Werner Bundschuh (1995): Anmerkungen zum Lebenslauf von Anton Linder (1880 bis 1958)
Werner Bundschuh
Anmerkungen zum Lebenslauf von Anton Linder (1880 bis 1958)
1. Herkunft
Anton (Bruno) Linder wurde am 23. Oktober 1880 in Turn(u)-Severin in der Kleinen Walachei (heutiges Rumänien) geboren. Er war Angehöriger der k.k. österreichisch-ungarischen Monarchie. Auf einem Jugendfoto ist sein Vorname als "Trajan" = Anton angegeben.[1]
Sein Vater war der Wiener Malermeister/Kirchenmaler Anton Rudolf Linder, der auf seinen beruflichen Wanderungen bis in die Kleine Walachei gelangte. Dort kam Anton Linder jun. auf die Welt. Seine Mutter trug den Mädchennamen Maria Valenta und stammte aus einer Kleingewerbefamilie.[2] Sie verstarb im Jahre 1885.
Nach dem Besuch der Volksschule ging Anton Linder zwei Jahre lang ins Lyzeum und erlernte nach der Rückkehr aus der Walachei in Wien ab 1895 das Tapezierer- und Dekorateurhandwerk. Nach Abschluß der Lehre und Beendigung der Militärzeit begab sich der Geselle, der Mitglied des Vereins jugendlicher Arbeiter und damit gewerkschaftlich organisiert war, auf Wanderschaft. Diese führte ihn in ferne Länder, u.a. nach Italien, Griechenland und angeblich auch nach Nordafrika.
2. Erste Kontakte mit der Arbeiterbewegung und erster Aufenthalt in Vorarlberg
Im Jahre 1904 kam Linder zum ersten Mal auf seinem Wanderweg nach Feldkirch. Von dort begab er sich in die Schweiz. In Konstanz erlebte er den ersten großen Arbeiterstreik, und 1905 lernte er die Arbeiterführer August Bebel, Hermann Greulich und Friedrich Adler kennen, mit dem ihn künftighin eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
Zu dieser Zeit kam Linder mehrmals nach Zürich. Dort bestand die "Eintracht", das sogenannte "Schwabenkasino", in dem sich organisierte Arbeiter aus den verschiedensten Ländern und nach Niederschlagung der russischen Revolution von 1905 auch zahlreiche Emigranten trafen.[3] Hier kam er auch mit anarchistischem Gedankengut in Kontakt. Von 1904 bis 1910 hielt er sich jedoch überwiegend in Feldkirch auf (zunächst beim Sattlermeister Keller).
Im Jahre 1909 reiste er am 29. März - nach Polizeiangaben angeblich aus Kairo kommend - mit abgelaufenen Papieren erneut in die Schweiz ein. Nachdem er infolge des Ill-Hochwassers im Jahre 1910 seine Arbeit in Feldkirch bei der Firma Grebmer verloren hatte, ließ er sich in Zürich nieder.
3. "Jugendsünden" und die Ausweisung des "Anarchisten Linder" aus der Schweiz
In Zürich zog Linder bald die Aufmerksamkeit der Sicherheitspolizei auf sich. "Bruno" Anton Linder fiel als Unterzeichner eines Artikels im anarchistischen Wochenblatt "Der freie Arbeiter" auf, und es wurde ein Polizeiakt über den "Sozialrevolutionär bzw. Anarchisten" angelegt. Eine ausführliche polizeiliche Überprüfung folgte.
Am 21. August 1909 stand in dieser Arbeiterzeitung zu lesen, daß sich in Zürich seit zwei Monaten eine "sozialistisch-revolutionäre Liga der Schweiz" gebildet habe, die die "Ideen des Generalstreiks, der Sabotage und besonders den Antimilitarismus" propagiere. Die Züricher Polizei stellte "anarchistische" Versammlungen fest, die vorwiegend von österreichischen Arbeitern besucht wurden. Als "Urheber" und Versammlungsleiter galt den Behörden der 29jährige Bruno Anton Linder. Über ihn wurden deshalb bei der Wiener Polizei Erkundigungen eingeholt. Das Leumundszeugnis war nicht das beste, es wies mehrere gerichtliche Verurteilungen auf. Die Straftaten, die Linder zur Last gelegt wurden, waren nicht untypisch für das Milieu, aus dem er stammte:
"Dieser Linder ist in Wien als Straßendieb bekannt. Er wurde am 24. Juli 1902 vom k.k. Landgericht in Strafsachen in Wien wegen Diebstahls zu 8 Monaten schweren Kerker, am 27. Februar 1904 vom k.k. Bezirksgericht in Ala (Tirol) wegen Teilnahme an einem Diebstahl und Landstreicherei zu 10 Tagen strengen Arrest und am 12. Mai 1903 vom k.k. Bezirksgericht Sterzing ebenfalls wegen Landstreicherei zu 6 Tagen strengem Arrest verurteilt."
Linder wurde in der Folge von den Schweizer Behörden wegen "Nötigungsversuch zu zwei Tagen Gefängnis und zu 20.- (Franken) Buße verurteilt" und wegen "Schriftlosigkeit" Ende des Jahres aus dem Kanton Zürich ausgewiesen. Die Ausweisung wurde im "Züricher Polizeianzeiger" vom 26. November 1909 kundgemacht.
Wenig später tauchte er in Davos (Kanton Graubünden) auf. Dort verschickte er "antimilitärische und anarchische Broschüren", die er sich angeblich in Berlin besorgt hatte.
In Anwendung von Artikel 70 der Bundesverfassung wurde Linder schließlich per Beschluß vom 20. Jänner 1911 aus der Schweiz ausgewiesen. Diese Ausweisung wurde im "Schweizer. Polizei-Anzeiger" am 1. Februar 1911 auf der Titelseite - zu dringenden Kenntnisnahme aller staatlicher Überwachungsorgane - veröffentlicht.[4] Die Abschiebung Linders war offensichtlich also keine bloße Routineangelegenheit.
4. Rückkehr nach Österreich-Ungarn, Heirat und Vorarlberger Sekretär der SDAP
In Davos hatte Linder die Witwe Rosa Volland geb. Cadalbert (geb. 27.9.1873, gest. 9.3.1945) kennengelernt. Sie folgte ihm mit fünf ihrer sieben Kinder nach Innsbruck (die beiden ältesten blieben in der Schweiz) und heiratete ihn. Noch im selben Jahr kam Olga zur Welt.[5]
Zu dieser Zeit war er in der Innsbrucker Arbeiterbäckerei beschäftigt. Politisch tat er sich als Versammlungsredner und Genossenschaftsfunktionär hervor und wurde zum Obmann des Tiroler Landesbildungsausschusses gewählt. Er legte während seiner Innsbrucker-Zeit seinen diffusen Anarchismus ab und wandelte sich zum Sozialdemokraten.
Im Sommer 1913 wurden die Vorarlberger Sozialisten auf den begabten Redner aufmerksam. Zum großen Plus Linders zählte auch die Tatsache, daß er Italienisch konnte. Ende 1913 wählte ihn eine in Feldkirch-Levis tagende Vertrauensmännerkonferenz zum Partei- und Gewerkschaftssekretär der Vorarlberger SDAP.
Nach halbjährigem Verhandeln mit der Partei- und Gewerkschaftsleitung in Wien war die Finanzierung der Sekretärsstelle gesichert, und Anton Linder konnte mit seiner großen Familie anfangs 1914 nach Dornbirn übersiedeln. Nach den vorangegangenen innerparteilichen Schwierigkeiten mußte der neue Sekretär eine längere Probezeit durchlaufen. Hermann Leibfried, die "Seele" der Vorarlberger Sozialdemokratie, schrieb am 18. März 1914 an die Reichsparteileitung:
"In der gestrigen Sitzung wurde auch der Genosse Anton Linder als Sekretär definitiv angestellt. Linder bewährt sich gut; er ist rührig, sachlich und sehr eifrig. Nur mit der Bezahlung hapert es. In dieser Krisenzeit, die unsere Partei erschreckend mitnimmt, sind wir nicht im Stande, die 140 Kronen Monatsgehalt aufzubringen nebst den Agitationsauslagen, die sich summieren, weil die Versammlungspropaganda höchst notwendig ist. Bis jetzt haben wir monatlich 20 Kronen von der Vorarlberger Partei draufgezahlt, d.h. nur Schulden gemacht, denn Geld ist ja keines da."[6]
Im Zuge der allgemeinen Mobilmachung wurde Linder Anfang August 1914 zum Militär eingezogen. Für die vielköpfige Familie, die in der Zollgasse lebte, brach eine Zeit der bittersten Not an. Olga Hollenstein, die Tochter Linders, erinnert sich daran, daß ihre Mutter Weinbergsschnecken gezüchtet habe, um den Kindern etwas Fleisch vorsetzen zu können.
Linder kehrte erst nach viereinhalbjähriger Felddienstleistung nach dem Zusammenbruch der Monarchie im November 1918 nach Vorarlberg zurück.
5. Während der Ersten Republik: Ein führender Kopf der Vorarlberger Sozialdemokratie
Nachdem die Agenden der Partei von jenen der Gewerkschaft getrennt worden waren, übernahm Linder die Funktion des Landesparteisekretärs wie auch des Obmannes der Landesexekutive der Gewerkschaften. Durch diese Personalunion wurde Linder zu einem der wichtigsten Vertreter der heimischen SDAP, der des weiteren eine ganze Anzahl von politischen Mandaten bekleidete.
Im Wahljahr 1919 wurde Linder von der SDAP bei den Gemeinderats-, Landtags- und Nationalratswahlen auf sicheren Listenplätzen aufgestellt. Allerdings waren die politischen Machtverhältnisse in Vorarlberg eindeutig: die "bürgerliche Seite" dominierte klar, Sozialdemokrat zu sein bedeutete, einer ausgegrenzten Minderheit anzugehören.
Von den im Lande herrschenden Christlichsozialen wurde auch Linder als zugewandertes "landfremdes Element" betrachtet: Als er sich bei der Staatsregierung in Wien über die Vorarlberger Landesregierung beschwert hatte, weil diese bewaffnete "Volksmilizen"[7] aufgestellt hatte, sagte zu ihm Landeshauptmann Dr. Otto Ender im Landtag ins Gesicht, er sei kein "wahrer Vorarlberger", denn ein solcher hätte sich nie nach Wien gegen die eigene Landesregierung gewandt: "Ein Vorarlberger, der in Vorarlberg geboren und ein Vorarlberger ist, hätte das gefühlt."[8]
5.1. "Bürgerliche" contra "Linke": Linder als sozialistischer Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der heimischen "Rätebewegung"
Die politischen Machtverhältnisse und Gewichte waren in der Ersten Republik in Vorarlberg klar verteilt: Bei den ersten Landtagswahlen am 24. April 1919 (nunmehr durften auch die Frauen wählen) erhielten die Christlichsozialen 63,8 Prozent der Stimmen (22 Mandate), die Sozialdemokraten 18,8 Prozent (5 Mandate). Bei den folgenden Wahlgängen änderte sich größenordnungsmäßig nichts mehr, die Positionen waren bezogen, die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen blieben eine Minderheit, die vom bürgerlichen Lager - mit Landeshauptmann Otto Ender an der Spitze - im Prinzip nicht gefürchtet werden mußte. Und so verhielten sich auch die Christlichsozialen und Großdeutschen der Arbeiterschaft gegenüber.
Für das Bürgertum und die bürgerlichen Parteien waren die "Räte" die Vorboten der "bolschewistischen Revolution", gegen die es sich zu rüsten galt.[9] Dies geschah mit der Gründung der bewaffneten Heimwehren.
Im Gegensatz zu den Organisationen in den anderen Bundesländern verstand sich die Heimwehr/ der "Heimatdienst"(ab 1926) in Vorarlberg nicht als "Staat im Staate", sondern war dem christlichsozialen Landeshauptmann unterstellt. Im "Heimatdienst" arbeiteten die Christlichsozialen mit den Deutschnationalen zusammen. Beide konnten sich von der Niederwerfung der Sozialdemokraten etwas erhoffen: Die christlichsoziale Landesregierung strebte die völlige Kontrolle über die politische und gesellschaftliche Entwicklung an, maßgebliche Teile der deutschnational orientierten Industrie bekämpften die Sozialgesetzgebung und "marxistisches Gedankengut" und unterstützten deshalb den Heimatdienst.
Der sozialdemokratische "Republikanische Schutzbund" war im Land kein gleichwertiger Gegner. Eine Ortsorganisation des Schutzbundes wurde in der größten Stadt Vorarlbergs, in Dornbirn, erst im September 1924 gegründet.[10] Sie umfaßte jedoch nie mehr als 80 bis 100 Mann - rund ein Drittel der Stärke der Heimatwehr. Er war praktisch unbewaffnet und wurde hauptsächlich als Ordnerdienst bei Demonstrationen und Versammlungen eingesetzt. Der Republikanische Schutzbund der Sozialdemokraten war also im Land eine ungenügende Antwort auf die Heimatwehr. Doch damit haben wir vorgegriffen:
In der Umbruchphase von der Monarchie zur Republik formierten sich zu Beginn des Jahres 1919 auch in Vorarlberg Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, die jedoch keine eigenständige Politik machten. Sie waren integraler Bestandteil der SDAP (Beschluß der Landeskonferenz vom 25.3.1919).[11]
Ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit trat die Rätebewegung am Sonntag, dem 9. März 1919, bei der Viehbeschlagnahmungsaktion am Dornbirner Bahnhof:
In der Umbruchphase von der Monarchie zur Republik versuchte ein Teil der Vorarlberger Arbeiterschaft seine Interessen auf der Straße durchzusetzen. Deshalb häuften sich von 1918 bis 1920 Demonstrationen, Arbeitsniederlegungen und Streiks. Die notleidende Bevölkerung - und das war in erster Linie die Arbeiterschaft - protestierte gegen die herrschende soziale Ungerechtigkeit, gegen Behördenwillkür und Unternehmermacht, sowie gegen die vorhandene Unterversorgung mit Lebensmitteln. Die Sozialdemokraten waren in Dornbirn im Stadtrat und im sogenannten "Wirtschaftsrat" vertreten. Die Aktivitäten der "Roten" wurden von den politischen Gegnern mit großem Mißtrauen verfolgt. Für die Turmchronik 1936 entwarf Martin Natter folgendes Bild vom Wirtschaftsrat und den Unruhen unter der Dornbirner Arbeiterschaft:
"Der Gemeindeverwaltung stand ein 'Wirtschaftsrat' zur Seite, eine Kriegseinrichtung, der (sic!) es wohl zumeist recht gut meinen wollen mochte, aber dem Bürgermeister und Leiter der Lebensmittelversorgung oft genug das Leben verbitterte, ja manchmal zur Hölle machte. Dieser W.Rat war stark vertreten durch Abgeordnete aus der Schichte der Arbeiter und Minderbemittelten überhaupt, sodaß es dann an urwüchsigem Radikalismus im 'Protestieren' und 'Fordern' und im 'Bessermachenwollen' nicht fehlte."
Um den "urwüchsigen Radikalismus" der Dornbirner Arbeiterschaft zu dokumentieren, berichtet er jenen Vorfall, bei dem zum erstenmal die Vorarlberger Rätebewegung öffentlich in Erscheinung trat:
"An einem Sonntag Vormittag im Februar 1919 ging die Kunde durch die Stadt, es rolle ein Eisenbahnzug mit Vieh beladen von Bregenz nach Innerösterreich. Es waren gerade die Gottesdienststunden vorbei, viele Männer stunden wie üblich am Marktplatz bei der St. Martinskirche herum; im Nu sammelten sich Hunderte davor und stürmten nach dem Bahnhof und in denselben hinein, der Zug traf eben ein, sie hängten die Viehwagen ab, luden das Vieh aus und es wurde dasselbe in die städtische Markthalle verbracht. Es waren das keine Rebellen - aber von roten Rebellen geführte, aufgehetzte, verbitterte Bauern und notleidende Arbeiter."
Dieser Vorfall ereignete sich am 9. März 1919 - nicht im Februar, wie Natter irrtümlich überliefert. Das für den Transport nach Oberösterreich bestimmte Nutzvieh dürfe wegen des herrschenden Milch- und Fleischmangels nicht ausgeführt werden, wurde gefordert. Bürgermeister Luger sprach von einem Gewaltakt. Arbeiterrat Josef Wehinger und der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Franz Josef Riedmann forderten am Tag nach der "Aktion" die Verteilung des Fleisches der 73 "beschlagnahmten" Kühe an die Dornbirner Bevölkerung. Die Versammlung, die vom "Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat" einberufen worden war, mußte aufgrund des gewaltigen Andrangs - die sozialistische "Wacht" spricht von 4.000 Teilnehmern - vom vorgesehenen Mohrensaal auf den Marktplatz verlegt werden. Bei der Versammlung prallten die Meinungen hart aufeinander. Der Obmann der Sozialdemokraten, der für die Lebensmittelversorgung zuständige Landesrat Fritz Preiß, setzte sich für die Freigabe des Viehs ein, kam aber mit seiner Meinung nicht durch. Schließlich erhielt Anton Linder von der aufgebrachten Menge ein Verhandlungsmandat mit der Landesregierung.
Am 12. März fanden diese Verhandlungen in Bregenz statt. Landeshauptmannstellvertreter Fritz Preiß, Julius Rhomberg und Bürgermeister Luger handelten mit dem "Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat" im Auftrag der Landesviehverkehrskommission einen Kompromiß aus: Bis zum Herbst sollte ohne Zustimmung der Räte kein Vieh mehr ausgeführt werden. Vom beschlagnahmten Transport wurden acht Tiere geschlachtet, der Rest wurde freigegeben.
Dies blieb die einzig größere Aktion der Vorarlberger Rätebewegung. Am 25. März 1919 beschloß dann die SDAP auf ihrer Landeskonferenz in Dornbirn, daß die "Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte" integrierter Bestandteil der Landesorganisation seien. Anton Linder wurde in den Landesausschuß gewählt und Vorsitzender. In der 6. Sitzung des Vorarlberger Landtages am 8. Juli 1919 erklärte Linder, die Arbeiterräte seien nur geschaffen worden, um "dem elementaren Ausbruch des Volkswillens" vorzubeugen und so "größeres Unheil und vielleicht Blutvergießen" zu verhindern.
