahren tätig waren.

Denn da hätte es bekanntlich einige Möglichkeiten gegeben, sich durch Reformen der Nachwelt als Vorbild zu empfehlen: durch mutiges Einschreiten gegen Ketzer- und Hexenverbrennungen zum Beispiel; durch ausgleichendes Wirken gegen den oft mörderischen Haß zwischen Katholiken und Protestanten; durch das Bekenntnis zu einer menschenfreundlichen Religion, die das jenseitige Paradies nicht zum Tauschobjekt für das irdische Jammertal macht; durch konsequentes Eintreten gegen die Folterpraktiken der Inquisition; durch den Versuch, Religion nicht zum Mittel von rücksichtsloser Großmachtpolitik werden zu lassen.

Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, als Europa zum blutigen Schauplatz dynastischer und religiöser Machtkämpfe zwischen Spanien, Frankreich und England wurde, als in Mitteleuropa der organisierte Massenmord mittels Hexenverfolgung einem Höhepunkt zustrebte und um der heiligen Religion willen Tausende vertrieben und umgebracht wurden - das müßte doch die ideale Zeit für einen Heiligen gewesen sein, der uns heute noch als Reformer und Vorbild angetragen wird.

Leider bleiben die Mitteilungen über das diesbezügliche Wirken des hl. Karl Borromäus im Katalog zur Hohenemser Ausstellung dürftig. Um genau zu sein: sie fehlen ganz. Stattdessen wird Karl Borromäus als jener Bischof gerühmt, der die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545-1563) wirksam in die Praxis umgesetzt und dem Geist dieses Konzils innerkirchlich zum Durchbruch verholfen habe.

Das Konzil war unter anderem eine Antwort auf das Vordringen der Reformation gewesen - Luther hatte von 1520 bis 1546 gewirkt -, und stand am Schluß im Zeichen des Kampfes gegen die "Ketzer", also die Protestanten. Zu diesem Zweck wurde eine straffe Zentralisierung der innerkirchlichen Strukturen eingeleitet, vor allem durch regelmäßige Visitationen der Pfarreien; und es wurden die Lehrinhalte, zumal in Abgrenzung zum Protestantismus, verbindlich formuliert und durchgesetzt. Diesem Zweck dienten Kapuziner und Jesuiten - erstere als Missionare fürs einfache Volk, letztere als Lehrer der gebildeten Stände.

 

Oberlehrer Karl Borromäus?

 

Karl Borromäus war als Erzbischof von Mailand einer der eifrigsten Verfechter der tridentinischen Reformen. Seine Wirkung erzielte er unter anderem durch einen demonstrativ asketischen Lebenswandel, inklusive Selbstgeißelungen, und Verzicht auf weltliches Gepränge. Schon relativ bald nach seinem Tod, 1610, wurde er heiliggesprochen.

Der Katalog zur Hohenemser Ausstellung vermittelt nun den Eindruck, Karl Borromäus sei gleichsam als strenger Oberlehrer durch die Lande gezogen und habe seine Schäfchen durch gutes Zureden und vorbildlichen Lebenswandel zur Raison gebracht. Grundsätzlich sorgte er dafür, daß Priester ihren Frauen, mit denen sie zusammenlebten, den Laufpaß gaben - denn solche Geistliche waren für die lutheranischen Ketzerlehren natürlich besonders anfällig. Auch vom einzigen, und kurzen, Besuch des hl. Karl bei Graf Jakob Hannibal in Hohenems, dem Gatten seiner Halbschwester Hortensia, im Jahre 1570, ist die entsprechende Zurechtweisung von zwei Priestern als eine der hervorragenden Leistungen überliefert. Was mit den Frauen und ihren Kindern anschließend geschah, das bekümmert offenbar weder das borromeische Vorbild noch seine katalogtextenden Nachbilder.

Im übrigen sind die katholischen Borromäus-Viten merkwürdig einsilbig, wenn sie auf des Heiligen Missionsmethoden zu sprechen kommen. Erwähnt werden - beispielsweise vom Erzpriester des Mailänder Doms, Angelo Majo - die "harten Strafen gegen Zuwiderhandelnde", der "Vorwurf ... unzulässiger Zwangsmethoden und die wahrlich nicht wohlwollende Titulierung 'Geißel Gottes'". Es könne "kein Zweifel darüber aufkommen, daß sich der hl. Karl bei mehr als einem Anlaß ehern unbeugsam gezeigt hat, aber man muß sich auch die Frage stellen, ob es nicht die Umstände waren, die ihn dazu ja geradezu zwangen" (Katalog, S. 21).

