Kurt Greussing: Die Erzeugung des Antisemitismus in Vorarlberg um 1900

Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Band 10. 1992, 175 Seiten, kt., 17 Abb., ISBN 3-900754-10-1, öS 191,- / € 13,88

 

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In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Judenfeindlichkeit in Vorarlberg zu einem zentralen Element der politischen Kultur des katholisch-konservativen Lagers geworden: Der Antisemitismus wurde vom Feindbild zum Weltbild ausgebaut; und er wurde mit eigenen Techniken systematisch popularisiert.

Dokumentiert ist diese Entwicklung im wesentlichen im "Vorarlberger Volksblatt". Es war, als größte Tageszeitung des Landes, das maßgebliche Presseorgan des katholisch-konservativen Lagers beziehungsweise der christlichsozialen Partei.

Zwei - aufeinander bezogene - Ebenen der antisemitischen Propaganda werden dabei deutlich: ein "argumentativer" Antisemitismus, der als politisches und soziales Programm vorgestellt wird; und eine volkstümliche antisemitische Agitation, die das judenfeindliche Vorurteil durch verschiedene Techniken veralltäglicht, emotional verfestigt und schließlich, über Namensmarkierungen und Stereotypbildungen, wie ein Appell funktioniert. Erzeugung und Verbreitung dieses Antisemitismus hängen mit kulturellen Prozessen zusammen, die das soziale Prestige und den politischen Einfluß der katholisch-konservativen Honoratioren, zumal der Geistlichkeit, nachhaltig zu bedrohen schienen. Der Antisemitismus sollte gegen Liberalismus und aufklärerisches Denken immunisieren: mit Folgen nicht allein für die politische Kultur Vorarlbergs, sondern ganz unmittelbar für das Leben von Menschen in diesem Land.

 

Inhalt

1. Vorwort 7
2. Landeshauptmann Adolf Rhomberg - Baden in "Igeles" 10
3. Gefühlswelten, Weltbilder: Politische Mentalitäten und Lagerstreit nach 1870 15

3.1. Judentum und bürgerliche Wertethik 19

3.2. Politische Mentalitäten, Lagerbindungen 24

3.3. Antisemitismus als Antiliberalismus 30
4. Aufbau des Antisemitismus zum Weltbild 37

4.1. Bis ca. 1870: Judenfeindlichkeit in (ethnisch-religiösen) Grenzen 37

4.2. Antisemitismus - Judenfeindschaft als (religiöses) Programm 44

Katholische Arbeiterbewegung - Antisemitismus und Kampf gegen die Sozialdemokratie 52
5. Die Veralltäglichung des Antisemitismus 58

5.1. Annahme und Verbreitung von Elementen des antisemitischen Vorurteils 68

Aufs Exempel: der Priester Jakob Fußenegger 82

5.2. Alltäglicher Antisemitismus: Appell und Reflex 85

5.3. Leben unter Antisemiten 92

Der protestantische Sozialdemokrat Samuel Spindler 92

Der katholische Arzt Dr. Ignaz Mazer 100
6. Antisemitismus vor Ort - in Hohenems? 104

6.1 "Inkorporierung": Rückzug der Juden aus der Politik 106

6.2 Politische Abstinenz - aus Desinteresse? 112

6.3 ... oder aus Angst? 117

6.4 "Darwin-Rabbi" Dr. Aron Tänzer - Antisemitismus als Gegenaufklärung 120
7. Zusammenfassung: Vom Feindbild zum Weltbild.
Erzeugung und Veralltäglichung judenfeindlicher Vorurteile
134
Anmerkungen 141
Literatur 164
Personen- und Ortsregister 172
Bildquellen 175

 

Leseprobe

"Der Antisemitismus des 'Vorarlberger Volksblattes' zielte ganz präzise auf eine Veralltäglichung dieser Weltanschauung ab: Für die gebildeteren Stände - auch für die vortragenden geistlichen und anderen Herren in den katholischen Kasinos - gab es, meist auf der Titelseite, die ideologisch ausgeführte Wegweisung zum Antisemitismus; fürs gemeine Volk wurden die antisemitischen Ausführungen unter die Lokalmeldungen plaziert. So geriet der Antisemitismus, auch optisch, zu einem Teil des Alltagslebens, zu einem Stück kultureller Normalität, zwischen Blasmusikfesten, Unfällen, Behördenmitteilungen oder Wetterkapriolen."