In seiner Eigenschaft als Arbeiterratsvorsitzender nahm er auch als einziger Verteter Vorarlbergs an der 2. Reichskonferenz der deutschösterreichischen Arbeiterräte in Wien teil (30. Juni bis 3. Juli 1919). Dort wurde er in den 24köpfigen Reichsvollzugsauschuß gewählt.[12]
Der heimische Arbeiterrat entwickelte sich - trotz der objektiven Hemmnisse - nicht zuletzt wegen Linder überraschend gut. An einer Landeskonferenz nahmen in Dornbirn Ende März 1920 fast 100 Räte teil.[13] Als Delegierter Vorarlbergs kam Linder auch zur 3. Reichskonferenz der Arbeiterräte (=1. Tagung des Reichsarbeitsrates vom 31. Mai 1920 bis 2. Juni 1920). Von der Tagung wurde er wieder in den Reichsvollzugsausschuß gewählt.[14] Die 4. Reichskonferenz bzw. 2. Tagung des Reichsarbeitsrates (27. und 28. Mai 1921), die bereits als Abgesang der Rätebewegung gelten kann, wählte Linder in den Reichsvollzugsausschuß und in die Reichswirtschaftskommission.[15] Drei Jahre später wurden die gesamtösterreichischen Arbeiterräte, einst geplant als Nebenparlament, auf dem Salzburger Parteitag der SDAP (am 1. und 2. November 1924), sang- und klanglos aufgelöst.
5.2. Anton Linder: ein sozialdemokratischer "Multifunktionär" und rastloser Agitator
Anton Linder war nicht nur auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene gewählter Vertreter der SDAP, sondern er war auch ein führender Kopf der Gewerkschaftsbewegung.
Die Freien Gewerkschaften waren in der Ersten Republik untrennbar mit der Sozialdemokratischen Partei verbunden. Die enge Verflechtung von Partei und Gewerkschaft zeigt sich bei den Funktionären besonders deutlich. Linder war sowohl Obmann der Landesgewerkschaftskommission als auch Parteisekretär und Abgeordneter. Daraus resultierte eine immense Arbeitsbelastung durch Sitzungen, Konferenzen, Veranstaltungen und durch öffentliche Auftritte. Sie alle an dieser Stelle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses biographischen Abrisses sprengen.[16] Linder hielt Begrüßungsansprachen bei zahlreichen Parteiveranstaltungen, trat bei sozialistischen Nebenorganisationen auf, bei Arbeitervereinen, bei den Arbeitersängern, den Kinderfreunden, bei Arbeiter-Radfahrervereinen oder bei den Arbeiterturnern. Ein Beispiel aus der "Wacht" möge genügen, um diese von Linder geleistete Parteiarbeit zu veranschaulichen:
Auch beim Gruppen-Turnfest der Arbeiterturner im August 1924 (in Dornbirn) hielt Linder die Begrüßungsansprache: "Namens des Arbeiter-Turnvereins Dornbirn sowie der Partei- und Gewerkschaftsorganisation entbot BR. Gen. Linder den Gästen aus St. Gallen, Rorschach, Lindau, Friedrichshafen, Innsbruck und Landeck, wie auch denen aus dem eigenen Lande herzlichen Willkommensgruß und betonte, daß auch die Gruppe der Arbeiterturner Dornbirns bestrebt sei, dem Beispiele der anderen Industriestädte zu folgen und ihren Verein auszubauen."[17]
Die Ämterhäufung innerhalb der SDAP war nicht (nur) dem besonderen Ehrgeiz der führenden Männer zuzuschreiben, sondern sie resultiert aus der materiellen Situation der aus der Arbeiterklasse stammenden Politiker. Denn in der Ersten Republik waren nur sehr wenige politische Positionen ausreichend honoriert. Weder die Partei- noch die Gewerkschaftsfunktionäre waren - bis auf wenige Ausnahmen - bezahlt. Linder als Landesparteisekretär bezog ein Gehalt und mußte deshalb möglichst viel Partei- und Gewerkschaftsarbeit leisten. Allerdings waren die Zuwendungen so gering, daß Linder seine vielköpfige Familie, die seit 1919 im Dornbirner Arbeiterheim (Viehmarktstraße 3) wohnte, nur mehr schlecht als recht versorgen konnte.[18]
Linders Spuren als Versammlungsredner und Agitator lassen sich landauf und landab feststellen. Manfred Stoppel hat in seiner Auswahl-Bibliographie über Linder[19] die entsprechenden Belege gesammelt. Um das Arbeitspensum Linders zu dokumentieren, seien einige Tage herausgegriffen:
24.12.1919 Weihnachtsfamilienabend in Lustenau
28.12.1919: Festredner bei der Christbaumfeier in Lustenau
3.1.1920 Rede im Landtag
4.1.1920 Parteiversammlungen in Lauterach und Hard
6.1.1920 Redner bei einer Textilarbeiter(innen)versammlung in Dornbirn
8.1.1920 Sitzung des Dornbirner Gemeinderates...
Bei den damaligen Verkehrsbedingungen waren Auftritte im Oberland oder im Montafon oder außer Landes (Rätevertreter, Bundesrat!) natürlich besonders anstrengend und zeitraubend, sodaß die Erinnerung von Olga Hollenstein, der Tochter Linders, daß ihr Vater eigentlich nie zuhause gewesen sei, leicht nachvollziehbar ist.
In der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag heißt es dazu:
Neben seinen politischen Funktionen war "der unermüdliche Linder mit dabei, als das genossenschaftliche Warenhaus, die "Gewa" gegründet wurde, war dabei, als es galt, Widerstände gegen die Zentralisation der Konsumvereine zu überwinden und sprang ein, wo es nötig war. Als Landesobmann der Kinderfreunde hatten die Jugendlichen in ihm einen guten Freund und Berater. Als die 'Vorarlberger Wacht' in Schwierigkeiten kam, säumte Linder nicht, zu seinen sonstigen Arbeiten und Funktionen auch noch die Redaktion und Verwaltung des Blattes zu übernehmen, wobei ihm als einzige Hilfskraft eine Tochter zur Seite stand. Den Dornbirner Sozialisten verhalf Linder zu einem Arbeiterheim."[20]
5.3. Das Dornbirner Arbeiterheim: Linders Wohnung und politisches Betätigungsfeld
Die Dornbirner Sozialdemokraten reaktivierten in der Umbruchszeit 1918/1919 den Verein "Arbeiterheim" und kauften um einen Betrag von 70.000 Kronen von der Genossenschaft der "Vereinigten Schreiner" am 27. März 1919 das Haus Viehmarktstraße 3 . Für den Verein Arbeiterheim unterzeichnete Anton Linder den Vertrag, für die Vorbesitzer unterschrieb Engelbert Salzmann.[21]
Anton Linder bezog mit seiner Familie eine Wohnung im Dornbirner Arbeiterheim, das zum Zentrum - nicht nur der Dornbirner - Sozialdemokratie wurde.
Das Vereinsheim war nun tatsächlich der wichtigste Kristallisationspunkt der Vorarlberger Sozialdemokratie, hier liefen die Fäden der heimischen Arbeiterbewegung zusammen. Das Arbeiterheim wurde zum Versammlungsort der Parteigremien, der diversen sozialdemokratischen Vereine, hier trafen sich die sozialistischen Jugendlichen und Frauen, hier wurden von der Arbeiterschaft Feste gefeiert. Das Arbeiterheim war ein zentraler Bildungsort, wo Vorträge gehalten wurden und eine hauseigene Bibliothek zur Verfügung stand. Auch der SDAP nahestehende Vereinigungen erhielten Unterkunft.
Linder, der seine Wohnung und sein Büro im Arbeiterheim hatte, war schon aus diesem Grund in die diversen sozialdemokratischen Vereinsveranstaltungen und -versammlungen, die in diesem Hause stattfanden, involviert.
5.4. Linders Einsatz für den "neuen Menschen": "Kinderfreund" und Gründungsmitglied "Der Flamme"
Die österreichische Sozialdemokratie hatte ein klares programmatisches Ziel: Sie wollte das kapitalistische System überwinden, sie wollte den einzelnen Menschen ändern, um so die Gesellschaft zu ändern, sie wollte den Geist revolutionieren um auf der Basis des Sozialismus eine bessere Gesellschaftsordnung verwirklichen zu können. Die Erziehung des "neuen Menschen" sollte in einer sozialistischen Gegengesellschaft erfolgen, die den Menschen "von der Wiege bis zur Bahre" erfaßte - von den "Kinderfreunden" bis zum Feuerbestattungsverein "Die Flamme".
Anton Linder gehörte beiden Organisationen, die Abwehrreflexe bei der bürgerlichen Seite hervorriefen, an. Wie kleinlich die Behörden zum Beispiel bei Veranstaltungen der "Kinderfreunde" oft waren, zeigt das Verbot eines Lichtbildervortrages von "Max und Moritz" im Arbeiterheim:
"Böses gewollt und Gutes gestiftet. Hunderte Kinder eilten Sonntag ins Arbeiterheim, um Max und Moritz zu sehen. Da jedoch der Lichtbildervortrag verboten wurde und unsere Kinderfreunde nicht wollten, daß die Kinder wegen eines vormärzlichen Verbotes eine Enttäuschung erleben sollten, so boten sie alles auf, um den so zahlreich herbeigeeilten Kindern Ersatz zu bieten. Nachdem Bundesrat Gen. Linder in launigen Worten den Kindern und Eltern vom Verbote Kenntnis gegeben hatte, ging es unter der Führung der Kinderfreunde-Amtswalter an Spiel und Reigen ..."[22]
Im Oktober 1925 wurde im Arbeiterheim eine Dornbirner Ortsgruppe des Arbeiter-Feuerbestattungsvereins "Die Flamme" ins Leben gerufen. Zum 1. Obmann wurde Anton Linder gewählt.[23] 1928 zählte der Verein "Flamme" in Vorarlberg rund 100 Mitglieder.[24] Mit der Feuerbestattung erfolgte eine besonders deutliche Ab- und Ausgrenzung aus dem katholischen Umfeld und deshalb waren die Mitglieder der "Flamme" eine besondere Zielscheibe für Attacken der Christlichsozialen. Sich verbrennen zu lassen, galt als Zeichen der Freigeisterei, und Freidenker waren der behördlichen Repression ausgesetzt.
Die Freidenkerversammlungen waren ein besonderer Dorn im Auge der christlichsozialen Politiker und der katholischen Kirche. Am 16. August 1926 erhielt die Auseinandersetzung um die Freidenker-Versammlungen eine neue Qualität[25]:
In der Mohrenhalle fand eine Freidenkerversammlung statt, bei der der ehemalige Priester Anton Krenn die kirchlichen Institutionen scharf angriff. Daraufhin entstand eine regelrechte Saalschlacht, bei der es auch Verletzte gab. Militante Katholiken, die sich in ihrem religiösen Gefühl verletzt sahen, prügelten sich mit den Saalordnern, bis die Freidenkerversammlung von der Gendarmerie aufgelöst wurde. Anton Linder lud hierauf die Interessenten in das sozialistische Arbeiterheim zur weiteren Diskussion ein. Die Vorarlberger Landesregierung unter Dr. Otto Ender, der die Freidenker als "Unglück für das Volk" bezeichnete, löste die geistige Auseinandersetzung auf ihre Art: Sie verbot Freidenkerversammlungen. Das "Volksblatt" stellte dazu unmißverständlich fest:
"Die Freidenker und Herr Krenn mögen sich aber merken, daß es im 'schwarzen' Vorarlberg nicht angeht, ungestraft das Heilige in den Kot zu ziehen und daß wir uns einfach nicht gefallen lassen, uns wegen des Glaubens als Tölpel hinzustellen."[26]
Anton Linder vermutete in der "Wacht", daß die Sprengung der Versammlung inszeniert war, um den Behörden einen Vorwand für das Verbot von Freidenkerversammlungen zu liefern.[27]
6. Untergang der Demokratie und Linders Flucht in die Schweiz
Am 15. Juli 1927 brannte in Wien der Justizpalast, und der Polizeieinsatz führte zur Tötung von circa hundert Menschen. Als am 16. Juli auch in Vorarlberg der von den Sozialisten angestrebte Verkehrsstreik begann, war die Landesregierung gut darauf vorbereitet, und noch vor dem offiziellen Streikende verkehrten hier wieder die Züge, die teilweise von Heimwehrleuten geführt wurden. Am Sonntag, den 17. Juli, wurden nur noch die Postämter in Bregenz und in Dornbirn bestreikt.
Die repressive Vorgangsweise der Landesregierung und des Beamtenapparates versetzte dem an sich nicht großen Selbstbewußtsein der sozialdemokratischen Arbeiter einen weiteren schweren Schlag. Landeshauptmann Otto Ender und der Obmann des Landesbauernbundes, der nachmalige Landeshauptmann Ulrich Ilg, forderten als Antwort auf die Ereignisse dieses Tages: ein Demonstrations- und Versammlungsverbot, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes. Damit war der Weg der christlichsozialen Politik vorgezeichnet, der autoritäre Kurs der Jahre 1933/34 vorgegeben. Jene Christlichsozialen, die einen demokratischen Weg verfolgen wollten, blieben in der Minderheit: Die Gedanken Jodok Finks oder Prälat Drexels konnten innerhalb der Partei keine Mehrheit mehr finden.
Noch einmal gelang es jedoch den niederlagegewohnten Sozialdemokraten, eine Großkundgebung zu organisieren und ein kräftiges Lebenszeichen von sich zugeben: bei der "Republikanischen Kundgebung" am 29. September 1929 in Dornbirn. Die eigenen Mitglieder sollten Mut fassen, dem politischen Gegner sollte bewiesen werden, daß mit den Sozialdemokraten im Lande doch noch zu rechnen war. Die Kundgebungsteilnehmer traten für die Erhaltung der Demokratie ein und protestierten gegen den autoritären Kurs der Heimwehren. Zur Demonstration hatte die Landesexekutive der Freien Gewerkschaften und die Landesparteivertretung der Sozialdemokratischen Partei aufgerufen:
"Arbeiter, Genossen und Genossinnen beteiligt euch in Massen an dieser Kundgebung, zeigt, daß ihr gesonnen seid, einzutreten für die Republik und für die Demokratie."
Um 14 Uhr sammelten sich die Teilnehmer bei der Viehmarkthalle. An der Spitze marschierten die Arbeiter-Radfahrvereine, gefolgt von den Trommler- und Pfeiferkorps und dem Wehrzug der Turner. Es folgte eine uniformierte Abteilung des Republikanischen Schutzbundes, die Eisenbahnermusik Bregenz, die Eisenbahn- und Telegraphenordner und eine weitere Schutzbundabteilung. Somit waren an der Zugspitze die paramilitärischen Formationen konzentriert. Die weitere Zugfolge bestand aus der Stadtmusik Dornbirn, aus Sängern und Sängerinnen, Jugendlichen, der Bezirksgruppe des Organisationsbezirkes Bregenz, dem Harmonie-Musikverein "Sonnenberg" Nüziders und den "Bezirksgruppen" Bludenz und Feldkirch. Am Schluß marschierten die Angehörigen des Bezirkes Dornbirn.
Auf dem Rathausplatz fand die große Schlußkundgebung mit folgendem Programm statt:
1. Bundeshymne. Stadtmusik Dornbirn
2. Begrüßungsansprache durch Bundesrat "Genosse Linder"
3. 'Lord Foleson', Männerchor, Gau der Arbeitergesangsvereine Vorarlbergs
4. Gegen den Bürgerkrieg, für die Demokratie, Ansprache des Nationalrates Abram
4. Die Internationale. Stadtmusik Dornbirn
6. Schlußansprache von Landtagsabgeordneten Bertsch
7. Lied der Arbeit. Massenchor und Harmonie-Musikverein Sonnenberg, Nüziders.
Obwohl die SDAP landesweit nur 3.158 Mitglieder zählte, nahmen an der Demonstration rund 3.000 Personen teil. Damit war den Sozialdemokraten noch einmal eine große Mobilisierung gelungen - zum letzten Mal in der Ersten Republik.
Das Prinzip Hoffnung regierte, noch hofften die Sozialisten auf die verstärkte Gunst der Wähler und Wählerinnen, setzten auf die Macht der Urne. Doch die Behinderung der sozialistischen Wahlwerbung war jedoch nicht außergewöhnlich. Plakattafeln der Sozialisten galten als bevorzugtes Ziel der Zerstörungswut, sie wurden mit Vorliebe vernichtet und überklebt - oder sie durften gar nicht erst angebracht werden, selbst nicht am Arbeiterheim in Dornbirn. So verfügte Bürgermeister Engelbert Luger im Oktober 1923, daß die vier sozialistischen Plakattafeln von den Hausbesitzern schleunigst zu entfernen seien. "Eine solche Aufforderung erging auch an den Gen. Cerkl als Obmann des Vereines Arbeiterheim, da selbstverständlich auch das Parteihaus mit allen erschienen Wahlplakaten verschönert wurde."[28] Anton Linder und Josef Cerkl pilgerten hierauf zum Bürgermeister, um Protest einzulegen - mit einem Teilerfolg: "Bezüglich der am Arbeiterheim angebrachten Plakate mußte auch der Stadtrat entscheiden, daß die Gemeinde kein Recht habe, die Entfernung zu verlangen."
Bald erübrigten sich solche Bittgänge.
Zu Beginn der dreißiger Jahre standen die Sozialdemokraten mit dem Rücken zur Wand. Einerseits wurden die Nationalsozialisten immer stärker und aggressiver, andererseits beschritt die christlichsoziale Regierung Dollfuß mit Unterstützung der Heimwehren - ein Teil geriet jedoch immer mehr ins nationalsozialistische Fahrwasser - den Weg in die Diktatur.
Anfangs Juni 1932 brachte Linder in der Dornbirner Stadtvertretung die Bereitstellung von städtischen Schulgebäuden für Heimwehrzwecke zur Sprache. Er teilte mit, daß sich die sozialdemokratische Partei veranlaßt gesehen habe, am 19. April bei der Staatsanwaltschaft Anzeige zu erstatten, weil sich in der Knabenschule Markt ein Waffenlager sowie eine Munitionsdepot der Heimwehr befinde. Er teilte weiter mit, daß im Turnsaal der Schule regelmäßig Exerzierübungen abgehalten wurden. Im Disput mit dem Fabrikanten Hermann Rhomberg[29] sagte Linder:
"Die Herren Fabrikanten, die so viel Geld in die Heimwehr hineingesteckt haben, die mögen, wenn sie Waffendepots für ihre Heimwehr brauchen, halt noch tiefer in die Tasche greifen. Persönlich halte er die Aufrüstung für ein Unglück, wenn sie aber trotzdem da ist, so sollen auch jene, die sie haben wollen, die Kosten dafür hiefür bezahlen. Auf keinen Fall dürfen Schullokale diesen Zwecken dienlich gemacht werden."[30]
Die bürgerliche Zweckallianz hielt bis zum Jahre 1933. Im Mai dieses Jahres traten die Mitglieder der NSDAP aus dem Heimatdienst aus, und damit war der Bruch zwischen den "Heimattreuen" und den Nationalsozialisten endgültig geworden. Unmittelbarer Anlaß dafür dürfte gewesen sein, daß der von den Nationalsozialisten gehaßte Anton Ulmer als Landesführer des Heimatdienstes eingesetzt wurde.[31]
Nach der sogenannten "Selbstausschaltung des Parlaments" am 4. März 1933 errichtete die christlichsoziale Regierung Dollfuß eine Notverordnungsdiktatur und ging daran, den austrofaschistischen "Ständestaat" aufzubauen.