Soviel Verständnis für die Umstände weckt natürlich die Neugier, wie diese denn nun waren. Erst recht, wenn die von Karl Borromäus errichteten Marien-Wallfahrtskirchen als "sichere Bollwerke gegen die Ausbreitung der protestantischen Häresie" gesehen werden (S. 26). Das ab dem Spätmittelalter für Häresie gebräuchliche Wort heißt "Ketzerei" - und auf die standen seit der 1542 wieder eingeführten "römischen Inquisition" Strafen bis hin zum Tod (erstes Todesurteil 1545).

Auch andere Schriften zum Leben des hl. Karl sind bezüglich des Umgangs mit der "protestantischen Häresie" nicht sehr ergiebig. Da zum Mailänder Bistum des Karl Borromäus auch drei italienischsprachige Talschaften des heutigen Graubünden gehörten, denen er bei mehreren Visitationen sein Augenmerk schenkte, erwies sich dort vielleicht die Vorbildwirkung des Heiligen im Umgang mit Häretikern. Doch im Borromäus-Gedenkbuch der Borromäerin Hedwig Bach (Köln 1984) liest man ähnlich Knappes wie im Hohenemser Katalog:

"Die Reformtätigkeit des Erzbischofs in diesen Gebieten benützte nicht nur alle zur Verfügung stehenden pastoralen Hilfsmittel, sondern nahm auch Zuflucht zu diplomatischen, politischen und militärischen Maßnahmen" (S. 79).

Die protestantische Literatur zur Gegenreformation in Graubünden - und zum Wirken des Karl Borromäus im besonderen - ist da wesentlich aufschlußreicher. Leider wurde sie - in durchaus borromeischer Tradition, welche die ketzerischen Druckwerke am besten im Feuer aufgehoben sah - von den Autoren der Hohenemser Geburtstagsausstellung und des wissenschaftlichen Katalogs nicht zur Kenntnis genommen.

 

"Ketzer" in Graubünden

 

Ab 1531 entwickelte sich die protestantische Bewegung von Locarno nordwärts hinein in die bündnerischen Untertanenlande beziehungsweise ins Gebiet der Drei Bünde. Gefördert wurde die Ausbreitung des Protestantismus durch Glaubensflüchtlinge aus Italien, vor allem aus Mailand. Sie konnten italienisch predigen und gaben Unterricht in den Häusern Wohlhabender, vor allem im Veltlin. Das Zusammenleben der Konfessionen war nicht reibungslos - denn die Protestanten waren um nichts toleranter als die Katholiken. Doch die Bündner Oberen hatten offenbar keine Lust, sich religiöse Konflikte aufzuhalsen. In mehreren Toleranzedikten, zum Beispiel zwischen 1552 und 1557, beschlossen sie die Gleichberechtigung von katholischem und protestantischem Bekenntnis - und, schlau wie sie waren, ein Verbot des Zuzugs fremder Geistlicher, zum Beispiel 1581. Graubünden sollte nicht zum Tummelplatz eifernder katholischer Priester und evangelischer Prädikanten werden - eine geradezu geniale Maßnahme angesichts des religiösen Streits und der religiösen Verfolgung im übrigen Europa.

Unser Vorbild Borromäus sah das nicht so. Ihm galt die konfessionelle Duldung als "libertà diabolica"; das Zuwanderungsverbot für katholische Priester durchkreuzte die geplante Straffung und Erneuerung des kirchlichen Apparats; und am schlimmsten: In vielen Dörfern machten die Menschen keinen großen Unterschied zwischen katholischem und protestantischem Glauben, sodaß sie umso dringender des geistlichen Beistands bedurften.

Außerdem hätte ein katholisches Bündnerland eine gute Verbindung zwischen dem unter spanisch-habsburgischer Herrschaft stehenden Mailand und den katholischen Vorlanden der österreichischen Habsburger abgegeben - deshalb wohl auch Karl Borromäus' Interesse für Hohenems, das nicht nur von der Sorge um seine dorthin verheiratete Halbschwester gespeist war.

 

Massaker im Misox

 

Das Pech war nur: Karl Borromäus hatte als päpstlicher Visitator der Schweiz zwar kirchliche, aber keine weltlichen Vollmachten, um die protestantischen Ketzer zu vertreiben und den katholischen Glauben wiederherzustellen. Als er 1583 vom Generalrat des überwiegend katholischen Misoxertales um Hilfe gegen die Protestanten angegangen wurde, fand sich ein Ausweg. Da die Protestanten den Schutz der Landesgesetze genossen und darum nicht der Ketzerei angeklagt werden konnten, wurden sie von Borromäus und seinen Inquisitoren der Hexerei bezichtigt. 108 Personen kamen vor Gericht - vielfach aus Italien geflohene Protestanten. Wahrend die meisten unter der Folter in den Schoß der Kirche zurückkehrten, wurden zehn Frauen und ein Mann der weltlichen Exekutivgewalt übergeben und verbrannt. Ein paar der "Hexerei" überführte Kinder fanden Milde vor dem Erzbischof und wurden im Hinblick auf ihr Alter zu bloßen Kirchenbußen begnadigt.

