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Franz Valandro (2002/2007): Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945

Der "weiche" Rechtsextremismus, in Vorarlberg wie im übrigen Österreich nach 1945 ein Teil des politischen Maistream, schafft die Basis für den "harten Rechtsextremismus" der NDP oder der Skinheads. In Vorarlberg hat der Rechtsextremismus eine eigene, auch durchaus gewalttätige, Tradition, die ihn bis heute virulent macht.
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Franz Valandro

Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945

 

Vortragsmanuskript 2002 - laufend aktualisiert.
Literatur zum Thema: Franz Valandro: Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945, Bregenz: Vorarlberger Autoren Gesellschaft 1999



Rechtsextremismus trat in Vorarlberg seit 1945 in verschiedenen Formen und Ausprägungen auf: Dieser Artikel gibt einen groben Überblick über einige wichtige Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus in Vorarlberg seit 1945 bieten, wobei ein Bogen von der Entnazifizierung bis zur aktuellen Situation gespannt wird.

 

1. Das schwere Erbe der Vergangenheit

 

Die sogenannte "Entnazifizierung" muss in Österreich und Vorarlberg rückblickend betrachtet als weitgehend gescheitert bezeichnet werden. Insbesondere ab 1946/1947 fehlte häufig die Bereitschaft, mit der nationalsozialistischen Herrschaft und Ideologie vollständig zu brechen. Dabei spielte in Vorarlberg die Tatsache eine Rolle, dass Teile der traditionellen politischen und wirtschaftlichen Eliten nach dem Anschluss an das deutsche Reich 1938 und schon zuvor große Sympathien für den Nationalsozialismus zeigten. Die betroffenen Eliten nutzten nach 1945 ihren politischen sowie gesellschaftlichen Einfluss aus, um sich der Verantwortung für ihr Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus zu entziehen.

Auf dieser Basis der unzulänglichen Entnazifizierung gelang es dem 1949 gegründeten "Verband der Unabhängigen" (VdU), der als Sammelbecken für die ehemaligen Nationalsozialisten diente, das rechtsnationale Lager in Vorarlberg neu zu mobilisieren. Der VdU erzielte in Vorarlberg gute Wahlergebnisse - die Partei erreichte bis zu 25 Prozent der Stimmen. Die VdU-Nachfolgepartei ab 1956, die FPÖ, wurde Ende der 80er Jahre in Vorarlberg die zweitstärkste politische Kraft und erreichte bei den Nationalratswahlen 2000 fast 28 Prozent der Stimmen.

Eine rechte Abspaltung der FPÖ war die 1967 gegründete rechtsextreme "Nationaldemokratische Partei" (NDP). Der Wendepunkt für die Geschichte der NDP war die Bundespräsidentenwahl des Jahres 1980. Nach einem in Vorarlberg zum Teil von Ausschreitungen gekennzeichneten Wahlkampf erhielt der NDP-Kandidat Norbert Burger in Vorarlberg über 4 Prozent der Stimmen, was für die NDP-Vorarlberg ein geradezu sensationelles Ergebnis war. Nach diesem Erfolg zerfiel die NDP jedoch ab 1982 aufgrund der internen Flügelkämpfe und wurde 1988 schließlich österreichweit verboten.

Neben dieser explizit rechtsextremen Partei kann man in Vorarlberg eine relativ breite Grauzone im Randbereich rechtsextremer Aktivitäten und Gruppen erkennen. Organisationen wie der "Österreichische Turnerbund" (Stichwort: Jahnturnerschaften) und hier wiederum vor allem einige Funktionäre standen bzw. stehen zum Teil in einem Naheverhältnis zu rechtsextremen Personen, Organisationen oder Ideologien.

 

2. Walter Ochensberger

 

Sicherlich außerhalb dieser Grauzone bewegte sich der auch in der NDP aktive Walter Ochensberger. Er trat seit 1967 publizistisch und politisch in Erscheinung. Nach dem Niedergang der NDP verlegte sich Ochensberger stärker auf seine umfangreiche Publikationstätigkeit. Ab 1978 produzierte er in Vorarlberg die Zeitschrift "Sieg", ein international bekanntes Medium des Rechtsextremismus. Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Beispiel für die im "Sieg" vertretenen Inhalte anführen. Im "Sieg" Nr. 9 von 1990 äußerte sich Ochensberger folgendermaßen zur Asyldebatte:

"Kein Geld den Asylschwindlern, so muss die Parole lauten. Kein Taschengeld, keine finanzielle Unterstützung irgendwelcher Art aus dem Schweiß des deutschen Arbeiters. Wenn die Blutegel kein Blut mehr finden, dann fallen sie von alleine ab."