Im "Austrofaschismus", dieser Synthese aus politischem Katholizismus und Heimwehrfaschismus, trafen sich ideologische Vorstellungen christlich-konservativer Herkunft mit dem radikalen Antimarxismus und Antibolschewismus der Heimwehren. Die Zerstörung der parlamentarisch-demokratischen Ordnungsprinzipien, die Zerschlagung der autonomen Arbeiterbewegung, ein fundamentaler Antiliberalismus und die Übernahme von Staatsvorstellungen, wie sie in der päpstlichen Enzyklika "Quadragesimo anno" vorgegeben waren, bildeten die Eckpfeiler jenes "Ständestaates", der einen Kreuzzug gegen den "modernen Unglauben" zu führen vorgab. Der politische Katholizismus war der ideologische Hauptträger des Austrofaschismus, die "Vaterländische Front" jene Massenorganisation, die den Kampf um eine "christliche, ständische Ordnung" anführen sollte.
Über die theoretische Einordnung des Regimes von 1934 bis 1938 wird in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung heiß gestritten. War es nun "autoritär" oder "faschistisch"? Die Einordnung wird nicht zuletzt durch ein ganzes Bündel von Widersprüchen und gegenläufigen Tendenzen in der Dollfuß-Schuschnigg-Dikatur erschwert.[32]
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Ära verbreiteten führende Vertreter des autoritären-austrofaschistischen Dollfuß-Systems, wie der Verfassungsminister, Altbundeskanzler und Altlandeshauptmann Dr. Otto Ender oder der ehemalige Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft Ulrich Ilg, den Mythos von der "anderen Demokratie". Für sie war jenes Herrschaftsmodell, das 1933 die Erste Republik funktionell ("Selbstausschaltung des Parlaments") und 1934 formell (neue "ständische" Mai-Verfassung[33]) außer Kraft setzte, trotz allem "demokratisch" - und als Barriere gegen den Nationalsozialismus moralisch legitimiert.
Dieser "Ständestaat" verfolgte jedoch politische Gegner, zerstörte Existenzen, verbot kommunistische, sozialistische und nationalsozialistische Organisationen und kassierte deren Vermögen, zerschlug die Gewerkschaften, schränkte das Streikrecht ein, löste die Landtage auf, sistierte andere demokratische Rechte, führte die Todesstrafe wieder ein, unterdrückte Nichtkatholiken und "Nonkonformisten". Davon wurde nach 1945 in Vorarlberg lange Zeit nicht gesprochen.[34]
Der "Ständestaat" griff auch tief ins Leben von Anton Linder ein. Am 15. März 1933 wurden im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung sozialdemokratische Parteilokale, Konsumgeschäfte sowie Privatwohnungen von führenden Funktionären nach Waffen durchsucht. Natürlich traf diese Maßnahmen auch das Dornbirner Arbeiterheim. An diesem Tag setzte sich Vereinsobmann, Bundesrat und Landtagsabgeordnete Anton Linder an seine Schreibmaschine und richtete zwei bis auf die Anrede wortidente Briefe an den Präsidenten des Vorarlberger Landtages sowie an den Vorsitzenden des Bundesrates:
"Sehr geehrter Herr Vorsitzender!
Anläßlich einer am heutigen Tage im Arbeiterheim Dornbirn durchgeführten Waffensuche haben Gendarmeriebeamte in meiner Kanzlei meinen Schreibtisch durchsucht und auch eine Durchsuchung meiner Privatwohnung vorgenommen. Über mich selbst wurde auf die Dauer der Durchsuchung, die ca. 2 Stunden andauerte, Schutzhaft verhängt und mir das Telefonieren untersagt.
Da der Vorgang eine krasse Verletzung meiner Immunität darstellt, melde ich diese Immunitätsverletzung an und bitte Sie, sehr geehrter Herr Vorsitzender, das Nötige veranlassen zu wollen.
Hochachtend
Linders Protest war vergeblich, war doch die Durchsuchung auf Anordnung von Landeshauptmann Otto Ender vorgenommen worden. In einem Antwortschreiben rechtfertigte dieser das Vorgehen der Gendarmerie- und Militäreinheiten bei der Durchsuchung der sozialdemokratischen Parteilokale.[36]
Die Leitung der Aktion im Arbeiterheim Dornbirn oblag Dr. Rudolf Kopf, dem späteren NS-Landesstatthalter. Nach seiner Aussage habe er erst knapp vor der Aktion erfahren, daß er auch in Linders Wohnung, die sich im Arbeiterheim-Haus befand, nach Waffen suchen solle. Daß er dabei den Bundesrat und Landtagsabgeordneten "unter Schutzhaft" stellte, trug ihm später eine Rüge des Landeshauptmanns ein. Er mußte sich belehren lassen, daß es diesen Terminus im österreichischen Recht nicht gebe, daß er in der Sache zwar richtig gehandelt, jedoch einen falschen - wohl aus dem nationalsozialistischen Deutschland stammenden - Ausdruck verwendet habe.
Kopf untersuchte gründlich - und wurde scheinbar fündig: Unter dem Divan im Wohnzimmer entdeckte er drei geladene Kleinkalibergewehre, für die Linder allerdings eine Genehmigung besaß und die deshalb zu Unrecht beschlagnahmt wurden. Auch an keinem anderen Ort wurde kriegstaugliches Material gefunden.
Enders Antwortschreiben an Linder offenbarte einmal mehr, daß der christlichsoziale Landeshauptmann und Ex-Kanzler (1930/31) nun jene Pläne verwirklichen konnte, die er am 1. Mai 1933 beim Parteitag angekündigt hatte:
"Wenn heute endlich die Zeit gekommen ist, wo das Volk verdorbenen Parlamentarismus und leere Strohdrescherei satt hat, dann ist eben der Tag, um unseren Parlamentarismus umzubauen...
Alles ruft heute nach Autorität, nach Führung. Das ist gut so. Liberalismus und Marxismus haben uns Autoritätslosigkeit genug beschert. Jetzt kommt die katholische Auffassung wieder zur Geltung, der das Autoritätsprinzip wesenseigen ist."[37]
Als Verfassungsminister der Regierung Dollfuß hatte Ender die "Mai-Verfassung 1934" maßgeblich geprägt und mitzuverantworten. Nunmehr ging die Macht nicht mehr vom Volke, sondern vom "Allmächtigen" aus, Österreich war keine "demokratische Republik" mehr. Die Grundprinzipien der Verfassung des Bundesstaates Österreich lauteten "christlich-ständisch-autoritär". Das christliche Prinzip fand schon in der Präambel seinen Niederschlag, in der es hieß: "Im Namen Gottes des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.
Bundeskanzler Dollfuß regierte weitgehend mit dem Segen der katholischen Obrigkeit. Das Bestreben, das öffentliche Leben zu rekatholisieren, stieß allerdings zwangsläufig auf Widerstand der linken und rechten Laizisten. Hauptproblem des "Ständestaates" war, daß seine religiös motivierte Ideologie in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft ohne Massenbasis bleiben mußte.
Doch damit haben wir zeitlich vorgegriffen: In den Jahren 1932 und 1933 hatten sich die Sozialdemokraten nicht nur mit dem Heimatdienst, der Vorarlberger Spielart der Heimwehr, und dem autoritären Kurs der Christlichsozialen auseinanderzusetzen, sondern auch mit dem immer aggressiver werdenden Nationalsozialismus. Diese Auseinandersetzung verlief zunehmend gewalttätiger. Bereits am 5. August 1932 kam es in der Mohrenhalle in Dornbirn zu einer großen Schlägerei mit heimischen Nationalsozialisten.[38]
Die Gewaltanwendung erreichte im folgenden Jahr eine neue Qualität, nachdem die Vorarlberger Sozialdemokratie geschlagen war - am 31. März 1933 wurde der Republikanische Schutzbund sang- und klanglos aufgelöst - und die Christlichsozialen ihr im Aufbau befindliches autoritäres System gegen die Nationalsozialisten verteidigen mußten. Eine Terrorwelle mit zahlreichen Sprengstoffattentaten überschwemmte das Land, dabei kamen auch Menschen um.[39] Dornbirn, "das braune Nest", war ein Hauptort dieser nationalsozialistischen Gewaltakte.[40]
6.1. NS-Sprengstoffanschlag auf das Arbeiterheim, die Heimstätte Linders
Mitte des Jahres 1933 wurde der Machtkampf zwischen der NSDAP und der Vaterländischen Front immer erbitterter. Die Regierung Dollfuß hob in der Folge das Streikrecht, die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit praktisch auf. Am 26. Mai 1933 wurde die Kommunistische Partei verboten, am 19. Juni die NSDAP.[41]
Nach dem Verbot der NSDAP griffen die "Illegalen" vermehrt zur Gewalt. Einen Höhepunkt brachten die Tage vom 7. bis 9. November 1933. Davon blieb auch das Dornbirner Arbeiterheim nicht verschont. Am 8. November wurde um 2 Uhr 45 ein Sprengstoffattentat auf den Wandkasten verübt, das beträchtlichen Sachschaden verursachte:
"Die Wirkung war außerordentlich stark. Einzelne Teile des Kastens wurden bis auf 20 Meter Entfernung geschleudert, in der im zweiten Stock gelegenen Wohnung des Genossen Pazout wurden sieben Fenster zertrümmert. Im ersten Stock gingen ein Kanzleifenster sowie das Schlafzimmerfenster in der Wohnung des gen. Linder in Trümmer. Am schlimmsten war die Wirkung ebenerdig. Das Glasdach über dem Eingang wurde zertrümmert, an der Wand wurde an einer Stelle der Verputz bis auf die Ziegel weggerissen, die großen Fenster des Lesezimmers, dann ein Fenster im Gastzimmer, ebenso die Kellerfenster gingen in Scherben. Da weder das Vordach über dem Eingang noch die Fenster im zweiten Stock und auch der Wandkasten nicht verschont waren, so ist durch die Versicherung der Schaden nur zum Teil gedeckt. Man nimmt an, daß die Explosion mit Dynamon verursacht wurde. Der größte Teil der Bevölkerung verurteilt den Anschlag entschieden, was jedoch die Nazi nicht hindert, ihre verbrecherische Tätigkeit fortzusetzen. Schon am Abend und in der Nacht nach dem Anschlag bei unserem Arbeiterheim gab es in unserer Stadt wieder einige Explosionen, wobei diesmal wieder Papierböller zur Verwendung kamen. Dadurch wurden im Rathaus und in der Volksschule Haselstauden abermals zahlreiche Fensterscheiben zertrümmert. Außerdem sah man am Mittwoch abend gleich an vier Stellen Hakenkreuze leuchten. Trotzdem ein starker Patrouillendienst eingerichtet wurde, war es nicht möglich, die Täter bei der Tat zu fassen."[42] Zwar wurden einige Verhaftungen vorgenommen und die Polizeistunde für bekannte NS-Gasthäuser auf 19 Uhr festgesetzt, doch gegen die Hintermänner und Drahtzieher wagten die Behörden kaum vorzugehen. Denn wer hinter der NSDAP stand, war in Dornbirn ein offenes Geheimnis: Einflußreiche Textilfabrikanten finanzierten die Partei und übten aufgrund ihrer ökonomischen Macht politischen Druck aus.[43]
6.2. Februar 1934: Linder verläßt das Land
Der Zweifrontenkrieg der Dollfuß-Regierung führte im Februar 1934 zum Bürgerkrieg und zur Zerschlagung der SDAP. Sie wurde verboten, ihre Organisationen wurden aufgelöst, das Parteivermögen beschlagnahmt. Anton Linder und viele andere Funktionäre wurden verhaftet, obwohl es in Vorarlberg zu keiner bewaffneten Gegenwehr gekommen war, die Mächtigen im Lande saßen so fest im Sattel, daß nicht einmal das Standrecht ausgerufen werden mußte.
Die Vorarlberger Parteileitung der SDAP wurde vom bewaffneten Aufstand eines Teils des Republikanischen Schutzbundes völlig überrascht. Gegen Mittag des 12. Februars 1934 erhielt Linder, der auch Landesleiter des "Republikanischen Schutzbundes" war, Anweisungen aus Wien bezüglich des Generalstreiks.[44] Kurze Zeit später wurde das Dornbirner Arbeiterheim, in dem der Vereinsobmann sein Büro hatte und in dem er auch wohnte, durchsucht.[45] Der führende sozialdemokratische Politiker wurde verhaftet, ins Polizeigefängnis eingeliefert und noch am gleichen Tag nach Bregenz überstellt. Dort unterzeichnete er unter Druck eine Erklärung, daß er nichts gegen die Dollfuß Regierung unternehmen werde. Das Ansinnen, aus der SDAP auszutreten, lehnte er mit dem Argument ab, daß er nicht aus einer Partei austreten könne, die aufgelöst sei. Um Mitternacht wurde er - wie Gewerkschaftssekretär Anton Schlüter - wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Freiheit währte jedoch nicht lange: Am 15. Februar wurde er - wie an die dreißig andere Gesinnungsgenossen - erneut für zwei Tage inhaftiert. In der Haft ließ er sich - sehr wahrscheinlich zusammen mit dem Landesvorsitzenden der Sozialdemokraten Wilhelm Sieß - unter Druck setzen[46]: Auf Drängen des Sicherheitsdirektors Ludwig Bechinie gab er in der Folge eine weitergehende "Loyalitätserklärung" ab.[47]
Die Sozialdemokraten waren in die Illegalität verwiesen, ihre politischen Mandate waren verfallen, die sozialdemokratischen Vereine von den christlich-sozialen-austrofaschistischen Machthabern aufgelöst worden, die Freien Gewerkschaften verboten, die "Vorarlberger Wacht" gleichgeschaltet.
Landesparteisekretär Linder verhandelte in diesen Februartagen mit Dr. Otto Ender, im Glauben, seinen verfolgten Genossen helfen zu können. Jahre später erklärte er seine damalige Handlungsweise folgendermaßen:
"Nun das erklärt sich zum Teil aus den Verhältnissen im Lande Vorarlberg selbst. Die Gegensätze waren dort zwischen der Sozialdemokratie und den Christlichsozialen nie so groß wie in Innerösterreich. Dadurch, daß Dr. Ender selbst an den Verhandlungen teilnahm, wurde den Verhandlungen von vornhinein die Schärfe genommen. Die Schwäche der eigenen Partei im Lande, dazu die Überzeugung, daß der Kampf in Innerösterreich mit einer schweren Niederlage enden werde und es nun Aufgabe sein werde, durch bestehende Verbindungen mit Dr. Ender und dem vernünftigeren Teil der Christlichsozialen den gerichtlich Verfolgten zu helfen, waren ebenfalls mitbestimmend. Schließlich sagte ich mir, für die anderen war die bestehende Verfassung ein Fetzen Papier, soll ich wegen einer Erklärung, abgegeben nach der Auflösung der Partei, der Möglichkeit begeben, noch zu retten, was etwa rettbar ist?"[48]
Anton Linder konnte nicht mehr retten, was nicht mehr zu retten war. Bis er jedoch zu dieser Einsicht gelangte, dauerte es fast zwei Wochen. Linder wurde am 22. Februar zum Dornbirner Stadtsekretär Ludwig Rinderer zitiert. Dieser eröffnete ihm, daß er [nach der Auflösung des demokratisch gewählten Gemeinderates] zum "politischen Kommissär" bestellt werde. In weiterer Folge machte er Linder das Angebot, in einem "Beirat", der ihm zur Seite gestellt werde, mitzuarbeiten. Voll "Ekel in der Seele" habe er - so berichtet Linder - den Stadtsekretär verlassen, um sich mit seinen Freunden zu beraten.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte Linder, daß er nur noch ein Spielball der konservativen Seite war. Er entschloß sich auch deshalb schließlich zur Emigration in die Schweiz. Dieser Entscheidung sei - so Linder - der Gedanke an Selbstmord vorausgegangen. Während seine Parteifreunde Winkler, Schlüter und Knecht seine "Loyalitätserklärung", die auch den Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei beinhaltete, berieten, habe er sein Schlafzimmer aufgesucht, um "der Schande durch den Freitod zu entfliehen". Nur das Dazwischentreten einer Tochter habe ihn an diesem Ausweg gehindert. Sein Ansinnen, zu diesem Zeitpunkt in die Emigration zu gehen, sei von den Gesinnungsgenossen zurückgewiesen worden, da sie der Ansicht waren, man müsse das Rinderer-Angebot annehmen. Trotzdem habe er tags darauf dann - so heißt es in dem von ihm verfaßten Rechenschaftsbericht - illegal die schweizerische Grenze überschritten.
Von der Schweiz aus habe er noch am Fluchttag vergeblich zu verhindern versucht, daß am folgenden Tag in der gleichgeschalteten "Wacht" ein von ihm unterzeichneter Aufruf erscheint, in dem er die Arbeiter aufforderte, die Waffen und die Munition abzugeben, und in dem er anklingen ließ, daß es für die Arbeiter und Angestellten möglich sei, auch im "Ständestaat" ihre Interessen zu wahren:
"Tief ergriffen beugen wir uns vor den vielen Opfern, wir gedenken der Toten und Verwundeten, der Witwen und Waisen und wir fragen uns tief erschüttert, ob dieses schreckliche Blutvergießen der Sinn und der Zweck unserer jahrzehntelangen Arbeit war. Nein und abermals nein, die sinn- und zwecklose Katastrophe, die kann niemand verstehen und sie ist auch nicht zu verantworten. Für uns, die wir Besonnenheit genug hatten, um ein im vorhinein zum Scheitern verurteiltes Abenteuer nicht mitzumachen, gilt es nun, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen und uns loszusagen von Handlungen und Gedanken, die nur zu einer neuerlichen und abermals nutzlosen Katastrophe führen müssen. Wer von euch Waffen und Munition besitzt, der benütze die bis zum 25. Februar gewährte Frist und führe die Waffen ab!
Bewahrt Ruhe und Besonnenheit, hütet euch vor den Aposteln der braunen Barbarei, die euch nur in neues und größeres Unglück führen wollen, vertraut der neuen Zeit, vertraut mir als eurem Führer, der ich, meiner schweren Verantwortung bewußt, euch nur zum Besten rate!
