17.07.2009 / Großzügiger zu Tätern als zu NS-Opfern
Neue Vorarlberger Tageszeitung
Großzügiger zu Tätern als zu NS-Opfern
Der Dornbirner Zeithistoriker Werner Bundschuh über den Fall Kumpf und Österreichs Versäumnisse.
Von Seff Dünser
In Österreich hält sich der ehemalige KZ-Aufseher und SS-Wachmann Josias Kumpf zwar illegal, aber als freier Mann auf.
Auch durch diesen Fall fühlt sich der Dornbirner Zeithistoriker Werner Bundschuh in seiner Meinung bestätigt: "Österreich ist ein Land, das mit NS-Tätern sehr viel großzügiger umgeht" als andere Länder.
Die USA haben Kumpf die Staatsbürgerschaft aberkannt und ihn im März dorthin abgeschoben, von wo aus er 1956 in die Vereinigten Staaten gereist ist, nach Österreich. Das US-Justizministerium hält ihn für einen NS-Kriegsverbrecher.
Sowohl in Spanien als auch in Deutschland ermittelt die Justiz gegen den mittlerweile staatenlosen 84-Jährigen.
Der gebürtige Serbe war Aufseher im KZ Sachsenhausen bei Berlin und im November 1943 bei der "Aktion Erntedankfest" in Trawniki in Polen als SS-Wachmann eingeteilt. 8000 Juden wurden damals dort erschossen. Kumpf hatte beim Massaker als 18-Jähriger nach eigenen Angaben den Auftrag, Überlebende und Flüchtende zu erschießen. Er habe nicht geschossen, sagt er.
Opfer der Opferthese
In Österreich wird Kumpf strafrechtlich nicht verfolgt. Die möglichen Taten seien verjährt, sagt das Justizministerium.
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht verjähren", meint Bundschuh.
Die gerichtliche Verfolgung von NS-Tätern sei in Österreich "in den 70er-Jahren faktisch eingestellt worden", sagt der NS-Forscher. "Da gibt es große Versäumnisse. Das hängt wahrscheinlich mit dem großen Verständnis für die NS-Vergangenheit zusammen."
Österreich sei Opfer der eigenen Opferthese geworden, meint Bundschuh. Zwei Generationen seien im Irrglauben aufgewachsen, dass ihr Heimatland mit den NS-Verbrechen nichts zu tun gehabt habe.
Die "verdrängte Geschichte" habe die Aufarbeitung der Vergangenheit verzögert und erschwert. Spät erst bekannte sich Österreich dazu, nicht nur Opfer, sondern im Nationalsozialismus auch Täter gewesen zu sein.
Ungleiche Behandlung
Die Folgen der "mental nicht verfestigten Bearbeitung" der unangenehmen Wirklichkeit seien bis in die Gegenwart hinein spürbar. Der Fall Kumpf ist für den Historiker ein Beleg dafür. Ihn hat "sehr verwundert, mit welcher Großzügigkeit in dieser Sache operiert wird". Für die Pflege des 84-Jährigen wurde in Wien eine 800 Euro teureWohnung angemietet.
Die von ihm initiierte Einladung von ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeitern nach Vorarlberg hingegen sei mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden gewesen, berichtet Bundschuh. "Ein Ungleichgewicht bei der Behandlung" von NS-Tätern und NS-Opfern in Österreich ortet der Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft. Malin war ein Vorarlberger Widerstandskämpfer, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Bundschuh: "Die Großzügigkeit, mit der Kumpf behandelt wurde, habe ich mit den Zwangsarbeitern nicht festgestellt."
Kollektives Bewusstsein
Die "medizinische Grundversorgung" für Kumpf in Vorarlberger Krankenhäusern wird von ihm nicht kritisiert, "aber das ging ja weit darüber hinaus". Seiner Einschätzung nach "hat dieses Land für NS-Täter größere Sympathien entwickelt als für deren Opfer".
Nicht erfüllt habe sich "die Hoffnung, dass mit dem biologischen Ablaufdatum für die Täter sich das Problem von selbst erledigt". Nach wie vor sei der Umgang mit der NS-Vergangenheit ein oftproblematischer und emotionaler. Aufklärung sei nach wie vor notwendig, sagt der Gymnasiallehrer.
Das werde aber "in diesem politischen Klima konterkariert", in dem Fremdenfeindlichkeit geschürt und die Vergangenheit zu oft beschönigt werde. "Das große Problem ist" seiner Ansicht nach "deshalb dieses kollektive Bewusstsein, das an die nächste Generation weitergegeben wird".