Kurt Greussing: Die Erzeugung des Antisemitismus in Vorarlberg um 1900
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Dokumentiert ist diese Entwicklung im wesentlichen im "Vorarlberger Volksblatt". Es war, als größte Tageszeitung des Landes, das maßgebliche Presseorgan des katholisch-konservativen Lagers beziehungsweise der christlichsozialen Partei. Zwei - aufeinander bezogene - Ebenen der antisemitischen Propaganda werden dabei deutlich: ein "argumentativer" Antisemitismus, der als politisches und soziales Programm vorgestellt wird; und eine volkstümliche antisemitische Agitation, die das judenfeindliche Vorurteil durch verschiedene Techniken veralltäglicht, emotional verfestigt und schließlich, über Namensmarkierungen und Stereotypbildungen, wie ein Appell funktioniert. Erzeugung und Verbreitung dieses Antisemitismus hängen mit kulturellen Prozessen zusammen, die das soziale Prestige und den politischen Einfluß der katholisch-konservativen Honoratioren, zumal der Geistlichkeit, nachhaltig zu bedrohen schienen. Der Antisemitismus sollte gegen Liberalismus und aufklärerisches Denken immunisieren: mit Folgen nicht allein für die politische Kultur Vorarlbergs, sondern ganz unmittelbar für das Leben von Menschen in diesem Land.
Leseprobe"Der Antisemitismus des 'Vorarlberger Volksblattes' zielte ganz präzise auf eine Veralltäglichung dieser Weltanschauung ab: Für die gebildeteren Stände - auch für die vortragenden geistlichen und anderen Herren in den katholischen Kasinos - gab es, meist auf der Titelseite, die ideologisch ausgeführte Wegweisung zum Antisemitismus; fürs gemeine Volk wurden die antisemitischen Ausführungen unter die Lokalmeldungen plaziert. So geriet der Antisemitismus, auch optisch, zu einem Teil des Alltagslebens, zu einem Stück kultureller Normalität, zwischen Blasmusikfesten, Unfällen, Behördenmitteilungen oder Wetterkapriolen."
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