Markus Barnay (2018): Ekkes Vermächtnis

Ekkehard Muther (1955-2018), Direktor des Grünen Landtagsklubs, war unter anderem auch Rechnungsprüfer der Johann-August-Malin-Gesellschaft. Besondere Verdienste erwarb er sich um die Errichtung des Widerstands- und Deserteursdenkmals in Bregenz. Mit ihm hat die Johann-August-Malin-Gesellschaft eine ganz wesentliche Stütze verloren.



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Markus Barnay: Ekkes Vermächtnis

 

Erschienen in KULTUR – Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Nr. 6/2018, Juli/August 2018, S. 106 f.

Ekkehard Muther konnte hartnäckig sein. Wenn der ehemalige Lehrer ein Projekt als dringlich erkannt hatte, setzte er sich mit Nachdruck für die Realisierung ein – als Mitglied im Kulturausschuss der Stadt Bregenz, als Obmann der Grünen Bildungswerkstatt oder zuletzt auch als Direktor des Landtagsklubs der Grünen. Ekkehard Muthers Hartnäckigkeit war es zu verdanken, dass 2015 das von der Medienkünstlerin Nataša Sienčnik entworfene Widerstandsmahnmal am Bregenzer Sparkassenplatz eröffnet wurde: Er hatte jahrelang dafür gekämpft, hatte zuletzt auch geholfen, dass das Projekt nicht nur beschlossen, sondern auch finanziert wurde (von der Stadt, dem Gemeindeverband und dem Land, das seit 2014 eine schwarzgrüne Regierung hat). Seit November 2015 macht es nun regelmäßig „Klack-klack-klack“ am Sparkassenplatz, wenn die Buchstaben und Daten wechseln und den Blick auf einen neuen Namen, ein besonderes Schicksal und oft genug auf eine weitere Ungeheuerlichkeit freigeben, mit der das NS-Regime seine totale Macht zu sichern versuchte.

Ergänzung zum Widerstandsmahnmal


Ekkehard Muther gab sich damit nicht zufrieden. Er wollte, dass junge Menschen nicht nur die Namen, Daten und Schicksale sehen, die jenen widerfuhren, die sich gegen das Regime gestellt hatten oder ihm durch Desertion zu entkommen versuchten, sondern auch mehr erfahren über die Hintergründe, über die Betroffenen und über das System, das die Untaten möglich machte. Also setzte er sich im Kulturausschuss der Stadt Bregenz wiederholt dafür ein, dass das Widerstandsmahnmal durch einen interaktiven Rundgang ergänzt wird. Tatsächlich gab die Stadt letztlich das Projekt in Auftrag – bei „erinnern.at“, dem in Bregenz ansässigen Institut für Holocaust Education des Bildungsministeriums. Unter der Leitung von MariaTheresia Moritz und Werner Bundschuh entwickelte ein Vermittlungsteam einen Rundgang mit sechs Stationen, an denen unterschiedliche Aspekte von Widerstand, Verfolgung und Desertion behandelt werden. Angefangen beim Mahnmal selbst, wo unter anderem das Schicksal des Wehrmachtsdeserteurs August Weiss thematisiert wird, lernen die TeilnehmerInnen des Rundgangs einige Orte und Gebäude von Bregenz kennen, die beispielhaft für die Ereignisse stehen:

  • Das Gebäude, in dem die Gestapo unter dem harmlosen Namen „Grenzpolizeikommissariat Bregenz“ tausende Menschen verhörte, folterte und viele von ihnen in den Tod schickte (genannt werden hier nicht nur die Namen von Opfern, sondern auch die von Tätern wie dem Gestapo-Chef Joseph Schreieder);
  • der Ort, an dem sich die Werkstatt des gläubigen Gitarrenbauers Ernst Volkmann befand, ehe er wegen seiner Weigerung, für Hitler in den Krieg zu ziehen, vor Gericht gestellt und schließlich hingerichtet wurde;
  • das Geburtshaus der Karoline Redler, die, nach einer Denunziation durch zwei Frauen, die mit ihr im Wartezimmer saßen, wegen ihrer kritischen Äußerungen im 62. Lebensjahr ebenfalls hingerichtet wurde (hier wird auch das Schicksal der Maria Stromberger, Krankenschwester in Auschwitz und Unterstützerin des dortigen Widerstands, thematisiert);
  • der Platz, der nach dem „Führer“ benannt wurde und auf dem sich die Parteigenossen in Aufmärschen und Kundgebungen inszenierten und so ihrer vermeintlichen Beliebtheit bei der Bevölkerung versicherten, und
  • den Ort, an dem erstmals an die Opfer des NS−Terrors erinnert wurde, unter anderem an Samuel Spindler, den sozialdemokratischen Sekretär der Textilarbeitergewerkschaft und Bregenzer Stadtvertreter, der aus einer jüdischen Familie stammte und, obwohl evangelisch getauft, schon lange vor der NS−Machtübernahme antisemitischen Angriffen von christlichsozialen Politikern ausgesetzt war, und der von den Nazis als Jude verfolgt wurde und sich 1942 der Deportation in ein Todeslager durch seinen Freitod entzog.

Ulrike Rinderer, die Sprecherin des sechsköpfigen Vermittlungsteams, legt Wert auf die Feststellung, dass der neue „Rundweg“ keine Konkurrenz für den „Gedenkweg“ sein soll, der seit Jahren besteht und ebenfalls an verschiedenen Orten auf das Schicksal von Menschen aufmerksam macht, die Widerstand gegen das NS−Regime leisteten und/oder von diesem verfolgt wurden. Dieser – auf den Bodenseekirchentag 2002 zurückgehende und von kirchlichen und den Kirchen nahestehenden Organisationen initiierte – Weg wird durch Gedenktafeln markiert und wurde im Lauf der Jahre durch umfangreiche Informationsbroschüren ergänzt. Der Unterschied ist die intensive Betreuung der Teilnehmer_innen am neuen Rundgang durch eigens aufbereitetes didaktisches Material, das zudem für unterschiedliche Altersgruppen angeboten wird. Außerdem wird auf dem neuen Rundgang nicht nur erzählt, sondern auch gearbeitet: Die Teilnehmer_innen müssen Fragen beantworten, sich gegenseitig von ihren Erkenntnissen berichten und sich – mit Hilfe von Texten, Fotos und Briefen – so manche Themen selbst erarbeiten. Zudem werden neben den historischen Ereignissen auch Parallelen und Unterschiede zu heutigen Themen und Entwicklungen diskutiert. Deshalb wird die benötigte Zeit für den Rundgang auch mit zwei Stunden veranschlagt.

Am 12. Juni wurde der „Rundgang Widerstand, Verfolgung und Desertion“ in Bregenz vom Bürgermeister und den Vertretern der beteiligten Organisationen präsentiert. Ekkehard Muther durfte den Erfolg seiner langjährigen Bemühungen nicht mehr persönlich erleben. Er starb drei Tage danach an den Folgen einer Krebserkrankung.           

 

Informationen über den Rundgang, die Kosten und die Anmelde-Modalitäten finden sich auf der Homepage des Widerstandsmahnmals:

www.widerstandsmahnmal-bregenz.at/rundgang


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