Die hier offenkundige Fremdenfeindlichkeit war eines der zentralen Themen des "Sieg". Verstärkt wird diese Fremdenfeindlichkeit in dieser Aussage durch eine Wortwahl, die ganz typisch für die rechtsextreme Ideologie ist. Es werden verschiedene Tiermetaphern verwendet, wobei von "Parasiten", "Zecken", "Ungeziefer" oder eben "Blutegeln" die Rede ist. So übernehmen die Rechtsextremisten der 90er Jahre häufig die entsprechende Wortwahl der nationalsozialistischen Propaganda, wo etwa Juden als "Schädlinge am deutschen Volkskörper" oder "Parasiten" bezeichnet wurden. Die Gleichsetzung einer bestimmten Gruppe von Menschen, also etwa von Asylsuchenden oder Juden, mit Schädlingen aus dem Tierreich beinhaltet generell eine verbale Vernichtungsdrohung für die so charakterisierte Gruppe. Die Herabsetzung des Individuums und einer bestimmten Menschengruppe zum Tier senkt zugleich die Hemmschwelle zur physischen Gewalt gegenüber den betroffenen Personen, denen auch die Eigenschaften dieser Tiere zugeschrieben werden.

Ein weiteres wichtiges Thema im "Sieg" war der Antisemitismus: Im "Sieg" Nr. 5/1992 wurde nach dem Tod des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, folgendes verlautbart:

"Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland war gestorben. Welch raffinierte Begriffsbestimmung. Warum nicht: Vorsitzender des Zentralrats der Juden von Deutschland? Nun, die Erklärung ist einfach. Man spricht ja auch nicht von einem Krebsgeschwür vom Fleisch, sondern von einem Krebsgeschwür im Fleisch. Und so ein Krebsgeschwür ist die Judenschaft in Deutschland und Österreich, was man aus ihren verbissenen und bösartigen Handlungen glasklar erkennen kann."

Auch hier läßt sich eine dieser vorher angesprochenen Gleichsetzungen, in diesem Falle der Juden mit einem Krebsgeschwür, feststellen. Ochensberger verwendete in seinen Publikationen - ebenso wie viele nationalsozialistische Publizisten und Autoren - oft Wortspiele und Metaphern, um seine Inhalte - in dem eben zitierten Beispiel den Antisemitismus - zu transportieren.

Ochensberger wurde aufgrund seiner rechtsextremen Publikationstätigkeit 1991 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Obwohl das Urteil 1992 auf zwei Jahre reduziert wurde, entzog sich Ochensberger der Strafe durch die Flucht nach Spanien. 1993 wurde Ochensberger aber in Deutschland verhaftet und musste nach seiner Auslieferung an Österreich von 1993 bis 1995 seine Haftstrafe verbüßen. Für kurze Zeit war es um Ochensberger relativ ruhig, der "Sieg" wurde eingestellt. 1998 trat Ochensberger mit einer neuen Zeitschrift, dem "Phönix", wieder in Erscheinung. Ochensbergers Aktivitäten werden aber mittlerweile durch die behördlichen Maßnahmen stark eingeschränkt.


3. Die Vorarlberger Skinheadszene


Eine neue Ausprägung des Rechtsextremismus in Vorarlberg entwickelte sich ab Ende der 1980er Jahre mit dem Auftreten der Skinheads, die in der Vorarlberger Bevölkerung oft als sichtbares Symbol für Rechtsextremismus wahrgenommen werden. Die Skinheadkultur entstand in den 60er Jahren in Großbritannien und war ursprünglich eine rebellische Jugendkultur ohne gezielte politische Ambitionen. In den 70er und 80er Jahren jedoch wurden die europaweit verbreiteten Skinheads von rechtsextremen Aktivisten unterwandert, ideologisch beeinflusst und für ihre Zwecke instrumentalisiert.

