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Meinrad Pichler (2012): Hilde Meisel (Monte-Olday) - Ein Leben für eine bessere Welt

Aus: Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer, Täter, Gegner. Innsbruck Studienverlag 2012, S. 291 ff.


Der deutsche Autor Richard David Precht hat seiner Reise durch die Geschichte der Philosophie den Titel „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ gegeben. Die zeitlich kurze, aber geografisch weite Lebensreise der Hilde Meisel, alias Elizabeth Olday, Helen Harriman, Hilde Bachmann und Hilda Monte, könnte treffender nicht beschrieben werden. Sie stirbt unter dem Namen Eva Schneider am 17. April 1945 in Feldkirch-Tisis als Opfer des Nationalsozialismus, als Kämpferin für eine gerechtere Welt und als Agentin des britischen Geheimdienstes. Damit sind aber die Rollen, die sie gespielt und gelebt hat, noch nicht zur Gänze beschrieben.

Frühe Politisierung

Hilde Meisel wird 1914 als Kind einer jüdisch-preußischen Mutter und eines jüdischen Kaufmanns aus dem slowakischen Kaschau (Košice) in Wien geboren. Bereits 1915 übersiedelt die bürgerlich-aufgeklärte Familie nach Berlin. Hilde ist ein kränkliches, aber sehr begabtes Kind, absolviert ein Lyzeum und beginnt sich wie ihre ältere Schwester früh politisch zu engagieren. Bereits als Schülerin schließt sie sich dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) an. Auch im Exil wird diese sozialistische Organisation – von einer kurzen Unterbrechung abgesehen – ihre politische Heimat bleiben. Die Sozialdemokraten sehen im ISK eine Art Sekte, da die Gruppe nicht nur die Welt verbessern, sondern die neue Moral auch vorleben möchte. Es ist ein ethischer Sozialismus, den die Mitglieder praktizieren: Sie rauchen nicht und trinken keinen Alkohol; sie essen vegetarisch und wollen an ihrer humanitären Haltung erkennbar sein. Bei Hitlers Machtübernahme 1933 weilt Hilde Meisel zu einem Studienaufenthalt an der „London School of Economics“ in England. Dort wird sie in den folgenden Jahren auch leben.

Im Exil

Noch sind auch für jemanden wie Hilde Meisel Besuche in Deutschland möglich. Für den ISK arbeitet und schreibt sie unter dem Decknamen Hilda Monte. Noch vor dessen Verbot hat sie in der Zeitung des ISK „Der Funke“ Wirtschaftsreportagen über die Verhältnisse in Frankreich und Spanien verfasst. Die Reisen ins nationalsozialistische Deutschland dienen neben dem Besuch ihrer Familie dem politischen Informationsaustausch, der Organisation von Ausreisen von politisch Verfolgten und dem Einschmuggeln von Propagandamaterial.

Als in England die Bewegungsfreiheit und die Arbeitsmöglichkeiten für die deutschen ExilantInnen immer stärkeren Beschränkungen unterliegen, geht Hilde Meisel eine Scheinehe mit dem homosexuellen Schriftsteller John Olday ein. Sie erhält damit die englische Staatsbürgerschaft und wird fortan als Mrs. Elizabeth Olday geführt.

Während des Krieges arbeitet sie für deutschsprachige englische Sender, schreibt Bücher und Gedichte und diskutiert in verschiedenen linken Zirkeln die Möglichkeiten, wie sich der Widerstand gegen das Hitlerregime wirkungsvoll organisieren ließe. Ihrer in Deutschland lebenden Schwester verhilft sie zur Ausreise nach Palästina, den Eltern besorgt sie ein Visum für Ägypten. Auf Grund ihrer verwandtschaftlichen und politischen Kontakte nach Deutschland weiß sie – und ruft es über ihren Sender nach Deutschland hinein –, wie und gegen wen der Vernichtungskrieg im Inneren des „Dritten Reichs“ geführt wird: „Was heute in Polen geschieht: die kaltblütige Ausrottung des jüdischen Volkes, das geschieht in Ihrem Namen, im Namen des deutschen Volkes. (...) Beweisen Sie diesen Menschen Ihre Solidarität, auch wenn es Mut kostet – gerade wenn es Mut kostet.“1

Ab 1942 gehört ihr Hauptinteresse der Frage, wie Deutschland nach einer Niederlage des Nationalsozialismus human und gerecht wiedererrichtet werden könnte. So beteiligt sie sich am Aufbau der deutsch-englischen Organisation „German Educational Reconstruction“, die ein Erziehungswesen für ein neues Deutschland entwirft, und veröffentlicht 1943 das Buch „The Unity of Europe“, in dem sie hoffnungsvoll und weitsichtig ein Nachkriegseuropa als Friedensraum entwirft.

