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Meinrad Pichler (2025): Natalie Beer (1903–1987) – „Ich kann nicht sagen, dass ich mich irgendwie gewandelt hätte“

Natalie Beers Umgang mit ihrer Vergangenheit und der Umgang der Vorarlberger Kulturpolitik mit Natalie Beers Kriegs- und Nachkriegsœuvre stehen beispielhaft für die Rehabilitierung „Ehemaliger“, auch wenn diese weiterhin in ihren braunen Netzwerken verblieben. Im vorliegenden Beitrag zeichnet Meinrad Pichler die literarische Karriere dieser Schriftstellerin nach, die nach 1945 zur zeitweise herausragenden „Heimatdichterin“ avancierte.

 

Frühere Beiträge zur Debatte um Natalie Beer:

Harald Walser: »... nicht die Letzten?« Der »Fall Beer« und die Vorarlberger Kulturpolitik (1984)
Kurt Bereuter: Ehrenbürgerin von Rankweil etc.: Eine alte Debatte mit Folgen? Natalie Beer und ihre NS-Vergangenheit, die niemals vergangen war (2021)
Kurt Bereuter: Rankweil erkennt Natalie Beer den Ehrenring der Gemeinde "symbolisch" ab, das Land Vorarlberg bleibt zweifach säumig (2021)

 

Meinrad Pichler (2025): Natalie Beer (1903–1987) – „Ich kann nicht sagen, dass ich mich irgendwie gewandelt hätte.“[1]

 

Zuerst erschienen in: Meinrad Pichler, Rankweil 1938–1945. Eine Gemeinde im Nationalsozialismus, Rankweil 2025, S. 160–170.

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Die biografischen Stationen von Natalie Beer sind bereits ausführlich beschrieben worden. Deshalb im Folgenden nur die wichtigsten Eckpunkte: Geboren 1903 in Au, kam die Familie in den 1920er-Jahren nach Rankweil, der Heimat ihrer Mutter Eugenia, geb. Bachmann. Nach dem Besuch der Handelsschule im Bregenzer Marienberg arbeitete Natalie Beer als Älteste einer kinderreichen Familie im elterlichen Geschäft und Haushalt. Zu Beginn der 1930er-Jahre lernte sie Grete Gulbransson kennen, die sich nach ihrer Rückkehr aus München im Batschunser Schlössle niedergelassen hatte. An der Seite dieser arrivierten und gesellschaftlich verankerten Schriftstellerin bestritt Beer die ersten Lesungen. Daraufhin wurde sie von Hans Nägele, dem Schriftleiter des großdeutsch ausgerichteten Vorarlberger Tagblattes, zu ersten Gedichtveröffentlichungen eingeladen. Mit Nägele und der Journalistin Ida Bammert-Ulmer trennte sich Beer 1933 vom „Schutzverband Deutscher Schriftsteller Österreichs“. Die Trias gründete daraufhin die „Vereinigung Vorarlberger Schriftsteller“, die dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller beitrat. Der österreichische Verband hatte sich gegen die Bücherverbrennungen in Hitlerdeutschland verwahrt.[2]

Die Aussonderung der Bücher jüdischer Autor:innen und die spätere Vernichtung der jüdischen Menschen waren Beer kein Problem, da sie schon früh „einen fanatischen Hass gegen die Juden“ pflegte, wie ihre eigene Schwester später festhielt.[3]

Mitte der 1930er-Jahre folgte Beer ihren beiden Brüdern nach Deutschland. Sie ging freiwillig auf Arbeitssuche nach München, ihre beiden Brüder waren als illegale Nationalsozialisten vor der österreichischen Polizei geflohen.[4] In den Tagen des „Anschlusses“ arbeitete sie in Lindau und wurde von hier aus von der Leiterin der Dornbirner NS-Frauenschaft als Festrednerin anlässlich einer groß inszenierten Muttertagsfeier eingeladen. In weihevollen Worten beschrieb sie dabei das Wesen der Mutterschaft im Allgemeinen und das Verhältnis der Tochter zu ihrer eigenen Mutter im Besonderen.[5]