In Vorarlberg traten rechtsextreme Skinheads erstmals in kleineren Gruppen und teilweise auch als Einzelpersonen gegen Ende der achtziger Jahre erstmals auf. In den Medien traten um diese Zeit erstmals Skinheads durch Gewaltdelikte in Erscheinung. Das Bild, das insbesondere die Medien von den Skinheads seit dieser Zeit geprägt haben, ist in seiner Konsistenz stark auf gewissen Zuschreibungen aufgebaut, wonach jeder Skinhead durch Rechtsextremismus, Hitlerverehrung, Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel und Gewalt gekennzeichnet sei. Ein im Sinne des Weberschen Idealtypus konstruierter "Medienskinhead" wurde in Vorarlberg ebenso wie in Deutschland oft gleichsam erschaffen.

Aus soziologischer Sicht ist die szeneinterne Struktur der Skinheads dadurch geprägt, dass die "Leader" (Alpha-Personen) der Gruppe oft einer anderen sozialen Schicht und/oder einer anderen Bildungsgruppe angehören als die "normalen" Gruppenmitglieder. Es lassen sich also innerhalb der Skinheadgruppen teilweise deutliche soziale Divergenzen und eine gewisse soziale Stratifikation erkennen. Während die Führungspersönlichkeiten der Gruppen oft sogar Maturaniveau erreichen, stammen die meisten Skinheads in Vorarlberg aus den unteren sozialen Schichten, also vor allem aus Arbeiter- und Handwerkerfamilien.

Die Skinheads entstammen zudem oft zerrütteten Familien, in denen häufig Alkoholprobleme, Gewalt und autoritäre Strukturen dominieren. Die Jugendlichen suchen eben aufgrund dieser Verhältnisse den Halt und die Orientierung in einer Gruppe, die teilweise die Rolle eines Familienersatzes einnimmt. Die Skinheadgruppe bietet den Jugendlichen aber auch eine scheinbar attraktive Erlebniswelt mit Spaß, Action, Gruppenzusammenhalt sowie Kameradschaft. Bei den Skinheads selbst kann man also eine relativ große soziale Spannweite vom Hilfsarbeiter bis zum Maturanten feststellen. Die Skinheadgruppen sind intern durchaus hierarchisch strukturiert. Die Führer der Gruppen treten häufig nach außen auf und prägen so die Kontakte der einzelnen Skinheadgruppen untereinander und zu Personen außerhalb der Szene.

Die Vorarlberger Skinheads orientieren sich ideologisch häufig an rechtsextremen Denkmustern, ohne aber durchgängig eine geschlossene und gefestigte Ideologie zu vertreten. Im den Jahreslageberichten des Innenministeriums zum Rechtsextremismus in Österreich wird die Vorarlberger Skinheadszene regelmäßig als ausgesprochen aktiv, gewaltbereit, ausländerfeindlich und zu einem großen Teil rechtsextremistisch orientiert charakterisiert.

Das Hauptziel der Aggressionen der Skinheads, die oft im Zusammenhang mit massivem Alkoholkonsum und einer starken Gruppendynamik stehen, sind vor allem die Migrant/innen in Vorarlberg sowie linksgerichtete Jugendliche, die als Feindbilder ausgemacht werden können. Die Grenzlage Vorarlbergs führte in der Entwicklung der Vorarlberger Skinheadszene seit den späten 80er Jahren zu einer starken Verflechtung mit Skinheads aus dem süddeutschen Raum, aus der Schweiz und aus Liechtenstein sowie zeitweise aus Tirol.

Über die personelle Stärke der Vorarlberger Szene wird auch öffentlich häufig intensiv diskutiert. In diesem Kontext stellt sich nämlich oft die Frage, welche Jugendlichen nun genau der Skinheadszene zugeordnet werden. Zählt man dazu nur jene Jugendlichen, die sich selbst zum "harten Kern" zählen oder diesem von Außenstehenden auf Basis bestimmter Kriterien zugeordnet werden? Hier stellt sich für den Betrachter auch das Problem der Zuschreibungen: Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel machen nicht per se einen Skinhead und Rechtsextremisten aus.