So wie es möglich war, euer Blatt, die "Vorarlberger Wacht", nun wieder erscheinen zu lassen, so wird es auch möglich werden, in neuen, wahrscheinlich ständischen Formen die Interessen der Arbeiter und Angestellten unseres Landes wahrzunehmen...".[49]
Linders Verhalten in diesen Februartagen war sehr widersprüchlich. Hatte er noch kurze Zeit vorher bei einem Waffenappell des Schutzbundes im Dornbirner Arbeiterheim von Widerstand gesprochen und sogar Waffen ausgegeben, so zeigte er sich nach dem für die Sozialdemokratie entscheidenden Tag anpassungswillig. Seine Kehrtwendung war für einen Teil der Genossen jedenfalls nicht nachvollziehbar und belastete in der Folge sein Verhältnis zu den in der Illegalität in Vorarlberg arbeitenden Sozialdemokraten aufs schwerste. So wurde ihm in der im Unterland herausgegebenen illegalen Zeitschrift "Der Kämpfer" in der Nr. 4 vom Mai 1934 vorgeworfen, er habe in der entscheidenden Stunde "jämmerlich versagt".
Als über Fünfzigjähriger verließ Linder seine Heimat und Familie und suchte um Aufnahme in jenem Land an, das ihn vor über zwanzig Jahren polizeilich "vermessen" und "abgeschafft" hatte. Als junger "Revolutionär" und später als angesehener Arbeitervertreter hatte Linder in der Schweiz verschiedenste Kontakte geknüpft und Bekanntschaft mit Leuten geschlossen, von denen er sich nunmehr Hilfe erhoffen durfte. Außerdem lebte seine Stieftochter Anna Cadalbert, die mit Kondukteur Emil Lüchinger verheiratet war, in Zürich (Hochstraße 105). Bei ihr wollte er unterkommen.[50]
7. Die Anerkennung Linders als "politischer Flüchtling"
Die Asylgewährung wurde in der Schweiz am 25. Oktober 1925 verfassungsmäßig geregelt. Am 1. Januar 1934 wurde die alte Verordnung über die Kontrolle der Ausländer aus dem Jahre 1921 neu gefaßt. Nach wie vor konnten Kantone nach eigenem Ermessen nichterwerbstätigen Ausländern/innen, die im Besitze gültiger Papiere waren, Aufenthaltsbewilligungen bis zu zwei Jahren erteilen, fehlten die Papiere, so konnte der Kanton nur eine Toleranzbewilligung ausstellen. Allerdings stand der im Jahre 1919 gegründeten Eidgenössischen Zentralstelle für Fremdenpolizei ein Einspruchsrecht zu. Ausländer/innen, die keine gültige Bewilligung besaßen, konnten jederzeit "abgeschafft" werden. War eine Abschiebung über die Grenze undurchführbar, so konnte eine bis zu zwei Jahren dauernde Internierung ausgesprochen werden.[51]
Linder versuchte trotz der Ausweisung von 1911 eine Toleranzbewilligung zu erhalten. Sein wichtigster Fürsprecher war dabei der sozialdemokratische Nationalratspräsident Dr. Johannes Huber, der in St. Gallen eine Anwaltskanzlei unterhielt.
Am 14. April 1934 - Linder befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Mühlhausen - richtete Huber an die Bundesanwaltschaft Bern das Ansuchen, Linder als politischen Flüchtling anzuerkennen und die seinerzeitige Landesverweisung zu suspendieren. Linder sei in Österreich aus politischen Gründen so unter Druck geraten, daß "ihm nur noch zwei Möglichkeiten gegeben schienen: entweder aus dem Leben zu scheiden oder als politischer Flüchtling das Land zu verlassen."[52]
Über Linder wurden nun auf Veranlassung des Bundesanwaltes eingehende Erkundigungen eingeholt. Niemand geringer als Hauptmann Paul Grüninger[53], Angehöriger des Polizeikommandos des Kantons St. Gallen, machte sich auf den Weg nach Vorarlberg, um Auskünfte über Anton Linder einzuholen.
Der Bericht Grüningers zeigt, daß Linders Haltung in den Februartagen sehr unterschiedlich aufgenommen wurde. Während die sozialdemokratische Basis die Rolle des Parteiführers verurteilte, hatte der Flüchtling bei der Landesregierung eine gute Nachrede.
Grüninger berichtete nach Bern, daß verschiedene Arbeiter, die er auf der Straße und in Restaurants befragt habe, Linder " kurzerhand als 'Lump', 'Schuft' und 'Arbeiterverräter'" bezeichnet hätten. Die Mißstimmung gegen den Flüchtigen sei darauf zurückzuführen, daß er beschuldigt werde, sich "im kritischen Augenblicke vor dem Zusammenbruch der österreichischen Sozialdemokratie zur Vaterländischen Front bekannt [zu haben]."
Besonders der sozialdemokratische Stadtrat Johann Sepp und der Sekretär der Freigewerkschafter, Anton Schlüter, verurteilten das Verhalten Linders aufs schärfste. Sie seien, "wie übrigens fast alle Sozialdemokraten in Dornbirn, der Ansicht, Linder sei aus Furcht vor der Rache der Arbeiterschaft aus Österreich geflohen."[54]
Während die zurückgebliebenen Gesinnungsgenossen also Linder kein gutes Zeugnis ausstellten - so wurde ihm auch nachgesagt, die Parteikassabücher seien "ungenau und mangelhaft" geführt worden -, erhielt Grüninger von den befragten Christlichsozialen durchwegs positive Auskünfte. Der deutschnationalen Stadtrat Eugen Thurnher erklärte hingegen Grüninger, Linder "sei mehr kommunistischer als sozialdemokratischer Richtung gewesen und als 'gefährlich' anzusehen." Allgemein herrsche - so Grüninger - die Ansicht vor, Linder hätte "keinen Grund, seiner politischen Einstellung wegen das Land Vorarlberg fluchtartig zu verlassen, es sei denn, daß er die Strafverfolgung von Wien aus wegen Hochverrats befürchte."
Grüninger empfahl der Bundesanwaltschaft aufgrund seiner Ermittlungen, Linder dennoch vorübergehend den Aufenthalt in der Schweiz zu erlauben, sofern er sich jeder politischen Tätigkeit enthalte. Diese Mitteilungen führten dazu, daß Hubers Gesuch vom Justiz- und Polizeidepartement unterstützt und schließlich vom Bundesrat angenommen wurde. Allerdings wurde der Ausweisungsbeschluß von 1911 nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur suspendiert. Damit konnte Linder, der einen bis zum 1. Juli 1935 gültigen österreichischen Reisepaß besaß, am 12. Mai legal in die Schweiz einreisen. Am 19. Mai meldete er sich unter der Adresse seiner Stieftochter in Zürich (Hochstraße 105) an. Er suchte gleichzeitig um Anerkennung als "politischer Flüchtling" an.
Am 9. Juni 1934 wurde Anton Linder polizeilich vernommen. Er erklärte, eine Rückkehr nach Österreich komme für ihn bis auf weiteres nicht in Frage, da ihm dort "das Konzentrationslager bevorsteht." Er sei überzeugt davon, daß eine Rückkehr nach Österreich seine Verhaftung nach sich ziehe, denn "in Österreich befinden sich, mit nur wenigen Ausnahmen, sämtliche sozialistische Bundes- und Nationalräte in Anhaltelagern". Auch habe ihn nach seiner Flucht die Gendarmerie gesucht, seine Wohnung sei zweimal durchsucht worden und seine Post werde zensuriert. Wenn er auch nicht mit einer Bestrafung wegen Aufruhr rechnen müsse, so werde er doch in ein Anhaltelager gesteckt.[55]
Unter der Bedingung, daß er sich von jeder politischen Tätigkeit fernhalte, wurde Anton Linder noch im Juni als politischer Flüchtling anerkannt.[56] Er zählte damit zu einer absoluten Minderheit: Während des Zweiten Weltkrieges wurden von den Hunderttausenden, die in der Schweiz Schutz suchten, nur 251 im rechtlichen Sinn als politische Flüchtlinge anerkannt![57]
7.1. Das unsichere Leben als politischer Flüchtling: Beschäftigungsverbot
Linder war neben Ludwig Klein, einem ehemaligen sozialdemokratischen Bezirksleiter aus Wien, der einzige halbwegs prominente Sozialdemokrat, der nach dem Februarbürgerkrieg in die Schweiz flüchtete.
Die neutrale Schweiz achtete besonders auf die politische Enthaltsamkeit der Flüchtlinge und Emigranten. Deswegen konnten sich erst in der Endphase des Zweiten Weltkrieges die österreichischen Emigranten politisch aktiver betätigen.[58] Dennoch hielt Linder über Eisenbahner aus dem Raum Feldkirch-Bludenz Kontakte zu den in der Illegalität arbeitenden Vorarlberger Sozialdemokraten. Auch die Verbindung zu Fritz Preiß und Wilhelm Sieß riß nicht völlig ab.[59] Diese Kontakte waren für Linder nicht ungefährlich, denn sein Status als politischer Flüchtling bedeutete keineswegs, daß er bei Zuwiderhandlung gegen die Behördenauflagen nicht aus der Schweiz abgeschoben werden konnte. Dem Flüchtling war außerdem jeder Stellenantritt und jede Erwerbstätigkeit ausdrücklich verboten, denn alle Bemühungen des Emigranten sollten darauf ausgerichtet sein, die Einreisebewilligung für ein dauerndes Aufenthaltsland zu erhalten. Deswegen wurde auch Linder strengen Polizeikontrollen unterzogen, und er hatte in kurzen Abständen seine Bemühungen, die Schweiz wieder zu verlassen, nachzuweisen.
Deshalb war Linder - zumindest offiziell - in all den Jahren seines Schweizaufenthalts bei seiner Stieftochter - bis auf einen Monat wohnte er bei ihr - bemüht, in einem anderen Land Unterkunft zu finden. Die Polizei überprüfte ständig seine diesbezüglichen Unternehmungen. In einem Bericht der Stadtpolizei Zürich aus dem Jahre 1940 werden darüber folgende Angaben gemacht:
"Erstmals versuchte er mit der ... Siedlungsaktion Görnitz-Gattinger nach Columbien zu kommen. Diese Angelegenheit soll für ihn gescheitert sein, weil er damals noch nicht Reichsdeutscher gewesen sei. Später versuchte Linder durch die Vermittlung der Schweiz. Flüchtlingshilfe, Hr. Schneeberger, nach Columbien zu kommen. Auch hier blieb es beim Versuch. Durch Einreichung eines diesbezüglichen Gesuches über das mexikanische Konsulat in Zürich hoffte er sodann nach Mexiko zu gelangen. Dies umso mehr, da einerseits der schweizerische, andererseits der mexikanische Gewerkschaftsbund seine Mithilfe versprach. Der Petent ist bis dato ohne Antwort geblieben. Laut vorgelegten Briefen versuchte Linder auch nach Belgisch-Kongo zu kommen. Nach Ausbruch des jetzigen Krieges korrespondierte er mit ... Julius Deutsch, welcher damals in Paris, Avenue Frudaine 20, wohnte. Aus Briefen, die ich gelesen habe, geht hervor, daß auch Deutsch keine Möglichkeit schaffen konnte, Linder nach Frankreich zu bringen. ... Aus der beiliegenden Abschrift eines Briefes geht nun hervor, daß Linder versucht nach USA zu kommen."[60]
Die schweizerischen Behörden achteten akribisch darauf, daß das Beschäftigungsverbot strikt eingehalten wurde. Damit sollte der Emigrant schon aus finanziellen Gründen zum Verlassen des Landes gedrängt werden.
Bei seiner Einvernahme im Juni 1934 gab Linder an, 2000.- Franken zu besitzen, die auf der Züricher Kantonalbank auf den Namen seiner Stieftochter Anny Lüchinger eingelegt seien. Aus diesen Mitteln konnte er auch die fällige Kaution bestreiten.
Von der schweizerischen Flüchtlingshilfe erhielt er schließlich monatlich ungefähr fünfzig Franken, die er als Haushaltsgeld ablieferte. Von der Holzarbeitergewerkschaft bekam er zehn Franken als Unterstützung. Der Wunsch, ein Zubrot zu verdienen, war also durchaus verständlich, aber wie kleinlich die Behörden in diesem Punkt waren, soll das folgende Beispiel zeigen.
Am 26. Juli 1935 wurde Linder zur polizeilichen Einvernahme vorgeladen. Man warf ihm vor, daß er für das "Volksrecht" und den "Holzarbeiterverband" Artikel schreibe. Außerdem betätige er sich politisch, da er Kontakt zur sozialistischen Arbeiterinternationalen hätte.[61]
Bei der Befragung gab Linder zu, im November des Vorjahres den Redakteur des "Volkrechtes" bei der Eröffnung des Mühlhauser Volkshauses getroffen zu haben. Redakteur Heeb habe ihm auf der Rückfahrt mitgeteilt, daß er über dieses Ereignis einen Artikel schreiben müsse. Er habe ihm angeboten, diese Arbeit zu übernehmen. Gegen seinen Willen hätte ihm dann der Redakteur 15.- Franken aufgedrängt. Im Mai habe er einen Artikel über die "Maifeier im Kriege" für den Holzverband geschrieben und dafür 12.- Franken erhalten. Diese Gelegenheitsschriftstellerei habe er nicht als Erwerbstätigkeit aufgefaßt. Linder versicherte, daß er in Zukunft "auch keine gelegentlichen Sachen mehr schreiben werde. "Daß er Redakteur Friedrich Heeb und Friedrich Adler manchmal besuche, sei richtig. Dabei handle es sich allerdings um rein private Besuche, keineswegs um eine politische Betätigung."[62]
Da keine weiteren Beweise erbracht werden konnten, kam Linder mit einer Buße von 10.- Franken davon.[63]
Nach dieser Erfahrung suchte er um die Erlaubnis an, "unpolitische Artikel, Kurzgeschichten und Romane für Zeitungen und Zeitschriften" verfassen zu dürfen. Um eine solche Arbeitsgenehmigung zu erhalten, mußte das Gesuch unter anderem von der Fremdenpolizei, dem Arbeitsamt und der Bundesanwaltschaft gutgeheißen werden. Das Arbeitsamt Zürich äußerte Bedenken, da sich schwerlich beurteilen lasse, "ob und in welchem Maße einheimische Schriftsteller durch die Tätigkeit dieses Ausländers benachteiligt würden", und lehnte das Gesuch ab.[64]
Dr. Heinrich Rothmund, der nach dem Ersten Weltkrieg die Eidgenössische Fremdenpolizei aufgebaut und dann zum Chef der Polizeiabteilung aufgerückt war, verfolgte eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik und befürwortete die ablehnende Haltung des Schweizerischen Schriftstellerverbandes gegenüber ausländischen Autoren.
Linder wandte sich an den Nationalrat Ernst Nobs, den er seit Jahren kannte, um Hilfe. Dessen Intervention bei der Züricher Polizeidirektion blieb erfolglos. Die Polizeibehörde argumentierte damit, daß es "nicht zu kontrollieren sei, ob Linder 'unpolitische' Artikel schreiben wird."
Trotzdem erhielt Linder im Frühjahr 1936 die Schreiberlaubnis für "unpolitische Artikel", da die Bundesanwaltschaft in Bern diese Tätigkeit schließlich nicht untersagte.[65]
Allerdings wurden Linders Artikel behördlicherseits genauestens kontrolliert. 1937 listete der Erhebungsbeamte Anton Stier die Artikel und Kurzgeschichten, die Linder für das "Volksrecht", für den "Republikaner" in Mühlhausen und die "Bau-und Holzarbeiterzeitung" verfaßt hatte, auf und übersandte dem Polizeiinspektorat Belegbeispiele für die Harmlosigkeit der literarischen Produktion des Exilanten:
"Eine Episode aus ernsten Tagen" (am 7.8.1937 im "Republikaner" und im "Volksrecht" erschienen)
"Die Arbeit, sie bewegt die Welt" (am 20.5. 1937 in beiden Zeitungen)
"Eine reizende Gesellschafterin" (am 1.4. 1937 im "Republikaner")
"Klara und der Ring" (eine Kurzgeschichte, am 19.2. 1937 im "Republikaner" erschienen). Weiters werden angeführt: "Das verschwundene Notizbuch", "Eine Verwechslung", "Die Brieftasche" sowie "Nicolais erste Bahnfahrt".
Trotz der strengen Überwachung konnten Linder keine Verstöße gegen die Auflagen, die an die Toleranzbewilligung geknüpft waren, nachgewiesen werden. Die Polizei ging dabei den kleinsten Hinweisen nach, und mehrmals wurde Linder auf das Kommissariat befohlen. Auch als im Tagebuch des "weggewiesenen Fritz Vogel" der Name Linder auftauchte, wurde er einvernommen. Bei der Einvernahme gab er zu, dem Linksozialisten 1934 auf der Flucht geholfen zu haben. Allerdings sei er selbst nicht in der Dornbirner Kanzlei gewesen, und er habe Vogel, der den linken Flügel der SP abspalten sollte, um ihn "womöglich mit den Kommunisten zu vereinigen", erst in Zürich kennengelernt. Außerdem betonte Linder die ideologische Distanz zum "Abgeschafften": Er gehöre zum "rechten Flügel der SP."[66]
Im Auftrag der Bundesanwaltschaft erfolgte am 10. September 1936 durch die Kantonspolizei eine Hausdurchsuchung, die allerdings nichts Belastendes erbrachte.[67]
In jenen Jahren, in denen dem anerkannten Flüchtling die Toleranzbewilligung Jahr für Jahr verlängert wurde, gab es verschiedene Anfragen der Fremdenpolizei und anderer Behörden, ob Linder nicht doch in sein Heimatland abgeschoben werden könne.