Mehr als ihre bisherigen Dichtungen wurde diese Rede zur Eintrittskarte in ein bezahltes Parteiamt. Bereits im Herbst 1938 erhielt sie eine Stelle in der Rechnungsabteilung der NS-Frauenschaft in Innsbruck. Hier trat die bisherige Sympathisantin auch offiziell der NSDAP bei. Ihre mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit war andernorts aber wirkungsmächtiger eingesetzt. Deshalb wechselte Beer Mitte 1939 in die Abteilung Presse und Propaganda der NS-Frauenschaft Tirol-Vorarlberg. Ab dem 1. Mai 1942 wurde ihr die Leitung dieser Abteilung übertragen.[6] Sie bekleidete dieses Amt bis zum Ende des Dritten Reichs.

Verbunden war mit diesem Amt eine recht umfangreiche publizistische Tätigkeit in den beiden Parteizeitungen von Tirol und Vorarlberg. Als die Propagandistin die Einrichtung von Kinderkrippen verkaufen musste, weil man die Frauen, die der NS-Staat bis dahin am Herd haben wollte, in der Rüstungsindustrie benötigte, fand sie auch dafür eine ideologische Notwendigkeit: Denn dort würden die Kinder lernen, „deutsch zu sein“[7]. Ab 1943 waren es in erster Linie Durchhalteparolen. Nach den ersten Fliegerangriffen auf Innsbruck glaubte sie zu wissen, dass „das Vertrauen der Tiroler Frauen in den Führer auf eine sieghafte Beendigung des Krieges grenzenlos“ sei.[8] Bereits 1941 hatte sie in einem Zeitungsartikel festgehalten, dass „das Durchhalten zum Wesen der Nationalsozialisten“ gehöre.[9]

Neben politischen Ankündigungen und Anweisungen findet sich in den beiden Zeitungen auch literarischer Propagandakitsch. Zum Beispiel lässt die Autorin die Beschreibung einer Bergfahrt folgendermaßen ausklingen: „Wir schließen vor aller Schau still und glücklich die Augen und öffnen sie wieder groß über die Erde hin und fühlen es heiß aus unseren Herzen steigen: D e u t s c h l a n d!“[10] Auch von der Funktion der Literatur im NS-Staat war sie überzeugt: „Der Dichter ist Künder des Wortes und muß daher der Gläubigste an dem Sinn der deutschen Sendung sein.“[11] Bereits einen Monat vor dem „Anschluss“ hatte sie aus ihrem Lindauer Exil folgende Verse über den „Führer“ ans Vorarlberger Tagblatt geschickt:

Du bist in deinem Volk enthalten
und dein Volk wächst hoch in Dir.
Du gehst in tausend Taggestalten

eins mit ihm, ein einzig Wir.[12]

Noch zynischer geriet ihre NS-Verehrung, wenn es um die gefallenen Soldaten ging: Nur die Trauernden um sie würden „erspüren, was die Herrlichkeit eines solchen Sterbens bedeutet: wie die Krone des Reiches herrlicher leuchtet, wie sich sein Thron strahlender baut, wie sie seine Glorie höher hebt als je zuvor.“[13] Als ihr „das unerbittliche Schicksal mit dem Soldatentod ihren Lebenskameraden“[14] nahm, wurde ihre Heldenverehrung etwas leiser.

Neben ihrer beruflichen Tätigkeit besuchte sie Vorlesungen von Dr. Adolf Helbok, einem Vorarlberger Historiker, der mit Hilfe seines NS-Engagements Karriere gemacht hatte. In diesen Innsbrucker Kriegsjahren publizierte Beer die Romane Schicksal auf Vögin (1942) und Der Urahn (1943). Ersterer erfuhr noch während der NS-Zeit drei Neuauflagen. Beide Romane wurden nach dem Krieg durch Neuauflagen zu Inbegriffen des Vorarlberger Heimatromans.

Im Mai 1945 kehrte Beer nach Rankweil zurück. „Dort hatte sich,“ zumindest in der Wahrnehmung der Rückkehrerin, „außer der Person des Bürgermeisters, kaum etwas geändert.“[15] Bald aber sei nun die Rache derer gefolgt, „die die Zeit wieder heraufgespült hatte“. Allein der verächtliche Ausdruck „heraufgespült“ für die vom NS-Terror befreite demokratische Gesellschaft stammte aus dem Mund jener Frau, die nun darüber lamentierte, dass „die sieben schönsten und reichsten Jahre meines Lebens umsonst gewesen zu sein schienen“[16].

