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22.03.2010 / VN-Kommentar Arnulf Häfele: Der Würgeengel

Kommentar zum neuen Theaterstück "Rechnitz (Der Würgeengel)" und die Verbindung zu Vorarlberg.

 

Vorarlberger Nachrichten

 

Ich musste meine Meinung ändern. Literarische Werke hätten kaum Einfluss auf das aktuelle Geschehen. Glaubte ich. Doch dann schrieb Elfriede Jelinek ihr Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“. Es wurde 2008 in München aufgeführt. Und dieses Werk hat Einiges in Bewegung gesetzt. Rechnitz ist ein burgenländischer Ort. Gegen Ende des Krieges hat man dort 1000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter für den Bau des Südostwalls angefordert. Am 24. März 1945 wurden 180 Arbeitsunfähige ausgesondert. Am Abend fand im Schloss Rechnitz ein Gefolgschaftsfest statt. Der letzte Tango. Das Grafenpaar Batthyány schmiss eine Party. Ranghohe NSDAP-Mitglieder wie der Ortsgruppenleiter Franz Podezin und Mitglieder der Hitlerjugend waren dabei. Um 23 Uhr versammelte Podezin etwa 15 Gäste aus Rechnitz im Magazinraum des Schlosses. Er teilte ihnen mit, dass sie an einer Liqudierung teilnehmen werden. Sie begaben sich zum Kreuzstadl. Dort haben sie die 180 jüdischen Zwangsarbeiter kaltblütig ermordet. Dann kehrten sie zum Schloss zurück. Und feierten ausgelassen bis in die Morgenstunden. Das Massengrab, in dem die Juden verscharrt wurden, haben sie nie preisgegeben. Zwanzig Jahre lang hat das Innenministerium erfolglos danach gesucht. Vor drei Tagen wurde in Wien unter dem Titel „Die endlose Unschuldigkeit“ ein ungewöhnlich aufrührendes Buch über Rechnitz und Jelineks Würgeengel vorgestellt. Wird ein jüdischer Toter nicht unter Einhaltung besonderer Regeln bestattet, kann er keine Totenruhe finden. Um ihre verlorene Ehre wieder zu erhalten, müssen die Verscharrten aus dem Massengrab exhumiert und auf einem jüdischen Friedhof rituell beerdigt werden. Deshalb haben sich viele jüdische Glaubensbrüder die Suche nach dem Massengrab zur Lebensaufgabe gemacht. Bisher erfolglos. In Rechnitz selbst sind sie immer auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Ein Rechnitzer Bürger, der 1946 als Zeuge in einem Prozess über das Massengrab aussagen wollte, wurde ermordet. Grabungsmannschaften erhielten im Ort keine Unterkunft. Nach der Massenerschießung flüchteten Rechnitzer vor der Roten Armee in den Westen. Margit Batthyánys erster Fluchtort war Feldkirch. Dann Lugano. Franz Podezin wurde im Juli 1945 in Rankweil gesichtet. Und in Thüringen. Im Jahre 1947 hat der Rechnitzer Postenkommandant die Vorarlberger Gendarmerie um Fahndung nach Podezin ersucht. Er soll sich unter falschem Namen bei der Gräfin Batthyány aufhalten und bei ihr als Chauffeur arbeiten. In den 50er Jahren war er für die Amerikaner als Agent in der DDR tätig. Gräfin Margit Batthyány, eine geborene Thyssen-Bornemisza, soll an der Massenerschießung beteiligt gewesen sein. Sie starb 1989 auf ihrem Jagdhaus in Rechnitz. Nach ihrer Flucht kam sie immer wieder unbehelligt in diesen Ort. Die Suche nach dem Massengrab schien im Sande zu verlaufen. Nun hat Elfriede Jelinek mit ihrem Stück der Sache einen neuen Impuls verliehen. Bislang hat sie allerdings eine Aufführung in Österreich untersagt. Nein, sie glaube nicht, dass das Stück in Österreich so besonders wichtig wäre. Die Wirkung von Kunst sei sehr beschränkt. Nun, Frau Jelinek, täuschen Sie sich mal nicht.

 

Veröffentlichungen zum Fall Rechnitz:
Janke-Kovacs-Schenkermayr - "Die endlose Unschuldigkeit"
Weitere Publikationen

Hinweise zur Verbindung Rechnitz-Schlins
in Werner Bundschuh: Schlins 1850 - 1950, S. 177.