In einem eingehenden Briefwechsel zwischen der Bundesanwaltschaft in Bern und der Schweizerischen Gesandtschaft in Wien wurde die Frage geklärt, ob Schuschniggs Weihnachtsamnestie im Jahre 1935 auch auf Linder zutreffe. Da die Begnadigung von sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Regimegegnern nur jenen zugute kam, die tatsächlich im Anhaltelager Wöllersdorf inhaftiert waren, trafen die Amnestiebedingungen auf Linder nicht zu, und er konnte deshalb weiter in der Schweiz bleiben.[68]
Im folgenden Jahr ermittelten die österreichischen Behörden auf Antrag in der Frage, ob eine straffreie Rückkehr Linders möglich wäre. Die Erhebungen des Dornbirner Postenkommandanten Hugo Lunardon[69] ergaben, daß einer Rückkehr des Geflohenen zu seiner Frau und zu seinen Kindern seitens des Bürgermeisters und der Vaterländischen Front kein Hindernis in den Weg gelegt würde. Bürgermeister Ludwig Rinderer war der Ansicht, daß sich Linder nach einer allfälligen Heimkehr "bestimmt nicht regierungsfeindlich" betätigen würde. Linder sei zwar ein "eingefleischter Sozialdemokrat", aber seine Einstellung sei "nie radikal und sein Wirken in der Partei stets sachlich und gemäßigt" gewesen. Seine Rolle als Führer der Sozialdemokratie, der im Februar 1934 seine "Anhänger im Lande vor Unbesonnenheiten zurückgehalten bezw. gewarnt" habe, wurde im Rapport besonders herausgestrichen und die bekannte These vertreten, daß Linder nicht aus Furcht vor einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfolgung das Land verlassen habe, "sondern vielmehr aus Furcht vor seinen eigenen Parteianhängern, die ihn infolge seines passiven Verhaltens anlässlich der Februarrevolte als Verräter stempelten und verfolgten."[70]
Diese Aussagen decken sich mit jenen Hauptmann Grüningers aus dem Jahre 1934. Ob es tatsächlich die Angst vor den eigenen Genossen war, die Linder während der austrofaschistischen Ära in der Schweiz hielt, muß dahingestellt bleiben. Auch seine Tochter Olga ist sich in diesem Punkt unsicher. Sie hatte mit ihrem Vater während dieser Phase seines Lebens nur einmal einen ausführlicheren Briefwechsel, der über die Fluchmotive jedoch keine Angaben enthielt.
Eine mögliche Ursache für seine Nichtrückkehr könnte auch die Furcht vor den Nationalsozialisten gewesen sein. Nach der Okkupation Österreichs jedenfalls kam eine Rückkehr für den sozialdemokratischen Funktionär, der seine Angst vor den Nationalsozialisten bereits bei seinem Asylantrag artikuliert hatte, freiwillig nicht mehr in Frage.
Die Eidgenössische Fremdenpolizei überprüfte auch mehrmals die Möglichkeit, den "Arier Linder" nach Hitler-Deutschland abzuschieben. Sie argumentierte damit, daß seine politischen Aktivitäten "in die Zeit vor der Machtübernahme durch Hitler" fielen und er vielleicht deshalb "unter dem gegenwärtigen Regime keinerlei Maßnahmen wegen seiner früheren politischen Tätigkeit zu erwarten" habe. Linder habe außerdem am 5. Januar 1939 durch das deutsche Konsulat in Zürich ohne weiters einen bis 1944 gültigen Paß erhalten. Da er kein endgültiges Auswanderungsland finde, sei die Frage aktuell, ob ihm eine "freiwillige" Rückkehr nach Großdeutschland nicht zugemutet werden könne.[71] Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement entschied schließlich, daß Linder nicht zur Ausreise nach Nazi-Deutschland gezwungen werden solle.[72]
Linder erhielt von dieser Behörde die Mitteilung, daß er - "gestützt auf Art.11, Abs. 3, des Bundesratsbeschlusses vom 17.10.1939" - den neuen Emigrantenvorschriften unterstehe. Jede Erwerbstätigkeit (mit Ausnahme der Mitarbeit bei ausländischen Zeitungen mit unpolitischem Charakter), jede politische Tätigkeit und jedes "neutralitätswidrige Verhalten" blieben strengstens untersagt, ansonsten hatte er mit der "Internierung in einer Strafanstalt oder Ausschaffung" zu rechnen.[73]
In den Unterlagen gibt es Hinweise darauf, daß Linder, der 1941 bereits einundsechzig Jahre alt war, zumindest für kurze Zeit - wie die anderen Ausländer - in ein "Arbeitslager eingeliefert wurde".
8. Linders Beitrag zum österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Schweiz
Ab 1942 existierte in der Schweiz ein geheimes Österreicherkomitee, das Verbindungen auch zum Widerstand in der Heimat knüpfte. Rechtsanwalt Dr. Kurt Grimm, der 1939 in die Schweiz geflohen war, kam dabei eine herausragende Rolle bei der Koordination der österreichischen Emigranten zu.[74] Obwohl weltanschaulich in einem anderen Lager stehend, nahm er auch mit den Sozialdemokraten Ludwig Klein und Anton Linder Kontakt auf.[75]
Grimm, der mit dem in Genf lebenden Dr. Johannes (Jean) Schwarzenberg zusammenarbeitete, gelang es mit verschiedenen österreichischen Fremdarbeiter- und Gefangenenlagern, in denen polnische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene untergebracht waren, Kontakt aufzunehmen. Der Nachrichtenkanal, den Linder und Klein eröffneten, funktionierte jedoch besser. Sie fanden in Buchs die Unterstützung des dortigen Bahnhofvorstandes. Mit Hilfe sozialistischer Eisenbahner konnte von dort antifaschistisches Propagandamaterial Innsbruck, Salzburg, Linz und Wien erreichen. Zum 1. Mai 1944 wurden auf diesem Weg mehrere tausend Exemplare einer Druckschrift mit dem Titel "Arbeiter-Zeitung" nach Wien befördert.[76] Linder und Klein waren somit äußerst wichtig für die in alle Winde zerstreute sozialistische Emigration. Über sie konnte Kontakt zwischen den in Österreich illegal arbeitenden Sozialisten und dem parteioffiziellen Auslandsbüro in London gehalten werden.
Mitte des Jahres 1944 war die Schweiz endlich bereit, Emigrantenaktivitäten zur Widererrichtung Österreichs -- gemäß der Moskauer Deklaration - zu dulden und nicht mehr als Verstoß gegen die Neutralität zu ahnden. Am 30. Mai 1944 ließen die höchsten Regierungsstellen die Bildung eines "Schweizerischen Hilfskomitee für ehemalige Österreicher", das karitative Funktionen übernehmen wollte, zu. Allerdings verlangte der Zulassungsbescheid, daß der Präsident ein Schweizer von Rang und Namen sein müsse und daß die Mehrheit der Vorstandsmitglieder Schweizer Staatsbürger zu sein hätten. Zu den nichtschweizerischen Mitgliedern dieses überparteilichen Komitees, das den Namen "österreichisch" führen durfte und in dem Konservative und Sozialdemokraten zusammenarbeiteten, gehörten Dr. Kurt Grimm, Fürstin Elsa von Liechtenstein, Ludwig Klein und Anton Linder. Mit dieser Genehmigung durch die Behörden war ein wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung der österreichischen Emigration getan.[77] Fritz Molden stellte den Kontakt zum Schweizer Armeestab her und begann eine Zentralstelle des österreichischen Widerstandes "O5", die "Verbindungsstelle Schweiz", aufzubauen. Sie sollte als wichtigste Auslandsstelle von "O5" die Zusammenarbeit mit den alliierten Stellen fördern. Zu den Männern um Fritz Molden gehörte auch Anton Linder.
Allerdings konnten sich die österreichischen Emigranten Mitte des Jahres 1944 immer noch nicht frei entfalten. So kontrollierte die Polizei nach wie vor Linders Aktivitäten. In einem Rapport der Bundesanwaltschaft wurde ihm vorgeworfen, er betätige sich innerhalb der "Partei der Arbeit"[78] und erteile "in Kreisen der extremen Straßenbahner Kurse über Taktik bei politischen Aufständen."[79] Daraufhin wurde der Nachrichtendienst der Kantonspolizei Zürich angewiesen, die Tätigkeit Linders verschärft zu überwachen und die Postkontrolle über ihn zu verhängen. Doch die Möglichkeiten der Emigranten, politisch aktiv zu werden, verbesserten sich zusehends. Von der Schweiz aus stellte Fritz Molden die entscheidenden Weichen für die Zusammenarbeit des österreichischen Widerstandes, indem ihm im Dezember 1944 bei einem illegalen Aufenthalt in Wien die Bildung des überparteilichen Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees (POEN) gelang. Die Verbindungsstelle in der Schweiz wurde zur offiziellen Vertretung dieser österreichischen "Untergrundregierung" für das westliche Ausland bestellt. Das Provisorische Exekutivkomitee übertrug Dr. Kurt Grimm und Anton Linder die wichtige Vertretungsfunktion in der Schweiz.[80]
Die größere persönliche Bewegungsfreiheit der Exilanten zeigte sich auch darin, daß die Behörden Anton Linder am 10. April 1945 einen Identitätsausweis (gültig bis zum 10.10.1945) ausstellten, mit dem er nach Paris fahren konnte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch Fritz Molden dort, um Verhandlungen mit den Alliierten und den österreichischen Emigranten zu führen.[81]
Es ist wahrscheinlich, daß Linder in Paris ebenfalls solche Kontakte suchte. Im Frühjahr 1945 konnten schließlich auch offiziell politische Vereinigungen von ehemaligen Österreichern gegründet werden. Am 18. April 1945 wurde die "Demokratische Vereinigung für ein freies unabhängiges Österreich" ins Leben gerufen. Wenige Tage vor Kriegsende genehmigte der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Dr. Eduard von Steiger, diese Vereinigung, die sich auch "Verein der Österreicher in der Schweiz" nannte und deren Aufruf die österreichischen Staatsfarben zierten. Welch wichtige und herausragende Rolle Anton Linder unter den Emigranten zu diesem Zeitpunkt spielte, zeigt sich darin, daß der Vorarlberger zum Präsidenten gewählt wurde.[82]
Linder zählte auch zu den Mitgründern der "Landsmannschaft der österreichischen Sozialisten in der Schweiz."[83]
Nach der Kapitulation des "Dritten Reiches" blieb Anton Linder noch für einige Monate im Exilland. Er zählte zweifellos gegen Kriegsende zu den führenden Köpfen der österreichischen Emigration in der Schweiz. In der Züricher Zeitung "Über die Grenze. Von Flüchtlingen für Flüchtlingen" unterstrich Linder im Juni 1945 die Bedeutung des "Austrian Representativ Comittees", dem auch das Londoner Bureau der Sozialisten angehörte, für den österreichischen Widerstand und die Emigration:
"Die Österreichische Vertretungskörperschaft in London und die auf der gleichen Grundlage gebildeten Komitees in den alliierten und neutralen Ländern, haben durch all die Jahre der Unterdrückung die Verbindung mit der Heimat aufrecht erhalten und es stets als ihre vornehmste Aufgabe betrachtet, den Kameraden in der Heimat jene geistige und materielle Hilfe angedeihen zu lassen, die nötig war, daß in Österreich erst lose Zellen, dann Untergrundsgruppen und schließlich eine Widerstandsbewegung entstehen und unter einer einheitlichen politischen überparteilichen Führung koordiniert werden konnte."
Damit wandte er sich gegen die Darstellung in der vorhergehenden Ausgabe, in der einzig die Rolle der "Freien österreichischen Weltbewegung" bei der Organisation der Emigranten herausgestrichen worden war. Er appellierte, die "Differenzen unter den Flüchtlingen und Emigranten" abzubauen und nicht zu verschärfen.[84]
Linder selbst hatte während seiner Emigrationszeit beste Kontakte mit konservativen, ja monarchistischen Kreisen unterhalten. Die Zusammenarbeit mit Dr. Kurt Grimm bzw. mit Fürstin Elsa von Liechtenstein im "Schweizerischen Hilfskomitee für ehemalige Österreicher" bezeugen dies. Diese Exilerfahrung prägte ihn sehr stark. Seine ihm noch verbliebene Kraft wollte er dafür einsetzen, daß die Zusammenarbeit der in Österreich neu gegründeten Parteien, der ÖVP, SPÖ und KPÖ, funktionierte. Am 27. Dezember 1945 meldete er sich beim Einwohneramt in Zürich endgültig ab und übersiedelte nach Feldkirch.[85]
9. Heimkehr und "Zweite Karriere": ÖGB-Sekretär, Nationalrat und Arbeiterkammerpräsident
Im Pensionsalter - mit fünfundsechzig Jahren - kehrte Anton Linder nach elfjähriger Abwesenheit nach Vorarlberg zurück. Er setzte sich nicht aufs Altenteil, sondern sofort nach seiner Rückkehr stellte er sich wieder der Arbeiterbewegung zur Verfügung und war nun maßgeblich am Aufbau des ÖGB und der Arbeiterkammer beteiligt.
9.1. Die Gründungskonferenz des ÖGB und die ersten Betriebsratswahlen
Bereits in den ersten Tagen nach der Befreiung bildeten sich in Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und Bludenz "Bezirksausschüsse", die den Neuaufbau der Gewerkschaften in die Wege leiteten. Die Besetzung dieser Gremien erfolgte paritätisch mit je einem Vertreter der demokratischen Parteien. Auf Ortsebene wurde auch die ÖDW, die Österreichische demokratische Widerstandsbewegung, eingebunden.[86]
Seit Ende August 1945 bestanden "Vorbereitende Ausschüsse" zur Gründung des Gewerkschaftsbundes, jedoch ließ die Wiederzulassung der Gewerkschaften durch die französischen Militärbehörden auf sich warten. Sie erfolgte erst am 17. September 1945. An diesem Tag beschloß der Alliierte Rat, den drei Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ die volle Freiheit der politischen Betätigung in ganz Österreich zu gestatten. In der französischen Zone durften sich nach der Anerkennung der Parteien auch die Gewerkschaften neu formieren. Kurz darauf traten in Bregenz die Bezirksausschüsse zusammen und bildeten eine provisorische Landesexekutive, bestehend aus je vier Vertretern der drei politischen Parteien.
An die Spitze der neuen überparteilichen Gewerkschaftsorganisation wurde der Bau- und Holzarbeitergewerkschafter Hans Ciresa berufen. Es gab drei Vorsitzende, jede Partei stellte einen. Zum ersten Sekretär des ÖGB wurde Anton Linder, der aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt war, ernannt.[87]
Die Anfangsschwierigkeiten waren beträchtlich, wie aus dem ersten Tätigkeitsbericht der Gewerkschaft über das Jahr 1945 hervorgeht:
"Während in der Folge die Lösung der Lokalitätenfrage für Feldkirch dank des Entgegenkommens des Bürgermeisters, durch die Räumung einer Naziwohnung verhältnismäßig rasch möglich war und auch ein günstiger Mietvertrag abgeschlossen werden konnte, stieß die Bereitstellung von Lokalitäten in den anderen 3 Städten auf gewisse Schwierigkeiten, die zum Teil bis heute nicht behoben sind."
Dieser erste Bericht über die Gewerkschaftsarbeit ist von Linder mitunterfertigt und mit "8. Oktober 1945" datiert.
Obwohl so wichtige Voraussetzungen wie ein Betriebskataster, gute Post- und Verkehrsverhältnisse in dieser wirtschaftlich schwierigen Nachkriegsphase fehlten, wurden noch im Jahre 1945 die ersten Betriebsrats- und Vertrauensmännerwahlen durchgeführt.[88]
Die Gründungsversammlung des überparteilichen Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) konnte erst nach den Landtags- und Nationalratswahlen stattfinden. Am 8. Dezember 1945 fanden sich in Feldkirch im Tonkinosaal die Gewerkschafter ein.
Präsident Hans Ciresa und Sekretär Anton Linder konnten rund 500 Personen begrüßen, unter ihnen befanden sich auch Landeshauptmann Ulrich Ilg und als Vertreter der französischen Militärregierung Commandant Delestre.
Als erster Redner ergriff der neugewählte Nationalrat und ÖGB-Sekrtär Anton Linder das Wort. In seinem Grundsatzreferat ging er auf die Pflichten und Rechte der Betriebsräte ein. Weiters behandelte "der Redner das Problem der Reinigung der Betriebe und Ämter von den Nazi-Elementen unter Mitwirkung der Betriebsräte und Vertrauensmänner. Seine Ausführungen schloß der Sekretär mit einer Bitte an die Militärregierung wegen Verminderung der Besatzungstruppen, Lieferung von notwendigen Rohstoffen und Kohlen."[89] Die Gewerkschafter verabschiedeten einstimmig eine Resolution, in der die wesentlichen gewerkschaftlichen Forderungen enthalten waren.[90]
In dieser ersten Nachkriegsphase galt es für die Gewerkschafter, die Errungenschaften des früheren österreichischen Sozialrechts wiederherzustellen. Der Aufbau des ÖGB ging in Vorarlberg jedoch keineswegs problemlos vor sich. Trotz intensiver Werbung waren Ende des Jahres 1945 von den rund 22.000 unselbständig Beschäftigten in Vorarlberg nur 3.872 gewerkschaftlich organisiert, davon 1.765 in der Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeitergewerkschaft. Diese Teilorganisation war also mit Abstand am stärksten und umfaßte zu diesem Zeitpunkt 45,6 Prozent aller ÖGB-Mitglieder. Sie hatte ihren Sitz in der Textilmetropole des Landes, in Dornbirn.[91]
Die Mitgliederzahlen des ÖGB stiegen im folgenden Jahr rasch an. Am 31. Dezember 1946 zählte er bereits 19.279 Mitglieder und erreichte damit einen Organisationsgrad von zirca 50 Prozent. In diesem Jahr wurden auch die Arbeiterkammer[92] und die Handelskammer neu gegründet.[93]
9.2. Wahl zum Arbeiterkammerpräsident
Mit der Wiedererrichtung der Kammer für Arbeiter und Angestellte - ermöglicht durch das Arbeiterkammergesetz vom 20. Juli 1945 - erhielt die Arbeitnehmervertretung ein zweites Standbein.[94]
Während Gewerkschaften auf freiwilliger Basis organisiert sind, wurden die Kammern als gesetzliche Interessensvertretungen mit Zwangsmitgliedschaft ins Leben gerufen. Selbstverständlich gibt es gewisse Doppelgleisigkeiten, Überschneidungen und Berührungspunkte. Ohne die Existenz der Gewerkschaften und ihre Verankerung in den Parteien wären jedoch die Kammern wenig durchschlagskräftig. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß eine starke Personalunion zwischen den Gewerkschaftern und den Kammerfunktionären besteht.
Anton Linder wurde am 22. Juni 1946 im Feldkircher Rathaus bei der ersten Vollversammlung der neuerstandenen Arbeiterkammer zum ersten Vorarlberger Arbeiterkammerpräsidenten in der Zweiten Republik gewählt. Der Kammer gehörten zu diesem Zeitpunkt rund 38.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an.[95]
Bei der Wahl Linders waren die Sozialisten mit 23, die Volkspartei mit 20 und die Kommunisten mit 5 Kammerräten vertreten. Die Zusammensetzung dieses Gremiums erfolgte nach dem ungefähren politischen Verhältnis von 1926.[96] Das Kammerbüro wurde zunächst in einer ehemaligen Privatwohnung in der Gilmstraße 2 eingerichtet.
Linder blieb bis zum 23. Jänner 1956 in der Funktion als Arbeiterkammerpräsident.
Bei der Gründungsversammlung der Arbeiterkammer stand noch die Versorgung mit Lebensmitteln im Vordergrund: Mit ihren Einkommen waren die Lohnempfänger oft nicht in der Lage, die Basisbedürfnisse zu stillen. "Lohn und Ernährung stehen in keinem tragbaren Verhältnis" stellten die Versammelten fest.
