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05.07.2010 / 50. Todestag Dr. Otto Ender

Wegbereiter einer Diktatur oder verhinderter Demokrat? Zur Debatte um den ehemaligen Landeshauptmann und Bundeskanzler Dr. Otto Ender anlässlich seines 50. Todestages - Leserbrief von Werner Bundschuh

 

Vorarlberger Nachrichten, 5. Juli 2010, S. D2


„50. Todestag von Otto Ender“

 

Emmerich Tálos stellt in seinem Leserbrief vom 1. Juli völlig zurecht fest, dass die Bewertung des ehemaligen christlich-sozialen Vorarlberger Landeshauptmanns und Bundeskanzlers Dr. Otto Ender auf der Basis seines politischen Handelns erfolgen müsse.

Die Fakten: Kanzler Dollfuß machte Ender 1933 zum „Minister ohne Portefeuille“, damit er eine neue Verfassung im Sinne des politischen Katholizismus ausarbeitet. In dieser „Mai-Verfassung“ (1934) ging das Recht nicht mehr vom Volke aus, sondern von „Gott, dem Allmächtigen“. Sie war antidemokratisch und antiparlamentarisch.

An den faschistischen Diktator Mussolini schrieb Dollfuß am 22. Juni 1933, dass Ender mit „innerer Überzeugung“ hinter ihm stehe und den von ihm vorgegebenen Weg „zu beschreiten entschlossen ist“. Dieser Weg führte weg von der parlamentarischen Demokratie, hin zum faschistisch orientierten „Ständestaat“ und 1934 in den Bürgerkrieg. Der „Ständestaat“ unterdrückte die Sozialdemokratie, war aber kein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus.

Ender sah im Nationalsozialismus durchaus Nachahmenswertes: „Was gesund ist am Hitlertum wollen wir aufgreifen und soweit auch verwirklichen, als es für unsere Vorarlberger und unsere österreichischen Verhältnisse passt“ (Vorarlberger Volksblatt, 2.5.1933).

Es geht nicht an, die Rolle Enders bei der Abschaffung der demokratischen Ersten Republik in den Jahren 1933-34 heute kleinzureden – da hat Tálos völlig recht.

 

Dr. Werner Bundschuh
Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft

 

*****

 

Dieser Leserbrief und der vorangehende von Univ.-Prof. Emmerich Tálos beziehen sich auf einen Kommentar von Alt-BR Jürgen Weiss in den VN vom 22. Juni 2010, der im Wesentlichen folgendes Argument vorbrachte:

 

50. Todestag Otto Enders


... Letztes Jahr gab es im Landtag einen grünen Vorstoß, ihm nachträglich die Namenspatenschaft für die Stipendienstiftung des Landes Vorarlberg abzuerkennen, weil er zu stark in den autoritären Dollfuß-Ständestaat verwickelt gewesen sei. Diese Diskrepanz lenkt den Blick auf zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen, einmal des langjährigen Landeshauptmannes und andererseits des Bundeskanzlers und Verfassungsministers. ...

Dass damals auch die Landespolitik vom autoritären Zeitgeist angesteckt wurde, kann nicht losgelöst von einer zweiten politischen Strömung dieser Zeit gesehen werden. Wenngleich sich der Austromarxismus als Abgrenzung vom gewalttätigen Marxismus sowjetischer Prägung verstand, forderte 1926 das Linzer Programm der Sozialdemokratie den Aub   au einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, für welche die Demokratie in den Dienst der Arbeiterklasse gestellt werden müsse. Ob eine solche Entwicklung nicht auch in Österreich antidemokratisch und autoritär geendet hätte, sei dahingestellt.

Zweimal wechselte Otto Ender, wohl mehr gedrängt als aus eigenem Antrieb, in die Bundespolitik. 1930/31 war er für sieben Monate einer der insgesamt zehn Bundeskanzler der Ersten Republik. 1933/34 folgte er als Bundesminister für Verfassungs- und Verwaltungsreform für ein Jahr neuerlich einem Ruf nach Wien. Die von ihm nach der Ausschaltung des Parlaments auszuarbeitende neue ständestaatliche Verfassung war eine Auftragsarbeit von Bundeskanzler Dollfuß, der sogar eigenhändig auch noch den Begriff „Republik“ aus dem Entwurf Enders eliminierte. Wie bei zahlreichen anderen Politikern aller Lager blieb diese unselige Zeit auch bei Otto Ender nicht ohne Schatten auf dem Lebenslauf. Es ist wichtig und ein Verdienst kritischer Geschichtsforschung, dass man heute mehr darüber weiß, als man viele Jahre wissen wollte. Es ist aber auch geboten daran zu erinnern, dass der am kommenden Freitag vor fünfzig Jahren verstorbene Dr. Otto Ender als Landeshauptmann der Wegbereiter für die Selbständigkeit und eine gute Entwicklung unseres Landes war."

 

In den VN vom 1. Juli 2010 schrieb Univ.-Prof. Emmerich Tálos:

 

Was wäre wenn?

Bemerkungen zum Kommentar von Jürgen Weiss „50.Todestag Otto Enders“:

Wer die Verdienste Otto Enders als langjähriger Landeshauptmann um das Land Vorarlberg betont, sollte seine Rolle als Spitzenpolitiker und juristischer Ratgeber der austrofaschistischen Diktatur nicht kleinreden. Nicht der Zeitgeist, sondern Politiker wie Ender sind verantwortlich für die Ausschaltung der Demokratie in Österreich.

Es würde sich lohnen, das Programm der Sozialdemokratie aus 1926 eingehend zu lesen und sich nicht mit plakativen Verkürzungen zu begnügen. Nachlesbar ist, dass die Sozialdemokratie  die Staatsmacht auf dem Weg demokratischer Wahlen erlangen wollte. Hätte die Umsetzung der politischen Zielvorstellungen der Sozialdemokratie nicht auch in Österreich antidemokratisch und autoritär geendet, fragt sich Weiss. Dies ist ebenso wenig beantwortbar wie die Frage: Welche Entwicklung hätte Österreich politisch genommen, hätte die österreichische Diktatur über 1938 hinaus angedauert?

Was wäre wenn? Faktum ist, dass Österreichs bürgerliche Parteien den Weg in die Diktatur beschritten haben. Otto Ender war dabei ein prominenter Weggenosse.


UNIV.-PROF. I.R. DR. EMMERICH TÁLOS,
LERCHENFELDERSTRASSE 48/23, WIEN

 

Literaturhinweis zum Wirken Dr. Otto Enders in der Vorarlberger Landespolitik der Ersten Republik und zu Vorarlbergs Weg in den Austrofaschismus: 

Werner Dreier: Zwischen Kaiser und "Führer". Vorarlberg im Umbruch 1918-1938.
Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Band 6. Bregenz, Fink's Verlag 1986, 319 Seiten, bes. S. 200-243 [---> zum Download des Buches]