Gewichtet man diese genannten Faktoren, so kommt man zu dem Schluss, dass die Stärke der Vorarlberger Skinheadszene eigentlich je nach Wahrnehmung, Einstellung und Kategorisierungsgrundlage des Betrachters variiert. Generell kann man aber mit gewissen Schwankungen seit Anfang der 90er Jahre im Schnitt von einem harten Kern von ca. 70 Personen mit einem entsprechenden Umfeld an Mitläufern ausgehen. Die regionalen Schwerpunkte der Szene sind vor allem die Städte Bregenz und Feldkirch, wobei auch eine Verlagerung in andere Gemeinden des Rheintals festzustellen ist.

Die Organisation der Vorarlberger Szene war lange Zeit nicht mit dem hohen Organisationsniveau in der Schweiz oder in Süddeutschland vergleichbar. Mit der weltweit agierenden "Blood and Honour-Bewegung" wurden die rechtsextremen Skinheads aber stärker organisiert. In Vorarlberg existiert trotz Verbots Österreichs einzige noch aktive "Blood and Honour-Division". Diesem Zweck der Vernetzung dienen auch zum Teil große überregionale Skinheadtreffen und Skinheadkonzerte, die seit 2000 auch immer häufiger in Vorarlberg stattfinden. Diese Treffen und Konzerte haben auch gezeigt, wie gut strukturiert die Skinheadszene mittlerweile ist und wie schnell sie sich über moderne Kommunikationswege wie das Internet, SMS oder Handy organisieren kann. Die rechtsextreme Szene in Vorarlberg profitiert ebenso wie die Szenen in Süddeutschland und der Schweiz von den grenzüberschreitenden Kontakten: Die Vorarlberger Szene erhält starke ideologische und organisatorische Unterstützung aus Deutschland und der Schweiz. Die dortigen Skinheads wiederum nutzen Vorarlberg verstärkt als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet. Die gegenseitige Unterstützung und die guten Kontakte haben zur Entwicklung eines grenzüberschreitenden Skinhead-Netzwerkes in der Bodenseeregion geführt. Dieses Netzwerk agiert auf Basis von organisierten, ideologisch verfestigten Gruppen wie der "Blood and Honour"-Bewegung. In den letzten Jahren hat sich dieses Skinhead-Netzwerk in der Bodenseeregion ausgedehnt und gemeinsame Strukturen aufgebaut.

Diese überblicksartige Darstellung soll die relativ konstante Präsenz des Phänomens Rechtsextremismus in Vorarlberg in seinen verschiedenen Ausprägungen seit 1945 verdeutlichen. Rechtsextremismus in Vorarlberg bewegt sich auf vier verschiedenen Ebenen, die sich nur teilweise berühren. Die erste Ebene sind organisierte Gruppen oder Einzelpersonen aus dem Bereich des traditionellen Rechtsextremismus, also etwa die NDP oder Walter Ochensberger. Die zweite Ebene bilden Organisationen oder Einzelpersonen mit personellen und/oder ideologischen Gemeinsamkeiten beziehungsweise Ähnlichkeiten mit rechtsextremen Strömungen, wie zum Beispiel der "Österreichische Turnerbund (ÖTB)". Die dritte Ebene sind die Skinheads und ihre Art der Artikulation rechtsextremer Positionen, die mit der vierten Ebene relativ eng verknüpft ist. Diese vierte Ebene ist der relativ schwer fassbare Rechtsextremismus im Alltag, der bewusst oder unbewusst rechtsextreme Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus in sich birgt.

Dieser so genannte "weiche" Rechtsextremismus ist darum besonders gefährlich, weil er die Basis für den "harten Rechtsextremismus" der NDP oder der Skinheads bildet. Der weiche Rechtsextremismus ist in gewissem Sinne Teil des politischen Mainstreams in Österreich geworden. Rechtsextremismus ist - ebenso wie die Skinheads - auch in Vorarlberg ein Produkt der Gesellschaft. Die Skinheads - obwohl scheinbar gesellschaftliche Außenseiter - agieren auch in Vorarlberg nicht in einem luftleeren Raum: Sie handeln in einem gesellschaftlichen Umfeld, das die Ideologie und die Aktionen der Skinheads als schweigende Mehrheit zum Teil sogar heimlich begrüßt. Die Vorarlberger Skinheads setzen insofern häufig nur jene Forderungen um, die von den viel zitierten Stammtischen und bestimmten politischen Akteuren erhoben werden. Die Skinheads bewegen sich so gesehen eher innerhalb und nicht außerhalb der gesellschaftlichen Grenzen.