Das Pathos, mit dem Präsident Linder seinen ersten Rechenschaftsbericht (1948) ausgestaltete, stand zu den ökonomischen Realitäten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis:
"Mühsam und opferreich vollzieht sich, wenn auch langsam, der Wiederaufbau unserer Heimat. An diesem Wiederaufbau mitzuwirken, ist die Kammer berufen, ihre Aufgabe ist es, mitzuhelfen und das Ihrige dazu beizutragen, daß unsere Heimat, aufgebaut auf eine gesunde Wirtschaft, ein Staat des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und der Demokratie werde."
Die Aufbauarbeit in der Arbeiterkammer schritt unter Linder zügig voran. Als äußeres Zeichen des Abschlusses dieser Nachkriegsphase kann der Bezug des neuen AK-Gebäudes (Feldkirch, Widnau 4) am 10. Juni 1952 gelten.
Linder ging am 22./23. Oktober 1949 als amtierender Präsident in den ersten AK-Wahlkampf seit dreiundzwanzig Jahren. Diese Wahlen fanden drei Wochen nach den Landtags- und Nationalratswahlen statt. Das Besondere gegenüber 1945 war, daß das "dritte Lager" jetzt wieder wählen durfte.
Das Wahlergebnis hätte die Abwahl Linders durch einen "bürgerlichen" Kandidaten ermöglicht: 22 SPÖ-Vertretern standen 15 ÖAABler, zehn Mitglieder der WdU[97] und ein Mandatar des Linksblockes gegenüber. Mit Unterstützung des ÖAAB wurde Linder jedoch erneut zum Präsidenten gewählt.[98]
Bei den nächsten AK-Wahlen im Jahre 1954, bei denen sich der nunmehr vierundsiebzigjährige Linder erneut stellte, war der Wahlkampf jedoch von äußerster ideologischer Schärfe. Mit dem Slogan "Vorarlberg zerstört den roten Spuk!" zog die ÖVP gegen den "roten Präsidenten und seinen Palladin" ( - gemeint war Dr. Ernst Haselwanter, der als Kammerbeamter Spitzenkandidat der sozialistischen Angestellten war -) vom Leder.
Der SPÖ wurde in der Kammer eine "diktatorische" Personalpolitik vorgeworfen, sie strebe - so die ÖVP - nach den Grundsätzen von Marx auch weiterhin Kollektivismus, Gleichmacherei, Klassengeist, Klassenkampf und Klassenterror an.[99]
Die plötzliche Aggressivität der ÖVP wirkte mehr als aufgesetzt, denn alle Beschlüsse der vorangegangenen Jahre wurden in der Kammer einstimmig gefaßt![100] Die Quittung folgte auf den Fuß: Mit 25 Mandaten waren die Sozialisten nicht mehr auf die Schützenhilfe einer anderen Partei angewiesen. Linder wurde erneut zum AK-Präsidenten gewählt.
9.3. Nach den ersten Nationalratswahlen der 2. Republik: Linder wird Nationalrat
Die ersten Landtags- und Nationalratswahlen der Zweiten Republik fanden am 25. November 1945 statt. Das Ergebnis war an diesem Tag in Vorarlberg wieder eindeutig: Die traditionellen Lager erwiesen sich als äußerst stabil, zwei Diktaturen hatten das Wählerverhalten nicht grundlegend verändert.[101]
Linder war von der SPÖ als Spitzenkandidat für die Nationalratswahlen nominiert worden.[102] Die Partei erhielt 17185 Stimmen. Damit konnte Linder in den Nationalrat einziehen. Vier Jahre später schied er jedoch aus dem Nationalrat wieder aus, denn die politische Lage hatte sich wesentlich verändert.
Die Landtags- und Nationalratswahlen am 9. Oktober 1949 verliefen für die Sozialisten durch das Auftreten der "Wählergruppe der Unabhängigen" (WdU) beinahe desaströs. Während die "Nationalen" bei den Landtagswahlen drei Mandate errangen, dezimierte sich die Riege der Sozialisten von sieben auf drei. Bei den Nationalratswahlen ging das einzige SP-Mandat verloren, Linder war somit Ex-Nationalrat.
9.4. Die erste Jungbürgerfeier
Zu den bleibenden Taten Anton Linders zählt zweifellos die Einführung der Jungbürgerfeiern in Österreich.
In seiner Neujahrsbotschaft 1947 richtete Anton Linder im Mitteilungsblatt der Arbeiterkammer ein "Mahnwort" an die Arbeiterschaft:
Ihre Aufgabe sei es, die Demokratie in den "Herzen und in den Gehirnen" der Massen so zu verankern, daß Österreich nie mehr zum Spielball faschistischer Abenteuer werden könne. Und zur Stärkung des Demokratiebewußtseins initiierte er am 21. September 1947 die erste Jungbürgerfeier in Österreich.[103]
Die Idee zur Durchführung von Jungbürgerfeiern in Österreich ging also nach dem zweiten Weltkrieg von Arbeiterkammerpräsident Anton Linder aus. Zur Stärkung des Demokratiebewußtseins sollte die Vorarlberger Jugend wie in der Schweiz - dort wo sich "Liebe zur Heimat, zum Frieden, zur Freiheit und zur Demokratie" bewährt hätten - in einer Feierstunde an ihre Staatsbürgerpflichten gemahnt werden. Somit wurden Jungbürgerfeiern als Beitrag zur außerschulischen politischen Bildung ins Leben gerufen.
Bei der ersten Feier in Bregenz war Bundespräsident Dr. Karl Renner anwesend. Die Festrede hielt Anton Linder, der u. a. ausführte:
"Die Arbeiterkammer Feldkirch hat zu einer Feierstunde geladen, die jenen Mitbürgern gewidmet ist, die heuer das 21. Lebensjahr vollendet hatten. Sie sind mündig geworden und nunmehr mitberufen, an der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gestaltung unserer Heimat, der Republik Österreich Anteil zu nehmen. Durch dieses, dem Wesen der Demokratie entsprungene Recht sind die 21jährigen zu Aktivbürgern geworden, und sie werden in Hinkunft durch ihre Stimmabgabe auf die Geschehnisse im Bund, im Lande und in der Gemeinde Einfluß nehmen können. Diese Einflußnahme beinhaltet eine schöne, des freien Bürgers würdige Aufgabe, sie beinhaltet aber auch die Aufgabe der Erweckung des Pflichtbewußtseins und der Stärkung des Verantwortungsgefühls des Einzelnen gegenüber dem gesamten Volke. Der Erweckung dieser Eigenschaften dient unsere heutige Feier, dient auch das Büchlein, das wir als Erinnerungsgabe - als ein "Österreichisches Brevier" - in die Hände unserer Jungbürger und Jungbürgerinnen legen. Unsere Feier ist die erste in dieser Art in Österreich...".[104]
Zu dieser Feier verfaßte Landeshauptmann Ulrich Ilg eine Broschüre mit dem Titel "Uns alle geht es an". Da durch die Arbeiterkammer jedoch nur ein Teil der Jugendlichen erreicht werden konnte, versuchte der Landeshauptmann, dem diese Feiern ein Anliegen waren, sie unter die "Obhut der Landesregierung" zu bringen. Die Bezirksleutekonferenz war jedoch der Meinung, daß die Jungbürgerfeiern in die Gemeinden gehörten. Über Antrag von Landesrat Dr. Arnulf Benzer beschloß die Landesregierung am 24. Mai 1949, sämtliche Gemeinden des Landes aufzufordern, Jungbürgerfeiern abzuhalten.
Von Vorarlberg aus verbreitete sich das Ritual der Jungbürgerfeiern auch im übrigen Österreich. Landauf landab wurden Feiern installiert, aus Sorge, daß die Jugend das rechte Verhältnis zum Staat verloren habe und das demokratische Bewußtsein der Jugendlichen dringend einer Stützung bedürfe.
9.5. Gewerkschaftsarbeit
Linder verkörperte durch seine Funktionen die sozialistische Grundposition von der Zusammenarbeit von Partei, Gewerkschaften und Betriebsräten. Nationalrat und AK-Boß Linder blieb auch fast vier Jahrzehnte lang Gewerkschaftslandessekretär.
Es sollen hier nur einige wesentliche Punkte der Gewerkschaftsarbeit, an der Linder im Jahrzehnt von 1945 bis 1955 mitbeteiligt war, taxativ angesprochen werden:[105]
Das Kollektivvertragsgesetz wurde am 26. Februar 1947 beschlossen.
Unmittelbar auf das Kollektivvertragsgesetz folgte das Betriebsrätegesetz.[106]
Das Betriebsrätegesetz schränkte zwar das Entscheidungsrecht des Unternehmers ein und stärkte die Immunität der Betriebsräte, jedoch konnten die sozialistischen Gewerkschafter mit ihm nur teilweise einverstanden sein: Die innerbetriebliche Demokratie wurde nur ansatzweise festgeschrieben.
Um die Wirtschaft zu stützen, wurde vom Kontrollamt der Interalliierten Kommission ein Lohn- und Preisstopp - rückwirkend ab 1. April 1945 - verfügt. Zusammen mit dem Schaltergesetz vom 3. Juli 1945 und dem Schillinggesetz vom 30. November 1945 war der Lohn- und Preisstopp der wichtigste wirtschaftspolitische Einschnitt in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Doch mit diesem Instrumentarium gelang es nicht, die Preise stabil zu halten. Es war unmöglich, Löhne festzusetzen, die der tatsächlichen Kaufkraft des Geldes Rechnung trugen. Die Schere zwischen den Löhnen und Preisen klaffte immer mehr auseinander. Mit "Überbrückungshilfen", Lohnhärteausgleichen, Prämien etc. sollte dieser Entwicklung Einhalt geboten werden. Durch die in Vorarlberg im Schnitt höheren Lebenshaltungskosten wurde die Situation dramatisch verschärft.
Im April 1946 nahm auf Drängen der Alliierten und der Arbeitgeber die "Zentrallohnkommission" ihre Tätigkeit auf: Die Tarifautonomie war aufgehoben, freie Lohnverhandlungen waren nicht möglich, die Löhne wurden durch staatliche Eingriffe geregelt - wie zu Zeiten des "NS-Treuhänders der Arbeit".[107]
Teile der Arbeiterschaft waren mit der Lohnpolitik jedoch sehr unzufrieden und nahmen den Kampf um höhere Löhne auf. Zunächst waren es in Vorarlberg die Bauarbeiter, die ihre Ansprüche anmeldeten, die Textilarbeiter folgten. Beide Bewegungen führten zu Vereinbarungen, die die Löhne anhoben. Die Lohn-Preiskluft wurde jedoch immer größer. Deshalb unternahm Landeshauptmann Ilg im Einvernehmen mit dem ÖGB im September einen Vorstoß bei der Zentrallohnkommission, um für die Außenstelle Bregenz Sonderkompetenzen zu erlangen.[108] Linder war bei diesen wichtigen Verhandlungen in der Nachkriegsepoche ein wichtiger Verhandlungspartner der Landesregierung.[109]
Nach dem 4. Lohn-Preisabkommen im Jahre 1950 eskalierte der Konflikt um die Rolle der KPÖ in Österreich . Die weitverbreitete Unzufriedenheit nützten die Kommunisten aus, um die Stimmung unter der Arbeiterschaft anzuheizen. Die von ihnen initiierte Streikbewegung Ende September/Anfang Oktober - sie ist als sogenannter "Kommunistenputsch" in die österreichische Geschichte eingegangen - wurde mit Hilfe der Bau- und Holzarbeiter-Gewerkschaft unter der Leitung von Franz Olah niedergehalten.
Eine von den Kommunisten ausgerufene und nicht autorisierte "gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz" forderte am 30. September in Floridsdorf die Rücknahme des Lohn-Preisabkommens, andernfalls sollte der Generalstreik proklamiert werden. Die ersten diesbezüglichen Flugblätter tauchten in Vorarlberg am 2. Oktober auf. Die Landesleitung des ÖGB mit Anton Linder trat den Generalstreikparolen energisch entgegen:
"Der Gewerkschaftsbund betrachtet diesen Streik als einen wilden, nicht im Interesse der Arbeiter gelegenen Streik. Wer daran teilnimmt, tut dies auf eigene Gefahr und muß sich klar darüber sein, daß er damit nicht nur die Sache der Arbeiter- und Angestelltenschaft, sondern auch die des ganzen Volkes schädigt."
Dennoch kam es zu örtlichen Arbeitsniederlegungen, vor allem bei den Bauarbeitern. Allerdings brach der Ausstand bereits nach einem Tag zusammen. Insgesamt folgten in Vorarlberg nur 1.357 Arbeiter der Generalstreikparole der KPÖ.
Teile der heimischen Textilarbeiterschaft nahm in diesen Tagen gegen Anton Linder Stellung, der am 4. Oktober im Namen der Landesexekutive des ÖGB Landeshauptmann Ilg versichert hatten, daß sich die Vorarlberger "Arbeiterschaft in anständiger Weise vom Mißbrauch des Streikrechts" distanzieren würde.[110]
9.6. Das Problem der "Entnazifizierung"
Eine besonders schwierige Aufgabenstellung, bei der Linder maßgeblich mitzuwirken hatte, war die "Entnazifizierung".
Mit dem sogenannten "Verbotsgesetz" und dem "Verfassungsgesetz über Maßnahmen zur Wiederherstellung gesunder Verhältnisse in der Privatwirtschaft" wurde noch 1945 der erste Versuch unternommen, die österreichische Gesellschaft und Wirtschaft vom Nationalsozialismus zu säubern. Die NSDAP und ihre Organisationen wurden verboten, ihre Mitglieder mußten sich registrieren lassen.[111]
In Vorarlberg betraf diese Registrierungspflicht rund 20.000 Menschen, circa 9 % der Bevölkerung. Die ehemaligen "Illegalen" - Personen, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 der NSDAP oder einer Unterorganisation angehört hatten - wurden von der Leitung von Betrieben ausgeschlossen, "illegale" Arbeitnehmer entlassen.
Bei Kriegsende gab die französischen Verwaltung die "Entnazifizierungspolitik" nur in groben Linien vor.[112] Die Ortskommandanten und Sicherheitsoffiziere internierten die bekannten Nationalsozialisten zunächst vor allem aus Sicherheitsgründen. In der französischen Zone wurden bis zum 15. September 1946 insgesamt 9.440 Personen interniert, das waren 14,4 Prozent der registrierten Nationalsozialisten.[113] Allerdings erwiesen sich die "Säuberungen" - etwa in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst - in der Praxis als schwierig. Eine sogenannte "Säuberungskommission" wurde installiert, die in Vorarlberg die "Ehemaligen" aussondern sollte. Nach Ansicht der französischen Stellen übten diese Gremien im Ländle jedoch zu starke Nachsicht.[114]
Besonders schwierig war die "Entnazifizierung" der NS-Wirtschaftsverantwortlichen.[115] In diesem Punkt nahmen auch die Franzosen eine pragmatische Haltung ein. Die "Entnazifizierung" vollzog sich deshalb nur schleppend.[116] Die gesamte "Entnazifizierung" der Wirtschaft stieß auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Resignierend heißt es dazu im "Bericht der Landesstelle Vorarlberg des ÖGB" aus dem Jahre 1946:
"Die mit der Wirtschaftssäuberung verbundenen Arbeiten gleichen einem Bandwurm ohne Ende. Sie zählen zu den schwierigsten und undankbarsten Arbeiten des Landessekretariates und das Ergebnis steht in keinem Einklang zu der hiefür aufgewendeten Zeit und Mühe. ... Wohl haben die französischen Besatzungsbehörden gleich nach der Befreiung eine gewisse Anzahl nazistisch Belasteter, darunter auch einige größere Fabrikanten in Haft gesetzt oder in Anhaltelager gebracht und für deren Betriebe Zwangsverwalter bestellt. Doch zur Hauptsache waren die Lager mit kleinen Nazis gefüllt, während andere viel stärker Belastete sich der Freiheit erfreuen konnten."
Die Drei-Parteien-Vereinbarung von ÖVP, SPÖ und KPÖ vom 30. März 1946 hatte den Übergang vom individuellen zum kollektiven Entnazifizierungsverfahren und die Gruppeneinteilung mit zwingenden "Sühnefolgen" für "Belastete" und "Minderbelastete" gebracht.[117]
Das Sekretariat der Landesexekutive des ÖGB mußte 1947 insgesamt 6.712 Fälle behandeln. Diese hohe Zahl ergab sich, weil auf Grund des Nationalsozialisten-Gesetzes vom 6. Februar alle noch bei der Wirtschaftssäuberungskommission unerledigten oder neu anhängig gemachten Fälle bearbeitet werden mußten. Im diesbezüglichen ÖGB-Bericht wird hervorgehoben, daß das Sekretariat und die befaßten Betriebsräte bestrebt waren, das Gesetz möglichst mild anzuwenden. Die angeführte Statistik zeigt, wie wenig auch den Gewerkschaftern daran gelegen war, die "Wirtschaft zu säubern":
Von den 6.712 zu behandelnden Fällen wurden 6.006, das sind 89,4 Prozent, ad acta gelegt, das heißt, es wurde von einer Antragstellung Abstand genommen. Von den verbliebenen 706 Fällen zog das Sekretariat 307 zurück. Das Sekretariat beantragte nur 257 Entlassungen und 142 Kündigungen. Die Wirtschaftssäuberungskommission agierte ähnlich: Von den 92 in diesem Jahr behandelten Fällen führten 28 zu Entlassungen und 11 zu Kündigungen. Am liebsten wäre es zu diesem Zeitpunkt den verantwortlichen Arbeitnehmervertretern gewesen, wenn die "Entnazifizierung" überhaupt eingestellt worden wäre.[118]
Die Zusammenarbeit des Landesarbeitsamtes und der Wirtschaftssäuberungskommission mit dem ÖGB-Sekretariat klappte: Es gab 1947 keinen einzigen Einspruch des Sekretariats gegen eine Entscheidung der Wirtschaftssäuberungskommission.
