Dietlind Castor (2013): Überlingen - Der Goldbacher Stollen
Anton Jež, einstiger Zwangsarbeiter
Jež war öfters wieder am Bodensee, obwohl
ihn eigentlich die schrecklichsten Erinnerungen an seinen ersten Aufenthalt
quälen müssten. In den Friedensräumen der Lindenhofvilla in Lindau-Bad Schachen
spricht er zu den Bildern seines Lagerkameraden, des Architekten und Künstlers Boris Kobe, der kurz nach seiner
Befreiung ein Tarockspiel mit Tusche und Wachmalkreide gezeichnet hat. Diese
Karten wurden im Museum von Lubljana wieder
entdeckt und zwölf der insgesamt 54 Karten für Ausstellungen vergrößert. Sie zeigen
das ganze Elend der Gefangenen: Hunger, Schläge, Fronarbeit und Tod.
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Der einstige Zwangsarbeiter und Künstler Boris Kobe hat kurz nach seiner
Befreiung ein Tarockspiel mit Tusche und Wachsmalkreide gezeichnet. Hier die Karten zu Bestrafung und Weg in den Stollen.
Das
Lager-Tarockspiel von Boris Kobe war im Mai 2013 in den
Friedensräumen (Lindenhofweg 25) in Lindau ausgestellt.
Der Historiker Oswald Burger, Mitbegründer des
Vereins „Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in Überlingen“ hatte schon 1985 erste Kontakte zu den ehemaligen Häftlingen aufgenommen und
sorgt mit weiteren ehrenamtlich arbeitenden Vereinsmitgliedern, dass diese Zeit
nicht in Vergessenheit gerät. Sei es durch Führungen durch den Goldbacher
Stollen oder die alljährliche Gedenkfeier am 8. Mai auf dem KZ-Friedhof bei
der Klosterkirche Birnau.
Besichtigung des Stollens (2012)
Als Anton Jež 16 Jahre alt ist, verändert der
Krieg das Leben des Gymnasiasten. Er wird in der Nationalen Befreiungsfront
„OF“ aktiv, der sich die Mehrheit der Slowenen in der von Italienern besetzten
„Provincia di Lubljana“ anschließt. Die eigene Polizei verhaftet ihn als Achtzehnjährigen,
liefert ihn den deutschen Nazis aus, die ihn am 16. April 1944 in das
Konzentrationslager Dachau einweisen. Von dort wird er mit 800 anderen Dachauer
Häftlingen nach Überlingen verfrachtet.
Man hatte ihnen Arbeit bei der Apfelernte am Bodensee versprochen. Die Gefangenen -darunter politische, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma und Emigranten- wurden in die schnell errichteten primitiven Baracken nach Aufkirch verlegt. Als Kapos setzten die SS-Leute mit Vorliebe Schwerverbrecher, Landfahrer und arbeitsscheues Gesindel ein.
Täglich jagten sie SS-Wachleute, unterstützt von scharfen Schäferhunden, im Laufschritt zur Arbeit am Goldbacher Stollen, um vom Oktober 1944 bis April 1945 in das relativ weiche Molasse-Gestein ein ausgedehntes Stollensystem zu treiben. Dorthin sollten die NS-Rüstungsindustrien von Friedrichshafen ausgelagert werden, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Die Molassefelsen sind ein relativ weiches Gestein, das die Schwingungen der Bombeneinschläge gut absorbiert. Der Vorteil war auch ihre Seenähe, um den Aushub zu entsorgen. Außerdem war der Bahnhof gleich nebenan, von dem drei Schienenstränge hineinführen sollten.
Die Arbeitsbedingungen für die ohnehin in einem schlechten Zustand sich befindenden Gefangenen waren unmenschlich „Vernichtung durch Arbeit“ war beabsichtigt. Sie erhielten viel zu wenig zu essen und mussten dann 12 Stunden schuften, so dass viele an Entkräftung starben. Sie sprengten in knapp sieben Monaten vier Kilometer relativ hohe Gänge und Hallen in den Felsen. Die gelösten Steine mussten sie mit bloßen Händen auf Loren verladen, die dann in den Bodensee ausgekippt wurden. Der Überlinger Campingplatz befindet sich heute auf dieser Aufschüttung.
Anton Jež, berichtet von stetigen Felsabbrüchen, bei denen Häftlinge getötet oder schwer verletzt wurden. Bei den Sprengungen gab es keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Weitere Unfälle hätten sich beim Entfernen nicht explodierter Sprengladungen ereignet.
Die hygienischen Verhältnisse in den Baracken und in den Stollen waren schlichtweg eine Katastrophe. Dazu kam die Winterkälte Als „Glück“ für die unzureichend bekleideten und mangelhaft ernährten Häftlinge bezeichnet Jež die relativ milden Temperaturen, die im Winter im Stollen geherrscht hätten. Ohne die zwölf Grad in den Stollen wären sicher noch mehr gestorben.
Am 25. April 1945 befreiten Verbände der französischen Armee die Stadt Überlingen. Vier Tage zuvor waren die Häftlinge per Zug in das Außenlager Allach evakuiert worden, das am 29. April von amerikanischen Verbänden erreicht wurde. Hier ging das Sterben nach der Befreiung nochweiter. Doch Boris Kobe und Anton Jež überlebten, haben sich später aber nie wieder gesehen.
Die Überlinger Feuerwehr hatte die Baracken des Außenlagers am 23. April niedergebrannt; offiziell, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. 219 Häftlinge waren ums Leben gekommen. Davon liegen 97 auf dem KZ-Friedhof Birnau. Sehr viele Italiener sind darunter. Sie wurden am schlechtesten behandelt. Der Grund dafür war der Hass der Nazis auf die ehemaligen italienischen Bündnispartner. Auf einer Tafel am Eingang des Friedhofes sind die Toten aufgeführt, die namentlich bekannt sind.
Barbara Stoller, Vorsitzende des Freundeskreises der Friedensräume, weist darauf hin, dass es heute noch rund um den Bodensee jede Menge Rüstungsbetriebe gibt. Anton Jež wünscht sich und allen anderen: „Nie wieder Krieg!“
Dietlind Castor ist freie Journalistin in Lindau.
Redaktionsbüro Dietlind Castor, dietlind.castor@t-online.de
Lindenhofweg 25, 88131 Lindau (B)
www.efotografie.deDie Geschichte des Goldbacher Stollens und der KZ-Friedhof beim Kloster Birnau werden in ihrem Buch "111 Orte am Bodensee, die man gesehen haben muss" behandelt. Das Buch ist 2013 im Emons-Verlag in Köln erschienen. ISBN 978-3-95451-063-4.
Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in D-88642-Überlingen e.V./Westbahnhof, gegenüber Campingplatz
Öffentliche Führungen finden an
jedem ersten Freitag eines Monats um 17:00 Uhr statt. Gruppen können sich für andere Termine anmelden: info@stollen-ueberlingen.de
Treffpunkt für Führungen; Bahnhofstraße 28
ÖPNV: Bahnhof Überlingen
PKW: auf B31 nach Überlingen, abbiegen ins
Stadtzentrum bis Westbahnhof.
Die Gedenkstätte liegt etwa 200 Meter östlich der Wallfahrtskirche, oberhalb der Bundesstraße B 31 und ist ab dem Parkplatz der Klosterkirche Birnau zu Fuß zu erreichen. Die Namen der toten KZ-Häftlinge sind, soweit bekannt, im Buch „Der Stollen“ von Oswald Burger zum Gedenken sowie zur Nachforschung durch unbekannte Angehörige aufgeführt.