Um bei der Entnazifizierung aus dem Blickfeld eventueller Verfolger zu verschwinden, zog sich Natalie Beer nun für zwei Jahre weitgehend ins Montafon zurück und versuchte über alte Verbindungen zu Veröffentlichungen zu gelangen. Im November 1947 wurde sie endgültig als „minderbelastet“ aus der Registrierung entlassen. In Vorarlberg begegnete man dem Wiedereintritt der NS-Belasteten in das literarische Leben anfänglich noch sehr zurückhaltend. So empörte sich ein Ungenannter im katholischen Vorarlberger Volksblatt über die Neuauflage des Urahn, dass „ein solches Buch“ bereits im März 1946 als Neuauflage erscheinen konnte, „nur zehn Monate nach der Befreiung Österreichs vom Hitlerjoche, zu einer Zeit, da man soviel von der Säuberung des öffentlichen und privaten und also auch des kulturellen Lebens vom Nazigeist hört.“ Weiters kritisierte er das Frauenbild, das Beer von den Wälderinnen zeichne. Dieses habe „verdächtige Ähnlichkeit mit jenem Frauentyp, den man in der vergangenen Zeit als das Ideal der ‚Deutschen Frau‘ hingestellt“ habe.[17] Dieses Frauenbild, wonach der Mann der Aktive, Gebende sei, die Frau aber die passiv Nehmende, wird in Beers Lyrik einmal mehr bodenständig, ein anderes Mal schwül sexualisiert durchgespielt. Als männliches Symbol gilt immer wieder der Ackermann, der „das Korn des Lebens“ in die empfangende „feuchte Furche“ sät.[18]

 

Im neuen Österreich bei den alten Kameraden

 

Die alten Netzwerke von „treuen“ Nazis und ehemaligen NS-Sympathisanten erwiesen sich bald als wirksame Einstiegshilfe ins literarische Leben der Nachkriegszeit. Besonders Franz Ortner förderte Beer in den Vorarlberger Nachrichten nach Kräften. Zuerst verteidigend, dann offensiv. Von „aliterarischen Kreisen“ werde ihr zu Unrecht, so Ortner, „mangelnde Beachtung religiöser Momente“ vorgeworfen.[19] In einem Beitrag für die Wiener Wochenzeitung Die Furche räumte Ortner ein „gehaltlich umstrittenes episches Werk“ ein, Beers lyrisches Schaffen sei aber „von allen Zeitläufen unberührt“[20]. Auch einen anderen Bereich sah der ehemalige Soldat Ortner anfänglich noch kritisch: Dort, wo es um den Soldatentod gehe, brauche es heute „eine tiefsinnigere Deutung als das längst abgeklungene ‚Heldenpathos‘“[21]. Als Natalie Beer schließlich 1950 mit einem Auftritt bei den Bregenzer Festspielen geadelt wurde, stellte Franz Ortner kategorisch fest, dass Beers „Meisterschaft“ eines „der größten Kulturgüter des heutigen Vorarlberg“ sei.[22] Damit war auf regionaler Ebene die Wiedereingliederung der Verfemten weitgehend abgeschlossen. Ihre Romane wurden nun neu aufgelegt und nicht von den Siegern verbrannt, wie sie noch 1983 zu insinuieren versuchte.[23]

Ihre Aufnahme in eine überregionale Gemeinschaft erfolgte 1953 im steirischen Pürgg. An diesen Ort im Ennstal hatte der steirische Landeshauptmann Josef Krainer österreichische und deutsche Autor:innen des „nationalen“ Lagers mit jüngeren, unbelasteten Schriftsteller:innen gemeinsam geladen. Pürgg war einer der Nachkriegsversuche, „aus dem Gestrüpp von Schuld und Mitschuld durch gezieltes Verschweigen zu entkommen“[24]. Das Hauptwort führte der vormalige Präsident der Reichsschrifttumskammer Hans Friedrich Blunck, der sich am Ende des ersten Treffens im Namen der Runde mit den Worten bedankte, dass eine solche Zusammenkunft „im Westen Deutschlands nicht möglich gewesen wäre“. In der Tat. Hier traf Natalie Beer die prominentesten Altnazis, die Jahre zuvor von der Provinzautorin keine Notiz genommen hatten und in deren neu gewobenem Beziehungsgeflecht sie nun eingebunden wurde. Auch ihre kommende und anhaltende Beziehung zum rechtsgerichteten Grazer Stocker-Verlag wurde in Pürgg angebahnt.