Im Dienste Seiner Majestät

Der britische Geheimdienst „Office for Strategic Services“ (OSS) entschließt sich ab Beginn des Jahres 1944 – und besonders, nachdem Hitler am 20. Juli 1944 das Attentat der Militärs um Stauffenberg überlebt hat – zu einer neuen Strategie. Neben der militärischen Front soll im Kampf gegen das Naziregime nun auch eine deutsche „Heimatfront“ eröffnet werden: durch Sabotage, Propaganda und Unterstützung des innerdeutschen Widerstands. Dazu sollen mutige Leute, denen der britische Geheimdienst vertrauen kann, eingeschleust werden. Nach längerer Beobachtung scheinen den Briten die ISK-ExilantInnen besonders geeignet. Etliche von ihnen werden nun für einen Einsatz in Deutschland ausgebildet – darunter auch zwei Frauen, die die Geheimdienstleute wegen deren moralischer Ernsthaftigkeit, ihrer strengen und anspruchslosen Kleidung und ihrer festen politischen Prinzipien leicht abschätzig und zugleich bewundernd als „politische Nonnen“ bezeichnen. Eine davon ist Hilde Meisel. Sie soll die Kontakte zu österreichischen Widerstandsgruppen herstellen. Mit einer britischen Militärmaschine wird sie auf französischem Gebiet in der Nähe von Genf abgesetzt und von Kontaktleuten in die Schweiz gebracht. Nach weiteren Vorbereitungen im Tessin betritt Hilde Meisel als Eva Schneider vermutlich im Februar 1945 österreichischen Boden. Sie gelangt offensichtlich unbehelligt nach Wien und versucht hier Kontakte zur Widerstandsgruppe O5 zu knüpfen, diese über die Vorhaben der Alliierten zu informieren und der Opposition Mut zu machen.

Endstation Feldkirch

Nach dem Abschluss ihrer Wiener Mission versucht Hilde Meisel am frühen Morgen des 17. April 1945 oberhalb von Tisis nach Liechtenstein zu gelangen. Sie wird dabei von zwei Grenzwächtern beobachtet und festgenommen. Einer der beiden soll sie abführen und auf die Wache bringen. Da ergreift sie die Flucht. Und obwohl sich das Ende der NS-Herrschaft in diesen Tagen schon überdeutlich abzeichnet, greift der Zollwachmann zur Waffe und schießt auf die Flüchtende, die bereits die „Reichsgrenze“ erreicht hat. Ein Schuss in den rechten Oberschenkel streckt die vergeblich um ihr Leben Laufende nieder. Kurze Zeit danach stirbt sie – einer Meldung der Feldkircher Gestapo zufolge wegen starken Blutverlustes. Die englischen Quellen vermelden dagegen, dass die Agentin auf ihre Zyankalikapsel gebissen und ihrem Leben selbst ein würdiges Ende gesetzt habe.

Mit dem Geldbetrag, den sie bei sich trägt, bezahlt das Feldkircher Landratsamt die Bestattungskosten auf dem evangelischen Friedhof der Stadt. Wohin der Rest der gut 2.000 Reichsmark fließt, bleibt das Geheimnis der Gestapo.

Wer die auf der Letze erschossene Eva Schneider wirklich ist, interessiert am Kriegsende niemanden; das schnelle Wegräumen der Leiche und Beseitigen der Spuren ist wichtiger. Erst der aus England zurückgekehrte ISK-Chef Willi Eichler, der in der Gründungsphase der SPD eine prominente Rolle spielt, weist den Vorarlberger Arbeiterkammerpräsidenten Anton Linder 1947 auf die wahre Identität der Toten hin. Doch was war die Identität der mutigen Frau? War sie eine engagierte deutsche Jüdin oder internationalistische Sozialistin, eine mutige britische Agentin oder doch eher eine sensible Schriftstellerin? Sie war vieles: von Geburt aus und aus freier Entscheidung. Die dramatischen Zeitläufe und die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Berufung haben sie zu äußerlichen Identitäts- und Namenswechseln gezwungen. In sich ist sie gefestigt und entschieden geblieben.

Außergewöhnliche Menschen wie Hilde Meisel – intellektuell, sozialistisch, kämpferisch und jüdisch – werden von den gleichschaltenden nationalsozialistischen Machthabern gehasst und zu Freiwild erklärt; ein willfähriger Grenzjäger bringt sie zur Strecke.

Ein Grabmal in Feldkirch und ein Stolperstein in Berlin erinnern an die mutige und engagierte Frau.

Quellen:

Angelika Rosina Kuntner, Ein Tod bei Feldkirch. Leben und Werk der Widerstandskämpferin Hilde Monte-Olday (1914-1945). https://www.malingesellschaft.at/texte/nationalsozialismus/angelika-rosina-kuntner-2009-ein-tod-bei-feldkirch.-leben-und-werk-der-widerstandskaempferin-hilde-monte-olday-1914-1945 

P. Steiner, Der tragische Tod der Hilde Monte, in: Neue Vorarlberger Tageszeitung, 19.4.1975.

Sabine Lemke-Müller: Ethik des Widerstands. Der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1996.

Werner Röder, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940-1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1973.

Joseph E. Persico, Geheime Reichssache. Der Kampf der CIA gegen die deutsche Abwehr, Wien/Zürich/München 1980.

 

Siehe auch den Beitrag von Angelika R. Kuntner (2009) zu Hilde Monte-Olday sowie die Information zur Gedenkfeier am 17. April 2021.