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Meinrad Pichler (2005): "Nicht für Hitler" – Der katholische Kriegsdienstverweigerer Ernst Volkmann (1902-1941)

Wozu die Nationalsozialisten Ernst Volkmann nicht zu zwingen vermocht hatten, das schafften die Traditionsverwalter nach 1945: aus dem hingerichteten Wehrdienstverweigerer auf dem Bregenzer Kriegerdenkmal einen Soldaten der Deutschen Wehrmacht zu machen. Eine Erinnerung an einen ganz ungewöhnlichen Mann und an den ganz gewöhnlichen Umgang mit Opfern des Nationalsozialismus nach 1945.


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Meinrad Pichler 

"Nicht für Hitler"

Der katholische Kriegsdienstverweigerer Ernst Volkmann (1902-1941)

 

Zuerst erschienen in: Susanne Emerich / Walter Buder (Hg.): Mahnwache Ernst Volkmann (1902-1941). Widerstand und Verfolgung 1938-1945 in Bregenz, Feldkirch 2005, S. 6-11.

Siehe auch: Enthüllung der Gedenktafel für Ernst Volkmann und Rede von Meinrad Pichler (Bregenz, 23. September 2007) sowie Errichtung einer Gedenkstele (14. November 2010)


Es waren nur wenige, die sich der nationalsozialistischen Wehrmacht, den Zumutungen eines Eroberungskrieges und dem Treueid auf den obersten Kriegsherrn Adolf Hitler aus politischen und/oder religiösen Gründen zu verweigern wagten. Der überwiegenden Zahl der Zeitgenossen schien eine solche Haltung unverständlich, den Parteigängern gänzlich verabscheuungswürdig. Und obwohl die Geschichte den Unbeugsamen im Nachhinein Recht gegeben hat, war die Nachkriegsgesellschaft nicht bereit, Wehrdienstverweigerung als politischen Widerstand oder Gewissensleistung anzuerkennen. Diese Haltung hat mit traditionellen Gehorsamsprägungen ebenso zu tun wie mit der - besonders von den soldatischen Traditionsverbänden geschürten - Angst, die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen könnten durch eine moralische Aufwertung der Verweigerung desavouiert werden.

Die Wenigen, die ihr Leben opferten, weil sie dem Unrechtsregime nicht dienen konnten und wollten, galten als fanatisch, verblendet und als verantwortungslos gegenüber ihren Angehörigen. Nur die verweigernden Zeugen Jehovas konnten zumindest bei ihren Glaubensgenossen mit Respekt rechnen. Nicht die Protestanten, und auch nicht die Katholiken: Die katholischen Kriegsdienstverweigerer unter Adolf Hitler, urteilte der päpstliche Nuntius Cesare Orsenigo, seien "Märtyrer ihrer eigenen Dummheit"[1]. Kein einziger kirchlicher Würdenträger hat ein Gnadengesuch für einen Wehrdienstverweigerer unterschrieben.[2] So blieben es schließlich ganz Vereinzelte, die ausschließlich der Stimme ihres Gewissens und nicht der als unlegitimiert, gesetz- und gottlos erkannten Obrigkeit und auch nicht ihren kirchlichen Ratgebern gehorchten. Wahrscheinlich waren es insgesamt nur sechs Katholiken, die aus Glaubensüberzeugung offen den Waffendienst in Hitlers Wehrmacht verweigerten und unbeirrt den schweren Gang ins Martyrium schritten.[3] Alle diese Männer waren bei ihrer existentiellen Entscheidung zwischen 35 und 40 Jahre alt und allen war eine sehr ernste Frömmigkeit und eine kompromisslose Gläubigkeit zu eigen. Zwei davon haben einen engen Bezug zu Vorarlberg: Der Pallottinerpater Franz Reinisch war 1903 in Feldkirch-Levis geboren, hatte aber seine Jugend und die Studienzeit in Innsbruck verbracht, ehe er 1928 in Untermerzbach bei Bamberg in den Pallottinerorden (SAC) eintrat. Nach demonstrativer Verweigerung des Militärdienstes und des Fahneneids wurde der junge Priester am 21.8.1942 in Berlin-Brandenburg hingerichtet.[4]