In Vorarlberg fand Beer Zugang zu einer einflussreichen Gruppe „Ehemaliger“. Hermann Rhomberg, bedeutender Unternehmer, hoher Nazifunktionär und nun Chef der Dornbirner Messe,[25] scharte im Messebüro eine illustre Schar von exponierten vormaligen Nationalsozialist:innen um sich: Etwa den ehemaligen Kreisleiter Anton Plankensteiner, den feurigen Antisemiten Dr. Bruno Amann[26], Beers Schwager Fritz Gerstmann und die bereits erwähnte NS-Journalistin Ida Bammert-Ulmer. Hier war man unter sich, musste seine Sprache nicht kontrollieren und konnte sich dem wehleidigen Räsonieren über Verfolgung und Zurücksetzung in der neuen Republik hingeben. Auch Beziehungen zum VdU (Verband der Unabhängigen, Vorläuferpartei der FPÖ), deren Mitglieder sich gern als die „Gesinnungstreuen“ bezeichneten, wurden hier geknüpft. So finanzierte der VdU-Landtagsabgeordnete und Stickereifabrikant Hans Böhler der Autorin 1954 eine Studienreise nach Paris. Mit dem Staatsvertrag von 1955 waren quasi alle NS-Belasteten endgültig pardoniert, die großen Parteien fragten nicht mehr nach Haltungen, sie wollten Wähler:innenstimmen.

Die gemeinsame ideologische Schnittfläche von Konservativen und Nationalen war nun die „Heimat“, und Natalie Beer avancierte zur Heimatdichterin schlechthin. Hier schöpfte sie ihre literarischen Stoffe und hier hatte sie ihr Publikum. Hier wurde sie ver- und geehrt. „Heimatlos ist“, dekretierte sie in einem Gedicht von 1973, „wer sein Vaterland nicht liebt/ unselig, wer die Sprache der Mutter vergisst.“[27] In ihrer Doppelzüngigkeit konnte damit, je nach Publikum, Deutschland oder Vorarlberg gemeint sein. Zur Heimattümelei gehörte auch das Herausstreichen der besonderen alemannischen Tugenden als ersatzweise Verkleinerung der vormaligen Arierverehrung. In ihrem Gedicht „Landnahme“ hat sie auch diesen Mythos bedient.

Noch 1983 nannte sie bezeichnenderweise Ludwig Friedrich Barthel (1898–1962) als literarisches Vorbild.[28] Dieser deutsche Autor hatte sich während der NS-Zeit durch heroische Hymnen auf Krieg und Nationalsozialismus hervorgetan und widmete sich in den 1950er-Jahren der Heimatpflege und der Naturlyrik, ohne sich jemals von seiner NS-Haltung zu distanzieren. Heimat und Natur dienten den Unverbesserlichen als akzeptierte Tarnung. Noch 1983 schätzte Beers besonderer Förderer, Landeshauptmann Dr. Herbert Keßler, an der Dichterin, „dass sie sowohl für die Jugend als auch für die jüngere heimische Autorengeneration zu betrachten [sei], besonders was ihr Verhältnis zur Heimat“ anbelange.[29] Als im Jahr zuvor der „Vorarlberger Autorenverband“ gegründet wurde, bestand der Landeshauptmann darauf, dass Beer als Mitglied aufgenommen werde, obwohl der KZ-Überlebende Dr. Max Riccabona einen Beitritt neben Beer abgelehnt hatte.[30]

Trotz hoher Protektion wurde schließlich das Jahr 1983 neben Ehrungen anlässlich ihres 80. Geburtstags zum Wendejahr in der Beer-Rezeption. Schon der Festredner Dr. Eberhard Tiefenthaler, immer noch ein kräftiger Beer-Unterstützer, konnte angesichts des unreflektierten Inhalts ihrer Lebenserinnerungen nicht umhin, von einer „den Leser manchmal gewiss schockierenden Offenheit“ zu sprechen.[31] Ihren endgültigen politischen Offenbarungseid aber leistete Natalie Beer am 2. Juli 1983 im Vorarlberger Rundfunk in einem Interview mit Michael Köhlmeier, in welchem sie sich als „gesinnungstreue“ und unbelehrbare Nationalsozialistin präsentierte.