Im benachbarten Calancatal wurden weitere Frauen - "donne diaboliche" - bezichtigt und gefoltert. Von den 50 protestantischen Familien des Tales soll, als Borromäus nach einem Monat die Gegend verließ, keine mehr übrig geblieben sein. Über die Verbrennungen in jenem November 1583 berichtete der Priester, der den gequälten Opfern die Absolution erteilte:

"Rings herum auf dem Platze stand eine unabsehbare Menge, zu Tränen gerührt und schrie mit lauter Stimme: Jesus! und auch von dem Scheiterhaufen her, wo diese Elenden brieten, vernahm man derartige Rufe, vermischt mit dem Knistern des Feuers. Zum Unterpfand des Heils hatten sie am Halse den heiligen Rosenkranz..." (C. Camenisch, S. 135).

"Diese Verdienste unseres Heiligen um die Wiederbelebung der katholischen Religion in der Schweiz konnten nicht verfehlen, ihm die höchste Zufriedenheit des apostolischen Stuhles zu erwerben", heißt es in einem Borromäus-Lob des Jahres 1846, das 1984 voll der Zustimmung zitiert wird (H. Bach, S. 91). Zu diesen Verdiensten gehörte übrigens auch die radikale Vernichtung "ketzerischer" Literatur, gerade im Misox.

 

"... ein makabres Denkmal"

 

Für die Protestanten Graubündens ist Karl Borromäus heute nicht gerade das Vorbild von einem Reformer. Er habe sich "durch sein blutiges Strafgericht ein makabres Denkmal" gesetzt, heißt es in der neuesten Bündner Kirchengeschichte der Protestanten (A. Frigg, S. 28). Freilich wird ihm auch tiefe Religiosität, Empfindsamkeit und Selbstlosigkeit zugebilligt - angeblich ein "krasser Widerspruch".

Dieser Widerspruch läßt sich ausräumen. Die meisten, die der Nation, dem Proletariat oder dem Herrgott zuliebe durch das von ihnen angerichtete Blutbad wateten, waren selbstlos, asketisch und gaben ihr Bestes im Dienste der Sache. In diesem Sinne ist, neben vielen anderen, sicher auch Ayatollah Chomeyni ein Vorbild.

Insgesamt sind die Hohenemser Ausstellung - Ehrenschutz LH Dr. Martin Purtscher - und die Begleitpublikation zu einer Heiligenlegende geraten. Der Herausforderung, am Beispiel des Borromäus die Geschichte der Gegenreformation in unseren Breiten aufzuarbeiten und zu dokumentieren - also zu erklären, warum Vorarlberg katholisch geworden ist -, haben sich die Ausstellungsgestalter nicht gestellt. Untersuchungen zur konkreten Durchsetzung der tridentinischen Reformen, wie sie etwa Günther Pallaver in einem aufschlußreichen Buch für Tirol vorgenommen hat, stehen für Vorarlberg nach wie vor aus.

Eine abschließende Bemerkung: Wie Katholiken mit ihren Heiligen umgehen, ist ihre Sache. Hier ist ja außerdem in letzter Zeit eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber abweichenden Interpretationen durch Andersgläubige festzustellen. Ich kann mich jedoch der letzten Versuchung nicht entziehen: nämlich auch als Konfessionsloser zum ökumenischen Dialog unter den Auspizien dieses Heiligen, Reformers und Vorbilds viel Vergnügen zu wünschen.

 

 

Literaturhinweise:


Hedwig Bach: Karl Borromäus... Ein Gedenkbuch. Köln 1984.

Bündnerische Reformationsgeschichte (bearb. von Emil Camenisch). Chur 1920.

Carl Camenisch: Carlo Borromeo und die Gegenreformation im Veltlin. Chur 1901.

Albert Frigg: Bündner Kirchengeschichte. 3. Teil. Die Gegenreformation. Chur 1986.

Art. Inquisition, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 5. Band. Freiburg 1960.

Günther Pallaver: Das Ende der schamlosen Zeit. Die Verdrängung der Sexualität in der frühen Neuzeit am Beispiel Tirols. Wien 1987.

Eberhard Tiefenthaler (zus. mit Paul Rachbauer) (Hg.): Hl. Karl Borromäus. Reformer - Heiliger - Vorbild. Katalog zur Ausstellung. Hohenems 1988.

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