Der andere ist Ernst Volkmann: Geboren am 3.3.1902 im Egerländischen Schönbach (heute: Luby). Die böhmische Kleinstadt war das Zentrum des europäischen Musikinstrumentenbaus, um 1930 arbeiteten etwa 1500 Personen in dieser Branche. So lernte auch Ernst Volkmann den Beruf eines Streich- und Saiteninstrumentenmachers. Nach abgeschlossener Lehre und Gesellenzeit kam er 1924 nach Bregenz und erlangte 1927 die Gewerbeberechtigung.[5] Im Jänner 1929 heiratete er die Bregenzerin Maria Handle, die in den Jahren 1931 bis 1934 drei Kinder zur Welt brachte. In der Deuringstraße wurde eine Werkstatt mit Verkaufslokal eingerichtet, doch scheint Volkmann kein guter Geschäftsmann gewesen zu sein. Jedenfalls wurde er von einem anderen Musikalienhändler angeschwärzt, er verkaufe entweder "aus Dummheit", oder weil er die "Konkurrenz schädigen wolle" zu billig. Die notwendigen Mittel zum Erwerb der angestrebten österreichischen Staatsbürgerschaft konnte er nie aufbringen. In einem Brief vom 17.10.1946 des Gefängnisgeistlichen Jochmann an Frau Volkmann schildert dieser Ernst Volkmann als "bescheiden und still, aber unerschütterlich in seiner Überzeugung". So scheint er auch gelebt zu haben. Hitlers Machtübernahme in Österreich im März 1938 stellte für ihn allerdings eine derartige Herausforderung dar, dass er dazu nicht schweigen konnte. Als die vordem Dominanten kleinlaut wurden, begann der Leise seine Stimme zu erheben, nannte das Unrecht öffentlich beim Namen und Hitler einen Mörder. Damit begann zugleich sein Leidensweg, der ihn durch alle Stationen eines Martyriums führen sollte. Der Ignorierung der ersten Stellungsauforderung zu Ende des Jahres 1939 begegneten die Militärbehörden noch mit einer drohenden Ermahnung, bei der zweiten Weigerung folgte die Verhaftung. Geistliche, Ehefrau und Verwandte versuchten nun den in Feldkirch Inhaftierten umzustimmen. Die Staatsanwaltschaft ließ ihn psychiatrieren und schließlich frei, weil Volkmann "abnormal, aber nicht geisteskrank" sei. Die Gestapo betrieb in der Zwischenzeit den "Entzug des Gewerbes, um Volkmann die Möglichkeit zu nehmen, mit seinen verbohrten Ansichten an die Öffentlichkeit zu treten."[6] Als Ernst Volkmann am 19.10.1940 aus dem Landesgefängnis entlassen wurde, war er nicht nur arbeitslos, sondern auch von seiner Familie verlassen. "Schläft derzeit in der Werkstatt", notierte ein penibler Beamter des Bregenzer Meldeamtes. Einerseits war für die Mutter von drei kleinen Kindern die kompromisslose Haltung des Familienerhalters kaum nachvollziehbar, andererseits wollte wahrscheinlich auch Volkmann selbst Frau und Kinder aus seinem persönlichen Kampf auf Leben und Tod heraushalten. Seine wirtschaftliche und soziale Existenz waren also bereits zerstört, als er im Februar 1941 neuerlich verhaftet und in die Kaserne Lienz zum militärischen Dienstantritt zwangsüberstellt wurde. Aber auch hier beschied er die Militärs, "er könne einem Mann wie Hitler nach allem, was dieser der Kirche und Österreich angetan habe, nicht den Eid der Treue leisten."[7] Nach Gefängnisaufenthalten in Graz und Salzburg, wo Volkmann in ausführlichen Verhören unumwunden seine verweigernde Haltung bekräftigte, wurde er schließlich ans Reichskriegsgericht in Berlin verbracht.

Als Teil der deutschen Kriegsvorbereitungen war im Frühjahr die sogenannte Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) erlassen worden, mit deren § 5 der neue Tatbestand "Zersetzung der Wehrkraft" eingeführt wurde. Damit wurde den Militärrichtern ein allumfassender Generaltatbestand zur Hand gegeben, mit dem alle Formen des militärischen Ungehorsams mit dem Tode bestraft werden konnten.[8]

Mit diesem Unrechtsinstrument wurde Ernst Volkmann am 7. Juli 1941 zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Um die Delinquenten noch der Folter des ungewissen Wartens auszusetzen, wurde mit der Hinrichtung meist noch eine Zeitlang zugewartet. Der protestantische Theologe und Widerstandkämpfer Dietrich Bonhoeffer hat die beklemmende Situation in der Todeszelle in einem kurzen nachgelassenen Gedicht festgehalten:[9]

" ... Da höre ich draußen hastig verhaltene Schritte gehn,
in meiner Nähe bleiben sie plötzlich stehn.
Mir wird kalt und heiß,
ich weiß, o, ich weiß ...
Fasse dich Bruder, bald hast du's vollbracht,
bald, bald ..."