Als ab den 1970er-Jahren auch in Vorarlberg Fenster zu einer welthaltigeren Kultur geöffnet wurden und die künstlerische Produktion nicht mehr um den lädierten Heimatbegriff kreiste, geriet Beers Literatur inhaltlich und ästhetisch in ein erstarrtes Abseits. Ihre literarischen Hervorbringungen interessierten weitgehend nur noch als aufschlussreiche Ideologieträger. Für ihren Bedeutungsverlust machte Beer nicht ihre heimattümelnde Stoffwahl, geschweige denn ihre bisweilen krausen Metaphern verantwortlich, sondern außenstehende Übelwollende. Nach dem nationalsozialistischen Argumentationsmuster nach 1945 waren es „umerzogene“ Siegerknechte, welche die national-deutschen, „heimatverbundenen“ und idealistischen Bemühungen der ehemaligen Nationalsozialist:innen diskreditierten. Einsicht wurde durch Schuldumkehr ersetzt. In einem Gedicht von 1971 mit dem Titel „Bilanz“ geschieht das folgendermaßen:

Einstmals Verse, gereimt,
nahtlos gefeilt, das Hehre
verkündend, erhebend das Wort.
Das Wort?
Die Zeit ging darüber.
Belacht, längst aus der Mode
sitzt es locker auf seinem Ast,
den der Spott ansägt.
Es hat die Unschuld verloren
sagen, die Schuld daran sind.

[...]

Der Hund des Nachbars versteht,
was ich meine: guter Hund,
braves Tier!
Und dankbar schmiegt er
den Kopf an mein Knie.

Dabei war sie zu dieser Zeit noch keineswegs „auf den Hund gekommen“, sondern verlegt, gelesen und honoriert wie keine andere Vorarlberger Literatin vor oder neben ihr. Aber sie spürte das abnehmende Interesse und die Tatsache, dass ihre literarische Produktion zunehmend anachronistisch zu werden begann. Wie andere Gesinnungsgenoss:innen auch sah sie immer noch die Entnazifizierung und „Umerziehung“ als Ursache dafür und nicht ein neues Bewusstsein einer jüngeren Generation. Das nagte tief und war zugleich eines der Bindseile, das die so genannten Ehemaligen zusammenhielt. Mit der Abnahme ihrer eigenen Bedeutung sahen sie die „deutsche Kultur“ im Niedergang. Sie empfanden es als Schmach, dass sie ihre Worte vorsichtiger zu wählen hatten und dass sie froh sein mussten, von „Schwarzen“ geehrt und alimentiert zu werden; von Leuten also, die sie im Innersten verachteten.

Wenn die Altnazis untereinander kommunizierten, war die Kooperation mit ÖVP-Vertreter:innen immer wieder ein Thema. „Jetzt musst du dann schon gut aufpassen“, warnte Ida Bammert-Ulmer ihre Freundin und Gesinnungsgenossin Natalie Beer, „dass die von der anderen Fakultät Dich nicht mit Haut und Haaren für sich reklamieren.“[32] Diese „Gefahr“ war zumindest von Beers Seite nie vorhanden. Sie ließ sich von den Konservativen feiern, wusste aber immer, wo ihre politische Heimat war, und verachtete jene, die aus Opportunismus oder Einsicht völkische Positionen aufgegeben hatten. „Ich schaue heute noch alle,“ meinte Beer im denkwürdigen Radiointerview von 1983, „die nachher wieder zu Kreuze gekrochen sind, als lauter Verräter an und lauter Leute, die einfach keinen Charakter hatten.“[33]

Der nationalsozialistischen Ideologie und dem „Führer“ auch über die Katastrophe hinaus treu zu bleiben, war also für Beer eine Charakterfrage. Diese Treue dokumentierte sie auch dadurch, dass sie erst 1952, zu einem Zeitpunkt, als andere ehemalige Nazis wieder zurückkehrten, aus der Kirche austrat.[34] Um in ihrer erstarrten Haltung nicht schwach zu werden, bewegte sie sich vornehmlich in Gesellschaft jener Ehemaligen, die auch nach 1945 das Hakenkreuz nicht gegen das christlichen Kreuz eingetauscht hatten.

