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16.08.2008 / Verabschiedung von August Weiß

Abschiedsrede für das Ehrenmitglied der J.-A.-Malin-Gesellschaft, Todesanzeige (VN, 16.08.2008) und Nachruf (VN, 29.08.2008)

 

Dornbirn, 16.08.2008

Abschiedsrede für August Weiß


Liebe Trauerfamilie! Werte Trauergemeinde!

Vor einigen Monaten hat mich August zum letzten Mal besucht. Er brachte mir Bücher und ein Manuskript, das seine zentralen Gedanken enthält – und zum letzten Mal blitzte sein bewundernswerter Humor auf, der es ihm ermöglichte, das Schreckliche, das er erleben musste, zu bewältigen.

Und noch einmal erzählte er, warum er in einer verbrecherischen und fremden Wehrmacht nicht dienen wollte, und noch einmal sprach er über jene Themen, die ihn bewegten:

Über die Frage, warum so viele Menschen dem Massenhypnotiseur Hitler auf den Leim gegangen sind, warum Menschen Kriege führen, über die Triebkräfte der menschlichen Psyche, über Rassenwahn und Chauvinismus. Er sei jetzt müde, sagte er, er habe aber den Glauben nicht verloren, dass die Menschheit eines Tages aus den Fehlern lernen werde. Technisch gesehen sei der Mensch 10000 Jahre voraus – ethisch aber ein Neandertaler. Aber es gebe überall gute Menschen.

Zu diesen guten Menschen zählte der belesene Humanist August Weiß. Lange hat es gedauert, bis er sich in der Öffentlichkeit dazu bekennen konnte, ein Deserteur aus der deutschen Wehrmacht zu sein. Jahrzehntelang musste er schweigen, viele haben ihn nicht verstanden.

Nie werde ich vergessen, wie ich vor vielen Jahren mit August und Elsa, seiner geliebten Frau, die Todesstiege in Mauthausen hinaufgegangen bin. Damals hat er uns Nachgeborenen vermittelt, warum es so wichtig für ihn war, seine angebliche soldatische Pflicht nicht zu tun und gegen Inhumanität und Barbarei Widerstand zu leisten. Und warum es in der Gegenwart und Zukunft für die Jungen so wichtig ist, seinem Beispiel zu folgen!

In den letzten beiden Jahrzehnten ist er als „Zeitzeuge“ zu einem begehrten Interviewpartner geworden, seine ethische Grundüberzeugung wurde zunehmend respektiert, er ist gleichsam eine moralische Instanz geworden, und er hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass das Wort „Deserteur“ in Österreich einen anderen Klang bekommen hat.

August war das einzige Ehrenmitglied der Johann-August-Malin-Gesellschaft. Kaum ein Vortrag, eine Veranstaltung, bei der Elsa und er nicht dabei waren. Es ist keine Floskel, wenn ich sage: Wir haben eine wahren Freund verloren, sein Fehlen hinterlässt eine Lücke, die tatsächlich nicht zu schließen ist.

Bei Goethe – so August in seinem Manuskript – heiße es: „Ich fühle, dass ich die Anlagen zu allen Verbrechen in mir trage.“ Und August fügte hinzu: „Das war ehrlich, aber einseitig. Er hätte auch sagen sollen: Ich fühle, dass ich die Anlagen zu allem Guten in mir trage. Beides stimmt. Wieder ganz anders ausgedrückt, in jedem Menschen ist ein Engel und ein Teufel. Wir können alle sagen: Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa!“

Lieber August, bei dir stand das Gute im Vordergrund – du bist desertiert vor Inhumanität und verbrecherischem Morden – ruhe in Frieden!


Werner Bundschuh
Obmann der J.-A.-Malin-Gesellschaft

 

Todesanzeige für August Weiß – VN 16.08.2008

Nachruf auf August Weiß – VN 29.08.2008


Eine ausführliche Darstellung der Verfolgung von August Weiß durch die Wehrmachtsgerichtsbarkeit des NS-Regimes finden Sie ---> hier.

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