Ernst Volkmann wurde schließlich am 9. August 1941 in Brandenburg an der Havel hingerichtet. Nach Auskunft des Gefängnisgeistlichen hat er seinen letzten Gang, so wie er gelebt hatte, ruhig, aber entschlossen angetreten.

Sein Opfer, seine aufrechte Haltung ist von der Nachkriegsgesellschaft nicht honoriert worden. Die Deutungshoheit über die Wehrmacht und ihre Justiz übernahm bald nach Kriegsende der Kameradschaftsbund, der die Pflichterfüllung zur allgemeinen Leitlinie erhob und sich mit abweichendem Verhalten nicht auseinandersetzen wollte. Und was die Nationalsozialisten mit Drohungen, Existenzvernichtung, Haft und Hinrichtung nicht geschafft hatten, nämlich aus Ernst Volkmann einen deutschen Soldaten zu machen, schafften posthum die soldatischen Traditionsverwalter: Volkmann figuriert bis zum heutigen Tag auf dem Bregenzer Kriegerdenkmal unter den gefallenen Soldaten des Kriegsjahres 1941.

Dieselben Gruppen, unterstützt von großen Teilen der Nachkriegsparteien und der Justiz, haben nach 1945 auch eine rechtliche Rehabilitierung der Gewissensverweigerer verhindert. So hat etwa der bundesdeutsche Bundesgerichtshof 1964 eine allgemeine Rehabilitierung mit der Argumentation abgelehnt: "Die Frage, ob ein Krieg ein gerechter oder ungerechter Krieg ist, kann dem einzelnen Bürger nicht zur Entscheidung überlassen werden..." Erst seit den 1980er Jahren[10] verliert diese Haltung an Geltung und wird Verweigerung als eine zivile Tugend zumindest teilweise anerkannt. Ernst Volkmann hat unter Einsatz seines Lebens das zurückgewiesen, was er als Unrecht erkannte, er ist seinem Gewissen gefolgt, obwohl ihm seine gesamte Umwelt zum Obrigkeitsgehorsam riet. Wir sollten heute in ihm nicht nur ein Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sehen, sondern ein außergewöhnliches Exempel an religiöser Aufrichtigkeit, politischer Prinzipientreue und moralischer Integrität.

 

 

[1] Zitiert nach: Jakob Knab: Katholische Kriegsdienstverweigerer unter Hitler. Unbequeme Märtyrer. Publik-Forum, 22, 1986, S. 37.

[2] Vgl. Ernst T. Mader: Das Lächeln des Esels. Das Leben und die Hinrichtung des Allgäuer Bauernsohnes Michael Lerpscher (1905-1940), Blöcktach 1987, S. 62.

[3] Richard Breitsamer (1901-1941), Franz Jägerstätter (1907-1943), Michael Lerpscher (1905-1940), Franz Reinisch (1903-1942), Joseph Ruf (1905-1940), Ernst Volkmann (1902-1941).

[4] Ekkart Sauser: Franz Reinisch, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band VII (1994), Spalten 1558-1559.

[5] Vorarlberger Landesarchiv, BH Bregenz, Schachtel 1242, II-2938/1940.

[6] Ebenda.

[7] Mitteilung von August Weiß (Dornbirn), der im April 1941 für kurze Zeit Zellennachbar von Ernst Volkmann im Salzburger Gestapo-Gefängnis gewesen war.

[8] Vgl. Thomas Walter: Die Kriegsdienstverweigerer in den Mühlen der NS-Militärgerichtsbarkeit, in: Walter Manoschek (Hg.): Opfer der Militärjustiz, Wien 2003, S. 114-132.

[9] Dietrich Bonhoeffer: "Nächtliche Stimmen in Tegel", in: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, Gütersloh 1994, S. 388.

[10] Der erste würdigende Artikel zu Ernst Volkmann erschien 1983: Meinrad Pichler: Widerstand und Widersetzlichkeit in der Wehrmacht, in: Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945, Bregenz 1985, S. 143-152.

 

 

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