 

In rechtsradikalen Netzwerken

 

Solche Gleichgesinnte fand sie in Österreich, noch mehr aber in Deutschland. Die Dichterwochen von Pürgg zeigten für Beer nachhaltige Wirkung. Nun wurde sie in Kreise aufgenommen, die den Nationalsozialismus nicht als Katastrophe, sondern als hehre Zeit, als nationalen Glanzpunkt sahen, der dem deutschen Herrenvolk neuen Lebensraum erschlossen hatte. Einer dieser Vordenker war Hans Grimm, der bereits 1925 mit seinem Roman „Volk ohne Raum“ die ideologische Türe zur Osteroberung aufgesperrt hatte. Von eben diesem wurde Natalie Beer 1964 zu einem Dichterwochenende eingeladen.[35]

Hier kam sie auch in Kontakt mit Peter Kleist, einem ehemals engen Mitarbeiter von Alfred Rosenberg, Abteilungsleiter im Ostministerium, SS-Obersturmbannführer und SD-Spitzel. Er hatte 1960 die „Gesellschaft für Freie Publizistik“ gegründet, die für rechtsextremes Gedankengut eintrat.[36] Noch bedeutsamer wurde Beers Einbindung in das rechtsextremistische „Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes“, das sich als „volksbewusste und volkstreue Gemeinschaft“ zur Förderung deutschen Kulturguts verstand. Dieses Sammelbecken „ehemaliger Eliten“ gerierte sich als Gegenpol zur Gruppe 47 und war nach Angabe des deutschen Verfassungsschutzes von 1969 die „zahlenmäßig stärkste rechtsradikale Gruppierung nach der NPD“.[37] Mitglieder waren hier unter zahlreichen anderen „Ehemaligen“ die vielleicht prominentesten NS-Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer und Will Vesper. Bei Kolbenheyer bedankte sich Beer für die Platzierung von Gedichten mit der Organisation einer Lesung beim Vorarlberger Rundfunk.[38] 1996 wurde das „Kulturwerk“ als rechtsextreme Organisation auf Antrag des Verfassungsschutzes aufgelöst.

Auch ein anderer ehemaliger SS-Offizier, Arthur Ehrhart, wandelte mit seiner Zeitschrift „Nation Europa“ auf rechtsextremen Pfaden. Beers biografische Rückschau „Als noch die Sonne schien“ aus dem Jahr 1978 lobte er als „das Erinnerungsbuch einer Dichterin, die in Treue zu sich selbst, unbeirrt durch Umerziehung und nationale Katastrophen ihren Weg gegangen ist, wie er durch ihre innere Berufung in ihr angelegt ist“[39].

Nicht anders verhielt es sich mit dem österreichischen Ableger des deutschen „Kulturwerks“, dem „Verein Dichterstein Offenhausen“. Der Nazi-Schriftsteller Joseph Hieß, vormals Leiter des Kulturamtes des „Volksbunds für das Deutschtums im Ausland“, gründete 1963 im oberösterreichischen Offenhausen eine „Kultstätte“ für deutsche Literatur. Die Dichtersteinanlage besteht aus einer Freitreppe mit „Wikingerschilden“ und dem Schriftzug „Wer den Geist verrät, verrät sein Volk“[40]. Jährlich wurde hier einem Mitglied der „Dichterschild“ überreicht, Natalie Beer war 1975 an der Reihe. 1999 wurde der Verein wegen NS-Wiederbetätigung von der Bezirkshauptmannschaft Wels aufgelöst.[41]