10. Späte Ehrungen: Das "Große goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich"
Am 23. Oktober 1950 feierte Anton Linder seinen 70. Geburtstag. Dieser runde Gedenktag wurde von der Arbeiterkammer dazu genützt, eine kleine Festschrift zu Ehren des Jubilars herauszugeben.[119] Fünf Jahre später wurde Linders 75er in den Vorarlberger Zeitungen gebührend wahrgenommen und gefeiert.[120] Der bekannte Arbeiterdichter Josef Luitpold widmete dem Jubilar zu diesem Anlaß den folgenden panegyrischen Text:
"Die Welt, an der die Besten bauen, wird erst Welt, wenn sie vier Rechte kühn in ihre Mitte stellt: das Recht auf Heim, auf Arbeit, Bildung, Frieden. Dann ist dem Leben Leben erst beschieden. -
Gerecht, doch immer höflich, grad, doch niemals rauh, zu Unverläßlichkeit, zu Doppelzüngigkeit vollkommen unbegabt. Bekämpft von vielen, doch von wem mißachtet? Einfach und schlicht, vom kleinen Tage kaum beachtet, fast unerkennbar, pausenlos, jedoch in großen Augenblicken groß. -
Dein Leben war nicht Muße, nicht Behaglichkeit. Dein Leben war Arbeit, Arbeit für die Welt der Arbeit."[121]
Längst hatte sich zu diesem Zeitpunkt ein quasi offizieller, geglätteter Lebenslauf von Linder herausgebildet.[122] Im "Vorarlberger Volkswillen", dem sozialistischen Nachfolgeblatt der "Vorarlberger Wacht", deren Redakteur Linder kurzfristig gewesen war, lautete er am 22. Oktober 1955:
"Als Kind eines Wiener Malermeisters wurde er am 23. Oktober 1880 in Turn-Severin geboren. Nach dem Schulbesuch verbrachte er seine Lehrzeit als Tapezierer und Dekorateur in einer Werkstätte, die schon damals - vor genau 60 Jahren - vollzählig gewerkschaftlich organisiert war und den gewerkschaftlichen Gedanken in ihm weckte, dem er in seinem künftigen Leben stets treu blieb.
Nach seinen Wanderjahren, die ihn bis Rom führten, kam er 1904 zum ersten Male nach Feldkirch zu Sattlermeister Keller. Ein Jahr später lernte er anläßlich des ersten Sozialistentreffens der Bodenseeuferstaaten im Jahre 1905 August Bebel und den Vorkämpfer der schweizerischen Arbeiterschaft Hermann Greulich kennen, was mitbestimmend für sein künftiges Leben war. Wenig später sehen wir ihn im 'Schwabenkino' zu Zürich, wo er in hitzigen Debatten sozialistische Probleme erörterte. Dorthin zog es ihn auch, als er 1910 infolge des Hochwassers seine Arbeit bei der Firma Grebmer in Feldkirch verlor.
1911 kehrte Linder endgültig nach Österreich zurück und verehelichte sich mit einer Schweizerin in Innsbruck, wo er in der Arbeiterbäckerei eine Stellung gefunden hatte. Er wurde Obmann des Landesbildungsausschusses, Versammlungsredner und Genossenschaftsfunktionär. Ende 1913 wählte ihn eine in Feldkirch-Levis tagende Vertrauensmännerkonferenz zum Arbeitersekretär für Vorarlberg mit dem Sitz in Dornbirn. In dieser Zeit setzte der starke Zustrom zur Gewerkschaft wie zur Partei ein. Linder übernahm die Leitung des Landesparteisekretariats und wurde Obmann der Landesexekutive der Gewerkschaften. 1919 bis 1934 war er Mitglied der Stadtvertretung Dornbirn und des Vorarlberger Landtages, von 1921 bis 1934 Mitglied des Bundesrates. Der Reichsparteivertretung gehörte er von 1919 bis 1934 an.
Am 12. Februar 1934 wurde er verhaftet. Die Abgabe von demütigenden Erklärungen, mit denen er seine Freiheit hätte erkaufen können, lehnte er ab. Nach seiner Freilassung stand er unter dem ständigen Druck der Sicherheitsdirektoren, weshalb er ins Ausland emigrierte. Die deutschen und österreichischen Emigranten in Zürich wählten ihn zu ihrem Obmann und von dort aus brach er in der ausländischen Presse so manche Lanze für Österreich. Nach elfjährigem Exil kehrte er in seine Heimat zurück, leitete den Wiederaufbau der Gewerkschaften und den Neuaufbau der Arbeiterkammer. Bei den Novemberwahlen im Jahre 1945 wurde er in den Nationalrat gewählt. Blicken wir auf die heutige Entwicklung der Gewerkschaft in Vorarlberg und auf die Entwicklung der Arbeiterkammer, als deren Präsident er einmütig gewählt wurde, dann darf man wohl sagen, daß er seine Aufgabe erfüllt hat."
Selbstverständlich fehlten die "Jugendsünden", der frühere anarchistische Touch und die Ausweisung aus der Schweiz, die sehr problematische Rolle Linders innerhalb der SDAP im Jahre 1934 und die tatsächliche Lebenssituation Linders während der Exiljahre. Aus Anton Linder war nunmehr die unumstrittene "Seele der Arbeiterbewegung"[123] geworden. Die politische Gegenseite attestierte ihm, stets ein "Mann des Ausgleichs und der Redlichkeit" gewesen zu sein.
Auch in den "Vorarlberger Nachrichten" wurde das Lebenswerk Linders gewürdigt:
"Es ist nicht zuletzt ihm und Männern seinesgleichen zu danken, wenn der soziale Friede im Lande immer gewahrt blieb, und wenn es zur guten Tradition Vorarlbergs gehört, daß gewisse Gegensätze friedlich und sachlich bereinigt werden."[124]
Anläßlich dieses Geburtstages verlieh Bundespräsident Dr. Theodor Körner Anton Linder das "Große goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich".
Selbstverständlich war er auch Träger parteiinterner Auszeichnungen, so des Goldenen Gewerkschafts- und Partei-Ehrenzeichens und der Viktor-Adler-Plakette. Außerdem verlieh ihm die Vorarlberger Volkshilfe die Ehrenmitgliedschaft.[125]
11. Niederlegung seiner Funktionen
Zu diesem Zeitpunkt war der Gesundheitszustand von Linder bereits sehr angegriffen. In den letzten Jahren seiner politischen Tätigkeit wurde Linder oft von seinen Genossen gedrängt weiterzumachen. Nunmehr waren seiner Arbeitskraft jedoch physische Grenzen gesetzt.
Am 15. Mai 1955,am Tag der Staatsvertragsunterzeichnung, legte Linder nach fast genau vierzigjähriger Tätigkeit seine Gewerkschaftsfunktion als Landessekretär des ÖGB nieder. In seiner Abschiedsrede sagte er:
"In diesem Augenblick wird im Schloß Belvedere zu Wien von den vier Außenministern der Besatzungsmächte und dem Außenminister Österreichs der Staatsvertrag unterzeichnet. In diesem Augenblick hat Österreich seine Souveränität wieder erlangt. Niemand von uns hätte sich im Jahre 1945 träumen lassen, daß wir erst nach zehn Jahren frei sein werden ... Nicht zuletzt war es die Arbeiterschaft, die in diesem Ringen an vorderster Stelle stand."[126]
Rund ein halbes Jahr später trat er aus gesundheitlichen Gründen auch als Arbeiterkammerpräsident zurück. Am 23. Jänner 1956 folgte ihm Karl Graf in dieser Funktion nach. Auch sein Amt als Kammerrat konnte er nicht mehr ausüben.
In zahlreichen Festansprachen wurde Linders Lebenswerk gewürdigt. Im Namen des Landes und der Landesregierung dankte Landeshauptmann Ulrich Ilg dem scheidenden Präsidenten für sein öffentliches Wirken: "In den schwersten Zeiten der Bewirtschaftung ist mir Präsident Linder stets mit größtem Verständnis zur Seite gestanden und hat in vorbildlicher Form Gegensätze zu überbrücken und den Arbeitsfrieden zu erhalten verstanden. Seine Arbeiten haben dem Wohlergehen der Arbeitnehmerschaft wie auch dem des ganzen Landes gedient."[127]
12. Abschied von Anton Linder
Mit 78 Jahren verstarb Anton Linder am 23. September 1958. Bei der Trauerfeier vor der Arbeiterkammer trafen sich "viele prominente Trauergäste".[128] Anschließend an den ehrenden Nachruf druckte die "Arbeiter-Zeitung" das Beileidstelegramm von Friedrich Adler ab:
"Anton Linder lernte ich vor fast sechs Jahrzehnten in einer großen Versammlung in Zürich kennen, wo er seine erste große politische Rede für den durch die Zürcher Polizei verhinderten Referenten aus dem Stegreif zu halten hatte. Er trat damals als ein Wortführer der Radikalen auf, betrachtete mich als Hauptgegner. Ich erkannte seine Begabung und faßte sogleich große Sympathie für ihn, die seither immer gewachsen ist. So kam es, daß er, wenn er auch nur zu kurzen Aufenthalten nach Zürich kam, uns immer besuchte, das letztemal noch in diesem Jahr.
Allen, die ihn kannten und liebten, wollen wir heute, wo wir ihn nicht mehr sehen können, unser herzliches Beileid aussprechen. Dr. Friedrich Adler, Kathia Adler".[129]
Anläßlich des zehnten Todestages legte eine Abordnung der Vorarlberger Arbeiterkammer und der Landesexekutive des ÖGB im städtischen Friedhof Feldkirch an seinem Grab einen Kranz nieder. Der aus diesem Anlaß in den "Vorarlberger Nachrichten" veröffentlichte Lebenslauf entspricht dem bereits zitierten von 1955. Anton Linder genoß - so heißt es darin - "bei seinen Mitbürgern Respekt und Ansehen".[130]
Zu diesem Zeitpunkt war sein Schwiegersohn Josef Schoder SP-Landesrat (29.10.1959 bis 28.10.1969) und damit gleichsam auch sein politischer Erbe.
Datengerüst zu Anton Linder
geb. 23.10.1880 in Turn-Severin (heute Rumänien)
Vater: Anton Linder (Malermeister) Mutter: Valenta
Gelernter Beruf: Tapezierer und Dekorateur
Wanderbursch, erster Aufenthalt in Feldkirch ab 1904 bei Sattlermeister Keller, nach Illüberschwemmung und Verlust des Arbeitsplatzes 1910 Aufenthalt in der Schweiz; 1911 Ausweisung;
heiratet 1911 in Innsbruck die Witwe Rosa Volland, geb. Cadalbert (geb. 27.9.1873, gest. 9.3.1945); diese brachte 7 Kinder mit in die Ehe; nach Heirat 2 weitere Kinder (Olga Jg. 1911 verheiratete Hollenstein, wohnhaft Dornbirn, Kreßgraben 8 und Anton Jg. 1922, gefallen 1945)
1909 als "Anarchist" in Zürich
1911 in der Arbeiterbäckerei in Innsbruck
1913 Arbeitersekretär für Vorarlberg, Redakteur der "Wacht"
Kriegsteilnehmer
1914-1934 Landessekretär der SDAP
1919-1934 Mitglied der Dornbirner Gemeindevertretung
1920-1934 Mitglied des Bundesrates
Mitglied der Industriellen Bezirkskommission
1919-1934 Mitglied des Vorarlberger Landtages
Februar 1934 Flucht in die Schweiz, bis November 1945 im Exil (anerkannter Flüchtling)
November 1945-1949 Mitglied des Nationalrates
Sekretär des ÖGB von 1945 bis 15.5.1955
1946 bis 23.1.1956: Präsident der Arbeiterkammer
21.9.1947: Auf Betreiben Linders erste "Jungbürgerfeier" in Österreich
gestorben: 23.9.1958
Quellen- und Literaturangaben:
Zeitzeugin:
Gespräch mit Olga Hollenstein, Tochter Anton Linders, wohnhaft Dornbirn, Kreßgraben 8, am 22.8.1995.
Wichtige Akten:
Staatsarchiv Bern, E. 4320 C. 13.338, Akt Linder I.
Bericht Anton Linders zu den Februarereignissen 1934 in Vorarlberg (aus dem Jahre 1938), DMG, DÖW (ohne Nummer).
VLA, BH Feldkirch, Abt. II-220/1936.
Dokumentensammlung der Johann-August-Malin-gesellschaft, Landesarchiv Bregenz
Landtagsabgeordnetenbiographien, Vorarlberger Landesbibliothek
Stadtarchiv Zürich, Einwohner- und Fremdenkontrolle der Stadt Zürich
Berichte des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Vorarlberg 1945 ff.
Zeitungen:
Arbeiterzeitung
Über die Grenze
Vorarlberger Volkswille
Vorarlberger Wacht
Vorarlberger Nachrichten
Vorarlberger Volksblatt
Bibliographie:
Stoppel, Manfred: Anton Linder Auswahl-Bibliographie, Manuskript StAD, Dornbirn 1994.
Zitierte Literatur:
Arbeiterkammer Feldkirch (Hg.): Präsident Anton Linder 70 Jahre. Feldkirch o. J. (1950).
Bundschuh, Werner/ Dreier, Werner/ Mittersteiner, Reinhard: Sozialdemokraten im Dorf. 100 Jahre SPÖ Hard. Bregenz 1994.
Bundschuh, Werner: Anton Linder im Schweizer Exil (1934 bis 1945). In: Montfort, 43. Jg., 1991, Heft 4, S. 311-325.
Bundschuh, Werner: Bestandsaufnahme: Heimat Dornbirn 1850-1950, Bregenz 1990.
Bundschuh, Werner: Das befreite Land - Die "Besatzungszeit. In: Bundschuh, Werner/ Pichler, Meinrad/ Walser, Harald: Wieder Österreich! Befreiung und Wiederaufbau - Vorarlberg 1945. Bregenz 1995, S. 59-112.
Bundschuh, Werner: Von der "Betriebsgemeinschaft" zur Sozialpartnerschaft - 1938-1995. In: Bundschuh, Werner/ Dreier, Werner/ Mittersteiner, Reinhard: Die "Fabrikler" organisieren sich. 100 Jahre Gewerkschaft Textil, Bekleidung und Leder Landesorganisation Vorarlberg. Bregenz 1995, 155-304.
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Eisterer, Klaus: Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte Bd. 9). Innsbruck 1991., S. 163. Zur Entnazifizierung in Vorarlberg siehe S. 164 ff.
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Die schweizerische Asylpraxis in neuester Zeit. Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957. (S.409-416).
Stellungnahme zum Bericht des Herrn Prof. Dr. Carl Ludwig. Bericht des Herrn Bundesrates Eduard von Steiger, Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von 1941 bis 1951.(S.377-401).
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Anmerkungen
[1] Gespräch mit Olga Hollenstein, Tochter Anton Linders, wohnhaft Dornbirn, Kreßgraben 8, am 22.8.1995.
[2] Diese und andere Angaben zur Jugendzeit aus: Staatsarchiv Bern, E. 4320 C. 13.338, Akt Linder I.
Angaben zum Lebenslauf des Anton Linder siehe auch Landtagsabgeordnetenbiographien, VLB.
[4] Siehe Bild bei Mittersteiner, Reinhard: "Fremdhäßige", Handwerker & Genossen. Die Entstehung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Vorarlberg. Bregenz 1994, S. 92.
[6] Brief von Hermann Leibfried an das Parteisekretariat vom 18.3.1914, VGA, SD-Parteistellen, Karton 112; zitiert nach Mittersteiner, Reinhard: "Fremdhäßige", Handwerker & Genossen. Die Entstehung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Vorarlberg. Bregenz 1994, S. 93.
[8] VLSS 6. Sitzung vom 6.7.1919, S. 41 ff. Siehe Dreier, Werner: Zwischen Kaiser und 'Führer'. Vorarlberg im Umbruch 1918-1938. Bregenz 1986, S. 18 f.
[9] Für den 13. April 1919 riefen die Christlichsozialen, die "Schwarzen", im ganzen Land zu "antibolschewistischen" Massenkundgebungen auf, die sich gegen die Sozialdemokraten richteten. Ihnen wurde unterstellt, sie beabsichtigten als "Landfremde", die "Gewaltherrschaft des Proletariats" zu errichten und die "bodenständigen Vorarlberger" unter das "Gewaltjoch russischer Herkunft und halbasiatischer Art" zu zwingen.
[11] Greussing, Kurt: Grenzstationen – Umbruch und Diktatur. Die Vorarlberger Sozialdemokratie 1918/19 und 1934–1938. In: Pichler, Meinrad (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte von ca. 1870 bis 1945. Bregenz 1982, S. 112 ff. und Dreier, Werner: Zwischen Kaiser und 'Führer'. Vorarlberg im Umbruch 1918-1938. Bregenz 1986, S. 35ff.
[16] Siehe dazu Stoppel, Manfred: Anton Linder Auswahl-Bibliographie, Manuskript StAD, Dornbirn 1994.
[20] Arbeiterkammer Feldkirch (Hg.): Präsident Anton Linder 70 Jahre. Feldkirch o. J. (1950), S. 10.
[29] Der nachmalige Ehrenbürger der Stadt Dornbirn vertrat während der Dollfuß-Ära die Vorarlberger Industrie im Landtag, obwohl er als illegaler Nationalsozialist bekannt war. Während des Krieges bekleidete er wichtige Rüstungsämter. Siehe u.a. Bundschuh, Werner: Bestandsaufnahme: Heimat Dornbirn 1850-1950, Bregenz 1990, S.223.
[31] VGl. Bundschuh, Werner: Bestandsaufnahme: Heimat Dornbirn 1850-1950. Bregenz 1990, S. 162 f..
[32] Siehe Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 310 ff.
[36] Siehe dazu Dreier, Werner: Die letzten Tage der Demokratie. In: Dornbirner Schriften Nr. IX, 1990, S. 80 ff.
[38] Siehe dazu Dreier, Werner: "Hier gab es keinen Unterschied". Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung Dornbirns in der Ersten Republik. In: Bundschuh, Werner/ Walser, Harald (Hg.): Dornbirner Statt-Geschichten, Bregenz 1987, S. 169-199, hier S. 171 ff.
[39] Siehe Walser, Harald: Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933-1938, Wien 1983, S. 80 ff, 92 f. und 99ff.
[40] Siehe auch Bundschuh, Werner: Bestandsaufnahme: Heimat Dornbirn 1850-1950, Bregenz 1990, S.183 ff.
[41] Zum Herrschaftssystem des Austrofaschismus siehe u.a. Talos, Emmerich/ Neugebauer, Wolfgang (Hg.): "Austrofaschismus" und Enderle-Burcel, Gertrude: Christlich-ständisch-autoritär.
[43] Siehe dazu: Walser, Harald: Wer stand hinter der NSDAP? In: Zeitgeschichte, 7. Jg., 1980, Heft 8, S.288-286. Derselbe: Die Hintermänner. Vorarlberger Industrielle und die NSDAP 1933-34. In: Pichler, Meinrad (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte. Bregenz 1982, S. 96-106.
[44] Siehe dazu Bundschuh, Werner: Anton Linder im Schweizer Exil (1934 bis 1945). In: Montfort, 43. Jg., 1991, Heft 4, S. 311-325.
[45] Bericht Anton Linders zu den Februarereignissen 1934 in Vorarlberg (aus dem Jahre 1938), DMG, DÖW (ohne Nummer).