Zum rechtsextremen Netzwerk gehörte auch das Publikationsorgan „Eckartsbote“, in welchem in erster Linie durch ihre Parteinahme für die NSDAP kompromittierte Autor:innen erschienen. Laut Österreichischer Nationalbibliothek war „der überwiegende Teil der Beiträge politischen Fragen gewidmet, wobei der Standpunkt klar rechtsextrem, konservativ, zunehmend ausländerfeindlich und teils neonazistisch war“[42]. Die abgedruckten Gedichte und die Kurzprosa widmeten sich hauptsächlich dem Schutz der „deutschen Kultur“. Mit gut 80 Beiträgen war Natalie Beer die mit Abstand fleißigste Autor:in. Neben ihr publizierten im „Eckartsboten“ beispielsweise der berüchtigte Taras Borodajkewycz, die Lieblingsschriftstellerin des „Führers“ Agnes Miegl, natürlich Kolbenheyer und wie überall auch Karl Springenschmid.

Schlussendlich sei noch darauf hingewiesen, dass der Grazer Leopold Stocker Verlag, in dem alle größeren Arbeiten von Beer nach 1950 erschienen sind, im Zusammenhang mit bestimmten Verlagspublikationen laut Urteil des Grazer Landesgerichts vom 10. März 2006 als „rassistisch“, „antisemitisch“ und „rechtsextrem“ bezeichnet werden darf.

Nach all dem Gesagten steht außer Frage, dass Natalie Beer Zeit ihres Lebens nicht bereit war, ihren politischen Irrtum einzusehen, den Nationalsozialismus als inhumane Gewaltherrschaft und Hitler und seine Helfer als Massenmörder zu erkennen. Im Gegenteil, sie war stolz darauf, störrisch – in ihrer Diktion treu – an der menschenverachtenden Ideologie trotz aller die Katastrophe belegenden Evidenzen festgehalten zu haben. „Das eherne deutsche Gesetz, das nicht umgangen werden kann“, schrieb sie zum „Anschluss“ 1938, sei „das Gesetz von Blut und Boden“[43]. Sowohl stofflich als auch ästhetisch blieb sie dieser Position treu. Die ab 1983 nur noch sporadischen Versuche, Beers literarische Produktion von ihrer ideologischen Befrachtung zu entlasten, erwiesen sich letztlich als hilflose Beschönigungen und bereits aus der Zeit gefallen.

Trotz „der Missgunst der Zeit“, rühmte ihr ein Mitglied des „Freundeskreises Natalie Beer“ anlässlich ihres Todes im Jahr 1987 nach, sei „Frau Prof. Natalie Beer ihren letzten Weg ebenso ruhig gegangen, wie sie ihr ganzes Leben lang aufrecht und unbeirrt ihrer Heimat, der Muttersprache und dem Volke gedient“ habe. Die Kritik, als „Unkenrufe“ bagatellisiert, würde angesichts „ihres Werkes verblassen und vergessen werden“[44]. Letzteres dürfte jedoch eher „ihrem Werk“ widerfahren. Auch die von Karl Heinz Heinzle geforderte Trennung „des künstlerischen Werks vom oft Allzumenschlichen“[45] konnte die Selbstbeschädigung der Natalie Beer nicht mehr reparieren.



 

[1]     Zit. nach Harald Walser, »... nicht die Letzten?« Der »Fall Beer« und die Vorarlberger Kulturpolitik, in: Allmende, Heft 9, 1984, S. 169-174, S. 172.

[2]     Siehe Meinrad Pichler, Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015, Geschichte Vorarlbergs Band 3, Innsbruck 2015, S.200 und Klaus Amann, Der Anschluss österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. Institutionelle und bewusstseinsgeschichtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1988, S. 188.

[3]     Brief von Gisela Obermayer-Beer an Liselotte Hanl vom 22.6.1983, zit nach Spiegl 2010, S. 143.

[4]     Siehe Meinrad Pichler, Rankweil 1938–1945. Eine Gemeinde im Nationalsozialismus, Rankweil 2025, S. 28.

[5]     Siehe Vorarlberger Tagblatt 18.5.1939.

[6]     Siehe Nikolaus Hagen, Bericht zum Forschungsstand: Natalie Beer und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus, Innsbruck 2021, S. 11. (MS Gemeindearchiv Rankweil).

[7]     Innsbrucker Nachrichten (nachfolgend InNa) 4.9.1941.

[8]     InNa 25.6.1943.

[9]     InNa 7.11.1941.

[10]   InNa 12.9.1939.

[11]   InNa 27.10..1941.

[12]   Feierabend 16.2.1938.

[13]   InNa 9.4.1940.

 [14]  Mitteilungen der Stiftung Soziales Friedenswerk 6/1978, S. 9.

[15]   Natalie Beer, Der brennende Rosenbusch. Lebenserinnerungen, Graz 1983, S. 179.

[16]   Rosenbusch, S. 180.

[17]   Vorarlberger Volksblatt 1.6.1946, S. 4.

[18]   Natalie Beer, Traum des Weibes. Gedichte, Wien 1947, S. 2.

[19]   Vorarlberger Nachrichten (VN) 13.11.1947, S. 3

[20]   Die Furche 5.3.1949, S. 10.

[21]   VN 19.11.1949, S. 4.

[22]   VN 27.7.1950.

[23]   Rosenbusch, S. 179.

[24]   Franz Krahberger, Die Pürggschrift (www.ejournal.at/Buecher/puergg/grimming.html, eingesehen am 10.4.2024).

[25]   Siehe Meinrad Pichler, Hermann Rhomberg. „Ein echter Dornbirner, als Industrieller ein würdiger Nachfahr Franz Martin Rhombergs [..] und nicht zuletzt ein überzeugter Nationalsozialist“, in: Margarete Zink/Petra Zudrell (Hg.), Ware Dirndl. Austrian Look von Franz M. Rhomberg, Salzburg 2021, S. 218–235, hier S. 231.

[26]   Siehe Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer, Täter, Gegner, Innsbruck 2012, S. 177-180.

[27]   Natalie Beer, Ins Antlitz der Zeit, Ried 1971, S. 56.

[28]   Rosenbusch, S. 179.

[29]   Zit. nach Ulrike Längle, Max Riccabona und Natalie Beer. Zwei Antipoden der Nachkriegszeit, in: Ulrich Nachbaur/Alois Niederstätter (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit. Vorarlberger Almanach zum Jubiläumsjahr 2005, Bregenz 2006, S. 219–244, hier S. 239.

[30]   Ebenda.

[31]   Ansprache von Eberhard Tiefenthaler vom 17.06.1983, S. 7, Manuskript im FMFA (Franz-Michael-Felder-Archiv, Bregenz), Nachlass Natalie Beer.

[32]   Ida Bammert-Ulmer, Brief vom 18.6.1963, FMFA, Nachlass Natalie Beer.

[33]   Zit. nach Karin Spiegl, Natalie Beer (1903–1987). Stationen einer Karriere vor dem Hintergrund österreichischer Kulturpolitik vor und nach 1945, Diplomarbeit Universität Wien 2010, S. 13. Zum gesamten Interview siehe: Harald Walser, »... nicht die Letzten?« Der »Fall Beer« und die Vorarlberger Kulturpolitik, in: Allmende, Heft 9, 1984, S. 169-174.

[34]   Mitteilung des Pfarramtes Rankweil vom 28.3.1952 an das Taufbuch Au 1903.

[35]   Brief von Hans Grimm, Lippoldsberg 2.6.1964, FMFA, Nachlass Natalie Beer.

[36]   Siehe Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt 2011, S. 315.

[37]   Verfassungsschutzbericht der Bundesrepublik Deutschland 1969/70, zit. nach Daniel Klünemann: Das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes (DKEG), in: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 3, Bielefeld 2015, S. 289.

[38]   Rosenbusch, S. 199.

[39]   Nation Europa Nr. 10/1978, S. 48.

[40]   Das Zitat hatte Guido Kolbenheyer beigesteuert. Er gehörte zu den acht „Gottbegnadeten Dichter[n]“ in den Augen des „Führers“.

[41]   Wolfgang Purtscheller, Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk, Wien 1993, S. 75 f.

[43]   Feierabend 6.4.1938, S. 16.

[44]   Armin Hartmann, Professor Natalie Beer. Eine Patriotin des Bregenzerwaldes, in: Bregenzerwald-Heft, Jg. 7, 1988, S. 114–122, hier S. 121.

[45]   NEUE Vorarlberger Tageszeitung 13.7.1983.