[46] Greussing, Kurt: Grenzstationen – Umbruch und Diktatur. Die Vorarlberger Sozialdemokratie 1918/19 und 1934–1938. In: Pichler, Meinrad (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte. Bregenz 1982, S. 107-155, hier S. 129.
[47] Staatsarchiv bern, E 4320 C, 13.338, Vernehmung Linders durch das Polizeikommando des Kanton Zürich vom 9. Juni 1934.
[48] Bericht Anton Linders zu den Februarereignissen 1934 in Vorarlberg (aus dem Jahre 1938), DMG, DÖW (ohne Nummer).
[50] Linders Zeit im Exil wurde von mir bereits ausführlicher behandelt. Siehe Bundschuh, Werner: Anton Linder im Schweizer Exil (1934 bis 1945). In: Montfort, 43. Jg., 1991, Heft 4, S. 311-325.
[51] Zur Schweizer Asylpolitik und den entsprechenden Bestimmungen siehe grundsätzlich Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955. Bericht an den Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte, S. 1-376. In: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart (1957). Weiters sind in diesem Bericht enthalten:
Stellungnahme zum Bericht des Herrn Prof. Dr. Carl Ludwig. Bericht des Herrn Bundesrates Eduard von Steiger, Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements von 1941 bis 1951.(S.377-401).
Grundsätze für die Handhabung des Asylrechtes in Zeiten erhöhter internationaler Spannung und eines Krieges. Bericht des Bundesrates vom 1. Februar 1957. (S.403-408).
Die schweizerische Asylpraxis in neuester Zeit. Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957. (S.409-416).
Zur Schweizer Flüchtlingspolitik siehe u.a. Häsler, Alfred A.: Das Boot ist voll... Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933-1945. Zürich 1967.
[52] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben von Johannes Huber vom 14.4.1934 an die Bundesanwaltschaft Bern.
[53] Zur Person von Paul Grüninger siehe Keller, Stefan: Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. Zürich 1993.
[54] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben vom 3.5.1934 des Polizeikommandos St. Gallen an die Schweizerische Bundesanwaltschaft Bern.
[55] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Vernehmung Linders durch das Polizeikommando des Kantons Zürich vom 9. Juni 1934.
[57] Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955. Bericht an den Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte, S 318.
Der Bundesratsbeschluß vom 7. April 1933 – zustandegekommen nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland – und das Kreisschreiben des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 20. April 1933 regelten die Behandlung politischer Flüchtlinge in der Schweiz. Mit Bundesratsbeschluß vom 17. Oktober 1939 wurde für den schweizerischen Rechtsbereich der Begriff "Emigrant" geprägt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Begriffe "Flüchtling" und "Emigrant" gleichbedeutend gewesen. Nunmehr galten nur noch diejenigen Flüchtlinge als "Emigranten", die unter die speziellen Vorschriften des Bundesratsbeschlusses fielen. Die Eidgenössische Fremdenpolizei hatte im Einzelfall über den Status zu entscheiden. Die Anerkennung als "Emigrant" kam nur für Personen in Betracht, die lediglich eine Toleranzbewilligung hatten und die sich nicht bereits 10 Jahre (vom 1.9.1939 angerechnet) in der Schweiz aufhielten. Von den während des Krieges sich in der Schweiz aufhaltenden 55018 Zivilflüchtlingen und 9909 anerkannten Emigranten waren 3655 Österreicher(innen).
[59] Greussing, Kurt: Grenzstationen – Umbruch und Diktatur. Die Vorarlberger Sozialdemokratie 1918/19 und 1934–1938. In: Pichler, Meinrad (Hg.): Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte. Bregenz 1982, S. 130.
[60] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben der Stadtpolizei Zürich an das Polizeiinspektorat Zürich vom 1.10.1940.
[61] Dieser Vorwurf erhob Detektiv Scherhag in einem Schreiben vom 6.6.1935. Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338.
[62] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Vernehmung Linders durch das Polizeiinspektorat Zürich vom 26.7.1935.
[63] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Bericht des Polizeiinspektorats Zürich an die Fremdenpolizei Zürich vom 29.7.1935 und E 4264 N 2426, Bericht über den Fall Linder, 23.10.1943.
[64] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben des Städtischen Arbeitsamtes Zürich vom 2.12.1935.
[65] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben der Bundesanwaltschaft Bern vom 13.3.1936 an die Fremdenpolizei Bern.
[66] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben des Polizeiinspektorats Zürich vom 4.1.1935 an die Fremdenpolizei Zürich.
[67] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338, Schreiben der Stadtpolizei Zürich an das Polizeiinspektorat Zürich vom 21.9.1936.
[68] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338. Siehe den Schriftwechsel Bundesanwaltschaft-Schweizerische Gesandschaft in Wien.
[69] Zur Person Lunardons siehe Walser, Harald: Der Tod eines Staatsdieners. In: Bundschuh, Werner/ Walser, Harald (Hg.): Dornbirner Statt-Geschichten. Dornbirn 1987, S. 210- 240.
[70] VLA, BH Feldkirch, Abt. II-220/1936. Schreiben Hugo Lunardons an die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 6.2.1936.
[71] Staatsarchiv Bern, E 4264 N 2426, Schreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei an die Polizeiabteilung Bern.
[72] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338. Schreiben des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements an die Eidgenössische Fremdenpolizei vom 4.11.1940.
[73] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338. Schreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei vom 28.11.1940 an Linder.
[74] Zur Biographie siehe u.a. Röder, Werner u. Strauss, Herbert (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigranten nach 1933, Bd. 1, München-New York-London-Paris 1980, S. 242.
[75] Goldner, Franz: Flucht in die Schweiz. Die neutrale Schweiz und die österreichische Emigration 1938-1945. Wien 1983, S. 61.
[76] Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-1945. Wien-München 1958, S. 178.
[77] Goldner, Franz: Flucht in die Schweiz. Die neutrale Schweiz und die österreichische Emigration 1938-1945. Wien 1983, S. 80.
[78] 1943 erzielte die schweizerische Sozialdemokratie einen bedeutenden Wahlerfolg und zog in den Bundesrat ein. Im folgenden Jahr wurde die "Partei der Arbeit" gegründet, die unter anderem Mitglieder der 1940 verbotenen KP und Linkssozialisten umfaßte.
[79] Staatsarchiv Bern, E 4320 C. 13.338. Polizeidienst der schweizerischen Bundesanwaltschaft am 7.6.1944.
[80] Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-1945. Wien-München 1958, S. 188: "Mit der Vertretung des 'POEN' im Ausland werden folgende Personen beauftragt: Dr. Kurt Grimm und Bundesrat Karl [sic!] Linder in der Schweiz, Dr. Lemberger in Frankreich und Franz Novy und Dr. Franz Schneider in England."
[81] Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-1945. Wien-München 1958, S. 199.
[82] Goldner, Franz: Flucht in die Schweiz. Die neutrale Schweiz und die österreichische Emigration 1938-1945. Wien 1983, S. 83.
[83] Röder, Werner u. Strauss, Herbert (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigranten nach 1933, Bd. 1, München-New York-London-Paris 1980, S. 448.
[86] Siehe dazu Bundschuh, Werner: Das befreite Land - Die "Besatzungszeit. In: Bundschuh, Werner/ Pichler, Meinrad/ Walser, Harald: Wieder Österreich! Befreiung und Wiederaufbau-Vorarlberg 1945. Bregenz 1995, S.71 ff.
Parteilose und nicht näher zu bestimmende Vertreter stellten bei diesen ersten Wahlen fast die Hälfte aller Betriebsräte, die ÖVP erhielt die größte Zustimmung, die SPÖ-Gewerkschafter lagen nur an dritter Stelle.
Gründe dafür waren:
– Die Betriebsratswahlen wurden zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die Formierung der neuen politischen Parteien noch im Gange war.
– Ein Teil der Arbeiterschaft scheute nach den zurückliegenden negativen Erfahrungen ein politisches Engagement.
– Schon in der Ersten Republik hatte Vorarlberg den geringsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad aller österreichischen Bundesländer aufgewiesen.
– Die vorherrschende Klein- und Mittelbetriebestruktur erschwerte die klare politische Deklarierung der Betriebsräte. Oft gingen fraktionslose Vertreter innerbetrieblichen Konfliktsituationen aus dem Weg.
– Auch die Vorarlberger Arbeiterschaft war gegenüber dem Nationalsozialismus nicht völlig resistent gewesen. Nicht alle einstigen NS-Sympathisanten schlossen sich sofort einer demokratischen Partei an. Vgl. Wanner: Die Geschichte der Vorarlberger Kammer für Arbeiter und Angestellte 1946-1985, S. 56.
[90] Resolution des ÖGB bei der Gründungsversammlung:
"Ausgehend von der so teuer erkauften Erfahrung, wonach eine dauernde Verankerung der Demokratie nur dann erfolgen kann, wenn neben der Überwindung des nazistischen Geistes die Grundlagen zum Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft und zur sozialen Gerechtigkeit geschaffen werden, halten die Versammelten die Erfüllung folgender Voraussetzungen für dringend nötig:
1. Gewährung des vollen Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter und Angestellten an dem Wiederaufbau der Wirtschaft.
2. Ausschaltung aller jener Kräfte und Personen aus der Wirtschaft und Verwaltung, die als exponierte Faschisten, direkt oder auch nur indirekt als Geldgeber an dem Unglück Österreichs schuldig wurden.
3. Reinigung der Betriebe, Ämter und Dienststellen von stark belasteten nazistischen Elementen unter Mitwirkung der Betriebsräte und Vertrauensmänner.
4. Kommissarische Leitung privater Industrie- und Wirtschaftsbetriebe, aus denen Naziunternehmer entfernt werden, im Einvernehmen mit den im Betriebe Beschäftigten.
5. Unverzügliche, planmäßige Wiederingangsetzung der Industrie und Wiederaufbau der zerstörten Gebiete.
6. Sofortige Wiederinkraftsetzung aller sozialen Gesetze nach dem Stand vom 1. Jänner 1933 und ehestens Novellierung dieser Gesetze im Sinne einer anzustrebenden sozialen Gerechtigkeit.
7. Rückkehr zur kollektiven Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Ersetzung der Tarifordnungen durch Kollektivverträge zur Wahrung einer anzustrebenden sozialen Gerechtigkeit.
8. Erziehung der Jugend und allgemeine Umschulung zur Qualitätsarbeit." ÖGBBV, 1945, S. 8 f.
[91] Siehe dazu Bundschuh, Werner: Von der "Betriebsgemeinschaft" zur Sozialpartnerschaft – 1938-1995. In: Bundschuh, Werner/ Dreier, Werner/ Mittersteiner, Reinhard: Die "Fabrikler" organisieren sich. 100 Jahre Gewerkschaft Textil, Bekleidung und Leder Landesorganisation Vorarlberg. Bregenz 1995, 181 ff.
[92] Siehe dazu Wanner: Die Arbeiterkammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946–1985, S. 13 ff.
[93] Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg (Hg.): 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg. Feldkirch 1952, S.27.
[94] Vgl. Wanner, Gerhard, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, Feldkirch 1985, S. 56 ff.
[95] Siehe Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg (Hg.): 40 Jahre Vorarlberger Arbeiterkammer 1946-1986, Feldkirch 1986.
[96] Wanner, Gerhard, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, Feldkirch 1985, S. 28.
[98] Wanner, Gerhard, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, Feldkirch 1985, S. 31.
[100] Wanner, Gerhard, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, Feldkirch 1985, S. 32.
[101] Von den 69.708 gültigen Stimmen bei den Landtagswahlen entfielen 70,2 % auf die Österreichische Volkspartei (ÖVP), 27,4 % auf die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) und 2,4% auf die Kommunistische Partei (KPÖ) Damit stellte die ÖVP 19 Abgeordnete und die SPÖ sieben, die KPÖ erhielt kein Mandat.
[103] Wanner, Gerhard: Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, Feldkirch 1985, S. 48.
[105] Siehe dazu Bundschuh, Werner: Von der "Betriebsgemeinschaft" zur Sozialpartnerschaft – 1938-1995. In: Bundschuh, Werner/ Dreier, Werner/ Mittersteiner, Reinhard: Die "Fabrikler" organisieren sich. 100 Jahre Gewerkschaft Textil, Bekleidung und Leder Landesorganisation Vorarlberg. Bregenz 1995, 181 ff.
[106] Am 28. März 1947 wurde vom Nationalrat das neue Betriebsrätegesetz beschlossen. Damit endete ein sich auf das Jahr 1919 stützendes Provisorium. Zusammen mit der vom Bundesministerium für soziale Verwaltung am 27. Juli 1947 erlassenen Verordnung über die Wahl der Betriebsräte und Vertrauensmänner war die gesetzliche Grundlage für Neuwahlen vorhanden.
[107] Wenn eine Gewerkschaft Lohnforderungen stellte, wurden sie an die ZLK eingereicht. Stimmten die ZLK und das Alliierte Lohnamt zu, wurden die Löhne fixiert. Die paritätische Zusammensetzung der ZLK war ein wichtiger Faktor für ihren Erfolg: Mehrmals verhinderte sie quasi als Ombudsmann Arbeitskämpfe und war ein wichtiger Pfeiler bei der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens nach 1945.
[109] Die Forderungen der Gewerkschafter zu jener Zeit:
1. Sofortige Maßnahmen zur Stabilisierung der Währung
2. Lenkung der Produktion durch Zuweisung von Rohstoffen
3. Straffeste Bewirtschaftung der notwendigen Bedarfsgüter
4. Kampf den überhöhten Preisen und strengste Kontrollen
5. Exemplarische Bestrafung der Preiswucherer und Schleichhändler.
Am 29. Mai 1947 sandte der ÖGB an den Alliierten Rat ein Memorandum, das nach Meinung der Gewerkschafter jene Punkte ansprach, die für die österreichische Entwicklung entscheidend waren:
"1. Rascheste Abschaffung aller Zonengrenzen, Beseitigung der Zensur und Rückgabe der Rundfunkstationen an Österreich,
2. Bereitstellung einer genügenden Lebensmittelmenge, um den 1550-Kalorien-Satz bis zur neuen Ernte zu garantieren,
3. Herbeischaffung von Kohle, um der Industrie, den Bundesbahnen, Gas- und Elektrizitätswerken die Ausnützung der Kapazität zu ermöglichen,
4. Die gesamte österreichische landwirtschaftliche Produktion und der Industrie soll ausschließlich der österreichischen Volkswirtschaft zum Konsum oder zum Export bereitstehen,
5. Stabilisierung der Preise und Löhne. (Voraussetzung ist die Währungsreform, die von der Frage der Alliierten Guthaben abhängt.) Rückerstattung der von Deutschland beschlagnahmten Gold- und Devisenbestände,
6. restlose Rückführung österreichischer Kriegsgefangener,
7. Abschaffung der Militärregierung, Beschränkung der Tätigkeit der Militärpolizei auf Angehörige der Alliierten Mächte, entsprechende Bewaffnung der österreichischen Exekutive, eheste Evakuierung der DP und Feststellung, daß Österreich nicht verpflichtet ist, für die Versorgung der DP aufzukommen,
8. Herabsetzung der Besatzungskosten, Freigabe der Wohnräume, Abstandnahme von weiteren Forderungen." Nach: Dokumentation zur österreichischen Zeitgeschichte 1945-1955, S. 173.
[110] Zitiert nach Weber, Wolfgang: "Die KPÖ-Vorarlberg und der Wiederaufbau der Zweiten Republik 1945-1956" in "Jeder Betrieb eine rote Festung!", S. 207.
[112] Eisterer, Klaus: Französische Besatzungspolitik, S. 163. Zur Entnazifizierung in Vorarlberg siehe S. 164 ff.
[113] Eisterer, Klaus: Französische Besatzungspolitik, S. 214.
In Vorarlberg wurden fast alle von den alliierten Behörden verhaftet. In jedem Bezirk gab es ein großes Internierungslager: bei Lochau (Bregenz), in Brederis (Feldkirch) und in Rungelin (Bludenz). Daneben existierten kleinere Anhaltelager mit Arbeitskommandos, so beim Rodund-Werk der Illwerke oder im Wirtatobel (Langen bei Bregenz).
[115] In Vorarlberg vertraten Landeshauptmann Ulrich Ilg und Eduard Ulmer, der Wirtschaftsreferent der Landesregierung gegenüber den "Ehemaligen" eine weiche Haltung, denn sie waren der Meinung, daß besonders die Industriellen – und sie gehörten fast durchwegs zur Kategorie der "Schwerbelasteten" – für den Wiederaufbau benötigt würden. Siehe Gespräche in: Österreichischer Rundfunk (Hg.): Ende und Anfang. Erinnerungen an die Maitage 1945. Niederschrift von Radiointerviews, die 1965 für eine Hörfunk-Dokumentation über die Bildung einer provisorischen Landesregierung im Mai 1965 aufgenommen worden sind.
Siehe auch Ilg, Ulrich: Lebenserinnerungen, S. 49.
[116] Im Jahre 1946 ging ihre Durchführung auf die österreichische Regierung über, allerdings behielt sich der Alliierte Rat das Recht vor, unter bestimmten Voraussetzungen selbst Personen aus Staat und Wirtschaft zu entfernen. Zum Druck der Alliierten auf die österreichische Politik siehe Knight, Robert: "Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen", S. 26 ff.
Nach dem Verbotsgesetz vom 5. Mai 1946 waren alle in Österreich registrierungspflichtig, "die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) angehört haben". Meldezeit war in Vorarlberg vom 25. März bis zum 17. April 1946.
[117] Dazu wurde begonnen, einfache Mitglieder ganzer Organisationen (zum Beispiel des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps und des Nationalsozialistischen Fliegerkorps) von der Registrierung auszunehmen, ein Verfahren, das bei den NS-Gesetzen vom 6. Februar 1947 erweitert wurde.
[118] "Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, wie sehr die aufgewendete Arbeit in keinem Einklang mit dem erwarteten Ergebnis steht. War auch die Auswirkung des Nationalsozialistengesetzes für die Beurteilung sehr günstig und darf auch mit der Erlassung einer Amnestie für Jugendliche in absehbarer Zeit gerechnet werden, so wäre es doch hoch an der Zeit, das ganze Problem einer ehesten Liquidierung zuzuführen. Dies könnte dadurch geschehen, daß man jene, die wirklich schuldig geworden sind und sich Verbrechen schuldig gemacht haben, vor Gericht stellt, allen anderen aber, also allen Minderbelasteten, die Wohltat einer allgemeinen Amnestie zuteil werden läßt." ÖGBBV, 1947, S. 64.
[122] An ihn hält sich auch Gerhard Wanner in seinen Ausführungen in: Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1946-1985, S. 47 f.